Macron II, ein Ausblick

Ein Gastbeitrag von Jos Schreiner.

Im ersten Teil unseres Beitrags „Hat Macron die Wahl gewonnen?“ hatten wir den Versuch einer Wahlanalyse unternommen und die Reaktionen in Frankreich und Europa auf die Wiederwahl von Macron geschildert. Wir wollen uns im zweiten Teil mit den Folgen beschäftigen, die die Wiederwahl für Frankreich haben wird.

Am Wahlsonntag (24. April) kam es im ganzen Land zu Demonstrationen von Menschen, die über die Wahl zwischen zwei verhassten Kandidaten empört waren. Die Polizei ging gewaltsam gegen die Demonstranten vor, zwei Menschen wurden erschossen. Eine Woche später mobilisierten die Gewerkschaften zum ersten Mai, der dieses Mal ganz im Zeichen der Wiederwahl von Macron und der Empörung über seine angekündigten sozialen Gegenreformen stand. Eine erste soziale Mobilisierung unter Macron II, die auch durch die Frage nach einer Strategie der Linken für die kommenden Parlamentswahlen geprägt war. In den Demonstrationszügen skandierten viele ihre Ablehnung gegenüber Emmanuel Macron und den Angriffen, die in der nächsten fünfjährigen Amtszeit auf sie zukommen werden.

Etwa 50.000 Gegner von Macrons unsozialen Plänen waren in Paris dem Aufruf der Intersyndicale (CGT, UNSA, Solidaires, FSU, UNEF, VL, MNL und FIDL) gefolgt, um diesen Tag zu einem starken Zeichen der Mobilisierung für Löhne, Renten, Sozialschutz, Arbeitsplätze, öffentliche Dienste, Klimaschutz und den Frieden zu machen. Studenten- und Schülerorganisationen, Unef, VL, MNL und FIDL schlossen sich an. Die FO hatte keinen landesweiten Aufruf gemacht, schloss sich aber dem Demonstrationszug an. In ganz Frankreich nahmen mehr als 200.000 Menschen an den Umzügen zum ersten Mai teil.

Nur die reformistische CFDT stand abseits und hatte eine eigene, kirmesähnliche Maifeier in Paris organisiert. Leider ist die CFDT mit ihrem Generalsekretär Laurent Berger, nach der Anzahl ihrer Mitglieder, die größte Gewerkschaft in Frankreich. Laurent Berger fällt durch seinen Willen zum Konsens und zum ständigen Dialog mit den „Sozialpartnern“ auf. Er hat sich von den Gelbwesten distanziert und kennt nur ein Wort: Sozialpartnerschaft und Dialog mit allen Parteien. Er fühlt sich gebauchpinselt, wenn er im Élysée oder Matignon als Gesprächspartner empfangen wird, auch dann noch, wenn es schon lange nichts mehr zu verhandeln gibt. In den Augen vieler radikaler Aktivisten gilt er als Verräter, eine Einschätzung, die der Autor dieser Zeilen teilt. So hat Berger sich bereits in der vergangenen Woche in einem Artikel im französischen Le Monde an Macron mit den Worten gewandt: „Sie werden diese Herausforderungen nicht allein bewältigen können.“ Offenbar will er Macron dabei helfen, die Gegenreformen ohne großen Widerstand von der Straße durchzuziehen.

Kaum wiedergewählt, muss sich Macron nach einer Woche scharfer Kritik an seinen angekündigten Projekten den Franzosen auf der Straße stellen. Es werde keine dreimonatige Schonfrist und keinen Blankoscheck für Macron geben, hatten die Gewerkschaften angekündigt. Und in der Tat, die Gewerkschaften, aber nicht nur sie, haben in den letzten fünf Jahren Macron ausreichend genug kennengelernt, um zu wissen, wo dran sie mit ihm sind. Viele der Baustellen, wie die Rentenreform, die Bildungsreform oder die Reform des Arbeitslosengesetzes und die Krankenhausreform sind noch offen aus der Zeit von vor Corona.

