Postfucking Zeitalter

Mit Donald Trump sind die US ins Postfaktische abgeglitten? Das kann man nur bedingt so stehenlassen. Der postfaktische Ansatz ist dort systemisch und wird im dortigen Rechtssystem kenntlich. Über die Chewbacca-Verteidigung, das Nachsorgeprinzip, Gottvertrauen und ein System der Faktenfeindlichkeit.

Das amerikanische Rechtssystem ist auch uns hier bekannt. Ungezählte Gerichtsfilme aus vielen Jahrzehnten haben uns aufgezeigt, wie es über dem großen Teich vor Gericht läuft. Das geht so weit, dass viele Deutsche tatsächlich glauben, auch hierzulande würden Geschworene einen Schuldspruch fällen. Ein bekannter TV-Richter meinte vor Jahren in einer Talkshow, er würde hin und wieder sogar mit »Euer Ehren« angesprochen. Und dass der eigene Verteidiger am Ende der Verhandlung ein packendes Plädoyer vorträgt: So etwas weiß man doch. Man hat es doch im Fernsehen gesehen! Wie so ein Gerichtsfall in seiner extremsten Form aussieht, konnte man unlängst in der ersten Staffel der US-amerikanischen Serie »American Crime Story« sehen. Minutiös wurde der Fall von O.J. Simpson dargestellt. Als Zuseher konnte man die Taktiken und Kniffe von Staatsanwaltschaft und Verteidigung in dieser Sache betrachten – und sich nebenher ein Bild über das Rechtssystem der US machen.

O.J. Simpson soll seine Ex-Frau und ihren neuen Galan wie im Blutrausch ermordet haben. DNS-Beweise sprachen eindeutig gegen ihn. In seinem Auto – und selbst in seinem Schlafzimmer – fanden sich Blutspuren beider Opfer. Es wurde rekonstruiert, dass sich der Täter beim Tathergang verletzt haben musste. O.J. Simpson zog sich genau in jener Nacht eine Schnittverletzung an passender Stelle zu. Alles war eigentlich klar. Die Geschworenen mussten nur die Fakten realisieren und damit wäre der Ex-Footballer lebenslänglich hinter Gitter verschwunden. Es kam anders: Die Verteidigung Simpsons baute ein kurioses Verschleierungsspiel auf, lenkte die Fährten um, spielte die Rassismus-Karte aus und hatte schlußendlich Erfolg dabei, das Vertrauen in wissenschaftlich eindeutige Beweise zu zerrütten. Simpson wurde freigesprochen. Die Geschworenen gaben sich – mit einem Modewort der Stunde gesagt – postfaktisch. In der Serie sagte einer aus dem Gremium bei der Beratung, dass die – the man, wie man in den US gerne sagt, also die Macher, die Mächtigen – vorlegen könnten, was immer sie wollten, er hätte es nie und nimmer geglaubt. Ergebnisoffenheit? Sich überzeugen lassen? Das scheint reine Glückssache zu sein.

Hier zeigt sich eines der größten Probleme der amerikanischen Justiz. Sie hängt einem alten, ja eigentlich längst überkommenen Justizprinzip an: Nämlich dass Menschen aus der eigenen Mitte befinden sollten, ob jemand schuldig ist oder nicht. Keine Rechtsexperten etwa – die setzen nur das Strafmaß fest. Das hatte natürlich in den Zeiten, da man den Westen eroberte, einen ziemlich praktischen Ursprung: Anwälte gingen eher selten auf Abenteuer in die Wildnis. Daher musste man die Rechtssprechung mit denen veranstalten, die zugegen waren. Also mit dem Personal arbeiten, das man hatte. Die amerikanische Geschichte ist mehr als es die europäische je war, eine Geschichte des Personalmangels. Und deshalb musste also ein Gremium befinden: Die Geschworenen. Bei Strafverfahren ist dieses Rechtsprinzip bis heute bindend. Das regelt der sechste Zusatzartikel der US-Verfassung. Eigentlich ist der längst hinfällig, ein Atavismus, dem keine Funktion mehr zukommen müsste. An juristischen Personal mangelt es im gesammten Gebiet der US ja heute nicht mehr. Und Menschen über Wochen zu kasernieren, damit die frei von der öffentlichen Meinungsmache Urteile finden können, ist ja nun nicht gerade eine angemessene Prozedur und dem Alltagsleben zuträglich.

