Ziemlicher Aufholbedarf

Freudentaumel bei den Sozis: Wegen des schlechtesten Ergebnisses bei einer brandenburgischen Landtagswahl. Warum? Wegen der Aufholjagd? Welche Aufholjagd? Wurden die Genossen verfolgt oder mussten sie hinterherlaufen? Und was genau holten sie auf? Wenn Demoskopie zur Wahrnehmung wird.

Aufholjagd. Das Wort vernahm man oft diese Woche. Dietmar Woidke und seine Brandenburg-SPD hätten ganz schön was aufgeholt. Aufholjagd: Das ist das sozialdemokratische Wort der Woche. Katarina Barley – viele können sich vielleicht noch an sie erinnern, sie hatte ihre fifteen minutes of shame gegen eine anonymere Europakarriere ausgewechselt – erinnerte via Twitter ausdrücklich nochmals daran, woher die Sozis den Grund der Freude rekrutierten: Weil Genosse Woidke aufgeholt hat. Von 17 auf 26 Prozent. Gemeint hat sie 17 Prozent in den Prognosen. Besser gesagt, in einer einzigen Prognose von Forsa. Satte neun Prozent habe er demnach also aufgeholt.

Von was reden diese Leute eigentlich? Wahltag war am Sonntag. Um 18 Uhr hatte man eine Prognose, kurze Minuten später eine erste Hochrechnung. Spätabends existierte dann ein vorläufig amtliches Endergebnis. Die 17 Prozent, die Forsa da ausbaldowert hat: Wen bitte jucken die? Sie haben nie existiert, sind ein rein virtueller Wert. Vom Aufholen kann also keine Rede sein. Wohl aber vom Zurückfallen. Denn als letztmals ein vorläufiges amtliches Endergebnis in Brandenburg feststand, am 14. September 2014 nämlich, hatten die Sozialdemokraten noch satte fünf Prozent mehr. Was seinerzeit aber noch weniger war als noch 2009.

Wir haben es hier mit dem Second Life der politischen Kaste zu tun, mit einer Simulation von Realität. Gespielt wird die mit fiktiven Werten und virtuellen Imagepunkten. Das omnipräsente Ranking hat eine neue Wahrnehmung entstehen lassen. Ein bisschen so wie bei Pokemón-Go-Buddies, die zuweilen recht ferngesteuert parallel zur Wirklichkeit durch die Lande wackeln. Sie sind dermaßen dem Virtuellen verhaftet, dass sie am Ende wirklich glauben, eine Aufholjagd veranstaltet zu haben.

Dabei dauert ein Spiel 90 Minuten. Oder anders gesagt: Wahlabend ist am Wahlabend. Nur da zählt es. Was vorher war, ist völlig belanglos. Denn es hat nie stattgefunden. Nur in den Köpfen und Rechnern der Demoskopen. Hochgerechnet, prognostiziert und geschätzt. Das ist, wie wenn sich der Vorstand des FC Bayern München nach dem Gewinn einer abermaligen Meisterschaft hinstellt und von einer Aufholjagd spricht, weil vor der Saison irgendein Stammtisch aus Holzwickede darauf angestoßen hat, dass die Lederhosen diesmal nicht den Titel holen werden.

Die Demoskopie hat selten gehalten, was sie zu versprechen vorgibt. In ihr voll und ganz aufzugehen, kann ziemlich wirklichkeitsvergessen enden. Man taucht nämlich ab in eine metrische Welt, die so tut, als könne sie die Gefühle, Dynamiken und Antriebe des Wahltages erahnen. Zuweilen ist jedoch der Kaffeesatz genauer. Was genau kümmert es denn, was im März voraussichtlich, vielleicht und unter Umständen passieren könnte, wenn erst im September die Wahl ansteht?

Die Aufholjagd, die zu Anfang dieser Woche das Thema bei den Sozis war, ist ein Hirngespinst. Eines von Leuten, die sich nur noch an fiktiven Werten orientieren und nicht an der realen Welt. Die die Zufriedenheit der Bürgerinnen und Bürger mittels Zahlenreihen dokumentieren. Nicht aber im direkten Gespräch recherchieren. Es gibt einen ziemlichen Aufholbedarf bei dieser Art von Wahrnehmung. Sie weist nämlich in die Isolation und entfernt die Politik von der Wählerschaft. Denn letztere existiert ja in diesem Fall nur noch als jederzeit abrufbarer demoskopischer Zahlenwert.

