Ganz wichtig: Nur das Wichtige ist wichtig!

Lieber Leser, liebe Leserin, es gibt Wichtigeres als diesen Text. Falls Sie nur für Wichtiges zu haben sind, klicken Sie gleich weiter, denn hier wird Ihnen nicht geholfen.

Letzte Woche kümmerte ich mich textlich um Falschparker und darum, wie die Sparpolitik den öffentlichen Raum, hier speziell die Ordnungsämter, lahmlegt und austrocknet. Das zeige letztlich nur, dass wir hier bei den neulandrebellen ins Sommerloch trudelten, las man mehrfach als Reaktion darauf. Es gäbe ja nun wohl echt Wichtigeres. Mein Kollege Tom, der mit der tollen Stimme, der schoss ein kurzes Statement zur Organspende quer – Antwort: Gibt es denn nichts Wichtigeres? Wie uns geht es wahrscheinlich allen Bloggern und Journalisten. So erging es ihnen wahrscheinlich sogar zu jeder Zeit. Wenn sie sich mal mit einem Sujet auseinandersetzen, das nicht mindestens auf die Metafrage schlechthin abzielt, auf den Weltuntergang, macht man ihnen Vorwürfe, sich mit zu unwichtigem Stoff zu befassen. Man nimmt das dann allgemein als einen Beleg dafür hin, dass die schreibende Zunft wohl immer noch zu viele Zeitreserven erübrigen darf, wenn sie es so mit dem Unwichtigen halten kann.

Die Wichtigtuer, also die, die das Wichtige für so wichtig erachten, dass Unwichtiges gewissermaßen keine Existenzberechtigung mehr haben dürfe, pflegen einen relativ elitären Stil. Denn sie entscheiden, was wichtig ist und was nicht. Als Gradmesser dient ihnen ihre eigene Wahrnehmung. Wenn sie etwas für gefühlt nicht wichtig genug erachten, juckt es sie derart in den Fingern, dass sie die Welt daran teilhaben lassen wollen. Das ist in Zeiten digitaler Omnipräsenz zunächst mal zu einem guten Recht geworden – das Problem ist jetzt halt nur, dass die eigene Wichtigkeitsgewichtung nur eine persönliche Note ist. Nicht jeder muss es so sehen. Für manche ist das unwichtige Thema des einen durchaus ein wichtiger Einwurf.

Andererseits muss man aber auch festhalten: Es gibt Relevanzen. Manches hat gewiss höhere Priorität. Anderes ist eher Randnische und Marginalie. Oder nur eine Fußnote in einer größeren Erzählung. Aber darf man sie deshalb nicht aufgreifen? Muss man Geschichten bis zum bitteren Ende aufrollen, das heißt, soll man nur noch dann etwas schriftlich niederlegen, wenn es dem ganz großen Anspruch genügt? Falls ja, dann gute Nacht und viel Glück – wie langweilig droht das denn zu werden! Dieser Wichtigkeitsnobismus ist in meinen Augen wortwörtlich unmenschlich. Menschen sind nun mal auch für eher nicht so wichtige Meldungen zu haben. Sie mögen Geschichten und Erzählungen – mochten sie immer. Ich meine, wir schreiben hier ja nicht über die Extensions irgendeines blonden Testimonials. Wir bleiben hier bei den neulandrebellen ja noch immer im ziemlich politischen Fahrwasser. Bloß, dass wir nicht bei jedem Thema alles auf drohenden Krieg oder Zusammenbruch der Weltordnung hochrechnen.