Wie gesagt: Diese Notwendigkeit gäbe es heute nicht mehr. Rechtsexperten sind wahrlich keine Mangelware, der Westen leidet an keinen Knappheiten mehr, die Frontier ist aufgehoben. Und die Gemeinden, in denen Gleiche unter Gleichen Schuldsprüche ausbringen, sind Millionenbevölkerungen geworden. Dennoch ist der zentrale Punkt bei einem Strafverfahren weiterhin weniger der Angeklagte und seine etwaige Schuld: Alles dreht sich um die Juroren. Sie zu überzeugen ist das Maß aller Juristendinge. Nicht die Wahrheit, keine Beweise oder lückenlose Tathergänge. Ein US-Strafverfahren ist eine Gefühlssache, eine Wallung von Empfindungen, die bei den Geschworenen ankommen sollen. Die Wahrheit ist ein Nebenprodukt, dazugehörige Fakten, die eine etwaige Wahrheit fassbar machen, können dienlich sein – müssen sie aber nicht. In der Zeichentrickserie »Southpark« wurde dieses Dilemma, in dem sich Schwurgerichte befinden, haarsträubend dadaistisch persifliert. Die Macher ließen Simpsons Anwalt Johnny Cochran Jahre nach dem Prozess als Trickfigur auftreten. Dort entflammte er ein ähnlich unsachliches und emotionales Plädoyer, wie jenes, das er im Prozess zum Abschluss brachte. In der Comic-Ansprache salbadert er von der Star Wars-Figur Chewbacca und von Endor, einem Planeten, auf denen kleine Ewoks leben und wo ein Riese wie Chawbacca doch unmöglich leben könnte. »Es ergibt keinen Sinn!«, setzte er hinter jeden zweiten Satz. Beschwörung als Überzeugungsarbeit.

Exakt das war sein Prinzip im Falle von O.J. Simpson. Er hat alle Beweise in die Sinnlosigkeit überführt und den Geschworenen in seinem Schlußwort aus dem Zusammenhang gerissene Episoden präsentiert. So geschieht es fast täglich in den US. Nicht immer so überspitzt wie damals, als der Fall eine ganze Nation spaltete. Aber doch in ähnlicher Weise. Dieses Rechtssystem ist nicht faktenbasiert: Es ist postfaktisch. Ein emotionaler Gegenentwurf zu einer Justiz, die sich klar der Ratio und damit auch der Resozialisierung verpflichtet fühlt. Dass in den Vereinigten Staaten letzteres ein eher untergeordnetes Prinzip ist, hängt auch damit zusammen. Denn Schwurgerichte bauen zusätzlich zur Befindlichkeit der Schuldentscheider ja auch noch auf einen anderen Aspekt, der gewissermaßen ein Nebenprodukt der Emotionalisierung ist: Auf Rachsucht. Mit Vertrauen auf Gott glaubt man sich hier auch auf der sicheren Seite. Und ohne Gott geht in den US nun mal gar nichts.

Europäer sind Vorsorger. Das hat mit ihrer Geschichte zu tun, mit der Aufklärung im speziell europäischen Sinne. Die US haben ein System der Nachsorge installiert. Das gründet im Laissez-Faire, in der Selfmade-Mentalität, die auch so ein anachronistisches Produkt des Manifest Destiny ist. Diese Differenz zwischen den beiden Parteien, zwischen Europäern und Amis, war dann auch einer der zentralen Streitpunkte bei den Debatten um TTIP. Denn dass sich Vor- und Nachsorge zusammenführen lassen könnten: Das schien aussichtslos. Eher befürchtete man in Europa, dass US-Firmen die Vorsorgeregelungen als Handelshemmnis vor ein geheimes Hinterzimmerschiedsgericht bringen würde und damit die Nachsorge peu a peu auch für die EU installierte. Faktisch hat die Europäische Union schon im vorauseilenden Gehorsam manche Entscheidung nach Nachsorgekriterien getroffen. Stichwort: Glyphosat. Ganz gekippt ist das Vorsorgeprinzip zum Glück noch nicht. Grundsätzlich müssen europäische Firmen belegen können, dass ihre Waren unschädlich sind, damit sie zugelassen werden. In den US ist es andersherum. Erst wird zugelassen, dann wird geschaut, ob man aus Gründen des Verbraucherschutzes nachbessern muss. Die bis dorthin erfolgten Schäden: Nun ja, auch so Kollateralschäden, wie man sie im amerikanischen Weltbild viel zu oft findet.

