Lieber Tübinger, achten Sie besser auf sich!

Boris Palmer leistete einen wertvollen Beitrag in der öffentlichen Debatte. Nein, nicht weil er ständig die tatsächlichen Probleme im Umgang mit Flüchtlingen populistisch ausschlachtet. Sein Beitrag war eher so linguistischer, ja philologischer Art.

Der Tübinger Bürgermeister södert fast so gut wie das Original. Wenn es darum geht, Aufmerksamkeit zu provozieren, dann mischt er ganz vorne mit in der Riege junger deutscher Politiker, die Sachlichkeit mit jenem selbstverliebten Gefühl verwechseln, sich nur deshalb als wichtig zu empfinden, weil wieder mal gerade alle Welt über einen spricht. Palmer kann das wie ein Großer. Wie neulich erst, als er einen dunkelhäutigen Fahrradfahrer, der ihn fast vom Fußweg wischte, zu einem Asylbewerber ernannte und dessen Benehmen als Beleg für misslungene Integrationsbemühungen heranzog. Emsig hackte es das ihm widerfahrene Unrecht in seine Facebook-Timeline und generierte so Aufmerksamkeit.

Palmer hat zu dem Thema ein Buch veröffentlicht. Der Titel, eine Binse: »Wir können nicht allen helfen«. Was realistisch betrachtet ja stimmt. Was aber ohnehin alle, die ein bisschen nachdenken, auch wissen. Das ist es also nicht, wo sich Boris Palmer verdient gemacht hat um die Debattenkultur im Lande. Seine Verdienste stecken in der Folge seiner Radfahrer-Affäre, in der öffentlichen Entschuldigung, die darauf folgte und die er – ganz geschickt gesödert – auch gleich nutzt, um nochmal von sich Reden zu machen: Diesmal als sachlicher, einsichtiger Seelenmensch, den es schon beschäftigt, wenn er vielleicht schlecht angekommen ist bei den Menschen, die ihn doch wählen sollen.

In der Frankfurter Allgemeinen gab er zu einen Fehler gemacht zu haben – und dann holte er ein schönes, altes Wort der deutschen Sprache aus der Versenkung. Eines aus dem moralischen Kanon, das man eher selten bis gar nicht mehr hört und gebraucht, weil es mit Worten wie Honk, Flachpfeife oder Loser einfach nicht mehr mithalten konnte. Gemeint ist der Tunichtgut. Was für ein hübsches, was für ein metaphorisch elegantes Wort uns doch da abhandenkam. Ausgezeichnet, dass Boris Palmer es mal wieder prominent benutzt hat. Als Philologe light kann man ihn jedenfalls brauchen.

Es ging ihm »ganz generell um das Auftreten von Tunichtguten auf öffentlichen Plätzen« – und da ist er vielen von uns, eingeschlossen den Bloggern dieser Webpräsenz, ganz nahe. Tunichtgute sind unser Problem. Ob nun Steuerenthaltsame oder Korrupte, Postenschacherer und -erfinder, Pfründesicherer oder Gesetzesschmiede aus der Wirtschaft für die Wirtschaft, Lobbyisten und Drehtür-Anschlussverwendete, Randgruppenbasher und Hassredenvorbereiter: Die tun uns alle nicht gut. Sie sind Tunichtgute.

Dieses eine Wort sagt alles, was an Vorwürfen in jedem einzelnen der oben genannten Posten drinsteckt. Der Tunichtgut ist die sprichwörtliche Quintessenz in ein einziges Wort komprimiert. Die ethische Zusammenfassung all dessen, was man über jemanden sagen will und welche Konsequenzen man sich seines Treibens wegen fürchtet. Das Wort hat was von Achtsamkeit, von diesem aktuellen Modewort aus der Life-Work-Balance, wenn es dort fürsorglich heißt: Passen Sie auf sich auf, meiden sie das, was Ihnen nicht gut tut. Der Tunichtgut ist nämlich auch, gemessen am Resilienzgedanken, ein Tutnichtgut – mit ergänztem T. Und aus der Psychologie wissen wir, dass wir das, was einem nicht gut tut, meiden darf: Ein schlechtes Gewissen ist nicht notwendig. Wer auf sich achtet, muss den Tutnichtgut Schranken setzen. Weil man es sich wert ist.

Diese schöne alte deutsche Beschimpfung oder Herabsetzung war psychologisch betrachtet seiner Zeit voraus. Als noch keiner die Achtsamkeit als Selbstwertgefühl entdeckt hat, da machte es schon deutlich, dass da jemand, indem er nichts Gutes macht, einem auch nicht gut tut. Solche Leute gibt es viele im Lande. Spahn tut nicht gut. Söder tut nicht gut. Herr Seehofer nicht. Frau Merkel nicht. Und Frau Nahles auch nicht. Von den meisten PR-Leuten und Wirtschaftsbaronen ganz zu schweigen. Wir sollten viel besser darauf achten, ob uns diese Riege gut tut oder nicht. Der Wähler sollte nicht nur Acht geben, er sollte Achtsamkeit sich selbst gegenüber walten lassen. Resilienz heißt nämlich, auch mal Abstand von Strukturen oder Menschen zu gewinnen, die einem chronisch Ärger bereiten.

