Heikos schöner Anzug

Da hat dir die Mama für heute aber einen schönen Anzug rausgelegt. Das habe ich neulich auf einen Tweet Heiko Maas‘ geschrieben. Ist das Trollerei? Eigentlich nicht. Es ist eine Art mit den geschleckten Wichtigtuern umzugehen.

Huch, da war er wieder, der Mannequin-Minister. Bei Twitter duckfacte er in die Kamera, ein kurzes Video zu … ich weiß es nicht mehr zu was. Muss man sich bei diesem nur außen Minister nicht merken. Social-Media-Kompetenz hat Heiko Maas aber drauf. Foto hier, kurzes Videostatement dort. Dazu ein griffiger Spruch. Für mich ist ein Mandatsträger, der so agiert, nicht seriös. Besonders dann nicht, wenn er auf Emotionstour ist, mit der Träne im Knopfloch hausieren geht. Da bin ich halt antiquiert.

Ja, ich habe was gegen den Mann. Eigentlich gegen fast alle, die wir uns heute politisch vor die Nase gesetzt haben. Zu viel Wichtigtuerei, übertünchte Unfähigkeit, offenbare Charakterlosigkeit und Unmengen Gel im Haar. Da kann man kaum noch sachlich bleiben. Weil auch ich im Namen unseres Blogs auf Aufmerksamkeitstour bei Twitter unterwegs bin, habe ich natürlich sein Video kommentiert. »Da hat dir die Mama für heute aber einen schönen Anzug rausgelegt«, schrieb ich. Er reagierte nicht darauf. Habe ich aber auch nicht erwartet. Nur ein Unbeteiligter antwortete, er fragte, ob wir nur noch trollen könnten? Gute Frage eigentlich.

Der Troll: Adäquate Antwort des resignativen Zeitgeistes

Mein Gott, der Mann oder die Frau – oder das Diverslein? – hat ja recht. Wir trollen ja wirklich viel. Tom und ich, wir teilen uns ja den Twitter-Account. Beide sind wir Meister darin, eine Diskussion ins Lächerliche abzuleiten. Gemeinhin nennt man so ein Off-Topic-Gehabe ja Trollerei. Dann sei es nun mal so: Wir sind Trolle, verdammt! Was ist schon dabei?

Achso, weil wir doch Blogger sind, fein gesprochen: Internet-Publizisten. Leute der schreibenden Zunft, die irgendwie teilhaben wollen an dem großen Zirkus der Deutungserstreitung. Künstler irgendwie – jedenfalls bin ich bei der Künstlersozialkasse gemeldet: Was nichts heißt, denn Kunst lässt sich ja nicht herbeiverwalten. Typen wie wir sollten nicht flapsig zum hübschen Kommunionsanzug gratulieren oder beim Panikmacher von nebenan nach der Adresse eines Aerosol-Klempners anfragen. (Der Grund warum uns der Lauterbach sperrte.) Typen wie wir sollten seriööös sein. Mit mindestens drei Ö. Schön sachlich, argumentativ und nüchtern. Na, was denn noch alles? Etwa auch noch freundlich? Ja? Oh Mann, das sind ja gleich fünf Wünsche auf einmal!

Müssen wir das echt sein? Erwartet würde es wahrscheinlich. Aber eigentlich sind Erwartungshaltungen dieser Art überbewertet. Wir sind ja nicht nur Blogger – wir haben auch resigniert. Mal mehr, mal weniger. Was uns nicht wundert, denn wir sind keine Einzelfälle. So tickt der Zeitgeist; der Weltgeist ist im Grunde einer, der nicht mehr ernst sein kann, sondern lieber trollt. Das ist Ausdruck von Widerstand, von Rebellion gegen diesen seichten Wahnsinn, gegen die durchgestylte Postdemokratie, die aufgebitchte Mediokratie. Man hat einfach die Nase voll von diesen Gestalten, die nicht mehr sprechen wie normale Menschen, sondern wie vom Irrsinn selbst gebriefte Schwachmaten. Wie soll man denn diesen Sprechhülsenautomaten begegnen?

Mit Ernsthaftigkeit doch nicht ernsthaft, oder? Das beleidigt doch unseren Intellekt, unsere Menschlichkeit. Die kommentiert man eben mit blöden Sätzen. Satire in Kurzsätzen: Das mag jetzt nicht die Lösung des Problems sein, die Typen verschwinden deswegen ja nicht einfach. Aber man blödelt sie sich erträglich. Es ist so ein bisschen Psychohygiene gemischt mit dem Gefühl, diese mentalen Nullsummenspieler nicht zu wichtig werden zu lassen in seinem eigenen Leben. Trollerei ist eine adäquate Antwort und Überlebensstrategie. Wobei das tiefer geht: Eigentlich ist das ja Dada.

