Ratgeber mit Schatten

Es wird kühler. Mir werden sie fehlen, all die warmen Wärmewarnungen und Hitzeratschläge, die nicht nur gratis, sondern auch ganz umsonst sind.

Über den Sommer zu sprechen, ob es zu heiß oder zu regnerisch war, zu tropisch oder gerade noch erträglich, klimagewandelt oder so wie damals, in den Achtzigern auch schon: Das ist das eigentliche Sommerloch. Die Diskussionen brutzeln in der Hitze der Gemüter. Es ist leidig, als ob die Sonne, wenn sie herunterbrennt, nicht schon genug Grund zur schlechten Laune wäre – entschuldigen Sie, der Autor dieser Zeilen ist kein sonniges Gemüt, er braucht keine Tage voller Sonnenschein. Er hat es gerne bewölkt. Der Sommer nervt ihn seit geraumer Zeit noch mehr als üblich. Wegen all der Sommerlöcher in den Hirnen der Leute: Wenn der Klimawandel überhaupt was bedeutet, dann doch wohl bloß den Umstand, dass sich bei vielen klaffende Hohlräume unter der Schädeldecke breitgemacht zu haben scheinen.

Ständig bekommt man nicht nur Hitzewarnungen serviert, sondern gleich noch warme Ratschläge, wie es sich bei Hitze über den Tag und die Nacht kommen lässt. Seien Sie vorsichtig, sonst sterben Sie mir nichts dir nichts weg. Dann zerfallen Sie im Sonnenlicht wie die letzten Vampire am Ende von »From Dusk till Dawn«. Passen Sie auf sich auf! Bleiben Sie gesund! 

Lauterbach oder Instinkt: Menschen im Schatten?

Vor einigen Wochen war ich mit einem Freund auf dem Weg nach Kroatien. Tage zuvor wurde in den Medien erstmals in Deutschland von Lauterbachs Hitzeplan gesprochen. Die Alarmglocken schrillten bei vielen, denn das, was man so aufgetischt bekam, klang ganz massiv nach Lockdown. Sportveranstaltungen sollten zum Beispiel verpflichtend abgesagt werden, wenn es zu heiß ist. Ansonsten viele warme Ratschläge. Trinken. Schatten. Sonne meiden. Kaum war von diesem Hitzeplan die Rede, gingen auch Medien dazu über, ihren Wetterkaffeesatzlesereien noch Ratgeber anzuhängen. Plötzlich war die aufgedrehte Stimme aus dem Radio ein ganz informierter Hitzeexperte, der den Leuten erklären musste, wie man bei einem solchen Wetter lebt.

Lüften sei wichtig, insbesondere nachts. Machen Sie die Jalousien runter. Fenster zu. Erfrischen Sie sich. Trinken Sie nicht zu wenig. Schatten, immer wieder Schatten. Und Sonne meiden, immer die Sonne meiden. Ganz besonders die Mittagshitze sei schädlich. Machen Sie keinen Marathon zur Mittagszeit. Wenn Sie als verarmter Rentner Pfandflaschen sammeln wollen, nutzen Sie die kühleren Morgenstunden. Wasser sei auch sehr wichtig: Insbesondere zur Innenanwendung. Trinken, trinken, trinken – sagen Sie also ihrer Pflegekraft, Sie soll öfter mal reinschauen und Ihnen die Schnabeltasse reichen. Wenn sie Zeit findet – sie hat ja noch acht andere Alte zu versorgen.

Die ganze Fahrt nach Kroatien über lachten wir über diese Tour. Sahen wir einen in der Sonne stehen, gaben wir dem Affen Zucker: Schau hin, der wird gleich ableben! Wenn das der Gesundheitsminister wüsste! Ist bestimmt kein Deutscher, denn der wüsste, was sein Karl von ihm will. Und überhaupt, warum gefährdet der uns alle und steht einfach in der prallen Sonne. Noch etwas fiel aber auf: So richtig viele Menschen standen nicht in der Sonne. In Pula war das beispielhaft: Ein großer Platz in der Altstadt war zur Hälfte besonnt, die andere Hälfte lag im Schatten: Instinktiv scheinen sich die Menschen in den Schatten bewegt zu haben. Im hellen Bereich des Platzes fand man fast keine Menschen.

