Abgewichste Typen
Abstand halten, sich nicht treffen, sich vermummen. Es ist eine Zeit herangebrochen, in der er sich, qua seines Selbstbezuges geradezu wohlfühlen muss: Der Wichser.
Seitdem ich denken und fluchen kann, habe ich dieses Wort benutzt. Das W-Wort, wie man das jetzt ganz zeitgemäß auszudrücken gelernt hat. Neulich hat im Fernsehgarten eine Frau gesagt, dass sie eine Behinderung habe. Die Moderatorin ist sofort eingeschritten: Das B-Wort hätte nicht gesagt werden sollen, befand sie. Wir haben es weit gebracht beim Ausblenden von Fakten. Ich sage das W-Wort hingegen weiterhin häufig. Laut und deutlich und durchaus auch vor anderen. Seit vielen Jahren bereits. Schon in der frühen Hauptschule habe ich es gesagt. Wobei mir da sicher noch nicht ganz klar war, was das eigentlich ist, so ein Wichser.
Aber ich schimpfte natürlich vor mich hin, nannte den einen Wichser, das einen Wichser. Klang ja auch cool und alle sagten es. Auch die unter uns, die schon aufgeklärter waren als ich – oder die jedenfalls so taten. Später schimpfte ich weiter so. Was ein Wichser tat, war mir zu dem Zeitpunkt natürlich klar. Wer ohne Selbstbefleckung ist, werfe den ersten Stein. Keiner? Kein Stein? Natürlich nicht, wer wirft, der lügt ganz sicher – und der macht sich lächerlich. Aber warum man ausgerechnet Wichser sagt, wo man im Spanischen den Hurensohn oder im Englischen eher den Mutterbumser bemühen würde, war mir zunächst auch nicht sonderlich klar.
Einer, der den armseligen Akt der Triebbefriedigung verrichtet
Im Laufe der Jahre verstand ich dann, weshalb jemand, dem man den Akt der Selbstbefriedigung unterstellt, als Beleidigung fungieren soll: Der Onanist ist ja so gesehen ein armer Tropf. Er legt Hand an sich, weil es sonst niemand tut. Zur Erleichterung seiner Triebes ist niemand anderes da. Nur die fünf Finger einer seiner Hände. Sie erfüllen, was in seiner Phantasie, was in einer besseren und sexuell gerechteren Welt, ein Sexualpartner für ihn täte. Man suggeriert nun, dass jemand mit Partner ein besonders beliebter oder gar geliebter Mensch sein müsse, während der Wichser wichst, weil ihn keiner mag.
Ich gebe es offen zu: Mir gefällt die Interpretation dieser Beleidigung. Sie ist viel tiefgründiger als das Arschloch. Mir hat sich nie so recht entschlossen, warum die Öffnung am Enddarm als Beleidigung verwendet wird. Man könnte genauso Achselhöhle sagen. Denn schön ist diese Körperstelle am Ansatz der oberen Extremitäten ja auch nicht, sie riecht auch meist nicht gut. Aber niemand sagt »Du blöde Achselhöhle, bleib weg von mir!«, jedenfalls niemand, der nicht ausgelacht werden will, wenn er gerade ziemlich sauer ist.
Der Wichser ist hingegen eindeutiger. Er sagt etwas über die Stellung desjenigen, den man damit belegt, gegenüber seinen Mitmenschen aus. Er ist ein Einsamer, ein Eigenbrötler, der das bisschen an menschlicher Wärme, das ein Menschenleben zuweilen braucht, mit dem Surrogat seiner Fingerfertigkeiten ersetzt. Im Kern hat sich da sicherlich auch die christliche Abneigung gegen Selbstbefriedigung erhalten. Jemanden als Wichser zu titulieren, da schwingt auch mit: Dich mag keiner. Nur du magst dich. Kein Wunder, dass du bist wie du bist, wenn man immer so auf sich alleine gestellt ist. Zugegeben: Man wirft dem Wichser vor, dass er ein deprimierender Zeitgenosse ist. Das ist nicht nett. Nicht jeder, der darauf zurückgreift, ist ja ein Ungeliebter, manche werden geliebt und tun es trotzdem. Der Wichser dient als Sinnbild.