Dadaismus: Eine Vernunftshaltung

Nach dem Ersten Weltkrieg entstand der Dadaismus, der sich aus – wie Brockhaus‘ Taschenlexikon darlegt – »Protest gegen Kunstformen und ästhetische Wertmaßstäbe des (Bildungs-)Bürgertums« nährte. Er rekrutierte »provokative Antiprogramme«. Damals gab es soziale Netzwerke noch nicht. Hätte sie es gegeben, wären viele Dadaisten dort ähnlich wie wir aufgetreten. Sie hätten Debatten vertrollt, die hochtrabenden Mienen der bürgerlichen Funktionseliten verlacht und ihre Schwerpunkte so gesetzt, dass jeglicher seriöse Ansatz zwecklos gewesen wäre. Dessen kann man sich fast sicher sein.

Unserer Debattenkultur täte das nicht mal schlecht. Denn anders als der Troll, der vermeintlich eine psychische Disfunktionalität austobt, pflegt der Dadaist mit Tastatur ja eine politische Haltung. Sein Auftritt ist keine Selbsttherapie, sondern der närrischen Enttarnung von Macht oder des Massengeschmack geschuldet. Er ist zum Beispiel nicht per se gegen Corona-Maßnahmen, wird aber auf den Plan gerufen, wenn er merkt, mit welcher unkritischen Haltung und welchen heilslehrenden Versprechen die Gesellschaft an sie glaubt. Das ist der Moment, wo er dagegen antrollt, Debatten lächerlich macht, sie auf fehlende Kommas hinweist – so wie ich neulich, als einer harsch für die Maskenpflicht twitterte.

Der kleinliche Hinweis auf das Satzzeichen soll gar nicht oberlehrerhaft gemeint sein, sondern etwas deutlich machen: Selbst in eurer größten Panik, ist mir Dada-Dandy noch immer die Orthographie und Grammatik wichtig – ja wahrscheinlich sogar wichtiger als die Botschaft. Denn Ästhetik, liebe Panikmacher, ist und bleibt ein Gebot der menschlichen Würde. Was nützt aller Einsatz gegen eine Pandemie, wenn wir unsere Würde aus den Augen verlieren? Wenn wir uns geradezu würdelos verhalten? Das erklärt man natürlich nicht, man trollt nur dahin. Denn wer einen Witz erklären muss, hat einen schlechten Witz erzählt.

Dahinter steckt also mehr als nur der Quatsch, es ist eine verklausulierte Vernunftshaltung, ein Angriff mit humoristischen Mitteln oder kleinlichen Hinweisen, mit der Arroganz dessen, der sich weigert, irgendwelche Debatten, irgendwelche gestylten Gesichter oder irgendwelche Heilslehren aufgedrückt zu bekommen. Da ist dann Heikos Anzug eine Möglichkeit, die hochtrabende Leichenbittermiene dieses Ministermimen ein bisschen aufzulockern, Lockerheit herzustellen und anzudeuten, dass uns dieser kleine Mann gar nicht wichtig sein muss. Es reicht völlig, wenn er sich selbst für wichtig hält. Und sein Anzug war, unter uns gesagt, noch nicht mal so schön. Manchmal muss man halt auch mal lügen …

Diesen Beitrag ausdrucken

Roberto J. De Lapuente

Roberto J. De Lapuente ist irgendwo Arbeitnehmer und zudem freier Publizist. Er betrieb von 2008 bis 2016 den Blog ad sinistram. Seinen ND-Blog Der Heppenheimer Hiob gab es von Mitte 2013 bis Ende 2020. Sein Buch »Rechts gewinnt, weil links versagt« erschien im Februar 2017 im Westend Verlag. In den Jahren zuvor verwirklichte er zwei kleinere Buchprojekte (»Unzugehörig« und »Auf die faule Haut«) beim Renneritz Verlag.

Unterstütze uns und hilf dabei, die neulandrebellen besser und wirkungsmächtiger zu machen
Abonnieren
Benachrichtige mich bei
guest

30 Comments
Oldest
Newest
Inline Feedbacks
View all comments
Heldentasse
3 Jahre zuvor

Diesen Beitrag, und die Aussage die dahinter steht finde ich gut, und bei vertiefterer Betrachtung auch als sehr wichtig. Warum?

