Happy Interventionstag!

Heute vor 50 Jahren hat Putin seinen russischen Geheimdienst eingesetzt, um einen demokratisch gewählten Präsidenten aus den Amt zu jagen. Ach Moment, das in Chile kann Putin und Russland doch gar nicht gewesen sein.

Heute Nachmittag vor 50 Jahren endete Salvador Allendes Regierung über Chile. Und zwar mit seinem Tod – der kein natürlicher war, denn es gibt wohl keinen coup d’état, keinen Staatsstreich, der natürliche Tode zur Folge hat. Offiziell hat Allende, der im Regierungspalast zurückblieb, Selbstmord begangen. Ausgeschlossen ist nicht, dass das auch wirklich zutrifft – schoss jemand? Aber die Einschätzung ist natürlich euphemistisch geprägt, denn Allende entzog sich dem Zugriff der Putschisten, die den Palast stürmten, ein Freitod war das sicher nicht.

Angetreten war Allende im Jahr 1970 mit dem Versprechen, Chile zu modernisieren und zu einem autonomen Land zu machen. Heute in dieser Situation, würde ein Land wie das damalige Chile wohl auf die BRICS schielen, um sich des Zugriffs Washington entziehen zu können. Die Vereinigten Staaten schauten damals natürlich skeptisch auf das, was in Santiago und dem Rest des längsten Landes der Welt geschah. Und sie schauten nicht nur, sie handelten: Unter der Hand bereiteten sie den Sturz Salvador Allendes vor. Über Jahre zog sich die Intervention hinweg, die erst das Land in Unruhe stürzte und dann in jenem 11. September 1973 gipfelte. Damals verlor nicht nur Allende sein Leben – und viele würden ihm noch folgen.

Das andere 9/11

Es ist hier nicht der Ort und die Zeit, die Vorgänge jener Jahre minutiös aufzubereiten. Das wurde an anderer Stelle mehrfach getan. Dass die USA hier massiv Einfluss nahmen auf die konservativen und militaristischen Kreise des Landes, denen Allende und sein Parteizusammenschluss Unidad Popular als kommunistische Vorhut galt, gilt mittlerweile als historisch verbrieft. Nach dem Tod Allendes etablierten sie einen den Vereinigten Staaten wohlgesonnen General als Präsidenten. Dieser Augusto Pinochet blieb 17 Jahre an der Macht und erklärte seinem Volk den Krieg.

Berüchtigt war die Säuberung oppositioneller Personen, in Fußballstadien wurden sie konzentriert, in den Katakomben, dort wo kurz vorher noch Spiele der chilenischen Liga ausgetragen wurden, türmten sich die Leichen. Man berichtete von Ratten, die weiblichen Andersdenkenden in die Vagina eingeführt wurden. Viele verschwanden für immer, bis heute weiß man nicht, was mit ihnen geschah.

Wenn heute an 9/11 gedacht wird, jenem Anschlag auf das World Trade Center von New York, schwingt da immer eine Botschaft mit: Die USA wurden zum Opfer. Dass es ihre Außenpolitik war und ist, ihre globale Megalomanie, die diesen Hass und diese Tötungsbereitschaft erzeugten, blenden die Mainstreammedien des Westens geflissentlich auch. Was heute vor 50 Jahren in Chile geschah, thematisieren sie freilich in Randnotizen – aber nicht zu prominent, denn von 1973 führt eine rote Linie zu 2001. Man muss die Anschläge zu New York nicht rechtfertigen, um eine Schlussfolgerung zu ziehen: Es hat so kommen müssen. Der Rest der Welt guckt nicht nur zu, wie seine Interessen sich den wirtschaftspolitischen Maximen Washingtons unterordnen soll. Von 2001 führt demnach auch eine rote Linie ins Jahr 2023, in diese Ära, die die unipolare Weltordnung auf den Müllhaufen der Geschichte verbannen möchte.

