Freundschaft, liebe Ossis!

Vor 33 Jahren holte sich die Bundesrepublik 16 Millionen Neonazis ins Bundesgebiet. So simpel sehen es viele im Lande. Die Wahrheit geht anders: Ohne diese 16 Millionen Ostdeutsche, wäre dieses Land längst eine Selbstzufriedenheitsdiktatur.

Vor einigen Jahren schrieb Thomas Brussig seinen vielleicht besten Roman: »Das gibts in keinem Russenfilm«. Thomas Brussig heißt auch die Hauptfigur des Werkes – 1991 erscheint dessen erster Roman in der DDR. Gleichzeitig wird er zu einer Eminenz des Widerstandes gegen den Staat. Das jedoch mehr ungewollt als alles andere. Richtig gelesen: 1991 in der DDR. Denn die Prämisse des Romans ist folgende: Die Wiedervereinigung fand einfach nicht statt; kein Günter Schabowski, der stammelt und sich für einen Augenblick überrumpeln ließ. Alles blieb beim Alten, die DDR existierte weiter, immer weiter: Holzt irgendwann ihre Wälder ab, baut aus Holz Windräder, wird zu einer Art Grünstrom-Nation – in der es wegen der Rotation der Windräder durchgehend surrt, weswegen auch die Unfallquote in die Höhe schnellt: Anrauschende Rennpappen werden nicht mehr gehört.

Die Geschichte strotzt nur so vor Koketterien mit dem, was im Roman nicht, in der Wirklichkeit aber schon passiert ist. Eine Ebene behandelt aber Brussig nicht, kann er auch gar nicht, denn seine Story spielt in Ostdeutschland. Hätten die Westdeutschen was verpasst, wenn beide deutschen Völker nicht zusammengefunden hätten? Der Mainstream würde wohl hinter vorgehaltener Hand sagen: Wir hätten uns den Rechtsruck gespart. Stimmt das? Der Ostdeutsche als potenzieller Rechtsradikaler?

Die DDR als Demokratieschule

Jedes Jahr kurz vor dem Einheitstag bemühen die Medien dieses Landes solche, die sie als Experten taxieren. In dem Fall Psychodoktoren und soziologische Fachangestellte: Die sollen mal was zum Ossi sagen. Allerlei vernimmt man dann. Sie seien abgehängt, hätten in der DDR einfach nicht beigebracht bekommen, wie man demokratische Werte pflegt. Und ja, der real existierende Sozialismus habe im Grunde den Faschismus begünstigt. Eine infame Einschätzung. Ganz so, als habe der Westen nie und nimmer rechtsradikale Exzesse erlebt. Die Wehrsportgruppe Hoffmann oder die Anschläge in Mölln: Soll da auch die Stasi dahinterstecken, so wie beim Mord an Benno Ohnesorg?

Die Ostdeutschen sind so eine Art Russen im eigenen Lande. Man schiebt ihnen das Elend des Landes, die traurigen Ecken, die schlimmen Exzesse, das strukturelle Versagen gerne mal in die Schuhe. Gewinnt Donald Trump die US-Präsidentenwahlen, weiß man schnell, wer verantwortlich war: Die Russen. Hier läuft es ähnlich, nur reden unsere Russen sächsisch. Dass Ostdeutsche auch irgendwie Migranten sind, konnte man noch 2018 in der taz lesen – Interview mit einer Migrationsforscherin. Migranten verließen ihr Land, sagte sie. Die Ostdeutschen wurden von ihrem Land verlassen. Die Folgen seien ähnlich traumatisch. Da heute besonders Menschen aus dem Osten des Landes gegen diese Eskalation des Krieges sind, würde die taz dergleichen dieser Tage vermutlich nicht mehr publizieren.

