Sure, Mr. President, natürlich stimmen die Kriminalitätszahlen nicht!

Hat die Bundesregierung nun tatsächlich kein so großes Interesse daran, die Kriminalität im Lande zu erfassen, wie Donald Trump ihr unterstellt? Fast läge der US-Präsident mit seiner vorlauten Einschätzung richtig.

Mit der erfassten Kriminalität ist es in Deutschland so eine Sache: Man fälscht zwar nicht unbedingt die Zahlen, wie es Donald Trump neulich die Welt wissen ließ – aber in einigen Kriminalitätsbranchen hält man es dann auch nicht gerade so, dass es der Wahrheitsfindung dient. Man hält sich bedeckt oder unterlässt es, gewisse Vergehen durch Ermittlung in die Statistiken einzugliedern.

Nun sind freilich nicht jene Straftaten von dieser Praxis der Bundesregierung betroffen, die der Mann aus dem Oval Office meinte, als er seinen Verdacht zur Sprache brachte. Sie fälscht die Kriminalitätszahlen bei Wirtschaftsvergehen ja nicht. Sie passt Zahlenmaterial nicht einfach an oder schraubt sie nach unten. Nein, sie sorgt dafür, dass die Zahlen erst gar nicht so hoch ausfallen – mit Spareifer und für den Lobbyismus zugeschnittenen Gesetzen, feilt man so schon vorab an der Kriminalitätsstatistik.

Trotzdem meldete das Bundeskriminalamt (BKA) jüngst, dass die Wirtschaftskriminalität so hoch liege wie lange nicht mehr. 28 Prozent mehr Vergehen als im Vorjahr habe es erfasst. Mit 3,74 Milliarden Euro wurde der dadurch entstandene Schaden beziffert. Experten geben das als die Spitze eines Eisberges an. Von vielen Vorgehen, die bei genauer Betrachtung als ein wirtschaftskrimineller Akt eingestuft werden könnten, weiß man nämlich gar nichts. Es fehlt schlicht an Ermittlern und Fahndern.

Bei der Antikorruptionspolitik waren die letzten Bundesregierungen stets innovativ. Das hat Deutschland im Ranking von Transparency International (TI) über die Jahre einen relativ unverdächtigen Platz am Rande der besten Zehn eingehandelt – wenngleich die Tendenz fallend ist, wie TI erst in diesem Jahr darlegte.

Diese Position im sogenannten Korruptionswahrnehmungsindex sagt ja alles: Es geht halt darum, ob Korruption wahrgenommen wird. Im Zuge wirtschaftsliberaler Reformen vernebelte man den Blick, man legte den Rahmen für Austauschprogramme mit der Wirtschaft fest. Von Unternehmen beauftragte Anwälte, die im Gesetzgebungsverfahren mitmischen und ihre »Sachkenntnisse« einbringen, um für ihre eigentlichen Dienstherren möglichst vorteilhafte Resultate zu erwirken, sind in diesem Kontext keine billige Einflussnahme mehr: Hier hat man sich so eine Art Sozialpartnerschaft definiert. Griechische Fakelaki sind natürlich leichter wahrzunehmen für den TI-Index als solche legitimierten Vorgänge.

Von den Steuerfahndern, die insbesondere in Bayern und Hessen fehlen, weil man im Zuge der Sparwut Stellen strich, haben wir noch gar nicht gesprochen. Das kostet dem Land mehrere Millionen im Jahr. Und so geht es schon seit Jahren. Alleine Bayern, immerhin der Wirtschaftsprimus der Republik, dürften in den Jahren von Strauß bis Stoiber 523 Millionen Mark entgangen sein – das hat die dortige Steuergewerkschaft berechnet. Seither rügt der bayerische Rechnungshof, dass es im Freistaat die relativ geringste Zahl an Betriebsprüfern, Steuerfahndern und Umsatzsteuersonderprüfern gibt.

Was in Bayern recht drastisch beschrieben wird, gilt für den Rest der Bundesrepublik ähnlich. Steuerfahnder werden von der Politik behindert, Innenminister blocken Untersuchungen ab und Unternehmen werden aus der Verantwortung genommen. Wie die Bundesregierung mit dem Betrug bei Volkswagen umging, wie sie herunterspielte und Konsequenzen verschleppte: Wie anders als Beihilfe zur Wirtschafskriminalität soll man das nennen?

Eigentlich müsste man es ja als Chance begreifen, dass der vermeintlich mächtigste Mann der Welt mal über die Kriminalitätserfassungsmoral in unserem Lande spricht. Das ist doch ein gutes Stichwort: Denn ja, es stimmt, die Bundesregierung hält es nicht so genau mit der Wahrheit. Austerität ist die probate Masche, man spart sich überwachende Instanzen weg und legitimiert die Drehtür – und schon haben wir auf dem Papier das Deutschland, in dem wir alle gut und gerne leben.

