Ach lasst mich doch in Frieden! Ein Burnout-Erlebnisbericht

Zugegeben, manchmal mag ich mich selbst nicht. Das liegt daran, dass ich mich zuweilen wie ein Arschloch benehme. Aber ich kann nicht aus meiner Haut. Ich glaube, ich brenne aus – und das arschige Benehmen ist ein Symptom. Mein Burnout-Erlebnisbericht.

Ohne zu viel von meinem bürgerlichen Leben, von meinem Standbein als Arbeitnehmer erzählen zu wollen, so möchte ich doch kurz darauf zu sprechen. Ich arbeite gewissermaßen auf dem Präsentierteller. Habe es täglich mit vielen Menschen zu tun. Was an sich nicht ganz so schlimm wäre. Das Problem ist nur: Sie wollen alle was von mir. Was wissen, was erledigt haben, eben schnell eine Info. An manchen Tagen im fortwährenden Takt. Ohne Unterbrechung. Sie kommen zu mir, quatschen mir zwischen andere Arbeit, in Gespräche mit anderen Menschen. Oder sie rufen an, »gucken Sie mal dort, Herr De Lapuente, können Sie das schnell ändern?« Schnell heißt hierbei meistens: Gestern.

Wenn man nicht zu sehr ins Detail gehen will, nicht alles verraten möchte, ist es schwer zu skizzieren, was es bedeutet, ständig verfügbar sein zu müssen. Es muss jedoch reichen, ich traue meinen Leserinnen und Lesern zu, dass sie es sich ausmalen können. Es sind ja kreative und phantasiebegabte Wesen. Es geht um Stress – ich empfinde Stress. Wachsenden Stress. Die Mengen an Menschen, die täglich was von mir wollen, und zwar jetzt und sofort was wollen, nehmen beharrlich zu. Ein neuer Kollege könnte abhelfen – aber der ist nicht vorgesehen.

Neulich war ich im Supermarkt unterwegs, da war ein Stand vom Malteser aufgestellt. Ein Typ quatschte mich an, ich guckte bewusst gleichgültig durch ihn durch. Früher hätte ich noch freundlich verneint, lächelnd abgewehrt. Diesmal nicht. Einen Tag später, ein anderer Supermarkt, hier lauerte schon das Rote Kreuz. Ich bin wieder wortlos und schroff an den Jungs vorbei. Das gehört sich nicht, die machen ja nichts Böses, im Gegenteil, sie möchten ja was Gutes bezwecken. Ich gebe jedoch den arschigen Schnösel, zeige ihnen, wie belästigt ich mich fühle. Und ja, das tue ich, obwohl ich weiß, wie das wirkt. Aber es ist so: Jeden Tag auf Arbeit will nur jeder was von mir – wenn ich mir schnell Lebensmittel hole, möchte ich nicht, dass jemand was von mir will. Mir wird das zuviel.

Einige Tage später wollte dann eine Hipster-Mama, dass ich mit ihr den Kinderwagen die Treppen runterwuchte. Ein Gentleman hätte es getan – ich bin aber keiner, ich bin ein ausbrennender Arbeitnehmer. Ich habe es ignoriert. Als ich schon hörte, »Entschuldigung, könnten Sie mal …«, war für mich die Geschichte nicht mehr relevant und ich ging meines Weges. Schon wieder jemand, der mich als Mittel zum Zweck sieht, der was von mir will. Davon habe ich doch wahrlich genug. Klar, als Kerl, der nicht springt, wenn die gleichberechtigte Frau mit Kind schnipst, gilt man schnell als Arschloch. Aber okay, dann ist das so. Ich bewahre mir aber gerade meine letzten Ressourcen.

Andererseits, das war so ein SUV-Kinderwagen: Warum zur Hölle legt man sich so ein Riesenteil zu, wenn man selbst damit nicht umgehen kann? Und wieso nutzt sie nicht die Rolltreppe, die zugegeben etwa 100 Meter weiter ihren Dienst leistet? Diese Treppe müsste nicht das Schicksal der SUV-Mama sein. Sie sozialisiert aber ihr Fortkommen, statt selbst Frau der Tat zu sein, soll mal schnell einer mit anpacken. Auch wenn die Rahmenbedingungen nicht passten, man sieht ja trotzdem wie ein egoistischer Drecksack aus, wenn man da nicht hinlangt und hilft. Aber mir war das wirklich scheißegal, ich wollte einfach nur nicht wieder gewollt werden, meine Ruhe haben, für mich sein, ohne dass jemand meinte, ich sei die Lösung seines Problems.