Mir liegt es fern, die Ostdeutschen jetzt rein zu viktimisieren, als traumatisierte Opfer hinzustellen. Das wird ihnen nicht gerecht. Und stellt eine andere Form der Bevormundung dar. Aber es ist schon was dran an dem Umstand, dass Ostdeutsche zuweilen fremd wirken. Ganz einfach, weil sie es sind. Und sie sind es nicht, weil sie alle irgendwie die Tendenz aufweisen, rechten Parolen nachzueifern. Das Gegenteil könnte zutreffen. Mag auch die DDR in den Schulen nicht Politikwissenschaft dem Sinne nach gelehrt haben, ihre Bürger zu mündigen politischen und demokratischen Wesen zu erziehen (hier spricht vielleicht der Wessi, der es nicht besser weiß?), so hat sie doch indirekt »demokratische Bürger« heranreifen lassen.

Unangepasst, widerspenstig, kurz: Lebendig!

Wir sehen das ja heute in ähnlicher Manier: Der Staat – nun der gesamtdeutsche – ist übergriffig wie nie. Er bevormundet seine Bürger an vielen Stellen, gibt sich arrogant-paternalistisch hier, verordnend und despotisch dort. Führt das etwa dazu, dass die Menschen sich verstärkt einlullen lassen? Man könnte das annehmen, aber ganz offenbar wächst da Widerstand, immer mehr glauben dem Mainstream wenig bis nichts, weichen auf Alternativmedien aus, kehren der Politik und den Wahlen den Rücken (oder geben der Partei eines Politikers, der einer Kampagne ausgesetzt wird, in Umfragen erst recht ihre Stimme; Stichwort: Aiwanger und Freie Wähler), machen sich also eigene Gedanken und suchen nach anderen Möglichkeiten, als denen, die einem vorgesetzt werden. Kurz und gut, sie entdecken demokratische Qualitäten.

Gleichzeitig erzählen die oben genannten Experten, dass die Ostdeutschen die Jahre der Diktatur als so prägend empfunden hätten, dass sie nicht aus dem diktatorischen Muster ausscheren könnten. Ist das so? Kann das Wort »Diktatur« überhaupt verwendet werden, ohne die Opfer von Systemen, die im diktatorischen Eifer millionenfach dem Tode überstellt wurden, zu spotten?

Dabei war es durchaus nicht so, dass die Menschen in der DDR zu dummen Maschinen erzogen wurden, die des eigenen Denkens nicht fähig wären. Wie gesagt, das System hat sie durchaus zu meinungsstarken Individuen geformt. Vielleicht ungewollt, aber in einem Staat wie jenem musste man die Vorgänge kritisch begutachten. Ohne diese Kernkompetenz wäre eine friedliche Revolution wie jene von 1989 gar nicht möglich gewesen. Dort lernte man zwischen den Zeilen zu lesen, Kontexte zu begreifen. Das Regime machte solche Qualifikationen notwendig. Dass Ostdeutsche auf dem Gebiet heute kritischer sind, hat mit dieser Geschichte zu tun – der naive Westler hat in der Zeit beigebracht bekommen, dass es die Politik schon richtet, schließlich sei das ihre Aufgabe: Arbeitsteilung halt. Du gehst malochen und die große Politik kümmert sich um die Rahmenbedingungen, misch dich da mal nicht zu sehr ein.

Heute begreift der Osten Neuigkeiten und politische Vorgaben ganz anders als der Westen: Eben weil er so sozialisiert wurde, dass er Misstrauen gegenüber denen an den Tag legt, die etwas zu sagen haben. Manchmal mag das Misstrauen sicher überzogen sein, aber grundsätzlich ist Skepsis ja ein demokratischer Wert. Denn er führt zu Überprüfung, dazu die Dinge nochmal von einer anderen Warte aus zu betrachten.

Ossi? Find ich gut!

Immer wenn die Ostdeutschen mehrheitlich oder in großer Gruppe anderer Meinung sind als der Verordnungsapparat des Mainstreams, wurden sie in den letzten Jahren in die rechte Ecke gestellt. Das Label sagt aber nichts über die wirklichen Motive und Beweggründe aus. Es ist eine Kampfansage, klassisches Framing und insofern dem Krieg um die Deutungshoheit geschuldet. Nur weil Menschen in Ostdeutschland der Meinung waren, es gäbe zu viel Islamisierung in Deutschland, sind sie noch lange keine Helter-Skelter-Anhänger, gehören nicht dem Ku-Klux-Klan an oder sind irgendwelche Hardcore-Nazis. Ja, vielleicht wählen sie noch nicht mal die AfD. Ein kritischer Blick auf die Integrationspolitik: Macht das einen zum Gefährder von rechts? Falls jemand diese Frage mit Ja beantworten möchte, sollte man mit ihm direkt danach über das Wesen der Demokratie sprechen müssen.