Dada, wie auch andere Kunstformen, verrücken die Sicht auf die Wirklichkeit und bilden damit Möglichkeiten sich vom alltäglichen Wahnsinn zu befreien.

Nicht nur in der Form das man in seinem eigenen Kopf leben kann, sondern auch in der wichtigeren Form, dass man erkennt das der Kaiser gar keine Kleider an hat, und im Grunde ein armer Tropf und ein großer Depp ist.

Ich glaube nicht, dass der Helge Schneider im engeren Sinne Dada ist, aber der hat es richtig drauf! So macht man das, dass sieht Herrschaft nicht gerne, m.E.

Helge Schneider und eine Kanone namens Berta

Last edited 3 Jahre zuvor by Heldentasse
Rudi
Rudi
Reply to  Heldentasse
3 Jahre zuvor

Als anerkannter Dadaist hat man’s leichter, Dadaist zu sein. Der Weg dorthin ist schwer. Es genügt nicht, bei der Künstlersozialkasse gemeldet zu sein, auch wenn damit ein Schritt ins Seriöööse simuliert wird. Harald Glööckler, Prince of Pompöös, fehlt das dritte Ö. Als Dadaist ist er trotzdem brauchbar. Nicht nur sein Habit legt das nahe.

Glööckler.jpg
Heldentasse
Reply to  Rudi
3 Jahre zuvor

Als anerkannter Dadaist hat man’s leichter, Dadaist zu sein.

Das ist die Dada Frage überhaupt: Was war zu erst dada der Dadaist oder der anerkannte Dadaist?

Nicht OT; Der Großstadtförster von New York

Detlef Schulze
Detlef Schulze
3 Jahre zuvor

Geistreich trollen ist gelegentlich unterhaltsam, wenn man es gut kann. Einer der es gut kann ist „Drunter und Drüber“. Wo steckt der eigentlich?

GrooveX
GrooveX
Reply to  Detlef Schulze
3 Jahre zuvor

Hier. Bin von Wellbrock gesperrt worden unter donnerndem Applaus der dicken Trulla, des vollignorierten Berliner Echtlinken mit dem hin und wieder verschämt eingeflochtenen Doktorgrad und den anderen Spezis vom Pausenhof.

#isshalltsoo

Detlef Schulze
Detlef Schulze
Reply to  GrooveX
3 Jahre zuvor

Ja! Genau diese Poesie fehlt hier in der letzten Zeit.

Robbespiere
Robbespiere
Reply to  Detlef Schulze
3 Jahre zuvor

@Detlef Schulze

Ja! Genau diese Poesie fehlt hier in der letzten Zeit.

Kein Problem, haben wir Alles da:

https://www.youtube.com/watch?v=ghbj6iNPfCU

Detlef Schulze
Detlef Schulze
Reply to  Robbespiere
3 Jahre zuvor

Kein Problem, haben wir Alles da:

https://www.youtube.com/watch?v=ghbj6iNPfCU

In der Tat auch sehr gut!

Roberto J. De Lapuente
Roberto J. De Lapuente
Reply to  Detlef Schulze
3 Jahre zuvor

Früher hat er uns gebraucht, um erfolgreich an sich rumspielen zu können. Jetzt schafft er es ohne uns. Emanzipation ist uns wichtig.

Detlef Schulze
Detlef Schulze
Reply to  Roberto J. De Lapuente
3 Jahre zuvor

Früher hat er uns gebraucht, um erfolgreich an sich rumspielen zu können. Jetzt schafft er es ohne uns.

Das ist ja erstmal schön. Bloss, was machen wir hier ohne Sätze wie:

Das Leben ist einfach viel zu kurz, um sich in Ruhe Wichtigerem zu widmen!

dadaist
dadaist
3 Jahre zuvor

Haha, die fette sau puentes erzaehlt was von aesthetik…trollerei? Nein, kunst.

dadaist
dadaist
Reply to  Roberto J. De Lapuente
3 Jahre zuvor

Reine niveauanpassung, mein lieber roberto dela; die taeglichen gewaltfantasien des geschaetzten kommentators nikki sind mein hochlicht des tages in diesem intellektuell hoechst gehaltvollen blog.