Zwar hatte Macron versichert, er werde sich neu erfinden und in seiner zweiten Amtszeit eine neue Ära schaffen, die nicht in der Kontinuität der vorherigen Amtszeit stehen werde, sondern in der „kollektiven Erfindung einer neuen Methode, um fünf bessere Jahre in den Diensten unseres Landes und unserer Jugend“ zu schaffen. Niemand werde zurückgelassen. Leere Worte, um zu beschwichtigen und um wiedergewählt zu werden. Um seine Gegenreformen durchzusetzen, wird Macron nicht zögern, wie gehabt mit Gewalt vorzugehen. Davon zeugt die Niederschlagung der Demonstrationen, die am Wahlabend gegen seine Wiederwahl durchgeführt wurden. Macron II wird sich von Macron I höchsten durch den Grad seiner Scheinheiligkeit unterscheiden. Sein Programm ist noch immer dasselbe wie 2017, und die Methoden, es gegen den Willen des Volkes durchzusetzen, werden sich in der Praxis nicht ändern. Macron II oder Macron I, in Macrons neoliberalem Frankreich sollen die Arbeitnehmer für die Krise bezahlen. Der Präsident der Reichen wird der Arbeiterklasse keine Geschenke machen

Die Baustellen für Macron

Mit den geplanten Gegenreformen wie die Rente mit 65, eine Arbeitspflicht für RSA-Empfänger (das franz. Hartz 4), die Verdoppelung der Polizeikräfte vor Ort oder die Fortsetzung einer islamfeindlichen Politik wird die nächste fünfjährige Amtszeit explosiv sein. Sinkende Kaufkraft, Wut der Beschäftigten in den Krankenhäusern und in den Schulen, der Klimanotstand, der Krieg in der Ukraine sind weitere brisante Themen, die die Stimmung anheizen. Und am 12. und 19. Juni sind Parlamentswahlen.

1.Die Kaufkraft

Die Arbeitnehmer haben schon durch Entlassungen, Kurzarbeit und Betriebsschließungen während des Lockdowns durch die Anti-Corona- Maßnahmen manche Lohneinbußen hinnehmen müssen. Geldspritzen für die Superreichen, und die Nato-Sanktionen gegen Russland heizen die Inflation an und untergraben den Lebensstandard der Arbeiter in Frankreich. Die Löhne können mit der Inflation nicht mithalten. Die Unternehmen bieten im besten Fall ungenügende Lohnerhöhungen in den Tarifverhandlungen an. Nur der Mindestlohn (Smic) ist an die Inflation gebunden und wird jedes Jahr am 1. Januar angepasst. Die Erhöhung ist aber unzureichend, sie betrug dieses Jahr 2,65%, während die Inflation im April bereits auf 4,8% gestiegen ist und noch weiter zu steigen droht. Die Lebensmittelpreise steigen noch stärker. Durch die Erhöhung des Mindestlohnes sind jetzt viele Tariflöhne sogar unter den Mindestlohn gefallen, was zeigt, wie niedrig auch diese oft auch sind. Macron verlässt sich bei diesem Thema auf den guten Willen der Arbeitgeber, anstatt gesetzgeberisch einzugreifen.

Es müssten dringend Maßnahmen ergriffen werden, um der Belastung der Haushalte durch die Inflation entgegenzuwirken. Der Treibstoffrabatt läuft am 1. Juli aus, die Deckelung der Gaspreise am 30. Juni. Das am 19. Juni frisch gewählte Parlament soll dann einen Teil der LREM- Wahlkampfversprechen umsetzen, wie die Erhöhung des Indexpunktes für Beamte, oder den versprochenen „Lebensmittelscheck. Auch in Frankreich werden die Arbeitnehmer immer ärmer und viele rutschen sogar in die extreme Armut ab. Eine generelle substantielle Erhöhung der Löhne ist dringend notwendig, wird aber voraussichtlich auf den Widerstand der Arbeitgeber und „ihres“ Präsidenten Emmanuel Macron stoßen. Die Wut der Arbeitnehmer steigt proportional zur Inflationskurve.

