… heute kommt der Stikolaus

Heute kommt der Nikolaus. Oder eben auch nicht. Und seine dunklen Begleiter, der Knecht Ruprecht oder der Krampus, sind längst nicht mehr eingeladen. Weil sie Kinder ängstigen. Ebenso wie der Nikolaus selbst. Alle zusammen würden sie schwarze Pädagogik anwenden und Kinderseelen schaden. Das geht in unserer Gesellschaft aber auch ganz ohne Nikolaus und Kollegen.

Es ist der 6. Dezember: Ob sich wohl heute noch jemand einen Nikolaus nach Hause bestellt? Sicher scheint aber zu sein: Die dunkle Gestalt neben dem Bischof, die wird wohl nirgends mehr einkehren. Schließlich gilt es mittlerweile als ausgemachte Sache, dass man die Kleinen nicht so verschrecken sollte. Wenn ich so zurückdenke: Ein Freudenfest war der Nikolaustag für mich als Kind nicht gerade. Man wusste ja nie so genau, wie der Abend abging. Kommt der Bärtige überhaupt? Und wenn ja, steckt er mich in den Sack oder holt er was aus dem Leinenbeutel? Ich kann mich nicht erinnern, je ein Gedicht aufgesagt zu haben. Aber wie ich unter den Tisch flüchtete, noch ehe der Mann mit der Mitra überhaupt was sagte: Daran hege ich Erinnerungen.

Dramatisieren will ich meine kindlichen Ängste nicht. Sie waren damals sicher unangenehm. Was sollten die sagen, die vor mir kamen? Man erzählt, die haben die Rute wirklich noch gespürt. Das gab es zu meiner Kinderzeit schon nicht mehr. Klar, die Angst war real. Aber ob mein Kindeswohl gefährdet war, ich bezweilfe es stark. Das ist aber nur meine persönliche Meinung, muss also nichts heißen. Wobei ich schon nachvollziehen kann, weswegen man heute ein eher gespaltenes Verhältnis zum strengen Nikolaus und seinem tendenziell gewaltbereiten Begleiter pflegt.

Rute und Drohungen

Einmal war der Krampus dabei, damals in meiner Kindheit. So sagten wir in Bayern zu jenem Gesellen, der andernorts auch als Knecht Ruprecht bekannt ist. Er tat nichts, war nur answesend. Was auch daran lag, dass ich das bravste Kind der Welt war. Nur aus diesem Grund kam er nicht zum Einsatz. Ich stand vor dem Bischof, der aus einem Buch las, aber wenig Schlechtes zu berichten wusste, äugte immer zum braunen Kompagnon des Nikolaus herüber, war aber heilfroh, dass er nur einmal mit der Kette klapperte. Dass mich der Bischof in den Sack stecken könnte, hat man mir aber vorher in Aussicht gestellt. Ich vertraute darauf, dass ich nichts Einsackwürdiges ausgefressen hatte: Aber konnte man sich in dieser Erwachsenenwelt wirklich sicher sein? Irgendwas machte man schließlich immer so, dass jemand was zu meckern hatte.

Kann sein, dass es irgendwo in der niederbayerischen Provinz auch in den Achtzigern jemanden gab, der noch die Rute zückte und auf Hintern tanzen ließ. Das will ich gar nicht leugnen. Dass es aber eine Generation von traumatisierten Vorweihnachtszeitlern gäbe, die sich damals verbrannt hat, sehe ich nun auch nicht wirklich. Aber wie ich das einschätze, darum geht es mir hier gar nicht unbedingt. Denn wie gesagt, grundsätzlich sind die Bedenken nachvollziehbar.

Dass man nämlich Kinder mit schwarzer Pädagogik folgsam hält, ist erstmal keine aufgeklärte Ansicht. Ganz im Gegenteil. So erzieht man den Nachwuchs zu Duckmäusern und Angsthasen. Sie werden mit Gewalt – auch ohne Rute und Sack einzusetzen, nur mit diesen Utensilien zu drohen — gefügig gemacht. Fehlverhalten wird nicht besprochen, es wird mit drastischen Drohungen geahndet. Es wird gezielt Angst zur Disziplinierung eingesetzt. Druck wird zum Erziehungsmittel. Die Kinder erleben dabei die Eltern als ohnmächtige Instanzen, die verurteilt sind dabei zuzusehen, falls der Nikolaus sich entschließt, den Nachwuchs in seinen Sack zu stecken und zu entführen: Dass die Eltern eingeweiht sind, wissen Kinder ja noch nicht. Im schlimmsten Fall kann dieses Szenario sicherlich traumatisch sein. Dass viele es lieber unterlassen, ist also – trotz meiner persönlichen Haltung – durchaus nachvollziehbar.