Wie oft mussten Regional Player den Kürzeren ziehen, wenn der Global Player intervenierte? Die Chilenen sind bis heute traumatisiert. Ihr Land hat sich zu einem neoliberalen Feuchttraum entwickelt, Pinochet war goldrichtig für die USA. Er hat den radikalen Chicago Boys gelauscht und sein Land zum Vorzeigemodell der Ego-Ökonomie ausgebaut. All das gründet auf Leichen, auf tote Chilenen.

Ein Friedensnobelpreis, der über Leichen ging

Henry Kissinger hat später erklärt, dass man interveniert, aber den Putsch nicht beabsichtigt habe. Sorry, liebe Chilenos, dumm gelaufen. Drei Monate nach dem Tod Allendes in seinem Präsidentenpalast erhielt jener Henry Kissinger, der erst als Nationaler Sicherheitsberater und später als Außenminister an der »Neuaufstellung« Chiles beteiligt war, den Friedensnobelpreis. Nicht, weil er für Leichen in Chile sorgte, sondern für welche in Kambodscha und Vietnam.

Die Entfesselung des Vietnamkrieges geht maßgeblich auf ihn zurück, er ließ die Nachschubwege der Vietcong in Kambodscha bombardieren, eskalierte so den Krieg und destabilisierte Vietnams Nachbarland. Pol Pot wäre ohne Kissinger eine unbedeutende Fußnote der menschlichen Geschichte geblieben. Da Kissinger aber auch Friedensverhandlungen auf den Weg brachte, wollte man ihn prämieren. Nie wieder danach hat man einen Brandstifter ausgezeichnet, weil er sich später doch an den Löscharbeiten beteiligte.

Mit Waldimir Putin verfährt man anders. Dieser Krieg soll kein Ende finden, weil Putin kein Ende findet. Dass er am Ende an einer Friedensverhandlung teilnehmen soll, empfindet man als untragbar und nicht zumutbar. Man tut so, als sei die Weltgemeinschaft vorher immer ethisch einwandfrei von Aggressoren befreit worden. Dabei hat man sie zu anderen Zeiten sogar mit Nobelpreisen ausgezeichnet. Und das drei Monate nach seinem letzten Coup, der ein ganzes Land der Gewaltbereitschaft einer Militärjunta auslieferte. Natürlich rufen die ersten schon wieder: Whataboutism! Aber trifft das zu? Der Großteil der Welt trägt die Sanktionen gegen Russland nicht mit; die Verurteilung des Ukrainekrieges wird ganz besonders von der westlichen Hemisphäre forciert. Woher kommt denn die mangelnde Begeisterung für den amerikanisch dominierten Westen in der Welt? Man denke unter anderem an 1973 zurück, an eine imperialistische Weltmacht, deren Funktionäre auch noch gewürdigt wurden.

Das Prinzip der Doppelmoral hat sich über viele Jahrzehnte manifestiert. Es jetzt aus den Köpfen zu bekommen, scheint fast unmöglich – im Westen hat man über Generationen mit dem Narrativ gespielt, das Gute in der Welt zu beabsichtigen. Der 11. September in Chile wird daher ausgeblendet oder verdreht, Allende als Despot vorgestellt, als jemand, der seinem Volk Schaden zufügen wollte – erst die neoliberalen Radikalreformer, die danach ins Land kamen, haben demnach den Karren aus dem Dreck gezogen. Dagegen steht der 11. September in New York, der als Angriff auf die freie Welt begriffen und noch immer so betrachtet wird. Ganz so, als haben die USA vorher niemanden ein Haar gekrümmt. Die Doppelmoral ist dem System so ins Blut übergegangen, dass sie kaum noch gesehen wird.