Außerdem tranken alle, bewegten sich langsam, fächelten sich Luft zu, manche erfrischten sich an Brunnen, wenn denn welche zugegen waren. Kurz und gut: Entweder kannten die alle den Hitzeplan Lauterbachs oder hörten deutsche Radiosender – oder aber, und das ist ein geradezu verwegener Gedanke, im Menschen schlummert so etwas wie Instinkt und er weiß automatisch, wie er mit Hitze umgeht.

Ratschläge von Leuten, die andere für Idioten halten

Diese Menschen: Sie können bei der Hitze überleben, auch wenn sie nicht die süßlichen Stimmen des Wahnsinns deutscher Radiomoderatoren hören, die vom Lauterbach und von Freaky Fridays for Future besessen sind. Vermutlich ist das für deutsche Medienschaffende und Politikclowns schwer zu verstehen: Sie leben ja jetzt seit Jahren in dem Wahn, dass die Menschen ohne sie völlig hilflos wären. Sie glauben, sie seien die, die die Fäden in der Hand haben – ohne sie bewegt sich die Marionette, der Bürger doch gar nicht.

Klar, die Olle in ihrem Rollstuhl in der Seniorenresidenz bleibt in der Sonne stehen.  Die bewegt sich wirklich nicht. Sie merkt aber auch nichts mehr. Auch nicht, dass es zu wenig Altenpfleger gibt, die sie mal eben in den Schatten stellen sollten. Das wäre mal ein Ratschlag für heiße Tage, der aus dem Radio sprudeln sollte: Stellt mehr Altenpfleger ein, die auch mal das Tässchen mit Wasser reichen können. Die Senioren brauchen vielleicht wirklich warme Ratschläge an warmen Tagen. Aber doch alle anderen nicht. Nicht mal die Kinder, denn die haben Eltern – und man kann dumm oder gebildet sein: Gegen Hitze macht jeder was, das ist ein Instinkt. Niemand stirbt, weil er einfach in der Sonne hocken bleibt.

Hinter dieser schwülen Ratgeberschaft steckt natürlich ein fatales Menschen- und Gesellschaftsbild. Diese Experten können sich Bürger nicht mehr als Souverän vorstellen. Als souveräne Menschen, die wissen was zu tun ist. Für sie sind Bürger immer und überall Beratungsfälle. Klienten, die Betreuung brauchen und sich nicht beklagen sollten, wenn man ihnen hilft. Man muss sie warnen, ihnen sagen, wie es geht, sie auf Dinge hinweisen. Tut man es nicht, sterben sie wie die Fliegen.

Was glaubt denn irgendein Idiot im Radio? Dass ich nicht auf die Idee komme, bei 38 Grad die Jalousien herabzulassen? Dass ich mich in die Mittagshitze setze und ein großes Glas Schnaps zu meiner Schweinshaxe schlürfe? Für so einen sind Menschen ganz offensichtlich gefühllose Klumpen organischer Masse, die unfähig zum Scheißen sind, wenn man ihnen den Stuhlgang nicht ansagt. In dieser Beratschlagungsmatrix, in die sich deutsche Journalistendarsteller begeben haben, kommt der Bürger nicht mehr als mündiges Wesen vor, als Mensch, der selbstverantwortlich ist und auch ohne vermeintliche Expertisen existieren kann. Für diese Leute sind wir alle nur eine stumpfe Verfügungsmasse, die dauernder Anleitung bedarf. Warme Ratschläge dieser Art sind schlussendlich demokratiefeindlich. Wer Bürgern als ganz heißen Tipp den Schatten empfiehlt, hat vermutlich nicht nur einen, sondern ist auch eine Schattenfigur im Prozess der im Gange befindlichen Entdemokratisierung.