Karlpus und der Stikolaus

Aber eigentlich brauchen wir gar keine Figuren deutscher Weihnachtstradition, um die Kinder in Angst und Schrecken zu versetzen. In den letzten drei Jahren haben die Kinder fortwährend das erlebt, was sonst dem 6. Dezember vorbehalten war – speziell in den ersten Monaten wurden die Kinder in einer Dauerangst belassen, die einfach nicht gut sein konnte. Alle Verantwortungsträger im Bildungswesen hatten sich vereint. Sie waren die Elfen, die dem lallenden Karlpus mit seiner Rute und dem Stikolaus mit seinem Impfempfehlungssack, zugearbeitet haben.

Gleich am Beginn hatte die Bundesregierung Strategien ersonnen, wie man den Ernst der Lage unterstreichen könne. Die Gedankenspiele kamen später ans Licht. Ein zentraler Punkt war, dass man mit Angst arbeiten sollte. Nicht nur gegenüber Kindern – aber eben auch. Explizit war davon die Rede, dem Nachwuchs deutlich zu machen, dass er für das Überleben der Großeltern zuständig sei. Jeder Verstoß gegen die so genannten Maßnahmen, könnte übelste Folgen zeitigen. Diese genährte Angst übertrifft jeden kalten Dezemberabend, als die zwei Bärtigen aus dem Schnee in die Stube traten, um ein bisschen Mulmigkeit zu verströmen. Da muss so ein Krampus aber lange mit der Rute wedeln, bis er die Angst in dieser Nachhaltigkeit erzeugt. Das was die Bundesregierung und die gesamte Gesellschaft an Angstmache losgetreten haben, kriegt kein Nikolaus  auf die Reihe.

Dazu kam das Ende der Kindheit: Kontakte wurden weniger, ausgelassenes Spielen unmöglich. Vereine schlossen, Familien trafen sich nicht mehr. Kurz und gut: Zur Angst gesellte sich ein unnatürliches Klima, in dem Kinder plötzlich hochvernünftig sein sollten, statt unbedacht und fröhlich. Das Resultat ist bitter: Die Kinderpsychiatrien sind nach wie vor überfüllt. Kinderseelen sind zerbrochen. Haben Neurosen entwickelt. Die kindliche Entwicklung stagnierte. Speziell auch wegen der Maskenpflicht meldeten Kita-Leitungen im Frühjahr dieses Jahres 43 Prozent gestiegene Förderbedarfe in der sprachlichen Entwicklung, 46 Prozent in der motorischen Entwicklung und 58 Prozent in der sozio-emotionalen Entwicklung – in Einrichtungen, in denen mehr Kinder aus benachteiligten Verhältnissen waren, war der Anteil sogar noch höher. Die Zahlen stammen aus einem Papier des Bundesfamilienministeriums.

Reden wir überhaupt mal über das Kindeswohl

Über das Kindeswohl wurde in der Corona-Krise wenig gesprochen: Wir haben als Gesellschaft den Kindern Unerträgliches aufgebürdet. Und das, während wir an jeder Ecke hochsensibilisiert tun, sogar dem Nikolaus nicht mehr über den Weg trauen, weil er unsere Kleinen traumatisieren könnte. Synchron dazu haben wir zugelassen, dass die Traumatisierung von Kindern und Jugendlichen gar kein Gegenstand der Betrachtungen waren, die sich unter der Kuratel eines Ministeriums befanden, das sich formal der Gesundheitsspflege verschrieben haben sollte.

