Schutzhaft für Gedanken

Safe Spaces sind im Trend – als Bestandteil der woken Agenda begegnen sie uns immer wieder. Mentale Schutzräume sind aber nicht demokratisch. Wir brauchen einen Safe Space für die Demokratie.

Gefühl der Sicherheit: Diese Floskel habe ich neulich an anderer Stelle vernommen. Es wurde etwas Unliebsames geschrieben und jemand fühlte sich damit angegriffen und forderte eben jenes Gefühl für sich ein. Nun steckt die Antwort schon in der Formulierung. Gefühl nämlich. Der Brockhaus definiert Gefühl wie folgt: »subjektiver, seel. Zustand des Ichs; die sich unmittelbarer Erfassung entziehende Befindlichkeit der erlebenden Person«. Diese häufig gebrauchte Floskel vom Gefühl der Sicherheit ist kurz und knapp gesagt: Privatsache. Und kann eben nicht als Handlungsaufforderung an eine andere Person gelten.

Denn Gefühle hat man eben, man kann sie steuern, hinterfragen und neu ausrichten. Manchmal übermannen sie einen auch. Sie ändern sich aber nicht, wenn man andere dazu auffordert, etwas zu unterlassen, was Gefühle erzeugt. Es ist auch nicht die Aufgabe des demokratischen Diskurses mit seinem Meinungspluralismus, nur wegen subjektiver Gefühle etwas nicht sagen zu sollen. Diese stete Forderung nach Safe Spaces: Sie könnte undemokratischer nicht sein.

Nicht mit Frauenhäuser verwechseln

Mancher wird nun sagen, dass es Safe Spaces immer gab. Und sie waren von demokratischem Geist beseelt. Als Homosexualität noch verpönt war, gab es Establissements, in denen die Sexualität sicher vor äußeren Blicken ausgelebt werden konnte. Obdachlose kehren in Unterkünften ein. Und flüchten oft recht schnell wieder, weil Gewalt und Diebstahl dort an der Tagesordnung sind. Und dann gab es noch Frauenhäuser: Der Safe Space schlechthin.

Sie waren der sichere Platz für Frauen, die im Regelfall mit männlicher Gewalt konfrontiert waren. Im Frauenhaus gab es keinen Häscher: Ein Safe Space eben. Aber man sollte sich nicht täuschen lassen, diese aufgeführten sicheren Plätze sind materielle Orte, die man betreten kann. Es sind Plätze im wahrsten Wortsinne. Dort ging man hin, wenn man Angst vor Verfolgung oder Gewalt hatte. Mit einem Safe Space, von dem heute dauernd die Rede ist, hat so ein Ort gar nichts zu tun. Denn dort versammeln sich Opfer körperlicher Angriffe und keine, die nur das Gefühl haben, dass sie vielleicht nicht voll akzeptiert werden.

Natürlich kann psychische Gewalt belastend sein. Aber darum geht es die Safe Spacern in den seltensten Fällen. Sie fordern solche Plätze allerorten – und meinen damit kein Zimmer oder Gebäude, sondern eine mentale Brandmauer. Sie streben an, dass die gesamte Gesellschaft ein solcher sicherer Rückzugsort für Menschen gewisser Gesellschaftsgruppen sein soll. Und sie flüchten sich also nicht an einen sicheren Topos, sondern sprechen sich für Gedankenkontrolle aus. Es soll nirgends mehr etwas gesagt werden dürfen, was jemanden ein schlechtes Gefühl bereiten könnte. Diese Denkweise ist die Grundlage für jene Passagen des Selbstbestimmungsrechtes, die unter Strafe stellen, die Geschlechtlichkeit des Gegenüber auch nur zu hinterfragen.

Um körperliche Übergriffe geht es denen, die nach solchen »Schutzräumen« rufen in den seltensten Fällen. Sie legen gegenteilige Meinungen als Gewalt aus – und machen die freie Rede zu einem zu unterlassenden Akt.

Demokratie kann kein Safe Space sein

Meinung als gewalttätigen Angriff zu bewerten, hat nichts, aber auch wirklich gar nichts mit demokratischer Debattenkultur zu tun. Man muss gar vom Gegenteil ausgehen. Wer auf diese Weise versucht, andere Meinung zu unterbinden, will Debatte abwürgen und benutzt an sich demokratische Ideen, um seine strikte Haltung als etwas vermeintlich Positives und Progressives darzustellen.

Dabei geht es denen nicht nur um Meinungsäußerungen. Jede Regung wird bewertet und skandalisiert. Mikroaggressionen nennen diese Leute es, wenn sie glauben, irgendetwas an einem gefunden zu haben, was sie im Sinne ihrer Agenda als kritikwürdig einstufen können. Mikroaggression wird als gewalttätiger Angriff gewertet – jedes als kränkend zu bewertende Verhalten kann so als Attacke betrachtet werden und wird erst emotionalisiert und dann politisiert. An dieser Stelle ruft man dann wieder nach einem Safe Space, gerade so, als sei ein solcher Ort die letzte Rückzugsmöglichkeit für geschlagene Hunde. Aber geschlagen wird ja keiner, wirklichen Schaden erleidet niemand. Es sind verletzte Gefühle – und Gefühle können mit und ohne Grund verletzt werden.

Gemeinhin rät man sensiblen Gemütern, sich nicht stets alles so sehr zu Herzen zu nehmen. Den vulnerablen Gruppen, für die man vorgibt einzustehen und denen man Safe Spaces einräumen möchte, erklärt man das nicht. Sie sollen sich alles zu Herzen nehmen. Jede Meinung, die ihrer Weltsicht widerspricht sowieso – aber eben auch jeden schiefen Blick, jede Regung, die vielleicht darauf schließen könnte, dass da jemand was gegen diese oder jene vulnerable Gruppe hat. Ein Augenzwinkern im Umgang mit einem Schwulen? Da gilt es sofort den Skandal aufzurollen, auch wenn kaum ein Schwuler ein Problem damit hat und den flapsigen Umgang schätzt.