Ob das immer alles präsent ist, wenn man das einem Wichser so sagt, weiß ich natürlich nicht. Wahrscheinlich nicht. Man einigt sich im Laufe der Zeit auf Worte für Dinge – und eben auch auf Worte, die allgemein als Beleidigungen aufgefasst werden sollten. Ob man sich da Gedanken macht? Müsste man denn beleidigt sein, wenn man jemanden Pfeife nennt? Was ist denn schlimm an einer Pfeife? Man ärgert sich trotzdem darüber, weil man weiß, dass es despektierlich gemeint ist, ohne den Sinn zu hinterfragen. Aber so ein Wichser, wenn man es bildlich nimmt: Da erwischt man einen Menschen in einem armseligen Akt der Triebbefriedigung. Da sieht jeder von uns doof und entrückt aus und möchte nach Möglichkeit für sich bleiben.
Zwischenmenschlichkeit aus einer Hand
Warum ich ausgerechnet heute Beleidigungen analysiere? Weil ich den Eindruck habe, dass wir in einer Zeit angelangt sind, in der der Wichser mehr denn je vor sich hinwichst. Jedenfalls geht es mir so, dass ich täglich fünf- bis achtmal vor mich hinmurmele, die oder der sei einer. Irgendwer in meinem Alltag – oder diverse Visagen, die in Talkshows herumhocken, via Zeitung Angstmache verbreiten oder sich als Journalisten ausgeben, dann aber flugs zu Aktivisten mutieren und ihr Berufsethos aufkündigen. Wichser, alles Wichser! Da lass ich mich nicht davon abbringen.
Nie zuvor war der, der so auf sich alleine gestellt ist, so eine bedeutsame Figur des Alltages. Ein solcher Eigenbrötler muss ja zwangsläufig zu einem Exekutor von Corona-Maßnahmen werden, die jeder menschlichen Wirklichkeit spotten und die sich den sozialen Charakter unserer Spezies einfach mal als lässliche Eigenschaften wegdenken.
Wenn ich heute so oft Wichser sehe, dann hat das damit zu tun, dass hier Regeln exekutiert werden, die eines darlegen: Besorgt es euch selbst. Keine Mitmenschen. Bleibt alleine. Bleibt daheim. Ladet niemanden ein. Bleibt auf euch selbst gestellt. Das sind Wichser-Parolen, die nur von Leuten mit dem nötigen Eifer und Rigorisität verfochten werden können, die eben genau das sind: Wichser. Leute also, die sich ihr bisschen Zwischenmenschlichkeit aus der Hand schütteln. Und die meinen, das müssten nun alle so handhaben. Ihre Selbstverliebtheit nehmen sie zum Maßstab, um daran die Gesellschaft zugrundegehen zu lassen.
Ich gebe zu, dass ich den Wichser nie gendere, obwohl ich durchaus auch Frauen in dieser Rolle sehe. Im Deutschen wichsen Frauen eher nicht, obwohl man das trotzdem so sagen könnte, denn wichsen meint ja ursprünglich mal polieren. Und das kommt der Sache schon nahe. Aber Wichserin zu sagen, finde ich dennoch albern. Dabei ist das eine Ära der Wichserinnen und Wichser, wie man sie sich vorher nicht hat ausdenken können. Ein regelrechtes Wichserozän. Letztlich eine Phase der auf sich selbst Reduzierten, der Self-Made-Gestalten, denen irgendwie aus dem Sinn geraten ist, dass Mensch zu sein vor allem bedeutet, sich an anderen Menschen zu reiben. Diese abgewichsten Typen ersinnen sinnlose Maßnahmen und üben sich im Alltag in unangemessene Bevormundungen. Vereinsamte Seelen, die ihren Knacks in Zeiten der Krise an uns austherapieren wollen und die sich für ihre Solidarität feiern lassen.
Guude, Roberto!
Ich muss grad an eine Situation aus meinem Berufsleben denken…als Busfahrerin hat man ja täglich mit unterschiedlichen Exemplaren der Gattung “ Wichser“ zu tun..
Also, ein Autofahrer überholt mit mehr als 50 km/h innerorts meinen Bus um dann voll abzubremsen, weil die Ampel ja rot zeigte. Durch meine stärkere Bremsung bekamen das auch die Fahrgäste mit. Der Hit war aber das Kennzeichen : WI-XR … !!
Mein lauter Kommentar “ Der hat wenigstens seinen Namen auf dem Nummernschild!“ brachte dann den ganzen Bus zum lachen!