In Frankreich hat sich einer der führenden Virologen dahingehend geäußert, dass man vor lauter Gesundheitsschutz die Menschlichkeit vergessen habe. Eine schöne Einsicht. Aber viel zu spät. Die Kinder sind längst in den Brunnen gefallen. Und wie schlimm diese Aussage an sich ist, muss man schon mal betonen: Gesundheitsschutz ist ein menschlicher Antrieb. Menschlichkeit bedeutet eben auch: Für Gesundheit zu sorgen. Wenn aber dieser menschliche Anspekt die Menschlichkeit ignoriert hat, so stand gewissermaßen die Menschlichkeit der Menschlichkeit im Wege: Was für eine groteske Situation. Die Kinder können sich von einer solchen Einsicht nichts kaufen, noch immer müssen sie – wenn auch im kleineren Maßstab – die Folgen ertragen. So müssen sie die pandemischen Psychosen ihrer Lehrer ausbaden. Nur kurz aus meinem Umfeld: Da sollten Schüler freiwillig Maske tragen, weil Frau Lehrerin sich dann sicherer fühle. Nur eine Mutter begehrte auf, ihr Kind ist das einzige ohne Maske in der Klasse. Das Kindeswohl ist Lehrerinen wie dieser doch völlig gleichgültig.

Überhaupt sollten wir grundsätzlich über das Kindeswohl sprechen. Schon vor dieser Pandemie war Kindsein fürwahr nicht einfach. Der Druck in den Bildungseinrichtungen ist hoch, der Konformitätszwang erdrückend. Wer nicht mitzieht, wer bummelt, bekommt recht früh gesagt, dass er im Leben scheitern wird. Was sind dagegen der Nikolaus und Gevatter Krampus für menschliche Kreaturen? Klar, sie mögen ängstigen. Aber nur einmal im Jahr. Und am Ende wird meist ohnehin alles gut, dann gibt es Naschwerk und Spielzeug. Diese Gesellschaft hingegen, in die wir unsere Kinder entlassen: Sie ist kalt, brutal, selektiv und am Schluss gibt es ganz sicher keine Geschenke. Diese ganze Hypersensibilisierung, die vorgibt, Kindern mit alten Traditionen nicht schaden zu wollen: Sie ist Augenwischerei, denn parallel dazu schubsen wir die kleinen in eine Hölle der totalen, ja totalitären Entfremdung. Knecht Ruprecht mag vieles gewesen sein: Totalitär war er nicht. Er war vielleicht ein zorniger Mensch – aber eben ein Mensch. Ob es in diesem System, ob es in der Corona-Zeit Menschlichkeit gab: Muss man darüber noch streiten oder wissen wir es nicht eh?

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Roberto J. De Lapuente

Roberto J. De Lapuente ist irgendwo Arbeitnehmer und zudem freier Publizist. Er betrieb von 2008 bis 2016 den Blog ad sinistram. Seinen ND-Blog Der Heppenheimer Hiob gab es von Mitte 2013 bis Ende 2020. Sein Buch »Rechts gewinnt, weil links versagt« erschien im Februar 2017 im Westend Verlag. In den Jahren zuvor verwirklichte er zwei kleinere Buchprojekte (»Unzugehörig« und »Auf die faule Haut«) beim Renneritz Verlag.

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AusdieMaus
AusdieMaus
1 Jahr zuvor

Man möchte manche der Verantwortlichen in den Sack stecken und mit der Rute bearbeiten, man würde immer den Richtigen treffen…

Schwitzig
Schwitzig
1 Jahr zuvor
Reply to  AusdieMaus

Der Sack ist aber unschuldig – im Gegensatz zum Inhalt.

flurdab
flurdab
1 Jahr zuvor

Kinder pffft, wer braucht die schon.
Die zerstören mit ihrem CO2 die Umwelt und machen die Erde unbewohnbar.
Unser Trick ist ja das Aussourcen der Vermehrung. Warum Geld für Kinder ausgeben wenn man doch fertige Menschen frei auf dem Markt kaufen kann?
Wie viel Arbeitskraft durch diesen „Blödsinn“ dem Markt entzogen wird, ein Verbrechen.

Nee nee, Herr De Lapuente.
Sie entblößen sich hier als hoffnungslos naiver Romantiker.
So wird das nüscht mit der Villa im Tessin.