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Roberto J. De Lapuente

Roberto J. De Lapuente ist irgendwo Arbeitnehmer und zudem freier Publizist. Er betrieb von 2008 bis 2016 den Blog ad sinistram. Seinen ND-Blog Der Heppenheimer Hiob gab es von Mitte 2013 bis Ende 2020. Sein Buch »Rechts gewinnt, weil links versagt« erschien im Februar 2017 im Westend Verlag. In den Jahren zuvor verwirklichte er zwei kleinere Buchprojekte (»Unzugehörig« und »Auf die faule Haut«) beim Renneritz Verlag.

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Lasse Machen
Lasse Machen
7 Monate zuvor

Sehr viel besser kann man dieses Thema nicht behandeln. Ich ziehe meinen nicht vorhandenen Hut, obwohl mir immer und immer wieder gesagt wird: setz` bei dieser mörderischen Hitze einen Hut auf.

Ganz etwas anderes: ich habe den Eindruck das die Werbung auf dieser Seite zunimmt. Das nervt und verdirbt die Freude an solchen Artikeln wie diesen hier. Hitze und Werbung, das kann einen umhauen. Darauf einen Grog.

his_frogness
his_frogness
Reply to  Lasse Machen
7 Monate zuvor

Stimme Ihrem Kommentar in beiden Teilen voll zu.

Was die Werbung betrifft:

& Roberto:
Um diesen Kommentar schreiben zu können, musste ich erstmals meinen uBlock ausschalten, weil das Kommentareingabefeld sonst nicht erscheint.
Erschreckend:
uBlock meldete 448 blockierte Seiten, die zugreifen wollen. Da solltet ihr wirklich was tun, weil es auch das Layout der Seite zerreißt. Die Zugriffe der VG-Wort könnt ihr ja drinlassen 🙂

Test
Test
Reply to  his_frogness
7 Monate zuvor

Anscheinend hat sich die Reichweite und Bekanntheitsgrad der Neulandrebellen so sehr erhöht, daß sich jetzt die Geier Werbetreibenden darauf stürzen.

Wütender Bürger
Wütender Bürger
7 Monate zuvor

Ich kann meinen beiden Vorrednern „Lasse Machen“ und „Seine Froschheit“ nur zustimmen: die Werbung hat diese Seite kaputtgemacht! 450 fremde Zugriffsversuche von Drittseiten, Zappelbilder, und eine Kommentarfunktion, die nur funktioniert, wenn man nicht angemeldet ist: melde ich mich an, wird der Klick auf „Kommentar veröffentlichen“ mit der Fehlermeldung „Nonce is invalid“ quittiert.

Da scheinen aber gewaltige Fehler in der neuen Version versteckt!

Wütender Bürger
Wütender Bürger
Reply to  Wütender Bürger
7 Monate zuvor

Die Fehlermeldung erscheint sogar, wenn ich nach der Anmeldung auf „Meine Beiträge“ klicke. (Das kleine Männchen neben der Anzahl der Kommentare.“

Uwe Borchert
Uwe Borchert
7 Monate zuvor

Wir haben in unserer Klimazone größenordnungsmäßig 10 mal so viele Kälte- wie Hitzetote. Mir graust es daher schon vorm Winter. Ziehen sie Kleidung an. Vergessen Sie Unterwäsche, Socken und Schuhe nicht. Heizen Sie Ihre Wohnung, aber nur mit Wärmepumpe und/oder heißer Luft aus Parteitagen von Kriegsbündnis 99/Die Olivgün*innen.

Da lob ich mir den Sommer. 35ml Flüssigkeit pro kg Körpergewicht als Richtwert für die Flüssigkeitszufuhr bedeutet bei 100 kg Lebendgewicht 7 Halbe. Das entspricht etwa 2 Mahlzeiten. Da hat man zwar noch nichts dazu gegessen, aber kann den Unsinn in den systemrelevanten Medien besser ertragen.