Das NATO-Märchen der Zwei-Prozent-Verpflichtung

Wer eine Zeitung aufschlägt oder seinen Browser öffnet und nach Nachrichten sucht, wird immer wieder darauf stoßen: die Zwei-Prozent-Verpflichtung der NATO-Staaten, die besagen soll, dass zeitnah zwei Prozent des Bruttoinlandsproduktes für Rüstung (wahlweise auch: Verteidigung) ausgegeben werden sollen. Dumm nur, dass es eine solche Verpflichtung gar nicht gibt.

Das Strickmuster wiederholt sich. Statt uns ganze Geschichten zu erzählen, werden uns Bilder und Ausschnitte präsentiert. Nun sind Geschichten schon deshalb problematisch, weil sie uns eben auch einen Bären aufbinden können. Ihr Vorteil aber besteht darin, dass man sich – kennt man die komplette Geschichte – selbst ein Urteil bilden kann. Bei einzelnen Bildern ist das ungleich schwerer.

Das Interessante an der vermeintlichen Zwei-Prozent-Verpflichtung ist die Tatsache, dass eine Weile auch von den etablierten Medien immer wieder hier und dort darauf hingewiesen wurde, dass es keine Verpflichtung gibt, sondern lediglich eine Zielvorgabe, an der sich die NATO-Staaten orientieren sollten. Nun kann man bei den „Wissenschaftlichen Diensten“ des Bundestages nachlesen, dass die betreffenden Mitgliedsstaaten,

deren Anteil vom BIP für Verteidigungsausgaben gegenwärtig unter diesem Richtwert liegt, die Verteidigungsausgaben nicht weiter [zu] kürzen, sondern die realen Verteidigungsausgaben im Rahmen des BIP-Wachstums [zu] erhöhen und sich innerhalb von zehn Jahren auf den Richtwert von zwei Prozent zu[zu]bewegen, um ihre NATO Fähigkeitenziele zu erreichen und Fähigkeitslücken der NATO zu schließen.

So hieß es 2014. Und da das ein wenig sperrig ist, weisen die „Wissenschaftlichen Dienste“ darauf hin, Politik- und Rechtswissenschaftler seien sich einig, dass

die Zwei-Prozent-Zielvorgabe der NATO für die Höhe der nationalen Verteidigungsausgaben als Anteil vom Bruttoinlandsprodukt keine rechtliche Bindungswirkung entfaltet. Sie begründen dies unter anderem mit Aussagen verantwortlicher Autoritäten. So sprach der damalige NATO-Generalsekretär Jaap de Hoop Scheffer auf der Münchner Sicherheitskonferenz 2007 und auf einer Pressekonferenz am 13. Januar 2008 lediglich von einem „informal benchmark of two percent defence spending.

(Das Pdf-Dokument kann übrigens problemlos im Netz gefunden werden.)

Davon ist freilich heute kaum noch etwas zu lesen. Und man könnte sicherlich Donald Trump dafür verantwortlich machen, dass das so ist. Doch das wäre zu einfach, denn man muss sich nur die imaginären Speichelfäden Ursula von der Leyens (bei Kramp-Karrenbauer fließt die Flüssigkeit ähnlich intensiv die schlecht gelaunten Mundwinkel herab) ansehen, um zum Schluss zu kommen, dass diese beiden Politikerinnen (so wie viele in ihrem Dunstkreis) nicht das Geringste einzuwenden haben gegen eine Zwei-Prozent-Verpflichtung, die es faktisch gar nicht gibt.

Und um es endgültig klar zu machen:

Hieran änderte auch die Aufnahme dieser Zielvorgabe in die Abschlusserklärung des Gipfels von Wales nichts. Der NATO-Summit in Wales stellte nach Auffassung von Jan Techau, Direktor des Richard C. Holbrooke Forum for the Study of Diplomacy and Governance an der American Academy in Berlin, zwar einen historischen Schritt dar. Dennoch bleibt die auf dem Gipfel gegebene Zwei-Prozent-Zusage eine nicht-bindende Verpflichtung der Mitgliedstaaten. Sie stellt somit ausschließlich eine politische Willensbekundung dar. So spricht Karl-Heinz Kamp, Präsident der Bundesakademie für Sicherheitspolitik, im Zusammenhang mit der Zwei-Prozent-Zielvorgabe von einer „hochpolitischen Zahl“.