Gedenktag der Einflussnahme in die Interessen anderer Länder

Heute wissen wir – man lässt es uns wissen, besser gesagt –, dass die Russen in aller Welt ihre Finger im Spiel haben. Wie die Chinesen auch. Das ist noch nicht mal Propaganda. Davon ist auszugehen. Weltmächte und Imperien nehmen überall Einfluss und führen Interventionen. Sie tun es selten offen, meist versteckt und gut getarnt. Die Russen hätten demnach Wahlen in den USA beeinflusst, in Deutschland hätten sie es auch versucht. Man nennt das in der westlichen Presse gemeinhin: den Griff nach der Weltmacht.

Ob das zutrifft, ob der Griff nach der Welt stimmt, das sei mal dahingestellt. Dass sie beeinflussen und manipulieren, überrascht nicht. Seit 2014 befindet sich Russland in einem Kalten Krieg mit der westlichen Welt. Im Grunde eigentlich schon länger. Der Westen macht es umgekehrt auch. Und nicht erst seit neulich, wie ein Blick auf das Jahr 1973 nochmal unterstreicht. Interventionen, die das Schicksal anderer Völker und Nationen verändern und verschlechtern, haben die Vereinigten Staaten häufiger durchgeführt als die Russen – die Russen wurden selbst zum Opfer einer solchen Intervention. Die ist noch gar nicht so lange her: Nach dem Fall des Eisernen Vorhanges wurde schocktherapiert, wieder waren es liebe Grüße von den Chicago Boys. Die Russen haben das nie vergessen, denn die Jahre nach der Wende waren geprägt von westlichen Einflussnahmen.

Wir sollten diesen 50. Jahrestag des 11. September Chiles als potenziellen Gedenktag wahrnehmen. Als einen Tag, an dem wir der Völker und Nationen gedenken, die Opfer imperialistischer Interventionen und Einflussnahmen wurden. Es ist in Ordnung, wenn viele dabei auch an Russland denken, an Wladimir Putin und die russische Beeinflussung nationaler Geschicke im Ausland. Aber man vergesse darüber nicht die Weltmacht, die dergleichen seit fast einem Jahrhundert tut und dabei jegliche Schuld und Verantwortung von sich weist: Die Vereinigten Staaten von Amerika.

Die Terroristen, die in die beiden Türme und ins Pentagon und auf die freie Wiese rasten, sind als Terroristen leicht zu identifizieren – sie leugneten ihre Rolle ja auch nicht. Der Staatsterrorismus, der Menschen aus fremden Ländern einen Willen aufzwingt, den die so nicht hätten: Darüber schickt es sich heute nachzudenken. Denn die Ukrainer verteidigen nicht unsere Freiheit. Sie verteidigen die Freiheit der westlichen Hemisphäre, sich auch weiterhin in die Belange anderer einmischen zu dürfen. Sie bluten also für eine Weltauffassung, die sie ihrem Feind, den Russen, auch nachsagen.

Diesen Beitrag ausdrucken

Roberto J. De Lapuente

Roberto J. De Lapuente ist irgendwo Arbeitnehmer und zudem freier Publizist. Er betrieb von 2008 bis 2016 den Blog ad sinistram. Seinen ND-Blog Der Heppenheimer Hiob gab es von Mitte 2013 bis Ende 2020. Sein Buch »Rechts gewinnt, weil links versagt« erschien im Februar 2017 im Westend Verlag. In den Jahren zuvor verwirklichte er zwei kleinere Buchprojekte (»Unzugehörig« und »Auf die faule Haut«) beim Renneritz Verlag.

Unterstütze uns und hilf dabei, die neulandrebellen besser und wirkungsmächtiger zu machen
Abonnieren
Benachrichtige mich bei
guest

11 Comments
Oldest
Newest
Inline Feedbacks
View all comments
Pentimento
Pentimento
7 Monate zuvor

Allende hat sich nicht selbst getötet. Er wurde von der US unterstützten Militärjunta ermordet.