Nun beschwere ich mich ja häufig über den rüden Ton, über unseren egoistischen Lifestyle. Dabei bin ich selber so. In meinem Fall kann ich aber einordnen, wo es herkommt: Ich brenne aus. Burnout? Ja, vielleicht. Ein sich anbahnender eventuell. Meine Energien sind verbraucht. Jünger werde ich ja auch nicht. Meine gleichgültige Haltung im Alltag ist ein Symptom dieser Entwicklung. Vielleicht ist es zu einfach, mein Benehmen auf eine Erkrankung schieben zu wollen. Vielleicht sind manche Antworten aber auch einfach nur einfach.

Das Benehmen der Anderen: Wahrscheinlich ist das das völlig normale Symptom einer Burnout-Gesellschaft. Die Folgen unserer Dienstleistungsgesellschaft, in der alle springen müssen, Service machen und verfügbar sind, wenn jemand etwas möchte. Und das immer mehr, stärker frequentiert und lückenloser, weil die Aufgabenfelder wachsen und das Personal überschaubar bleibt. Dass eine Gesellschaft, in der viele so arbeiten müssen, privat eben nicht mehr für Anliegen ihrer Mitmenschen offen sind, weil sie die am Arbeitsplatz schon pausenlos abverwalten, scheint mir mindestens nachvollziehbar. Man will nun mal nicht dauernd das Wollen der Anderen auf dem Schirm haben, wenn man es beruflich schon hat.

Ich grüble viel darüber nach, woher das kommt: Klar, früher hat man auch rangeklotzt. Oft härter als heute. Besonders auch zeitlich länger. Und trotzdem, meinen Vater habe ich nie sich darüber beklagen gehört, dass es ihm zu viel wird. Er war auch hilfsbereiter als ich, keine Frage. Der Mann hat phasenweise im wöchentlichen Turnus ein Drei-Schicht-System gefahren. Gut, alt geworden ist er nicht. Aber so saftlos, wie ich mich teilweise fühle, habe ich ihn nie erlebt.

Neulich hat ein Gastautor an dieser Stelle zum Thema geschrieben. Es ging um seine Oma und deren schweren Arbeitstag dazumal. Wenn er es auch nicht direkt so sagte, zwischen den Zeilen las man schon, wie sein Resümee gemeint sein könnte: Habt euch nicht so – früher war es schlimmer und die Altvorderen hielten es auch aus. Das ist eine Sichtweise. Manchmal empfinde ich ja auch so. Aber trotzdem, irgendwas muss doch da sein, dass wir es so schwer nehmen. Verweichlicht? Ja, unter Umständen sind wir auch das ein bisschen. Das will ich nicht ausschließen. Nicht alles, was Übermüdung ist, muss ja gleich Burnout sein. Man ist mit dem Modewort schnell zur Hand. Ich ja auch.

Vielleicht liegt es daran, dass trotz hohem Arbeitspensum eine gewisse Ordnung der Dinge herrschte. Nach der Arbeit musste man sich nicht stundenlang mit Werbung zukleistern lassen. Jeder Joghurtkauf ist heute eine Entscheidungsfrage. Manchmal geht es sogar um die Identität, die im Kauf eines bestimmten Produkts angelegt ist. Alles ist kompliziert, trotz einfacher Anwenderoberflächen. Dauernd flimmert es irgendwo, Ruhe gibt es zunehmend weniger. Arbeit war immer ungesund. Ich glaube, in einem Lebensumfeld wie dem unseren, ist es nochmal extra so ungesund.

Darüber zu sinnieren ist auch nicht einfach. Besonders wenn man sich ausgebrannt fühlt. Ganz sicher ist der geneigte Leser oder die geneigte Leserin unzufrieden mit meinen kurz angerissenen Gedanken, woher unsere Schlaffheit stammen könnte. Aber wenn man mir jetzt auch noch sagt, man wolle da von mir mehr Tiefe, dann schaue ich nur durch sie durch. Was wollt ihr denn? Ja, Leute, wollt ihr denn nur immer alle überall? Ich will mal gerade nichts. Außer nicht gewollt werden.

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Roberto J. De Lapuente

Roberto J. De Lapuente ist irgendwo Arbeitnehmer und zudem freier Publizist. Er betrieb von 2008 bis 2016 den Blog ad sinistram. Seinen ND-Blog Der Heppenheimer Hiob gab es von Mitte 2013 bis Ende 2020. Sein Buch »Rechts gewinnt, weil links versagt« erschien im Februar 2017 im Westend Verlag. In den Jahren zuvor verwirklichte er zwei kleinere Buchprojekte (»Unzugehörig« und »Auf die faule Haut«) beim Renneritz Verlag.