Wie gesagt: das Strickmuster wiederholt sich. Schauen wir nach Syrien, auf die Entwicklungen in der Ukraine, aber auch auf den Fall Skripal, Massenvernichtungswaffen im Irak und und und. Vorgesetzt wird uns eine Mischung aus Auslassungen und Behauptungen, stets gepaart mit einer Wertung, die auf einer kleinen Anzahl von Fakten und einer großen von Vermutungen und Unterstellungen basiert.

Die Zwei-Prozent-Verpflichtung ist derzeit eines der offenkundigsten Beispiele dafür, wie wir an der Nase herumgeführt werden. Und wenn wir schon von Verpflichtungen sprechen – die Aufgabe von Politik und Medien wäre es, auf die ganze Geschichte hinzuweisen, statt uns einen Ausschnitt zu präsentieren, der als die einzig wahre Wahrheit bezeichnet wird.

Die Frage, ob sich Deutschland (oder welches Land auch immer) an die Zielvorgabe der zwei Prozent gebunden fühlt oder nicht, steht auf einem ganz anderen Blatt. Das kann man – je nach politischer Ausrichtung – natürlich unterschiedlich bewerten. Doch das Angebot dieser Bewertung wird nicht gemacht. Wäre es so, würde uns die ganze Geschichte erzählt werden, sodass wir selbst abwägen könnten, ob wir zur einen oder anderen Richtung neigen.

Stattdessen wird uns jeden Tag aufs Neue eingeredet, dass es besagte Zwei-Prozent-Verpflichtung gibt. Damit wird suggeriert, dass es nur falsch sein kann, sich dagegen auszusprechen. Eine Verpflichtung, das ist schließlich etwas Verbindliches, aus dem man sich nicht einfach rausreden kann, weil einem der US-amerikanische Präsident nicht passt.

Auf diese Art lässt sich Kritik an Trump bestens und scheinbar glaubwürdig formulieren, ohne dass man sich einen Zacken aus der Krone bricht, wenn man ihm ausgerechnet beim Ausgabenziel der zwei Prozent des BIP zustimmt.

Entsprechend meiner eigenen politischen Ausrichtung sage ich nun also, dass die Zwei-Prozent-Verpflichtung eine Lüge und Irreführung ist. Zugleich mache ich das Angebot, das anders zu sehen, denn wer bin ich denn anzunehmen, dass meine Einschätzung die einzig richtige ist?!
Und ich behaupte selbstbewusst, dass ich damit vielen Verantwortlichen von Politik und Medien etwas voraushabe. Eigentlich ein ganz schwaches Bild, wenn ein kleiner Blogger so etwas sagen kann.
Aber das ist eine andere Geschichte.

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Tom J. Wellbrock

Tom J. Wellbrock ist Journalist, Autor, Sprecher, Radiomoderator und Podcaster. Er führte unter anderem für den »wohlstandsneurotiker«, dem Podcast der neulandrebellen, Interviews mit Daniele Ganser, Lisa Fitz, Ulrike Guérot, Gunnar Kaiser, Dirk Pohlmann, Jens Berger, Christoph Sieber, Norbert Häring, Norbert Blüm, Paul Schreyer, Alexander Unzicker und vielen anderen. Zusätzlich veröffentlicht er Texte auf verschiedenen Plattformen und ist für unsere Podcasts der »Technik-Nerd«.

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ChrissieR
ChrissieR
4 Jahre zuvor

Guude,

schau mal auf KenFm die Tagesdosis “ Das Münchhausen Prinzip“….
Sehr guter Beitrag! Wir werden von zum Kacken zu doofen ahnungslosen Hochstaplern regiert!
Leute, die zu blöd sind, nen Nagel gerade in ein Pfund Butter zu kloppen!

Sprücheklopfer , die nur den eigenen Vorteil sehen…

Hab ich nur Verachtung für übrig!

LG

Christine

ChrissieR
ChrissieR
Reply to  ChrissieR
4 Jahre zuvor
Pen
Pen
Reply to  ChrissieR
4 Jahre zuvor

@ Chrissie

Guter Kommentar, danke für den Link.