Die Ostdeutschen haben in den letzten Jahren durch ihre differente Haltung den Meinungskorridor vergrößert. Ihre Lebenserfahrung, die die sie direkt machten und die, die sie ihren Kindern mit auf den Weg gegeben haben, ist von einer tiefen Skepsis alle Welt beglücken wollender Politikdarsteller gegenüber geprägt. Wenn die etwas in die Wege leiten, bedeutet das im Osten des Landes: Achtung, hier könnte was faul sein! Und oft liegen sie damit nicht falsch. Im Westen hat man hingegen verlernt, auch mal vom Mainstream abzuweichen. Klar, das ist auch anstrengender, man riskiert Widerreden, wird vielleicht auch mal angefeindet, kriegt Ärger auf der Arbeit.

Die Ossis? Die find ich gut! Sie sind – nicht alle, man darf nicht zu generalistisch sein – ein schöner Gegenentwurf zum glatten, zum angepassten westlichen Agendamenschen – auch die sind nicht alle so, aber zu viele sind es im Westen sicher. Daher muss man festhalten, dass die Welt, die Thomas Brussig in seinem Roman da skizziert, für den Westen weitaus ärmer wäre, als diese Realität, in der die DDR in das Gebiet der Bundesrepublik aufgenommen wurde.

Man müsste einen Roman schreiben, der in Brussigs Kosmos spielt, aber den Westen ohne Wiedervereinigung nachzeichnet. Tendenziell würde ich die Geschichte so schreiben, dass der Westen noch eine Weile ohne Probleme dastehen würde – aber die Bürger Westdeutschlands würden zunehmend unkritischer werden, kaum noch politisches Gespür haben, mehr und mehr abstumpfen und sich der verordnenden Agenda unterordnen. Sie würden wären dann also irgendwann so, wie sie sich den Deutschen der DDR immer vorgestellt haben. Sie wären ein bisschen so wie jetzt, wie in dieser Wirklichkeit. Nur ohne kritische Ossis. Und damit ohne den Versuch eines Korrektivs aus Teilen des Souveräns heraus.

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Roberto J. De Lapuente

Roberto J. De Lapuente ist irgendwo Arbeitnehmer und zudem freier Publizist. Er betrieb von 2008 bis 2016 den Blog ad sinistram. Seinen ND-Blog Der Heppenheimer Hiob gab es von Mitte 2013 bis Ende 2020. Sein Buch »Rechts gewinnt, weil links versagt« erschien im Februar 2017 im Westend Verlag. In den Jahren zuvor verwirklichte er zwei kleinere Buchprojekte (»Unzugehörig« und »Auf die faule Haut«) beim Renneritz Verlag.

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Rudi K
Rudi K
6 Monate zuvor

Dass die „Ostdeutschen“ die Medien einschliesslich des ÖRR-Fernsehens skeptischer als die „Westdeutschen“ anschauen, habe ich von Bekannten, die aus „Ostdeutschland“ kommen, auch gehört.

Lasse Machen
Lasse Machen
6 Monate zuvor

christliche Politik für ein christliches Deutschland!!! Und DAS auf dieser Seite. Ich verabschiede mich. Muss zum beichten.

Schwitzig
Schwitzig
Reply to  Lasse Machen
6 Monate zuvor

Ein Katholik? Nun, ja – man wird sie irgendwie nicht los :-).