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niki
niki
4 Jahre zuvor

Ich kann ein Lied davon singen wie es ist mit Stress nicht mehr klar zu kommen… Da fallen mir die einfachsten Sachen, auch die ich fest zugesagt hatte zu tun, mir unendlich schwer! Oftmals hatte ich gar nichts mehr geschafft. Nicht mal mehr bis zum Briefkasten!
Erst professionelle Hilfe, Stressmanagement und Stressabbau durch Sport haben bei mir persönlich den Ausbruch aus der Stressspirale nach unten gebracht…

Molle Kühl
Molle Kühl
4 Jahre zuvor

Schon mal digital detox in Erwägung gezogen?

Stefan Becker
Stefan Becker
Reply to  Molle Kühl
4 Jahre zuvor

Ja es ist ganz klar dem Überangebot an Informationen geschuldet, dass man sich ausgelaugt und verbrannt fühlt. Digitale Abstinenz ist ein hervoragendes Mittel wieder zur Ruhe zu kommen, so auch meine Erfahrung

Stefan Becker
Stefan Becker
Reply to  Roberto J. De Lapuente
4 Jahre zuvor

Gute Besserung, mein Lieber 👏✌️

Pen
Pen
Reply to  Roberto J. De Lapuente
4 Jahre zuvor

Gute Besserung, Roberto! Schreib doch einfach hier etwas weniger, niemand würde es Dir übelnehmen. Kann es sein, daß Du Dich selbst zu sehr unter Druck setzt? Es gibt „slow food“, warum nicht auch „slow writing?“ Gönn Dir eine schöpferischen Pause.

Robbespiere
Robbespiere
Reply to  Roberto J. De Lapuente
4 Jahre zuvor

J. De Lapuente

Von mir ebenfalls gute Besserung.
Ab und an muss man die Drachenhaut anlegen, um nicht unter die Räder zu kommen, gute Erziehung hin oder her.

ChrissieR
ChrissieR
4 Jahre zuvor

Morsche!

Lieber Roberto, ich kann Dich sehr gut verstehen! Besonders als ich noch gearbeitet habe fühlte ich mich oft so ausgelaugt, dass ich auch in der Freizeit zu nichts Bock hatte.
Aber auch jetzt in Rente will ich auch nicht immer gebraucht werden und bin sehr gerne allein !
Manche Menschen kokettieren ja gerne damit, zwei linke Hände zu haben – die beste Methode, nichts selber machen zu müssen!

Mittlerweile sag ich auch oft: “ Des konn isch net!“

Alloah

Christine

niki
niki
Reply to  ChrissieR
4 Jahre zuvor

Interessanterweise wurde mir als Kind unterstellt dass ich zwei linke Hände hätte…
Das lag wohl daran, dass ich eine leicht gestörte Raumwahrnehmung habe und alles durch etwas hektisch und unbeholfen aussieht, obwohl es das wahrlich nicht ist…
In der Tat war das in meiner Jugend eine perfekte Gelegenheit um sich vor unangenehmen Aufgaben zu drücken. Vor allem da mein Vater extrem ungeduldig bei handwerklichen Dingen war bzw. noch ist….
Dabei bin ich wohl diesbezüglich begabter als er selbst und auch mein Bruder, der damals „alles“ konnte…
Wie du schon richtig erwähnst, liegt auch ein ganz wichtiger Punkt dabei Zeit für sich zu haben. Den habe ich beim Sport… Stundenlang mit dem Rennrad oder MTB durch die Gegend „rollen“ und dabei viel nachdenken und auch sportlich verausgaben. Stressabbau pur für mich.
Der Unterschied zu früher lag wohl vor allem darin, dass man von der körperlichen Anstrengung bei Arbeit so erledigt war, und man keine Kraft mehr zum Denken hatte. Denn auch das Denken spielt eine essentielle Rolle wer wir sind und was wir fühlen. Früher wurde ausschließlich robotet was das Zeug hielt….

Pen
Pen
Reply to  niki
4 Jahre zuvor

Warum Dein Kommentar negativ bewertet wird, ist mir schleierhaft. Leider hab ich nur eine Stimme. Gruß und einen schönen ersten Mai.

: -))

ChrissieR
ChrissieR
Reply to  Pen
4 Jahre zuvor

War mir auch rätselhaft, niki….
Gibt von mir auch ein +

Tom J. Wellbrock
Reply to  Pen
4 Jahre zuvor

Warum Dein Kommentar negativ bewertet wird, ist mir schleierhaft.

Mir auch. Ich hab jetzt auch mal mit gegengesteuert.

Robbespiere
Robbespiere
Reply to  Roberto J. De Lapuente
4 Jahre zuvor

J. De Lapuente

Na dann ist ja alles in Butter.
Deren Bewertung ist wie ein ungöltig ausgefüllter Wahlzettel. 🙂

R_Winter
R_Winter
4 Jahre zuvor

In den letzten 20 Jahre hat sich vieles total verändert – es war seit der Erfindung der Dampfmaschine nicht so gravierend.