2. Die Renten

Während des Wahlkampfs 2017 hatte Macron seine Wähler getäuscht, indem er versprach, das Renteneintrittsalter, das bis dahin bei 62 Jahren lag, unverändert zu lassen. Dieses Mal hat der Präsidentschaftskandidat klar zum Ausdruck gebracht, dass er das gesetzliche Renteneintrittsalter um drei Jahre anheben will. Das Vorhaben ist Teil eines Pakets von „Arbeitsmarktreformen“, die Menschen sollen immer mehr arbeiten und am Lebensabend weiterhin arm bleiben. Die Rentenreform benachteiligt vor allem Menschen in prekären Situationen, die nicht die erforderlichen Versicherungsjahre sammeln können, insbesondere die Frauen.

Das Thema Renten war bereits während der vorherigen Amtszeit von Macron Gegenstand harter Diskussionen und hat monatelang zu großen Protesten auf der Straße geführt. Das Projekt musste jedoch wegen der Covid-19-Pandemie ausgesetzt werden. Aber die Rentenreform war und ist das wichtigste Projekt von Macrons Wirtschaftsplan. Im Zuge der Reform soll auch die Rentenkasse privatisiert und an Rentenfonds wie Black Rock ausgehändigt werden, damit diese das Geld auf den „Märkten“ anlegen sollen. Um seine Rentenreform durchzusetzen, die er bis zum Jahresende bereits auf den Weg bringen will, will Macron erst einmal beschwichtigen und hat eine „Sozialkonferenz“ zur Rentenreform angekündigt und erst einmal ein paar Süßigkeiten versprochen, wie die Erhöhung der Mindestrenten. Um die bittere Pille der Rentenreform zu versüßen, soll bereits im Juli über Maßnahmen abgestimmt werden, um die Kaufkraft wenigstens minimal für Alle zu erhöhen. Indexierung der Renten an die Inflation, Lebensmittelscheck, Beibehaltung der Deckelung für Gas- und Strompreise, um später bei der Rentenreform einen „Kompromiss“ fordern zu können. Zur angekündigten Sozialkonferenz für die Renten meinte Philippe Martinez, der Führer der CGT: „Während des ersten Fünfjahreszeitraums lautete die „Konzertierung“ wie folgt: Sagen Sie Ihre Meinung, aber ich mache, was ich will“ und fügte hinzu, man habe bereits genug palavert.
Sollte die „Sozialkonferenz“ zu keinem Kompromiss kommen, schloss Wirtschaftsminister Bruno Le Maire nicht aus, das Gesetz durch Präsidialerlass (Art. 49-3, siehe dazu weiter unten) zu erlassen.

Ausnahmslos alle Gewerkschaften und Sozialverbände und auch die Gelbwesten sind gegen die Rentenreform. Es wird demnach noch zu größeren Auseinandersetzungen um das Thema kommen.

3. Die Arbeitsgesetzgebung

Emmanuel Macron will die mit den Verordnungen von 2017 eingeleitete „Modernisierung des Arbeitsgesetzbuches“ im Namen einer angeblichen Wettbewerbsfähigkeit fortsetzen. „Modernisierung“ heißt im neoliberalen Neusprech stets Verschlechterungen für die Arbeiterklasse und Umverteilung nach oben.

Die Reform der Arbeitslosenversicherung ist die Arbeitslosen bereits teuer zu stehen gekommen, nun sollen Regeln eingeführt werden, die mehr „Anreize für die Rückkehr in die Beschäftigung“ bieten. Das heißt weniger Rechte für die Bezieher von Arbeitslosengeld. Für die Empfänger von Sozialhilfe (RSA) möchte Macron das RSA an die Bedingung knüpfen, „15 bis 20 Stunden pro Woche“ zu arbeiten, unter dem Vorwand, „die Würde eines jeden anzuerkennen“. Sein Vorschlag, das RSA von einer wöchentlichen Arbeitszeit abhängig zu machen, kommt bei der Rechten gut an, stößt aber bei den Gewerkschaften auf Ablehnung. Im selben Atemzug sollen auch die Arbeitsämter reformiert und zentralisiert werden und künftig „France Travail“ heißen.