Diese vier Weiber sind die Mißgeburten der EU. Man müßte sie als die apokalyptischen Reiter darstellen, nackt, auf Besenstielen reitend, wie sie ihren Hexensabbat feiern. Die Welt ist ein Albtraum.

Und wer geht bei dieser Hitze schon auf die Strasse…die Co2 Steuer wirds schon richten. :- ))

musil
musil
Reply to  ChrissieR
4 Jahre zuvor

Das ist der große Denkfehler, dass wir „von zum Kacken zu doofen ahnungslosen Hochstaplern regiert!“ werden. Von Leuten, „die zu blöd sind, nen Nagel gerade in ein Pfund Butter zu kloppen!“
Die machen einfach ihren Job, die sind dafür ausgewählt worden, die Menschen für blöd zu verkaufen.

Wer schafft es denn in einer Parteihierarchie nach oben? Jene Person, die am meisten Parteispendengelder einsammeln kann. Jene, die auf Du und Du mit den Reichen und Superreichen stehen. Und angelangt in jenen „verantwortlungsvollen“ Positionen der „repräsentativen Demokratie“, werden dann die Grundlagen gelegt, dass die edlen Spender ihren Reichtum (auf Kosten der Masse des Pöbels) mehren können.

Fällt euch nicht auf, dass die so genannten „Fehler“ auf Kosten der Mehrheit geht? Dass wir, die gesichtslose Masse, die Rechnungen der Reichen und Superreichen sowie der Systemerhalter in Politik, Medien, Wissenschaft, Kunst und Kultur zahlen? Und zwar IMMER!!

Inkompetenz und Ahnungslosigkeit sind reiner Etikettenschwindel. Mann muss diese Leute zur Verantwortung ziehen und ihnen nicht ständig Schuldunfähigkeit andichten.

Mann, bin ich schlecht drauf.

anton
anton
Reply to  ChrissieR
4 Jahre zuvor

Christine, die Politk ist cleverer als Bisfahrer oder Bahntrullas, schöne Sommerzeit

R_Winter
R_Winter
4 Jahre zuvor

…….dass die Zwei-Prozent-Verpflichtung eine Lüge und Irreführung ist.

Der Bundestag hat das Budgetrecht. Kein Bündnis und keine internationale Organisation kann dieses ändern.

Krampf Knarrenbauer ist so dumm (oder beim Kriechen in das Hinterteil von Trump ist ihr im Gehirn der Sauerstoff ausgegangen…), dass sie einfache, demokrtische Zusammenhänge nicht verstehen kann.

Sie wird hier von der neoliberalen Kampfpresse, der FAZ, unterstützt:

Recht hat sie [AKK] ; ihre Kritiker scheinen aber zu glauben, man müsse nur den Namen des amerikanischen Präsidenten erwähnen und schon erledige sich das Thema der Unterfinanzierung der Bundeswehr von selbst, der toxischen Wirkung Trumps wegen.

FAZ; https://www.faz.net/aktuell/politik/inland/verteidigungsministerin-akk-taktik-der-diskreditierung-16300903.html

Krampf Knarrenbauer passt gut in die Line „Trump-Johnson-AKK“.

Folkher Braun
Folkher Braun
4 Jahre zuvor

Der militärisch-industrielle Komplex steht vor großen Herausforderungen. Es geht um Militär 4.0, das ist die Automatisierung des Angriffskrieges. Da der gemeine Bundesbürger nicht mehr so richtig Soldat sein will, muss die Produktivität der Maschine, sprich Tote je Quadratkilometer, deutlich erhöht werden. Josef Joffe hat auf ZON vor Jahren die „mangelnde Erstschlag-Fähigkeit der NATO“ bemängelt. Das wird jetzt mit der 2 % Regel anders. Endlich werden wir wieder Herrenrasse! Wir bestimmen über Leben und Tod.

jordan
jordan
4 Jahre zuvor

https://www.heise.de/forum/Telepolis/Kommentare/AKK-Wir-werden-die-Sichtbarkeit-der-Bundeswehr-in-unserer-Gesellschaft-erhoehen/Die-Sichtbarkeit-wird-sich-in-vielen-Grabsteinen-manifestieren/posting-34930492/show/
https://m.faz.net/aktuell/politik/inland/kramp-karrrenbauer-im-interview-die-fahne-die-hymne-da-bekomme-ich-gaensehaut-16294738.html