Das Problem ist, dass die Jünger der Safe Spaces der Demokratie, dem offenen Umgang miteinander, keinen solchen Schutzraum erteilen wollen. Während man fordert, dass bestimmte Denkweisen nicht mehr verbalisiert werden sollten, um gewissen Menschen ein »Gefühl der Sicherheit« zu ermöglichen, setzt man die Debatten- und Streitkultur der Unsicherheit aus, schon bald als kriminellen Handlung betrachtet zu werden.

Das Gefühl von Sicherheit

Streitkultur ist ohnehin eine Begrifflichkeit, die wir heute kaum noch mit dem demokratischen Usus in Zusammenhang bringen. Dem Streit wird etwas Kontraproduktives, etwas Destruktives nachgesagt. Sich nicht streiten wollen: In unseren biederen Zeiten, die nur so tun, als seien sie innovativ, erhebt man das zur höchsten Güte zivilisatorischen Umganges miteinander. Aber die Gesellschaft besteht nun mal aus vielen Einzelinteressen, es gibt etliche Antriebe, die von diametral entgegengesetzter Natur sind. Schaltet man die aus, unterdrückt man deren Ringen um Deutungshoheit und Kompromisse, unterminiert man also den Streit, erzeugt man einen Burgfrieden: Eine Haltung, die in Kriegen präsent ist und für nicht gerade demokratieförderlich erachtet wird.

Vulnerable Gruppen haben natürlich ein Recht auf Unversehrtheit. Niemand sollte körperlich angegriffen werden, weil er etwa transsexuell ist. Und er sollte auch nicht psychisch unter Druck gesetzt werden. Wenn er allerdings mit Menschen konfrontiert wird, die für sich nur zwei Geschlechter sehen, hat der Transsexuelle einfach keinen Anspruch darauf, dass deren Betrachtung verschwiegen werden soll.

Denn es tut ihm nicht körperlich weh – und auch psychisch ist die freie Meinungsbekundung eines anderen kein Angriff auf seine Person. Aber hier greift die Masche, immer alles gleich persönlich nehmen zu müssen. Ist man persönlich Betroffener, hat man gleich einen anderen Leumund und viele ziehen aus falscher Rücksichtnahme den Schwanz ein. Sie richten also einen Safe Space ein, der auf Prämissen gründet, die falscher nicht sein könnten. Einen, der aus Bequemlichkeit oder auch aus Angst vor Cancel Culture genehmigt wird – dann wird gezielt geschwiegen und manchmal sogar einschwenkt in den Chor der Aktivisten.

Das Frauenhaus war und ist eine demokratische Safe-Space-Einrichtung. Dort wird Unversehrtheit ermöglicht. Es ist ein räumlicher Rückzugsort. Ein mentaler sicherer Platz, wie er gefordert wird, ist allerdings das Gegenteil dessen. Es ist ein Verbot. Und zwar das Verbot eines fundamentalen Rechtswertes: Der Freiheit, seine Meinung zu artikulieren. Die Demokratie hat keinen Schutzraum. Sie ist diesen Häschern der Gleichschaltung schutzlos ausgeliefert. Dagegen gilt es sich zu wehren, wo immer es geht.

Diesen Beitrag ausdrucken

Roberto J. De Lapuente

Roberto J. De Lapuente ist irgendwo Arbeitnehmer und zudem freier Publizist. Er betrieb von 2008 bis 2016 den Blog ad sinistram. Seinen ND-Blog Der Heppenheimer Hiob gab es von Mitte 2013 bis Ende 2020. Sein Buch »Rechts gewinnt, weil links versagt« erschien im Februar 2017 im Westend Verlag. In den Jahren zuvor verwirklichte er zwei kleinere Buchprojekte (»Unzugehörig« und »Auf die faule Haut«) beim Renneritz Verlag.

Unterstütze uns und hilf dabei, die neulandrebellen besser und wirkungsmächtiger zu machen
Abonnieren
Benachrichtige mich bei
guest

4 Comments
Oldest
Newest
Inline Feedbacks
View all comments
Lurch vom Dienst
Lurch vom Dienst
17 Tage zuvor

Immerhin seid Ihr wieder da. Wenn auch mit dem Backup vom 15.01.

Es geht voran! Was war?

froschhaut
froschhaut
Reply to  Lurch vom Dienst
17 Tage zuvor

Ja, wäre nett mal eine Wasserstandsmeldung zu erhalten.
Die Immobiliensampleseite habe ich lange genug angesehen 😉

Cetzer
Cetzer
Reply to  froschhaut
17 Tage zuvor

„Die Immobiliensampleseite habe ich lange genug angesehen“
Nur Ansehen ist typisch Mitläufer; Als echte Unternehmerpersönlichkeit habe ich die angebotenen Schnäppchen schon längst gekauft¹, beliehen² und vermietet³.

¹Danke an Mitternachtsnotar Dr. Leerdich
²Danke an Harry Drossel von der Schwarzer-Lotus-Bank
³Danke an Agentur Wohnshark&Mieterpresse

epikur
epikur
14 Tage zuvor

Liebe Neulandrebellen, Lieber Roberto, Lieber Tom,

ist bei euch alles in Ordnung? Könnt Ihr uns auf dem Laufenden halten? Gab es technische probleme? Oder hat man euch den Hahn abgedreht?

Eure Beiträge fehlen!

Ein treuer Blog-Nachbar und Leser,

epikur (ZG Blog)

http://www.zeitgeistlos.de/zgblog/