4. Die Löhne der Beamten

Die letzte Erhöhung des Indexpunktes für Beamte war im Frühjahr 2016 angekündigt worden. Sie belief sich auf magere 1,2 %. Zuvor hatte sich der Indexpunkt sechs Jahre lang nicht bewegt. Nachdem Macron eine allgemeine Erhöhung strikt ausgeschlossen hatte, schwenkte er schließlich um, zweifellos um Stimmen für seine Wiederwahl zu fangen. Die Situation für etwa 5,7 Millionen Beamte wird, angesichts der Inflation, so langsam unhaltbar. Eine Erhöhung des Indexpunktes wurde für noch vor dem Sommer versprochen und soll dem neuen Parlament nach den Parlamentswahlen vorgelegt werden. Die CFDT fordert eine Erhöhung um „mindestens 3 %“, die CGT hingegen eine Erhöhung um 10 %. Selbst 10% empfinden die Beamten aber als ungenügend. „Seit 2011 liegt der Preisanstieg bei über 13%. Seit Beginn des aktuellen Fünfjahreszeitraums liegt er bei 7,5 %. Für Juni 2022 wird eine jährliche Inflationsrate von fast 6 % prognostiziert. Es geht also sowohl darum, aufzuholen, als auch vorzugreifen“, so die Unsa, die Lehrer- und Beamtengewerkschaft. Bei einer Lohnanpassung, die zumindest die Inflation ausgleichen würde, sind die Löhne der Beamten damit zwölf Jahre im Rückstand!

5. Das Gesundheitssystem

Das Krankenhaus steht im Mittelpunkt der Forderungen im Gesundheitsbereich. Viele Mitarbeiter sind nach zwei Jahren Covid-19 aus dem bereits vorher schon unterbesetzten Bereich ausgeschieden. Schließung von Betten oder sogar ganzer Abteilungen aufgrund von Personalmangel sind zu einem großen Problem geworden. Viele freie Stellen in den Krankenhäusern finden angesichts schlechter Löhne und Arbeitsbedingungen keine Bewerber mehr. Eine Aufbesserung der Gehälter und Investitionen in die Infrastruktur ist dringend erforderlich. Nun soll das Einführen von „Gesundheitsreferenten“ es richten. Krankenpfleger, Apotheker, Physiotherapeuten und andere sollen in unterversorgten Gebieten ermächtigt werden, einfache medizinische Handlungen vorzunehmen. Macrons im Wahlkampf gegebenes Versprechen, massive Investitionen in das Gesundheitssystem zu tätigen, beruht in Wirklichkeit auf Entscheidungen, die bereits im Juli 2020 beim Ségur de la santé getroffen wurden: Aufwertung der Gehälter und Laufbahnen der paramedizinischen Fachkräfte und Investitionen von 19 Mio. € über die nächsten 10 Jahre. Die Gewerkschaften fordern dagegen einen wirklichen Plan zur Bekämpfung des Notstandes im Gesundheitsbereich. Die Zeit drängt.

6. Die Bildung

Auch die Lehrer haben in den letzten 20 Jahren zwischen 15 und 25 % ihres Gehalts verloren und fordern von der Regierung eine Erhöhung ihrer Gehälter. Nachdem Emmanuel Macron zuerst gesagt hatte, dass es Erhöhungen nur im Austausch für zusätzliche Aufgaben gäbe, sagte er eine Erhöhung um 10% zu. Seine Äußerungen sind jedoch vage. So ist nicht klar, ob auch alle Lehrkräfte betroffen wären. Eine Erhöhung auf 20%, wenn die Lehrer die Vertretung abwesender Kollegen, Hausaufgabenhilfe usw. annähmen, soll Gegenstand der Verhandlungen sein. Macron will auch die Schulen dazu ermutigen, Projekte zu entwickeln und ihnen die Möglichkeit geben, die Unterrichtsmethoden anzupassen. Die Direktoren und Direktorinnen würden damit bei der Einstellung von Lehrkräften ein Mitspracherecht erhalten und könnten bestimmte Profile ablehnen. Die Gewerkschaften und viele Lehrer halten diese Maßnahme für ungerecht und sehen den Gleichheitsgrundsatz gefährdet.