Das aus der Mode geratene Wort, das Palmer vortrug, unterstreicht diesen Gedanken. Über Sprache gewinnt man die Deutung. Nachzulesen bei Elisabeth Wehling, in ihrem Buch »Politisches Framing. Wie eine Nation sich ihr Denken einredet – und daraus Politik macht«. Wenn wer nicht gut tut, wäre ein Bezeichnung sinnvoll, die das unterstreicht. Und der Reichtum der deutschen Sprache bietet dann sogar eines. Vielen Dank, Herr Palmer. Die Tübinger sollten achtsam sein und sich keinen Tunichtgut als Bürgermeister erhalten. Lieber Tübinger, liebe Tübingerin, achten Sie besser auf sich! Seien Sie es sich wert.

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Roberto J. De Lapuente

Roberto J. De Lapuente ist irgendwo Arbeitnehmer und zudem freier Publizist. Er betrieb von 2008 bis 2016 den Blog ad sinistram. Seinen ND-Blog Der Heppenheimer Hiob gab es von Mitte 2013 bis Ende 2020. Sein Buch »Rechts gewinnt, weil links versagt« erschien im Februar 2017 im Westend Verlag. In den Jahren zuvor verwirklichte er zwei kleinere Buchprojekte (»Unzugehörig« und »Auf die faule Haut«) beim Renneritz Verlag.

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Drunter & Drüber
Drunter & Drüber
5 Jahre zuvor

Ach ja, der Remstaler Bub! Hätte dem sein Vater (Mein Vater, mein Vater, jetzt fasst er mich an! Erlkönig hat mir ein Leids getan!) nur einmal zur rechten Zeit eine runter gehauen, nicht immer morgens um drei, bevor er auf den Großmarkt in Stuttgart fuhr, dann hätte Tübingen möglicherweise einen anderen Bürgermeister, keinen GRÜNEn, mehr einen parteilosen, der in seiner Bürgerlichkeit von Tunichtguten, Habe- und Taugenichtsen und all diesen Ärgernissen für ein ordentliches Stadtoberhaupt reden könnte und dabei allenfalls von Akademikern und höheren Beamtengattinnen wahrgenommen würde.

Ja, so ist das!

schaumermal…

anton
anton
5 Jahre zuvor

Ich würde ihn wählen!

Brian DuBois-Guilbert
Brian DuBois-Guilbert
Reply to  anton
5 Jahre zuvor

anton
du Schabe hättest auch Wilhelm Frick gewählt….

Schweigsam
Schweigsam
Reply to  Brian DuBois-Guilbert
5 Jahre zuvor

Anton sowieso oder wie dich sonst noch so nennt. Deine Beleidigungen sind einfach nur unterirdisch!
Du brauchst kein poliitischen Diskurs – du brauchst hilfe!

anton
anton
Reply to  Schweigsam
5 Jahre zuvor

Schweigsam, kann es sein, dass Du nicht auf der Höhe bist? Wo beleidige ich wenn ich einen grünen Politker lobe?

anton
anton
Reply to  Brian DuBois-Guilbert
5 Jahre zuvor

Brian: Ich gehe davon aus, dass Du Bub das Buch nicht gelesen hast, kann man hier fast immer von ausgehen, leider! Palmer ist ein grüner Realpolitker mit Herz und Verantwortung!

Franklyhellish
Franklyhellish
Reply to  Brian DuBois-Guilbert
5 Jahre zuvor

Und du Linkenbestie (Pleonasmus, denn nur vertierte Mordbestien, aber keine Menschen, können links sein) auch Stalin, Mao, Pol Pot, Che Guevara, oder was für Auswurf der Hölle du auch immer anbetest. Also halt deine warzenlippige Brillenbartfresse, Rotweinwanst.

Der Palmer ist harmlos: wichtig ist, unsere Länder generell vom Rest der Welt abzuschotten. Es ist nicht einzusehen, daß wir Weißen für die angeborene totale Unfähigkeit und sexuelle Inkontinenz der Dunkelhäute bezahlen sollen! „Can’t feed? Don’t breed!“ sagt man in Amerika.

Robbespiere
Robbespiere
Reply to  Franklyhellish
5 Jahre zuvor

Wer hat denn da die Klotür offen gelassen, dass diese Sch…e schon wieder unter neuem Namen ins Blog quillt?

Abbo
Abbo
Reply to  Robbespiere
5 Jahre zuvor

Kommt da noch ein Argument nach? Oder können Sie nur pöbeln? 😉

Art Vanderley
Art Vanderley
5 Jahre zuvor

Scheint irgendwie schwierig zu sein mit der Migrations-„Debatte“, entweder political correctness oder gleich der Griff in die rechtskonservative Gruselkiste. Wie wärs demnächst mit der Renaissance des „Rumtreibers“, des „Arbeitsscheuen“ oder des „Tagediebs“?

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Lieber Tübinger, achten Sie besser auf sich! – Tagesticker.net
5 Jahre zuvor

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