Last edited 3 Jahre zuvor by dadaist
niki
niki
Reply to  Roberto J. De Lapuente
3 Jahre zuvor

*prust*

ChrissieR
ChrissieR
Reply to  dadaist
3 Jahre zuvor

Ich sag mal jetzt net “ Guude“ @dadaist:
Wer andere dermassen beleidigt, wie Du den Roberto kann nur sehr wenig Gehirnmasse haben.Das entschuldigt Deinen eklatanten Mangel an Stil und Empathie!
Da halte ich es in Deinem Falle wie folgt:
Ich bin DICK und Du bist DOOF…

ICH kann abnehmen!!!!

Halt die depperte Bappn und geh sterben…

Robbespiere
Robbespiere
Reply to  ChrissieR
3 Jahre zuvor

Ich bin DICK und Du bist DOOF…ICH kann abnehmen!!!!

LOL…..göttlich :_D

Heiko Deiwiks
Heiko Deiwiks
Reply to  Robbespiere
3 Jahre zuvor

Spruch des Monats für mich!

Wieso kannte ich den denn noch nicht?
Muss ich mir merken 😀

Robbespiere
Robbespiere
Reply to  dadaist
3 Jahre zuvor

@dadaist

Ist das eine Sonderform des Masochismus, auf einem Blog unterirdisch zu kommentieren, den man selbst für unterirdisch hält?
Im MA nanntem man solche Leute Flagellanten.

Last edited 3 Jahre zuvor by Robbespiere
Marla
Marla
3 Jahre zuvor

‚….wir uns heute politisch vor die Nase gesetzt haben..‘
Wir? Nix da!
Meine Eindruck: je mehr Politiker- und Medienverdrossenheit desto mehr Plastik/Künstlich hat man uns vor die Nase gesetzt!

(Ich habe seit Jahren einen Juckreiz im Finger: mal an der Fassaden kratzen und gucken, ob Gestänge hervorlugt! Denn echt können die von der Stange doch nicht sein, oder?)

Marla
Marla
3 Jahre zuvor

Super Nach-denk-Hinweis!
Dadaismus….. Muss ich mal mehr verwenden, danke….
Dadaismustroll….. Kann man doch verwenden, oder?

(Hatte einen Disput mit einem ehemaligen Punker, der in die Jahre gekommen, mittlerweile so angepasst ist, dass man ihn von der Hintergrundtapete nicht mehr unterscheiden kann! Seufz! …. sind sich Dadaisten treuer geblieben? Oder wurden sie auch so überangepasst, dass es weh tut? ….. Mmh?)

Roberto J. De Lapuente
Roberto J. De Lapuente
Reply to  Marla
3 Jahre zuvor

Heißt der zufällig Andreas Frege?

Punkerfresser
Punkerfresser
Reply to  Roberto J. De Lapuente
3 Jahre zuvor

Der ist doch das geblieben, was er immer war: ein antideutsches Stück Schei.e, das, wie seine ganze Drecksidiotologie, den Tod am Würgegalgen verdient.

Heldentasse
Reply to  Marla
3 Jahre zuvor

sind sich Dadaisten treuer geblieben?

Ich denke das es dada ist gerade darüber nicht nachzudenken!

Pen
Pen
Reply to  Heldentasse
3 Jahre zuvor

Ymmhh!

Kreativ
Kreativ
3 Jahre zuvor

Ich hätte nicht gedacht, mal einen derart geistreichen (und trotzdem lesbaren) Kommentar zum Thema Trollen zu lesen.

Danke.

Juergen Wehrse
Reply to  Kreativ
3 Jahre zuvor

Ja, Roberto, man spürt förmlich, wie du unseren schicken Außenminister in´s Herz geschlossen hast. Der Typ ist tatsächlich eine Ober-Katastrophe . . . das sind die anderen dieser sagenhaften GroKo nicht minder. Bis auf G. Müller halte ich alle für eine historische Fehlbesetzung, habe also in meinem langen Leben nichts vergleichbares erlebt und möchte, dass das so schnell wie möglich geahndet wird. Es schadet auch nicht, wenn die Minister zukünftig mal das ein oder andere drauf haben; ein bißchen „soziale Kompetenz“ zum Beispiel? Propaganda ermüdet doch schnell (siehe die Corona-Dauer-Kackfresse unseres ebenfalls sagenhaften PräsiKlons). Folter! Wie kamen wir jetzt auf DADA? Kleines (großes) Zitat von Kurt Schwitters: Ewig währt am längsten.