Das Verbot der Kinderarbeit ist ein ebenso großer Fehler wie das Frauenwahlrecht und die Eheschließung ohne Erlaubnis des Arbeitgebers.
Nie wird man das Leuchten in den Kinderaugen vergessen, wenn diese kleinen Lumpen in der Kohlenwäschen die Kohle aus dem tauben Gestein klaubten.
(aus Erinnerungen eines Magnaten)

DS-pektiven
1 Jahr zuvor

Da denke ich, das ist tatsächlich wichtig, das aufzuarbeiten, diese übrigens instrumentelle Form von Behandlung von Kindern, diese verobjektivierende Form von Kindern betrachte ich auch als eine Form von Kindeswohlgefährdung.

Prof. Dr. Michael Klundt am 9. September 2020 in der Kinderkommission des Bundestages. Mehr hier.

Klabauterbach wurde übrigens exakt heute vor einem Jahr als Krankheitsminister auserkoren. Vom weisen Volke gewählt – und bis heute nicht aus dem Amt verjagt.

flurdab
flurdab
1 Jahr zuvor
Reply to  DS-pektiven

Ich habe da gar nichts gewählt.
Niemand in diesem Land wählt eine Person.
Wir haben kein Persönlichtkeits- Wahlrecht.
Es waren die Medien- Huren die Karlatan in diese Position brachten.

Da müsste man mal „nacharbeiten“, aber das geschieht leider nicht.

Horst Kevin
Horst Kevin
1 Jahr zuvor

Ja, es ist verrückt.
Sonst ist ein „denkt doch an die Kinder!“ ein Totschlagargument für jeder Scheiß, wie z.B. flächendeckende Bespitzelung der Bevölkerung und plötzlich sind sie noch scheißegaler als sonst.
Wo kommen plötzlich die gigantischen Milliardenbeträge für Rüstung und Krieg her, wo man sich jahrzehntelang keine Milliönchen für Bildung und Soziales vom Munde absparen konnte?! Aber tageintagaus einen Fachkräftemangel beklagen… Nein! Die wachsen nicht an Bäumen und auch nicht in Indien und fallen auch nicht als Christkindlein vom Himmel. Genausowenig, wie euer Hirn!
Es ist eine verlogene Oberscheiße!

PS: „Stikolaus“, lieber Roberto, schon wieder ein preisverdächtig Wort. 🙂

Latte
Latte
1 Jahr zuvor
Reply to  Horst Kevin

Heißt es nicht „DIE STIKOLAUS“?!? 😉

AusdieMaus
AusdieMaus
1 Jahr zuvor
Reply to  Latte

Nicht zu vergessen DAS Stikolaus…;-)

flurdab
flurdab
1 Jahr zuvor

Ich fürchte den Tag an dem diese Kinder für meine Pflege im „Sterbezentrum“ verantwortlich werden.
Aus dem Bestseller: „Wie man in den Wald ruft“

Oha
Oha
1 Jahr zuvor

 Kindeswohl, aha. Sollte Kinderschutz nicht in irgendwelche Gesetzestexte aufgenommen werden? Ach, wurde es? Na sowas. Wie schnurz dieser Gesellschaft das Wohlergehen von Kindern ist, haben Regierungen, Medien, „Wissenschaftler“, Ethikräte u. dgl. in den vergangenen 3 Jahren gezeigt. Kinder galten sozusagen als Pesterreger, mordeten (laut staatlichen Broschüren) ihre Großeltern durch ihre bloße Anwesenheit, wurden mal aus Schulen ausgesperrt, dann, frierend, in ihnen eingesperrt. Hoher Wert der Bildung? Durch Online-Unterricht mit Kindern, deren Eltern sich, wenn überhaupt, nur einen alten Laptop leisten konnten und über eine, sofern vorhandene, eher unsichere Internetanbindung verfügten? Bildung nur für Kinder wohlhabender Eltern.
Das einzig Positive der Schulschließungen: Arme Kinder wurden nicht mehr dem Terror des sogenannten Bildungsbürgertums ausgesetzt. Sie waren, wie vorher und nachher auch, auf sich selbst zurückgeworfen.
„Kindeswohl“ – das wird in keiner Weise berücksichtigt, aber jedes Mal argumentativ vorgeschoben, wenn es um die Umsetzung totalitärer Maßnahmen geht. Ginge es wirklich um Kindeswohl, dann wäre die Gesellschaft anders ausgerichtet und sähe die Welt anders aus.

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