Weil ich ein Wessi bin …
Mich an die Kindheit erinnern, nostalgisch zurückschweifen: Das ist mir erlaubt, keiner wird mich maßregeln. Ganz einfach deshalb, weil ich ein Wessi bin. Wehe ein Ostdeutscher traut sich sowas.
Ach, die Schulzeit war schon schön. Unbeschwert. Wir wussten ja noch nichts – damals in den Achtzigern. Wir hatten engagierte Lehrerinnen und nur wenige Lehrer. Unsere Bildung stand im Mittelpunkt. Man bemühte sich um uns. Damals in der guten alten Zeit. So darf ich schwelgen, das ist mein gutes Recht im heutigen Deutschland, wo viele auf ihre Weise nostalgisch zurückblicken, weil sie in der Gegenwart die Orientierung verloren haben. Wäre ich nicht in der bayerischen Provinz aufgewachsen, sondern in Görlitz oder Sömmerda, sähe es tatsächlich ein bisschen anders aus.
Denn Nostalgie muss man sich in der modernen Bundesrepublik leisten können. Und leisten kann man sie sich als Westdeutscher. Als Ostdeutscher darf man im Grunde nicht in guten Tönen über die Zeit vor dem Mauerfall und der Wiedervereinigung sprechen. Wer es tut, der verklärt nämlich nur. Der verdrängt. Hat immer noch nicht eingesehen, dass damals eben nichts gut war.
Komm doch mal rüber Mann und setz dich zu mir hin, weil ich ’n Ossi bin, weil ich ’n Ossi bin…
Ich trau mich, ich leiste mir das:
5. Klasse Geschichte, die Entstehung des Menschen: Es gibt zunächst kein Privateigentum, alle arbeiten gleich viel für alle, allen geht es gleich gut, Matriarchat, klassenlose Gesellschaft, absolute Gerechtigkeit, Friedrich Engels nennt es später „Urkommunismus“.
Irgendwann werden die Jäger und Sammler produktiver, entwickeln sich zu Züchtern und Bauern, das führt zur Bildung des Privateigentums an Produktionsmitteln, zu Sklavenhaltergesellschaften, weiter zu Feudalismus und und und…
Das Nashörnchen (11) meldet sich artig und fragt: „Wenn wir jetzt bald wieder Kommunismus haben – haben wir dann also auch bald wieder Sklavenhalter???“
Eine Antwort gab es noch am selben Abend: Ordentlich den Arsch voll, ohne Essen ab ins Bett und 4 Wochen Stubenarrest. Die zweite stand dann im Zeugnis: „Nashörnchens sozialistischer Klassenstandpunkt ist noch nicht seinem Alter und seinen Fähigkeiten entsprechend ausgeprägt.“
Und trotzdem war es eine wunderbare Zeit! Kritisch wurde es erst ein paar Jahre später. Als ich mir die Frage selber beantworten konnte…
Genau daran habe ich gedacht, als ich die Überschrift wählte! 🙂 Wasn das für ein wundervoller Hintern? Könnte ich als Mann so nicht sagen – aber hey, kommt immer und überall drauf an, wer was wie sagt. 😉
Mal eine andere Erlebniswelt – aus einem Dorf im westlichen Westfalen. 1955 zugezogen, weil mein Vater in der dortigen Textilindustrie einen Arbeitsplatz bekam. Ich wurde eingeschult in der evangelischen Schule, bestehend aus den Klassen 1-4 und 5-8. Mit insgesamt 90 Schülern. Wir hatten halt die falsche Konfession. Für Katholen bot das Dorf (Gescher in Westfalen) Haupt- und Realschule.
1961 bestand ich die Aufnahmeprüfung zum Staatlichem Gymnasium Nepomucenum in der Kreisstadt Coesfeld und schloss die Schule mit dem Abitur ab. 1961 waren wir 42 Schüler, davon zwei mit dem „falschen“ Glauben. Wir wurden zum Beispiel genötigt, für französische katholische Kapellen sammeln zu gehen, da ja alle Christen zusammenhalten müssten.
Meine Schulzeit kenne ich nur als Katholen-Terror. Gut war, dass ich schon im Alter von 12 in der Textilindustrie von Gescher arbeiten gehen konnte. Dort war es egal, welcher Konfession du angehörst, Hauptsache, die Stoffrollen waren auf dem Zuschnitt-Tisch ausgelegt und der Zuschneider konnte werkeln. Ich war auch Weltmeister im Falten von Kartons zum Einlegen von Wäsche. Ohne hinzusehen in vier Sekunden pro Unter- oder Oberseite. Sie haben es sehr bedauert, als ich mit Abitur 1969 nach Berlin gedackelt bin.