Ohne Zynismus muss man aber wohl geknickt konstatieren, dass alle Welt von der Kriminalität in Deutschland spricht, selbst der Twitter-Präsident, damit aber nur die kriminellen Handlungen von Flüchtlingen und Ausländern gemeint sind. Die Schwerpunkte verschieben sich global, vom befremdlichen Überleben des Neoliberalismus (Colin Crouch) spricht keiner mehr – dieses System der organisierten Wirtschaftskriminalität profitiert stattdessen von dieser Stellvertreterdebatte. Daher ist es wichtiger denn je, die Stichworte aus Übersee aufzugreifen und richtig zu interpretieren.

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Roberto J. De Lapuente

Roberto J. De Lapuente ist irgendwo Arbeitnehmer und zudem freier Publizist. Er betrieb von 2008 bis 2016 den Blog ad sinistram. Seinen ND-Blog Der Heppenheimer Hiob gab es von Mitte 2013 bis Ende 2020. Sein Buch »Rechts gewinnt, weil links versagt« erschien im Februar 2017 im Westend Verlag. In den Jahren zuvor verwirklichte er zwei kleinere Buchprojekte (»Unzugehörig« und »Auf die faule Haut«) beim Renneritz Verlag.

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niki
niki
6 Jahre zuvor

Ziemlich simpel warum immer nur über Ausländerkriminalität geredet wird… Schließlich sind in deren Augen Migranten/Flüchtlinge alles Schmarotzer…
Die Wirtschaftskriminellen werden selbst bei Milliardenschäden in den Nachrichten oft als Trickser bezeichnet… Und dieses Wort ist nicht unbedingt negativ belegt.
Und Statistiken? Sollen wir immer noch über diese reden? Jeder biegt sich diese selbst zurecht. Gerade wenn es darum geht ein Bild zu vermitteln.

Schweigsam
Schweigsam
6 Jahre zuvor
Reply to  niki

Und Statistiken? Sollen wir immer noch über diese reden? Jeder biegt sich diese selbst zurecht. Gerade wenn es darum geht ein Bild zu vermitteln.

Dito!

Und dass sich mittlerweile jeder ungeniert selber seine Statisik macht ruht doch m.E. zum größten Teil daher, dass die jeweils „regierende Politik“ noch ungenierter und schon in den Bereich der Manipultion auf öffentliche Statistiken enormen Einfluss genommen hat (z.B. 2013 über den Armutsbericht von der FDP geschönt).
So dass selten noch einer Statistik z.B. bei den Bundesbürgern mehr geglaubt wird.

Rudi
Rudi
6 Jahre zuvor

Es gibt so viele harmlose „Steuersünder“, auch „Steuertrickser“ genannt, die irgendwie etwas übersehen haben: Boris Becker, Uli Hoeneß, Freddy Quinn oder Peter Graf gehören zur Prominentenspitze, die davon betroffen waren. Das ist bei der Komplexität des dt. Steuerrechts so verwerflich nicht, meinen viele. Schließlich werde die eigene Steuererklärung auch hin und wieder vereinfacht.

Der Wirtschaftsstandort D verlangt seinen Preis. Investoren müssen sicher sein, dass ihr Kapital vom Staat nicht zur sehr gefleddert wird. Schließlich steht Deutschland in Konkurrenz zu anderen Wirtschaftsstandorten, die ihrerseits dem Kapital Angebote unterbreiten. So musste die EU Irland zwingen, von Apple 13 Mrd. Euro an Steuergeldern abzukassieren. Trotz geringem Körperschaftssteuersatz von 12,5 Prozent hat man Apple ein Sonderangebot unterbreitet, um den Konzern auf die Insel zu locken. Im April dieses Jahres schrieb Spiegel-Online: „Irland sammelt rückwirkend Steuern von Apple ein und kommt damit einer EU-Entscheidung nach. Doch die Iren gehen weiter gegen das Urteil vor – das Geld landet vorläufig auf einem Treuhandkonto.“

Ja, inzwischen ist es so, dass Staaten die Steuergelder der Konzerne gar nicht wollen. Die der Lohnabhängigen schon, denn diese werden automatisch von den Produktionsmittelbesitzern abgezweigt und an den Fiskus überwiesen. Da bleibt für die kreative Steuergestaltung der Arbeitnehmer gar kein Raum. Ist das nicht ungerecht?

Drunter & Drüber
Drunter & Drüber
6 Jahre zuvor
Reply to  Rudi

Freddy Quinn?
Und ich dachte, der hieß Klaus Zumwinkel.