Man hatte ihm Hilfe zur Flucht angeboten. Er aber zog es vor, den US Schergen gegenüber zu treten, die er im Regierungpalast „an seinem Schreibtisch stehend“ erwartete, „mit nichts anderem bewaffnet, als seinem tapferen Herzen“,
schrieb sein Freund, der große chilenische Dichter Pablo Neruda.

Neruda selbst erkranke schwer.
Er starb im September 73 in einem Krankenhaus in Santiago de Cile. Es ist bis heute ungeklärt, ob er eines natürlichen Todes starb, oder vergiftet wurde.

Es waren die Engländer, genauer gesagt deren Geheimdiens MI6, der Pinochet mit Imformationen versorgte, die ihm ermöglichten, alle, einer sozialistischen Einstellung Verdächtigen zu ermorden. Viele wurden über dem Meer aus Flugzeugen heworfen.

Pentimento
Pentimento
7 Monate zuvor

Lois Gagnon
September 9, 2023 at 08:58

This bloody Euro/US empire can’t collapse soon enough. The world will be a far better place without these ghouls enforcing their fascist policies on humanity.

Pentimento
Pentimento
Reply to  Pentimento
7 Monate zuvor

Kommentar unter dem oben verlinkten Artikel, dem ich voll zustimme.

Wütender Bürger
7 Monate zuvor

Wie wahr!

Wer die gesamte Geschichte etwas lockerer aufbereitet, aber kein bisschen weniger wahr, hören will, schaue sich dieses Video von Volker Pispers an:

Volker Pispers: USA und der Terrorismus

Es gibt übrigens auf yt auch etliche sogenannte „Reaction-Videos“, in denen die Reaktionen amerikanischer(!) Jugendlichen auf dieses Video zu sehen sind. Viele hören die dort erwähnten Tatsachen das erste mal in ihrem Leben, nur einige wussten es bereits. Aber alle stimmen dem Gehörten zu, was irgendwie so etwas wie Hoffnung für dieses Land aufkommen lässt.

Mensch
Mensch
Reply to  Wütender Bürger
7 Monate zuvor

…ach komm‘, lass Volker Pispt in Ehren ruhen!

Der hat seine Schäfchen im Trockenen, was ihm gegönnt ist. Hier und jetzt würden sich auch Dir die Fußnägel aufrollen, wenn er denn wieder was zur Lag der Nation zum Besten geben würde…

Peter Fellenberg Dr.
Peter Fellenberg Dr.
7 Monate zuvor

Lieber Roberto, Dank für diese Zeilen! Sie sind mir als „altem“ Historiker zur jüngsten Geschichte Lateinamerikas – der natürlich mit der „Wende“ (oder sagen wir in der Farben“Revolution“ schwarz-rot-gold) an der Uni Leipzig wie 90% aller Wissenschaftler) „aussortiert“ worden ist, aus dem Herzen geschrieben. Universalgeschichte war der Anspruch meiner akademischen Lehrer. Somit dürften die Dinge ganz klar sein. Aber eben auf Phönix einen „Prof.“ Jäger zur Ukraine gehört. Es ist ein einziger Graus. Laß uns den Überblick behalten! Peter Fellenberg

Mensch
Mensch
7 Monate zuvor

…mal zum desaströsen Zustand der Seite hier ne Frage?

Geht euch das eigentlich am Arsch vorbei?

Oder ist das euer persönlicher 5-Jahres-Plan?

Wütender Bürger
Reply to  Mensch
7 Monate zuvor

Desaströs wird der Zustand dieser Seite eigentlich nur durch Kommentare wie Deine.

Sascha
Sascha
Reply to  Mensch
7 Monate zuvor

Bezogen auf welchen Teil dieser Seite? Helfen Sie uns, damit sie noch mehr verbreitet wird, dass wäre echt toll. Es können nicht genug Menschen sein, damit Wahrheiten in die Köpfe kommen.

Thomas
Thomas
7 Monate zuvor

Diese Drecks-Nordkoreaner… (Zitat: Hagen Rether)