Ich meine, wo enden denn bitte diese Wichtigkeitseinwürfe des Publikums? Wenn jemand von der generellen Eintragung jedes Bürgers als Organspender schreibt, darüber, dass Organspende vorgesehen ist, bis der potenzielle Spender doch sagt, er möchte das lieber nicht, dann unken schon die ersten: Unwichtig, das sei nicht mehr als tumbe Ablenkung von wirklich wichtigen Themen, wir stehen nämlich kurz davor, dass die NATO Russland überfällt. Schreibt doch dazu was! Die Ordnungsämter haben zu wenig Personal, die Polizei auch – und wenn man sich damit befasst, erntet man Zwischenrufe: Man könne die unwichtigen kleinen Wasserstandsmeldungen doch mal bitte zusammenfassen, indem man sie auf den richtigen, weil wichtigen Nenner bringt – nämlich dem, dass der Kapitalismus das alles verbockt habe. Wollen wir mit diesem Nihilismus immer so weitermachen? Na, dann sorgt euch nicht um den Krieg, liebe Wichtigkeitsjünger, denn das ist nur irdisches Geplänkel, sterben müssen wir eh alle und nach diesem Leben sind die Sorgen, die wir heute kennen, eh nicht mehr von Belang.

Das Leben ist doch viel facettenreicher, als die Wichtigtuer meinen. Man kann ja durchaus Sorgen um die Weltlage haben und dennoch andere Themen verfolgen. Die Reduktion auf das eine, das große, das vielleicht finale Ereignis: Das ist gelebte Eindimensionalität. Das hat was von jenen jungen Leuten, die in den Sechzigern und Siebzigern nach Vietnam linsten, die quasi nur dieses eine Thema kannten. Ulrike Meinhof, bevor sie aus den Fenster in die Illegalität sprang, hat dem damals jungen Autoren Bahman Nirumand mal die Leviten gelesen, weil der die Fenster seiner Wohnung strich. Wie könne er das nur in aller Seelenruhe tun? Gerade jetzt, wo der Imperialismus so um sich greife! Wo in Vietnam Menschen sterben! Und er kümmere sich um so unwichtige Tätigkeiten. Meinhof hat nicht begriffen, dass man zuweilen Unwichtiges im Wichtigen tut – oder weniger kategorisch, im Sinne von Einordnung, formuliert: Sie konnte sich offenbar schier nicht mehr ausmalen, dass der Mensch vielschichtiger ist und verschiedene Relevanzebenen gleichzeitig eingehen kann (und muss). Er kann streichen und sich sorgen, so wie mancher Blogger oder Journalist sich eben mit Kommunalem, aus seinem persönlichen Leben Gegriffenem befasst und synchron dazu sieht, dass natürlich etwas ins Rutschen gerät, was sein kleines Thema dann gleich mit unter sich begräbt.

Leute, die einem eintrichtern wollen, dass es immer noch Wichtigeres gibt, begeben sich in die Wichtigkeitsfalle. Ich halte diese Leute zum Beispiel für gar nicht so wichtig. Es hat sie freilich immer gegeben. Es sind in der Regel dieselben Leute, die an anderer Stelle gerne kundtun, sie hätten es schon immer gewusst, oder wahlweise auch, sie hätten es schon immer gesagt. Wie bereits angerissen, dieser Text ist an sich nicht sonderlich wichtig. Er befasst sich ganz im Gegenteil mit Unwichtigem. Nachher streiche ich noch Fenster. Und bei all dem vergesse ich trotzdem nie: Es könnte bald knallen und dann war die schöne neue Farbe ganz umsonst.

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Roberto J. De Lapuente

Roberto J. De Lapuente ist irgendwo Arbeitnehmer und zudem freier Publizist. Er betrieb von 2008 bis 2016 den Blog ad sinistram. Seinen ND-Blog Der Heppenheimer Hiob gab es von Mitte 2013 bis Ende 2020. Sein Buch »Rechts gewinnt, weil links versagt« erschien im Februar 2017 im Westend Verlag. In den Jahren zuvor verwirklichte er zwei kleinere Buchprojekte (»Unzugehörig« und »Auf die faule Haut«) beim Renneritz Verlag.

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Stefan
Stefan
5 Jahre zuvor

…. ja umsonst, das ist doch das was alle wollen ?