„Wir werden die Sichtbarkeit der Bundeswehr in unserer Gesellschaft erhöhen!
Ob das das freie Bahnfahren in Uniform ist, oder Gelöbnisse oder Zapfenstreiche in der Öffentlichkeit.“
„Die Fahne, die Nationalhymne, die aufmarschierten Soldaten, da bekomme ich eine Gänsehaut.“

Aufrüstungsspirale und dann auch noch dieses Geschwurbel!
Da kann einem nur Angst und Bange werden!

jordan
jordan
4 Jahre zuvor

PS: 2% wurde vom allseits beliebten #Obama gefordert!

https://www.nachdenkseiten.de/?p=53515

ChrissieR
ChrissieR
Reply to  Tom J. Wellbrock
4 Jahre zuvor

Ich hatte heut mittag ein Starkbier mit 7,8 Prozent!!!😂

niki
niki
Reply to  ChrissieR
4 Jahre zuvor

Verständlich, aber will man wegen der beschissenen Politik zum Alki werden…?
Denn ein (Stark-)Bier reicht da bei weitem nicht aus, um sich das schönzusaufen… Da muss man schon einen ganzen Kasten davon sich einflößen um vielleicht ansatzweise das zu ertragen… Selbst im Koma ist das alles nicht mehr schön!

Robbespiere
Robbespiere
Reply to  Tom J. Wellbrock
4 Jahre zuvor

Wellbrock

Christian Lindner hätte gern 3 Prozent.

Sachverstand ???????

niki
niki
Reply to  Tom J. Wellbrock
4 Jahre zuvor

Erst wollte ich schreiben: Doch Sachverstand… Aber selbst verschimmeltes Brot oder irgendeine andere Sache wie bspw. 30 Meter Feldweg haben davon m.E. mehr Ahnung als Lindner…

Robbespiere
Robbespiere
Reply to  Tom J. Wellbrock
4 Jahre zuvor

Wellbrock

Macht nix, die Zwei können eh nicht miteinander. 🙂

Sukram71
Sukram71
4 Jahre zuvor

Es gibt in der Nato keine Zwei-Prozent-Verpflichtung. Es gibt in der Nato aber eben auch keine Verpflichtung zum gegenseitigen militärischen Beistand.

Insofern wird aus einer Zielvorgabe zur Orientierung möglichst 2% des BIP für Verteidigung auszugeben, eben leider (!) sehr wohl eine Quasi-Verpflichtung, wenn die alles dominierende Militärmacht des Bündnisses dies so auslegt und ansonsten den militärischen Schutz in Frage stellt.

Deshalb ist es nicht verkehrt, wenn Medien von einer „Zwei-Prozent-Verpflichtung“ schreiben. Zumal in den Medien genauso steht, dass das ziemlich vage und unverbindlich formuliert ist.
Blos hilft das ja alles nichts, wenn in der Praxis euer Wunsch-Präsident Donald Trump ohne die 2% die Nato infrage stellt und mit Sanktionen droht.

In einer Welt, in der nur das Recht des Stärkeren zählt, werden aus Absichtserklärungen eben schnell Verpflichtungen, wenn der Stärkere das so auslegt und so haben will.

Und auch ansonsten ist in einem militärischen Bündnis, das ja generell nur aus Absichtserklärungen besteht, ne Verpflichtung und ne Zielvorgabe/Richtwert/Orientierungsgröße praktisch das gleiche. Beides ist nicht vor Gericht einklagbar, weshalb die Unterscheidung unsinnig ist.

Halbwegs vernünftige Leute würden natürlich einsehen, dass 2% nicht 2% sind, sondern auch die Größe einer Volkswirtschaft, die militärische Leistungsfähigkeit, die Verfügbarkeit für die Nato und die Berechnungsmethode der Verteidigungskosten berücksichtigt werden sollten. In Frankreich gehört zB auch die Feuerwehr zum Militär.

Aber wir haben eben unser „stabiles Genie“ im weißen Haus sitzen, das unbedingt zB F-35 nach Deutschland verkaufen will. 😉

Dabei halten streng genommen noch nicht mal die USA selber das Zwei-Prozent-Ziel ein, wenn man deren 3,2% in Pazifikraum und Atlantik (Nato) aufteilt. Daran alleine kann man schon erkennen, wie auslegbar und relativ das alles ist…