Natürlich ist die Aufholjagd recht bequem als Stilmittel des Imagings. Denn sie kreiert einen Mythos. Und das nicht aus den Zutaten wirklicher Umstände, sondern aus der Fiktion irgendwie erhobenen Zahlenmaterials. Der Stoff aus dem die Träume sind: Bei den Sozis sind es mehr und mehr nur Schäume. Es ist die Aufholjagd des Niedergangs, der an ihnen zerrt. Aber nicht nur an ihnen. Die Volksparteien ziehen sich mehr und mehr in eine Virtualität zurück, die noch Stoff für Aufholjagden und Mythen garantiert.

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Roberto J. De Lapuente

Roberto J. De Lapuente ist irgendwo Arbeitnehmer und zudem freier Publizist. Er betrieb von 2008 bis 2016 den Blog ad sinistram. Seinen ND-Blog Der Heppenheimer Hiob gab es von Mitte 2013 bis Ende 2020. Sein Buch »Rechts gewinnt, weil links versagt« erschien im Februar 2017 im Westend Verlag. In den Jahren zuvor verwirklichte er zwei kleinere Buchprojekte (»Unzugehörig« und »Auf die faule Haut«) beim Renneritz Verlag.

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niki
niki
4 Jahre zuvor

So richtig ist die Feststellung dass die SPD rein gar nichts aufgeholt hatte, sondern lediglich durchs strategisches Wählen gegen die AfD nicht ganz so weit abgestürzt ist… Das die Mainstreammedien daraus eine erfolgreiche Aufholjagd (Horse-Race-Berichterstattung) machen, war mir von vornherein klar…

Interessant ist für mich das Foto als Aufhänger für den Artikel. Irgendwie kann ich aber keine Verbindung zum Radsport feststellen, da im Artikel nur Analogien zum Fußball verwendet wurden… Aber wenigstens kein Dopingthema. Wobei in der Politik bräuchten die sicherlich mal ’ne ordentliche Portion davon!

Roberto De Lapuente
Roberto De Lapuente
Reply to  niki
4 Jahre zuvor

Radsport: Der Klassiker des Aufholsports. So war das gemeint. Wobei ich zugebe, in den Anfangsjahren des Radsports war da mehr Aufholerei.

Heldentasse
Reply to  niki
4 Jahre zuvor

Irgendwie kann ich aber keine Verbindung zum Radsport feststellen,

Für mich ganz klar, wenn man in einer politischen Partei was werden will, sollte man schon Radfahrer sein. Nach unten treten und nach oben buckeln halt.

Beste Grüße

niki
niki
Reply to  Heldentasse
4 Jahre zuvor

:
Aufgeholt hat die SPD ja gerade nicht.
:
Ich kenne den Spruch… Da ich ein passionierter Hobbyradsportler bin, finde ich den Vergleich immer sehr schade…

niki
niki
Reply to  Roberto J. De Lapuente
4 Jahre zuvor

Dann könntest du ein Foto von einem Massensturz nehmen, wo das ganze Fahrerfeld danieder liegt… Nicht?

Anton
Anton
Reply to  Heldentasse
4 Jahre zuvor

Natürlich ist dies bei Euren geliebten Staatsbediensteten nicht so !!

Anton
Anton
Reply to  Roberto J. De Lapuente
4 Jahre zuvor

Ich beziehe mich auf die Angriffe des Helden auf die Politiker
Ja zu Berufspolitiker

Rudi
Rudi
4 Jahre zuvor

Die Aufholjagd als Argument ist mir auch aufgefallen. Als Ausgangspunkt greift man sich irgendeine Zahl, die im virtuellen Raum unterwegs ist. Ich denke nicht, dass diejenigen, die dieses in die Debatte einführten, leicht erblindet sind. Sie haben es strategisch benutzt, um die Wählerinnen und Wähler mal wieder hinters Licht zu führen. Noch das schlechteste Ergebnis soll in Rosa erstrahlen. Bedauerlich ist, dass am Wahlabend die interviewenden Journalisten auf dieses Scheinargument nicht eingegangen sind. Somit trugen sie zur Verdunkelung bei.