R_Winter
R_Winter
6 Jahre zuvor

Es war schon immer so:
„Trau keiner Statistik, wenn Du sie nicht selber gefälscht hast“.
– Bei den Arbeitssuchenden fehlt regelmäßig monatlich eine Mill. der Betroffenen.
– Bei der Reichtum-Armutsstatistik werden die wirklichen Superreichen nicht erfasst und die im Ausland schwarz „geparkten“ Gelder überhaupt nicht, da angeblich die Zahlen nicht „vorliegen“.

Warum sollte es bei der Kriminalstatistik anders sein?

Trump lügt per Twitter. Die Bundesregierung per Bundesamt für Statik und den neoliberalen Wirtschaft-Lobbyisten.

Jörg Hensel
6 Jahre zuvor

Gut erfasst und geschrieben; doch nicht nur die Steuerfahnder werden von der Politik behindert. Es betrifft auch andere Exekutivbereiche, wie den Arbeitnehmerschutz, der dem Neoliberalismus ein Dorn im Auge ist. Woher ich das wohl weiß ? Auch Transparency Deutschland ist der Bundesregierung hörig und vermeidet es, deutliche Worte zu finden. Warum wohl ? Letztendlich hängt alles an der Definition bzw. was Korruption genau ist. Legt man die Definition des BKA zu Grunde würden sich schlagartig andere Statistiken ergeben. Doch da wir in der BRDDR eine politisch abhängige Staatsanwaltschaft haben, die nur das verfolgt, was den korrupten Politikern genehm ist, wird sich auch hieran nichts ändern. Und die wenigen s.g. „Antikorruptionsbeauftragten“ sind zu allem Überfluss meist pensionierte Landesbedienstete und dem Politapparat stets zu Diensten. Zum Thema „unterlassene Überwachung“ durch die Exekutive hätte ich da etwas (Beispiel Lebensmittelüberwachung) … sapere aude.

Rudi
Rudi
6 Jahre zuvor

Tychi kennt man. Er steht politisch rechts. Die Zeit schätzt ihn und er sich selbst als liberal-konservativ ein. Er hat sich mit der Kriminalitätsstatistk beschäftigt und kommt zu dem Schluss, dass der Vergleich mit dem Vorjahr der Beschönigung diene. Man solle nicht blind der Regierung folgen: „Was in der Kriminalitätsstatistik 2017 als Vergleichszahl fehlt, ist der prozentuale Anteil der Nicht-Deutschen an der Gesamtbevölkerung. Diese Information wäre an erster Stelle geeignet, die Nicht-Deutsche Kriminalität ins Verhältnis zur Deutschen zu setzen.“ Dass er sich auf dieses Segment kapriziert, ist naheliegend. Schließlich meint er nachweisen zu können, dass die Kriminalität derer, die keinen deutschen Pass haben (13% der Bevölkerung), weitaus höher sei als die der Eingeborenen.

Hier kann man nachlesen, was in „Tychis Einblick“ dazu steht. So liest er bzw. die Redaktion seines Blogs aus der Statistik heraus: „Der Anteil Nicht-Deutscher bei Vergewaltigung und sexuelle Nötigung/Übergriffe, liegt bei 38 Prozent.“ Diese 13 Prozent seien für 37 Prozent aller Morde und für 38 Prozent der Gewaltkriminalität verantwortlich. Welche Schlüsse die Redaktion daraus zieht, geht aus dem Artikel nicht hervor.

Robbespiere
Robbespiere
6 Jahre zuvor
Reply to  Rudi

@Rudi

Wer Tichys neoliberales Geseiere aus dem Int. Frühschpeen kennt, kann sich seine Plattheiten ersparen. Der Vogel lebt in seiner Scheinwelt ohne Bezug zur Realität.

Linksman
Linksman
6 Jahre zuvor
Reply to  Rudi

Wenn Zementscheitel Tichy über Ausländer und Kriminalität römpömpelt, laufen die Lügendetektoren heiß.
Der schillernde Begriff „Ausländerkriminalität“ ist eine Art Wichsvorlage für solche Dumpfdeutsche.
Auch das BKA bezweifelt die Sinnhaftigkeit eines Vergleichs Deutsche-Nichtdeutsche.

Pentimento
Pentimento
6 Jahre zuvor
Reply to  Linksman

„Ausländerkriminalität“ ist nun mal ein wichtiges Thema für AfDCSU. Denen bleibt doch gar nichts anderes übrig, als Kriminalität und Flüchtlinge zum Thema zu machen. Mit welch anderer Begründung sollten die wohl einen nationalistischen Polizeistaat aufzubauen? Das Thema EU hat sich erlefigt. Die schafft sich selbst ab. Dank Schäuble-Merkels Austeritäts-Politik.

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