Man nenne es nun Antiamerikanismus: Aber tatsächlich ist das Postfaktische durchaus im amerikanischen Gesellschaftsvertrag angelegt und bis heute konserviert worden. Die Nation unter Gott definiert sich als Gefühl, als ein Sentiment. Es ist, als würde man die Welt folgendermaßen begreifen: Wenn man sich etwas einredet und immer wieder einredet, wenn man unliebsame Fakten damit zur Nebensächlichkeit macht, dann ist das in letzter Instanz auch Fakt. Ein Bauchgefühl kann so lange verhätschelt werden, bis es zur Kopfsache wird. Dass die US so ticken, hat durchaus mit einer Justiz zu tun, die sich nicht als Sachwalter der Rationalität wähnt, sondern als Betreuer guter Schwingungen. Und jetzt nochmal antiamerikanisch: Jawohl, wir erleben einen Kulturimperialismus, der von dort zu uns herübersuppt. Dass das Postfucking Zeitalter gerade jetzt anzubrechen scheint, hat mit der Vollendung dieses Imperialismus zu tun. Emmanuel Todd lag richtig: Diese Weltmacht ist am Ende. Aber bevor sie eingeht, kippt sie nochmal ihren systemischen Irrsinn über eine Welt, die sie als Spielball begreift.

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Roberto J. De Lapuente

Roberto J. De Lapuente ist irgendwo Arbeitnehmer und zudem freier Publizist. Er betrieb von 2008 bis 2016 den Blog ad sinistram. Seinen ND-Blog Der Heppenheimer Hiob gab es von Mitte 2013 bis Ende 2020. Sein Buch »Rechts gewinnt, weil links versagt« erschien im Februar 2017 im Westend Verlag. In den Jahren zuvor verwirklichte er zwei kleinere Buchprojekte (»Unzugehörig« und »Auf die faule Haut«) beim Renneritz Verlag.

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Heldentasse
Heldentasse
6 Jahre zuvor

Dazu fällt mir zunächst eigentlich nur eins ein.

https://www.youtube.com/watch?v=4ejai7uR1A0

Gorgonzola
Gorgonzola
Reply to  Heldentasse
6 Jahre zuvor

Das ist die beste Szene aus dem Film

Heldentasse
Heldentasse
Reply to  Gorgonzola
6 Jahre zuvor

ACK! Obwohl da noch jede Menge guter Szenen sind.

Gorgonzola
Gorgonzola
Reply to  Heldentasse
6 Jahre zuvor
Sukram71
Sukram71
6 Jahre zuvor

Na wenigstens gibt es bei uns vormittags die Gerichtsshows, in denen nem Massenpublikum die deutsche Strafprozessordnung näher gebracht wird.

Zwar werden/wurden (ich muss vormittags arbeiten) die Fälle immer krasser und in Wirklichkeit wird ein Mord oder schwere Körperverletzung vor Gericht auch nicht in 30 Minuten abgehandelt, aber die Zuschauer lernen trotzdem ein bisschen, wie es in deutschen Gerichten zugeht. 😉

Was ich aber viel erschreckender finde, ist wie häufig Bekanntschaften und Freunde nicht im Ansatz kapiert haben, warum es „in unserem Rechtssystem“ kein Todesstrafe und keine wirklich lebenslange Freiheitsstrafe gibt und was das mit „Schuld“ zu tun hat und was Schuld überhaupt ist.

Und warum man Menschen nach ihrer Strafe nur dann wegsperren darf, wenn Experten festgestellt haben dass sie fur die Allgemeinheit gefährlich sind.
Diese regelmäßige Bild-Hetze trägt da ne große Verantwortung.

Sukram71
Sukram71
6 Jahre zuvor

Und bevor ich’s vergesse:
Das Justizsystem der USA hat wirklich ganz andere Probleme, als Schöffengerichte und ab und an ein Fehlurteil. Man denke nur mal an die Höhe von Haftstrafen und Todesurteile.

Mal abgesehen davon, dass die mächtigste Militärmacht der Erde – die wahrscheinliche Terroristen über ne Entfernung von über 10.000 km per ferngesteuerter Drohne töten lassen kann – ein Problem damit hat, ihre zum Tode Verurteilte wenigstens kurz und schmerzlos und ansatzweise würdevoll hinzurichten.

Also Schöffengerichte sind nun wirklich das mit großem Abstand aller-kleineste Probem im US Justizsystem. Ich frage mich gerade, wie man ausgerechnet so ne Nebensächlichkeit zum Thema machen kann. 😉

Heldentasse
Heldentasse
Reply to  Sukram71
6 Jahre zuvor

Verurteilte wenigstens kurz und schmerzlos und ansatzweise würdevoll hinzurichten.

Die Schweiz mit ihren humanen Sterbehilfen ist weit entfernt von den U.S. Da müssen halt die Delinquenten mit den barbarischen Zuständen halt leben.

Sukram71
Sukram71
Reply to  Heldentasse
6 Jahre zuvor

Die Todesstrafe entspricht natürlich nie der Würde, also dem Niveau, eines Menschen. Jeder gesunde Mensch ist grundsätzlich immer in der Lage aus Fehlern und Irrtümern zu lernen und sich – wenigstens nach 30 Jahren Gefängnis – zu bessern. Wieviel Quatsch macht man in Kindheit und Jugend und wie klug und Weise kann man trotzdem noch im Alter werden.