ChrissieR
ChrissieR
5 Jahre zuvor

Für mich ist jetzt erstmal ein Kaffee ? wichtig…
Moin, moin…

Heldentasse
Heldentasse
Reply to  ChrissieR
5 Jahre zuvor

Gute Idee mache ich jetzt auch mal!

ChrissieR
ChrissieR
5 Jahre zuvor

Apropos de: Fenster streichen…
Hat der Kollege Brahman Nirumand das etwa so gemacht, wie der Malerlehrling, der zum Meister sagt:“ So, die Fenster hab ich jetzt gestrichen, soll ich auch die Rahmen streichen?“
Insofern könnte Fenster streichen schon wichtig zum Ausblenden des draussen tobenden Wahnsinns sein…

Heldentasse
Heldentasse
Reply to  ChrissieR
5 Jahre zuvor

Mich dünkt, diese Frage hätte ja auch ein Zen- Schüler an seinen Meister stellen können. Und der Meister hätte dann womöglich geantwortet: Wer Fenster streichen will, muss diese im Herzen haben.

Beste Grüße

ChrissieR
ChrissieR
Reply to  Heldentasse
5 Jahre zuvor

…und Bill Gates hätte empfohlen, die neueste Windows Version zu installieren…

Heldentasse
Heldentasse
5 Jahre zuvor

Ganz klar ist es subjektiv wichtig auch mal über Belange zu reden die nicht mit „ich muss jetzt mal die Welt retten“ zu tun haben, alleine schon um von dem ganzen Mist der zur Zeit läuft mal etwas Abstand zu halten.

Aber wenn das vermeintlich unwichtige so dar gebracht wird, dass das wichtige verdreht und missverstanden wird, ist auch nicht richtig! Als Beispiel führe ich den Artikel aber die „Stadt- Guerilla“ an die falsch parkende Autos beschädigen. Soll das was diese dummen Hornochsen machen etwa eine Lösung eines dringenden Verkehrs oder viel mehr Lebensraum- Problem sein, oder doch mehr eine pseudo- Lösung die von wirklichen Lösungen ablenkt? Ich tendiere stark zum zweiten Ansatz.

Beste Grüße

ChrissieR
ChrissieR
Reply to  Heldentasse
5 Jahre zuvor

Es ist wie mit den Flüchtlingen..
Da wird lang über Zuwanderung debattiert anstatt das wirklich wichtige Thema der Schuld westlicher Politik an den Fluchtirsachen zu thematisieren…

niki
niki
Reply to  Heldentasse
5 Jahre zuvor

Die Kultur etwas gegen den wahnwitzigen Autokult zu tun, ist nahe Null…
Das von mir gewünschte Ergebnis bringt wohl nur eine richtig fiese Energiekrise, egal wodurch ausgelöst.
Alle anderen Aktionen in Deutschland sind Dank der Auto-Lobby zum Scheitern verurteilt. Auch radikale und illegale Aktionen werden nichts helfen. Egal wie man es dreht und wendet! Eher wird die Hölle gefrieren bevor der durchschnittliche Deutsche selbst sinnvolle Alternativen nicht als Ausgeburt der Jute-Veganer-Öko-Terroristen diskreditiert.

Pentimento
Pentimento
5 Jahre zuvor

Schönen Dank für einen guten Text über den Stellenwert des Unwichtigen, den ich gern gelesen habe. So wie die Bücher, die von so Unwichtigem erzählen, dass man nicht genau sagen kann, wovon sie eigentlich handeln, und die man trotzdem gerne immer wieder lesen mag.

Das Beispiel von Ulrike Meinhof und dem ertappten und gemassregelten Fensterstreicher zeigt sehr schön, wie Fanatismus den Blick verengen kann.

aquadraht
aquadraht
5 Jahre zuvor

Blogs sind natürlich unwichtig.

Noch weniger wichtig sind Kommentare in Blogs. Prost.

Linksman
Linksman
5 Jahre zuvor

Bumstechno-Filosof Scooter tät sagen:
It’s nice to be important.
But it’s more important to be nice.

😉