Bis zur Jahrhundertwende galt das Credo:
Mehr ist besser damit der Profit stiegen kann.
Der Personalstand der Betriebe war größer im westlichen Kulturkreis,
die Einkommen der abhängig Beschäftigen reichte zum „zeitgerechten, normalen“ Leben und die Freude auf den Ruhestand war allgemeines Gut, die Zinsen lagen über der Inflation, die Börsen beurteilten ein Unternehmen am stabilen oder steigenden Mitarbeiterstamm positiv, wer Information im breiten, internationalen Stil hatte, der war im Vorteil – man konnte diese Informationen im eigenen Kopf auswerten.

Heute gilt das Credo:
Weniger an Mitarbeitern ist besser, damit der Profit steigt und die Schere zwischen Reich und Arm sich weiter öffnen kann.
Die Zinsen sind fast bei Null Prozent, Unternehmen mit sehr wenig Beschäftigen zur Umsatzgröße (siehe z.B. Google, Facebook-Konzern, Amazon, Über, Airbnb.com , die großen internationalen Banken),
Informationen einschränken und/oder extern auswerten lassen, da zu viel an Informationen verfügbar sind. Die Einkommen von von über 50% der Bürger reicht nicht mehr, um am allgemeine Leben teilzunehmen und die Angst vor Altersarmut nimmt zu.

Entschleunigen ist nicht mehr als eine Kopfschmerztablette.
Das Problem oder besser: Die Probleme liegen tiefer.

Panik kommt auf und blockiert das normale Denken.

Pen
Pen
Reply to  R_Winter
4 Jahre zuvor

@R_winter

„Die Einkommen von von über 50% der Bürger reicht nicht mehr, um am allgemeine Leben teilzunehmen und die Angst vor Altersarmut nimmt zu.“

Die Menschen werden bald überall auf die Straße gehen. Die Gelben Westen sind noch nicht Geschichte. Die Frage ist, was kommt zuerst, die Revolution oder der totale Kollaps der Umwelt?
Wo wollen die Ein Prozent dann eigentlich hin mit ihrem ganzen Geld?

https://mobil.derstandard.at/2000101281915/Losing-Earth-Die-Erde-ist-bald-Geschichte

R_Winter
R_Winter
Reply to  Pen
4 Jahre zuvor

@Pen

Wohin mit dem Geld?

“……baut Altenwohnungen, denn die Angehörigen der Alten und Pflegebedürfigen müssen Geld verdienen, auch wenn es kaum reicht…..“
– Die Alten und Pflegebedürftigen können die Kosten für die Altenwohnung nicht bezahlen…
– Der Staat zahlt und die Reichen bekommen so noch mehr Geld in die Kasse….
In unsrer Mittelstadt von ca. 70.000 Einwohner gibt viele Altenwohnungen und es werden z.Z. noch viele gebaut oder sind geplant.
– Mieten und Mietnebenkosten steigen und erreichen auch in der „Provinz“ (kein Einzugsgebiet) heute schon die Durchschnittsrente.
Es interessiert nicht den Regierungen, den Parteien und den Gewerkschaft, denn hier kommt nur heiße Luft (zum 1.Mai).
Wir sind umgeben von Dummschwätzern.

Musil
Musil
Reply to  Pen
4 Jahre zuvor

Die Reichen und Superreichen rechnen damit, dass sie mit ihrem Geld dort bleiben, wo sie sich heute angesiedelt haben. Dieses Pack baut auf völlige irre Techniken, die den Klimawandel zumindest regional ausgleichen oder nicht spürbar werden lassen. Für diese Forschung werden Milliarden aufgewendet (siehe Naomi Klein: ‚Die Entscheidung: Kapitalismus vs. Klima‘). Menschen in anderen, betroffenen Regionen werden bewusst „geopfert“.

Nur ein Beispiel: Die Roboterbienen von Amazon (?). Das Geld, das in die Forschung dieser Dinge geflossen ist, hätte sicherlich anders verwendet werden können.

RummsBumms
RummsBumms
4 Jahre zuvor

Das Gefühl kenne ich nur zu gut…besonders aus der Sozialbranche..seufz

moin moin
moin moin
4 Jahre zuvor

Früher gab es Telefone mit Hörern an Spiralkabeln, relativ unbeweglich, das Ganze. Man war nicht permanent zu orten und zu erreichen. Man schrieb Briefe, selten wegen Portokosten und zum Briefkasten latschen.
Nur wegen der Bemerkung das die Arbeitsbelastung der Elterngeneration gleich gewesen sein soll.