7. Umwelt & Klima

Der nächste Premierminister, der in Frankreich vom Präsidenten ernannt wird, soll „direkt für die ökologische Planung zuständig“ sein. Das Pariser Verwaltungsgericht hatte festgestellt, dass Frankreich durch seine schlechte CO2-Bilanz mit Schuld an der Klimakrise sei. Es besteht dringender Handlungsbedarf. Macron hatte sich im Wahlkampf ein grünes Mäntelchen umgehängt, um auch bei den Umweltschützern auf Stimmenfang zu gehen. Jetzt erwarten diese, dass die Versprechen eingehalten werden und endlich gehandelt wird. Macron will den Klimaschutz seinem künftigen Regierungschef anvertrauen und ihm zwei Minister zur Seite stellen, die für die Energieplanung zuständig sein sollen. Auf lokaler Ebene sollen über mehrere Monate hinweg Gespräche mit „allen Beteiligten“ organisiert werden. Nichts Konkretes bis jetzt also. Anstatt Posten zu verteilen, müsste die neue Regierung und ihr Präsident vor Allem endlich die nötigen personellen und finanziellen Mittel zur Umsetzung von Maßnahmen bereitstellen und auf die Einhaltung der bereits bestehenden Gesetze achten und Verstöße dagegen konsequent ahnden. Auch in Frankreich merkt man kaum, dass es so etwas wie ein Umweltstrafrecht gibt. Verstöße werden nur in Geldform an die Firmen geahndet, die die verhängten Bußgelder dann aus der Portokasse bezahlen. Kein Geld, zu teuer, wettbewerbsschädlich sind die Kriterien für Umweltschutzmaßnahmen, so wie es auch beim Bürgerkonvent gegen Klimaschutz ans Tageslicht kam (siehe dazu den ersten Teil: „Hat Macron die Wahl gewonnen?“)

„Der 1. Mai ist ein Kampf zwischen Arbeitnehmern und Arbeitgebern, der auf der Aufteilung des Reichtums aus der Ausbeutung der natürlichen Ressourcen beruht, die unter Beachtung der Grenzen der Ökosysteme und der Bevölkerung erfolgen muss“, so Arnaud Schwartz, Präsident von France Nature Environnement, und weist auf den Zusammenhang zwischen den Kämpfen für soziale und ökologische Verbesserungen hin.

8. Justiz und Sicherheit

Die für Ende Februar erwarteten Schlussfolgerungen der Generalstände der Justiz, einer breit angelegten Konsultation, die von Emmanuel Macron im Oktober eingeleitet wurde und an der 50.000 Personen teilgenommen haben, werden noch vor dem Sommer bekannt gegeben. Der Ausschuss, der mit der Bearbeitung der gesammelten Vorschläge beauftragt wurde, wird seinen Bericht voraussichtlich Ende des Monats vorlegen. Verbesserung der Arbeitsbedingungen, Neufassung der Strafprozessordnung, Verkürzung der Fristen… Auf der Grundlage dieser Ergebnisse wird der Präsident ein Fünfjahresprojekt für die Justiz aufbauen.
Macron hat sich verpflichtet, die finanziellen und personellen Mittel im Bereich Justiz und Sicherheit zu erhöhen. Er will die Schaffung von 8500 Stellen in den nächsten fünf Jahren vorantreiben, ohne jedoch bisher Einzelheiten genannt zu haben. Es sollen mehr Polizisten und Gendarmen eingestellt werden. 200 neue Gendarmerie- Brigaden sollen entstehen. Schließlich plant Macron die Erhöhung der Geldstrafen für Straftaten.

9. Frieden und der Krieg in der Ukraine

Frankreich unterstützt den Kurs der Nato gegen Russland. Der Krieg in der Ukraine wird für Frankreich in naher Zukunft weiterhin außenpolitische Priorität haben. Am 30. und 31. Mai werden die EU-Staaten auf Wunsch von Macron, der noch bis zum Juni die Präsidentschaft in der EU innehat, zu einem Sondergipfel zusammenkommen. Normalerweise wird es dort um die europäische Verteidigung und um den Krieg in der Ukraine gehen. Macron möchte die Verpflichtungen für eine größere strategische Autonomie Europas konkretisieren und weitere Sanktionen der EU gegen Russland, die auch ein Ölembargo einschließen. Die Gaslieferungen aus Russland sollen so weit wie möglich eingeschränkt werden.

Es ist klar, dass das Thema Krieg eng mit der Sozialpolitik verbunden ist. Die mit der Kriegstreiberei, nicht nur von Macron allein, verbundenen Rüstungsausgaben und die Sanktionen gegen Russland kosten ein Heidengeld. Die Arbeiter sollen es bezahlen, sei es über Steuern, Kürzungen von Sozialleistungen oder nicht getätigte Investitionen in die Infrastruktur.