…dann war da noch ne lustige Situation:
Ich fahre bei nem älteren Kollegen mit zu meiner Einsatzstelle. Eine sehr grün-alternativ- aussehende Radfahrerin fährt dem Bus wagemutig vor den Bug und mein Kollege erdreistete sich zu hupen. Es war Sommer, das Fahrerfenster offen und so bekamen wir ausser dem Mittelfinger auch den Spruch zu hören:“ Ihr Busfahrer seid alle Wichser!!“
Mein Kollege blieb ganz cool und rief lächelnd aus dem Fenster: “ Junge Dame, wer das einmal probiert hat, weiss was für ein schwacher Ersatz eine Frau ist !“
Ich konnte den Rest der Fahrt vor Lachen kaum noch Luft bekpmmen
.die Radlerin fuhr dann mit knallroter Birne weiter…
Im sexuellen Sinne habe ich gelernt, dass so manches mal die eigene Hand besser ist als so manche Frau! Nein, nicht alle Frauen, aber doch ein nicht unerheblicher Teil… Durch diese Einstellung hat es mir auch meine Partnerinnensuche vereinfacht und nun bin ich bereits über 10 Jahre mit meiner Lebensgefährtin zusammen!
Aber nur so viel als Anekdote…
Das Schimpfwort Wixxer habe ich nie verwandt! Wahrscheinlich weil es hier in der Gegend eher unüblich ist.
@niki
Wie wahr.
Ohne Begeisterung für lustvolle Horizontal-Belegung endet so eine Beziehung generell in Frust……für den Mann. 😉
endlich mal wieder was zum Lachen. Und das schon beim ersten Kaffee am späten Rentnermorgen. Danke dafür.
Ich „wichse“ übrigens nie. Ich „scheiße“ dafür um so öfter, obwohl das dann eher auf Situationen bezogen ist, als auf Menschen. Für Menschen hab ich eher den Vollpfosten oder den Knallarsch, wenns ganz schlimm ist auch die Achselhö… äääh … das Arschloch.
Das der gemeine Teutsche sich wohl auch gerne und ausgiebig ausscheißt, beweist die damalige Knappheit an Klopapier am Anfang der Krise. Bei Wichstüchern bestand der Mangel eigentlich nicht.
Laßt uns das W-Wort laut und deutlich sagen, jetzt wo man weiß, wofür es steht, für narzistisch- sadistische gefühllose Psychopathen, als da sind: Merkel, Lauterbach, Spahn und der ganze Rest. Sie alle sind Wixxer (engl. wanker).
Oder eben vereinsamte Seelen. Danke, Roberto.
Die könnten aber nur das machen, was sie gerade machen, weil die Mehrheit sie lässt, oder gar noch gut findet was sie machen. Jeder schaue sich doch mal an, wer sich vor den Impfzentren oder Hausarzt drängelt. Und die schlimmsten Wichser gehen gerade her und bringen ihre Kinder ab 12 Jahren zum Kinderarzt die mit dem Impfen z.Z. gar nicht mehr nachkommen, falls das stimmt was hier im Völkischen Beobachter steht. LG
Völkischer Beobachter?
Nennt sich hier „Volkszeitung“. Aber es ist halt leider auch nur ein Organ der Propaganda, m.E.
Ja, die Mehrheit. Gestern im Postamt war ich ohne Maske, hatte aber Mund und Nase mit einem Tuch bedeckt, das ab u zu runterrutschte. Es gab einen Aufstand, als ich trotzdem mein Päckchen abgab und auch noch sagte, Corona sei doch vorbei… Die Dame hinter der Plexiglasscheibe hatte einfach Angst. Die Medien haben einen guten Job gemacht.
Danach war ich so durcheinander, das ich draußen ein Stück mit Maske ging.
🙂
„Der Corona Wichser“, ein schöner emotionaler Beitrag von Roberto abseits von Appellen an die Vernunft und die Menschlichkeit. Das gefällt mir!
Die Frage ist nur in wie weit das zutrifft, und wenn es zutrifft in wie weit man selber dieser Gruppe zugeordnet werden kann?
Die meisten Kritiker, da schließe ich mich gar nicht aus, haben sich doch aus Bequemlichkeit, Konditionierung und Angst den m.E. zu einem nicht unbeachtlichen Teil unsinnigen Maßnahmen angepasst. Wir lehnen uns doch gar nicht richtig auf gegen das unsinnige Grüßen des Gesslerhuts, trotz der verheerenden Schäden die mit dem Gewichse angerichtet werden. Ist so wie damals zwischen 1933 und 39, wo sich die meisten irgendwie „eingewichst“ haben.
Ergo: Wer im Schlachthaus sitzt sollte nicht mit Schweinen werfen, oder so ähnlich.
Onanie ist Liebe an und für sich!
Das ist Tony Roman, der sein Restaurant in Kalifornien nicht einen Tag geschlossenh hat. Masken sind dort nicht erlaubt, nicht einmal unterm Kinn.