Roberto De Lapuente
Roberto De Lapuente
Reply to  Rudi
4 Jahre zuvor

Du hast recht. Mehr noch als die Bubble der Parteien sollte man die Blubberblasen in den Köpfen der Journalisten kritisieren.

Rudi
Rudi
Reply to  Roberto De Lapuente
4 Jahre zuvor

Man könnte noch einiges an der immer wieder präsentierten Wahlstatistik in Frage stellen. Weshalb werden die NichtwählerInnen stets draußen vorgelassen und erscheinen nicht in den Balkenbildern. Eine der wenigen Ausnahmen ist ‚Die Welt‚. Sie bezieht die NichtwählerInnen in ihre grafische Darstellung mit ein. Damit sinken die Stimmen der Parteien. Und der größte Balken bildet die NichtwählerInnen ab.

Eine der immer wiederkehrenden statistischen Lügen entsteht dann, wenn die Wahlbeteiligung gegenüber der vorangegangen Wahl sinkt, die eine oder andere Partei, obwohl sie weniger Stimmen erhalten hat, ihren Prozentanteil an den insgesamt abgegebenen Stimmen erhöhen konnte. Die vereinigten Presseorgane stellen diesen Vorgang als ein Plus dar, obwohl die reale Anzahl der Stimmen gesunken ist. Der unterschiedliche Grundwert der Dreisatzrechnung wird ignoriert.

Roberto De Lapuente
Roberto De Lapuente
4 Jahre zuvor

Zum Thema Parteienbubble passt heute auch, dass die „Tamponsteuer“ abgesetzt werden soll. Der Bundesrat berät. Wer will vorangehen? Thüringen. R2G also. Identitätsthema als Agenda. Darüber schrieb ich vor einigen Wochen hier:

https://www.neulandrebellen.de/2019/06/tampons-und-mehrwertsteuer-vom-tamponieren-der-sozialen-frage/

Das ist es, was linke Politik im Moment sehr unglaubwürdig erscheinen lässt.

Rudi
Rudi
Reply to  Roberto De Lapuente
4 Jahre zuvor

Ein weiteres Beispiel sind die Funklöcher für den Mobilfunkzugang. Ewige Zeiten wurden die ländlichen Regionen hängen gelassen. Auf einmal geht’s. 1.400 neue Masten sollen innerhalb zweier Jahre errichtet werden, um die Ländler nicht ganz in der Dunkelheit sitzen zu lassen. Da könnte man auf die Idee kommen, dass die Wahlerfolge der AfD und die Analysen der Politikwissenschaftler der Bundesregierung Feuer unter den Arsch gemacht haben und dann den Schluss ziehen: Ja wenn das so ist, dann rentiert es sich, die Alternative für Deutschland zu wählen. Hätten die Mehrheitsparteien der Mitte, Union und SPD, ihre Schwarze Null nicht dem Zerfall bzw. der unterlassenen Weiterentwicklung der Infrastruktur geopfert, bräuchten sie jetzt nicht diese Angst vor der Marginalisierung zu haben.

Heldentasse
4 Jahre zuvor

Man kann den Sozen nur viel Spaß und Erfolg wünschen, wenn die mit einem toten Pferd zur Aufholjagd erscheinen. 😛

Pen
Pen
Reply to  Heldentasse
4 Jahre zuvor

Unfaßlich, ist die Uneinsichtigkeit der SPD. Die Frage ist, haben sie ihren Kompaß verloren, oder navigierten sie schon immer in die neoliberale Richtung bzw. in die Richtung ihrer Koalitionspartner.

Nichts desto trotz werden eine Menge Schafe auf das verklemmte, falsche Lächeln des Olaf Scholz hereinfallen. Gerade genug, um der sPD eine weitere Periode in einer gaanz großen Koaltition zu ermöglichen.

rainer
rainer
4 Jahre zuvor

…das ist halt wie beim Wettrennen zwischen Nixon und Breschnew….Nixon wird Erster, Breschnew wird Zweiter….die Prawda schreibt: …unser Präsident wurde Zweiter….der amerikamische Präsident wurde Vorletzter….