Lasse Machen
Lasse Machen
Reply to  Schwitzig
6 Monate zuvor

nein kein Katholik. Ich bin Atheist. Aber so ein Werbebutton „christliche Politik für ein christliches Deutschland“ auf der Seite der Neulandrebellen, das geht wirklich zu weit. Wo wird das jetzt enden? Seitdem man sich anscheinend irgend ein Werbepartner – aus finanziellen Gründen?? – ins Boot geholt hat, warte ich jetzt nur noch auf einen Button mit dem Aufdruck: Baerbock, die intelligenteste Außenministerin, die dieses Land jemals hatte. Dummerweise würde es passen, denn sie ist die erste – ist es Trampolin eine Frau? – weibliche Person in diesem Amt. Die Neulandrebellen sind falsch abgebogen. Aber was solls ….. man kann die Seite ja auch meiden. Ich werde es tun.

Schwitzig
Schwitzig
Reply to  Lasse Machen
6 Monate zuvor

Ich denke, Du siehst das falsch. Was ist daran falsch, an eine Religion zu glauben und sich aus der Perspektive dieser eine Meinung zu bilden, solange nicht jemand anderes dadurch bedrängt wird? Und generell ist es immer sinnvoll, von den Perspektiven anderer zu hören.

Tom J. Wellbrock
Reply to  Lasse Machen
6 Monate zuvor

@Lasse Machen
Dann meide halt unsere Seite.
Wir sind noch mitten im Entscheidungsprozess. Den kannst du abwarten. Oder es bleiben lassen. Deine Ankündigung wird den Prozess jedenfalls nicht beschleunigen. Wir machen das gemäß unseren Überlegungen. Deine sind deine, unsere sind unsere.

Marla
Marla
Reply to  Schwitzig
6 Monate zuvor

“ … der naive Westler hat in der Zeit beigebracht bekommen, dass es die Politik schon richtet…“
Einspruch: der Wessi ist drangsaliert und domestiziert worden! Wir hatten unsere Demokratisierungsphase in den 70ern/80ern und mussten erleben wie wir verarscht wurden.
Und wir wuden mit den 68ern, den NGOs, den Unis entbürgerlicht/entdemokratisiert/entrechtet/entsolidarisiert….
Frozen frog war des Wessis Problem. UND:

Jau
Jau
6 Monate zuvor

Vielen Dank für den launigen Beitrag.
Statt ´Freundschaft´ hätt ich noch:
`Seid bereit! – Immer bereit!´

Werbung kommt bei mir gar keine durch.
Gern hätte ich noch wie üblich ein Foto vom heutigen Tag angehängt, scheint aber nicht zu gehen.

Pentimento
Pentimento
6 Monate zuvor

Etwas besser ist es schon. Ich kann immerhin wieder komentieren.

An dieser Stelle möchte ich mich schon mal aufrichtig für die vielen schönen Stunden und für eure gute Arbeit hier im Blog bedanken, bei allen! Egal, wie es nun weitergeht. Es waren gute Zeiten, die uns niemand nehmen kann.

Lieber ,
was du auf RT über unsere „Politiker“ ( oder wie man sie nun nennen soll) heute geschrieben hast, hat mir ausnehmend gut gefallen. Es fehlt nur noch das gute, alte Wort ‚Herzensklugheit‘, mit dem diese Figuren wahrscheinlich eh nichts anzufangen wissen.

Bibi
Bibi
6 Monate zuvor

Ich würde die Geschichte so schreiben, daß die Lage im Westen zunehmend prekärer und isoliert wäre, während die DDR immer mehr Wohlstand durch die zunehmende Stabilität mit den Bruderstaaten (Silkroad, SOZ, BricksPlus) erlangen würde, inklusive exzellente Fachkräfte durch den interkontinentalen Bildungsaustausch, Studentenaustausch, gegenseitige Hilfsprojekte Skillsharing etc..

Am Ende würde sich der Westen dann besinnen, und damit anfangen, seine Strukturen und sein Bildungssystem nach dem Vorbild der DDR ausrichten, eine Volkskammer zu gründen und sich mit den bestehenden Volkskammern bekanntmachen, das westliche Bildungssystem vom Kopf auf die Beine zu stellen, und auch ansonsten zunehmend Ost-Sandmänchen gucken, sich die Pionierregeln verinnerlichen und Frösikekse backen.

🕊️ Happy End 🕊️
🕊️ No pasaran🕊️
🕊️💌🕊️