Er sagt, wenn wir uns von Anfang geweigert hätten, Masken zu tragen, hätten die Tyrannen es nie gewagt, uns und unsere Kinder zu impfen.
https://m.youtube.com/watch?v=q3av-w65axw
VIA Corona Untersuchungsausschuß
@Roberto J. De Lapuente
Einfach köstlich!
Nichts ist so kraftvoll wie die gemeine, schnörkellose Sprache, am Besten noch im Dialekt.
Da läuft die Zunge rund wie ein Wankelmotor. 😀
Mei Redde, Robespierre!
Dodefer hots sogar de “ Meenzer Schennkalender“ gebbe, mit lauder scheene Aausdrick vun “ AB- Mick“ ibber“ doll Dunsel, Dollbohrer,Dreggsagg, Hutsimbel …“
Isch saach als: “ Es gibt Pulverlöscher, Schaumlöscher un Arschlöcher…“
@ChrissieR
alles verstanne, es iss jalt sprocchlisch bloß ään Katzeschprung vunn der Kurpalz nach Määnz. 🙂
Koo von eich koana richtig Deitsch, Zefix?
@Roberto J. De Lapuente
Jo mei…do legsd di nieder…wie war der italienische Spruch auf dem Oktoberfest:“ Difigiano!“…😅
öwerfränggsch —- gie ha u zza —– …. wer das übersetzen kann und die bedeutung bekommt nen 20er *sfg
Gut, aber ich habe meinen Text jetzt nicht auf Boarisch geschrieben, oder doch?
@Roberto J. De Lapuente
Nein, und auch nicht in Fach-Chinesisch, dafür aber in einer kraftvollen, einfachen Sprache, wie sie nur noch in der Mundart zu steigern wäre, allerdings nur empfangbar für einen sehr begrenzten Teil des Kommentariats. 🙂
Nach dieser Definition bin ich dann der Oberwichser. Proscht ihr Sägge und Sägginne!
Wieso?
Das ist jetzt vielleicht eine Idee von dir für den Text, ich habe sowas schon wirklich hören müssen.
Das sagt ja mehr über den Menschen aus, der diesen Schwachsinn von sich gibt.
Natürlich tut es das. Das scheint aber tatsächlich Platzhirsch-Denken zu sein, also keine Ausnahme.
Warum kommt mir jetzt gerade Suck Ram in den Sinn ? Oder unser Spahnferkel ? Oder
Dr. Vollpfosten ? Oder…
@Roberto J. De Lapuente
Das Bild und die Überschrift hat schon gereicht…und ich musste ziemlich grinsen 😊
Ich liebe und benutze dieses Wort auch regelmäßig. Gerne mit einem Flach- davor.
Aber bitte nichts gegen das Wichsen. Das ist eine sehr ehrbare Tätigkeit ! 😄
Und was kommt als nächstes ? Eine Abhandlung über die Morgen-Latte (macchiato) ?
@Brian:
You made my day!!!😅😅😅
😊
Und ich danke dir für das Aufpolieren (!) meiner Italienisch-Kenntnisse. Difigiano…den kannte ich noch nicht…jaja, ich weiß, der ist wahrscheinlich uralt…
Wertvoll auch für die, die sich auf Corona einen runter holen wollen. Für die anderen sowieso!
Vergleich der BRD mit dem dritten Reich nicht zulässig? | #104 Moment Mal! (MMM)
Hat weniger mit dem Fluchen zu tun, aber entfernt auch mit Zwischenmenschlichkeit:
https://polemica-blog.jimdofree.com/2021/06/06/bildschirmsklaven/
Wie recht Du hast…
Wenn ich daran zurückdenke, daß wir in unserer Jugend (in den 80ern) grundsätzlich
auf gut Glück bei Kumpels vorbeigewandert (oder -gefahren) sind und gemeinsam etwas unternommen haben…lang, lang ist’s her…
Was die „neckischen Schubser“ betrifft : an denen habe ich besonderen Spaß 😎.
Einmal ist dabei ein Handy in hohem Bogen fliegen gegangen (und ich habe noch nicht
mal etwas getan). Da musste ich im Nachhinein doch sehr grinsen…
Und was die grauen Haare betrifft : die habe ich nur am Sack, meine Platte ist schön poliert 😊
Ach, da schlummern die grauen Gesellen unter der Platte, egal wie du die absäbelst 😉 Ich vermisse die Zeit wirklich sehr, und … naja… hier ist es auch ganz dufte, aber eben nicht gleich.