Nach der Wahl ist vor der Wahl

Nach ihrer Niederlage bei den Präsidentschaftswahlen versucht die Linke nun, sich für die Parlamentswahlen am 12. und 19. Juni zu einigen. Mélenchon, der die meisten Stimmen von allen linken Kandidaten bekommen hatte, möchte nun als Kandidat einer Volksunion Premierminister werden und auf diesem Posten ein Gegengewicht zu Präsident Macron darstellen. Es soll eine Cohabitation erzwungen werden, eine Konstellation, in der die Mehrheit im Parlament nicht aus dem gleichen politischen Lager wie der Präsident kommt, es wird eine geeinigte linke Mehrheit im Parlament angestrebt. Die France Insoumise hat Verhandlungen für eine Sammlungsbewegung zusammen mit den Sozialisten, den Kommunisten und den Grünen begonnen. Die Grünen haben bereits am Sonntag zugestimmt, am Dienstag sagten auch die Kommunisten zu, am Mittwoch taten es die Sozialisten. Die Koalition steht also. Laut Umfragen will auch die Mehrheit der Franzosen dem Präsidenten eine Cohabitation aufzwingen.

Grob gesagt, ist Frankreich zurzeit in etwa gleich große drei Lager geteilt: die liberale Rechte, die extreme Rechte, und die Linke, die nur knapp aus dem zweiten Wahlgang verdrängt wurde. Wenn die Linke eine gemeinsame Basis findet, könnte sie bei den Parlamentswahlen durchaus eine absolute Mehrheit erzielen, eine Vorbedingung für eine Cohabitation, da der Präsident alle Minister, auch den Premierminister ernennt. Ohne eine Mehrheit im Parlament, der Assemblée nationale, schrumpft die Macht des Präsidenten deutlich. Für den Kampf der Sitze im Parlament kann die LREM auch nicht, so wie Maron in der zweiten Wahlrunde, auf die fremden Stimmen zählen, die seine Partei (oder eine andere Partei aus dem bürgerlichen Lager) nur deshalb wählen, um gegen Le Pen zu stimmen.

Viele Fragen wirft der plötzliche Sinneswandel von Mélenchon auf, zu versuchen auch die Sozialdemokratische PS (Parti Socialiste) mit ins Boot zu holen. Die Verhandlungen mit de PS sind in Mélenchons eigener Partei heftig umstritten und auch Mélenchon selber hat bis vor noch nicht langer Zeit eine Zusammenarbeit mit der PS abgelehnt. Die PS ist verantwortlich für die arbeiterfeindlichen Gesetze unter Präsident Hollande, für die Gegenreform der Arbeitsgesetze und für zahlreiche Privatisierungen kommunaler und staatlicher Betriebe. Die Arbeiterklasse betrachtet die PS als Verräter und hat sie dementsprechend abgestraft. Die Kandidatin des PS, Anne Hidalgo, Bürgermeisterin von Paris, bekam bei den Präsidentschaftswahlen gerade mal 1,7%, in der Assembée nationale hat die PS nur noch 30 Sitze von insgesamt 577, Tendenz fallend. Es soll auch nicht vergessen werden, dass es Hollande war, der den Investmentbanker Macron aus der Privatwirtschaft heraus in sein Kabinett holte, um mit ihm gemeinsam neoliberale Reformen durchzusetzen, oft diktatorisch per Präsidialerlass und ohne Mehrheit im Parlament.

Die Basis der PS befürwortet ein Abkommen mit LFI. Aber einige (unverbesserliche) Parteibonzen aus den Zeiten, als aus der PS eine „Partei der Mitte“ gemacht wurde, treten auf die Bremse. Expräsident François Hollande etwa hat vor einem solchen Bündnis gewarnt. »Das würde heißen, dass die nächste Regierung dazu gebracht würde, die europäischen Verträge in Frage zu stellen? Die NATO zu verlassen? Den Ukrainern nicht mehr zu helfen?« Eine Beteiligung der PS am Wahlbündnis der „nationalen Einheit“ wird von vielen als eine Rehabilitation der Sozialistischen Partei angesehen. Auf der Kundgebung zum 1. Mai von letztem Sonntag hat Mélenchon Olivier Faure, dem ersten Sekretär der PS, demonstrativ in aller Öffentlichkeit die Hand gegeben, demselben Olivier Faure, der das El-Khomri-Gesetz (benannt nach der damaligen Arbeitsministerin El Khomri, PS) zur „Reform“ der Arbeitsgesetze federführend mit auf den Weg gebracht hatte. Die PS steht nicht auf der Seite der Arbeiter, sie steht auf der Seite des Kapitals. Es ist ein Hohn, dass gerade sie sich ausgerechnet auch noch „Sozialistische Partei“ nennt. Da liegt ein faules Ei im Nest der Koalition.

Mélenchon hat sich bereit erklärt, unter Macron als Premierminister zu dienen. Hauptsächlich will er, nach seinen Angaben, damit verhindern, dass Macron seine Gesetzesprojekte per Präsidialerlass (Art. 49-3 der Verfassung) durchsetzen kann. Laut Art. 49-3 der französischen Verfassung kann nämlich nur der Premierminister (nicht der Präsident!) ein Gesetzesprojekt auch dann zum Gesetz erheben, wenn es nicht die erforderliche Mehrheit im Parlament bekommen hat. Ein Premierminister, der nicht dem bürgerlichen Lager von Macron angehört, würde sich wahrscheinlich weigern, den Präsidialerlass auszulösen.

Es ist allerdings unwahrscheinlich, dass Macron, selbst bei einer Mehrheit der Stimmen für Mélenchon, ausgerechnet ihn zum Premier küren würde. Im Falle des Falles wird sich schon ein Quisling aus „linken Reihen“ finden, den Macron relativ gefahrlos zum Premierminister ernennen kann. Die Reihen der PS bestehen fast nur noch aus Verrätern und bei denen ist Mélenchon gerade dabei, sich lieb Kind zu machen.

Es gibt aber noch andere Institutionen, die nicht immer nach der Pfeife des Präsidenten tanzen und das sind die lokalen Gebietskörperschaften. In der Tat konnte die LREM bisher nie richtig in den Regional- und Kommunalverwaltungen Fuß fassen. Die LREM stellt relativ gesehen nur wenige Bürgermeister und Räte in den Gemeinden. Sie ist erst 2016 gegründet worden. Die Verwaltung in den Gemeinden ruht aber meist auf langen Traditionen von Lokalpolitikern. Lokale „Barone“, besonders die, die es nicht nach Paris treibt, bringt die Opposition zur offiziellen Regierungspolitik oft mehr Wahlkredite als den Vorgaben aus Paris Folge zu leisten. Sie könnten für eine Unterstützung für Paris mehr verlieren als das was sie sich lokal in langen Jahren erarbeitet haben.

Wir werden gleich nach dem 19. Juni eine Bilanz der Parlamentswahlen ziehen.

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Der Inhalt dieser Veröffentlichung spiegelt nicht unbedingt die Meinung der neulandrebellen wider. Die Redaktion bedankt sich beim Gastautor für das Überlassen des Textes.

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Art Vanderley
Art Vanderley
1 Jahr zuvor

APO ante portas…

Brian
Brian
Reply to  Art Vanderley
1 Jahr zuvor

In Frankreich sicherlich eher als bei uns…

Art Vanderley
Art Vanderley
Reply to  Brian
1 Jahr zuvor

@Brian
Eher im Sinne von zuerst, ist auch bei uns nicht aufzuhalten, wenn es woanders stattfindet. Aber der Deutsche braucht schon meist etwas länger, stimmt schon.

Pentimento
Pentimento
Reply to  Art Vanderley
1 Jahr zuvor
Last edited 1 Jahr zuvor by Pentimento
ChrissieR
ChrissieR
1 Jahr zuvor

Guude!
Bin heut in nem kleinen Kaff im Département Aube an der Mairie vorbeigefahren, da hingen noch die Wahlplakate rum…und die Macron-Plakate hatten alle bildhübsche Hitlerbärtchen!

Pentimento
Pentimento
1 Jahr zuvor

Verstehe ich nicht.

Ob das mit rechten Dingen zuging?