Das ist ja auch der Grund, warum ein Mensch überhaupt Schuld haben kann und bestraft wird. Das muss sich natürlich im Urteil widerspiegeln, sonst ist das doch ein Widerspruch in sich.

Aber ich würde mir trotzdem lieber vom IS unter freiem Himmel den Kopf abschneiden lassen, als im fensterlosen Keller eines US-Gefängnisses qualvoll an ner Giftspritze zu verrecken, die von tumben Aushilfswärtern falsch gesetzt wurde. – Und alles bloß, damit es keine blutigen Bilder gibt und sich in den USA keiner verantwortlich fühlen muss. Es ist einfach nur abartig dumm und ekelhaft. Der IS dagegen steht wenigstens zu seinen Taten.

Sterbehilfe bei unheilbar sehr leidenen Kranken ist ein anderes, deutlich schwierigeres Thema.

Und Schöffengerichte gibt es in Grenzen auch bei uns, weil „des Volkes Stimme“ die Akzeptanz der Rechtsprechung verbessern soll bzw kann. Es gibt nunmal auch Argumente für Schöffengerichte. Richter sollen ihr Urteil halt nicht allein im juristischen Elfenbeinturm fällen, sondern die Bevölkerung soll – in Form von Laien-Schöffen – ein Wörtchen mitzureden haben. Das hat Vor- und Nachteile.

Sukram71
Sukram71
Reply to  Roberto J. De Lapuente
6 Jahre zuvor

Es gibt im US-Justizsystem keine größeren Probleme, als Gerichtsverfahren, bei denen eine Jury über Schuld und Unschuld des Angeklagten befindet und ein Richter über das Strafmaß? Sorry, aber das kann ich beim Besten Willen nicht nachvollziehen. 😉

Das sind einfach bloß unterschiedliche Art und Weise innerhalb eines Rechtsstaates zu einem Urteil im Rahmen der Gesetze zu kommen.
Die größere Einbindung der Bevölkerung muss dabei nicht immer unbedingt ein Fehler sein. Man schaue sich die ungerechtfertigte (!) Richter-Schelte hierzulande an.

Letztendlich muss das jedes Land so machen, dass Urteile von der Gesellschaft respektiert werden, dass Recht und Gesetz eingehalten werden und *Rechtsfrieden* einkehrt. 😉

Sukram71
Sukram71
Reply to  Roberto J. De Lapuente
6 Jahre zuvor

Was hilft das juristsisch perfekteste und ausgewogenste Urteil eines Profi-Richters, wenn das Urteil von der Bevölkerung nicht akzeptiert wird, weil die nunmal seit jeher das Urteil einer Bürger-Jury gewohnt sind, der Angeklagte anschließend gelyncht wird und später Bürgerkrieg ausbricht. 😉

Die Amis müssen einfach selber wissen, ob und wie das reformiert werden soll. Aber die Bürgerbeteiligung an sich, ist bei der Rechtsfindung bestimmt kein grundsätzlicher Fehler. Besonders in einem Land mit so vielen Waffen. 😉

Bob
Bob
Reply to  Sukram71
6 Jahre zuvor

Das Justizsysteme Probleme haben, ist ein wichtiger Punkt. Das Problem einer faktenlosen Urteilsfindung durch ein verwirrtes Geschworenengericht in den USA wurde im Artikel angesprochen. Allerdings kommt mir die Kritik zu kurz vor. Der Lösungsweg „nur“ den Richter zu überzeugen ist doch nicht automatisch besser. Siehe hier in Deutschland den Fall Mollath. Auch ein Richter kann ein Brett vorm Kopf haben oder mit der Materie eines Falls schlicht überfordert sein oder schlicht bestochen. Unser Justizsystem als eindeutig besser zu bestimmen, ist schon eine gewagte These.

Letztendlich kann ein Geschworenengericht gut oder schlecht sein, das hängt ganz von den Geschworenen ab. Unbestreitbar ist aber die systematische Benachteilung armer Menschen im amerikanischen System, sowie die stets überzogenen Anklagepunkte, um bei außergerichtlichen Verhandlungen eie Verhandlungsmasse zu haben und den Angeklagten einzuschüchtern das Angebot anzunehmen. Siehe hier: http://www.nachdenkseiten.de/?p=42869
Und das wohlhabende Menschen eher zu ihrem Recht kommen, trifft bestimmt auch hier bei uns zu. Gegen diese Missstände könnte und sollte man berichten und vorgehen. Die Vor- und Nachteile eines Geschworenengerichts oder europäischen Gerichts finde ich dagegen banal.

wschira
wschira
Reply to  Sukram71
6 Jahre zuvor

Wie richtet man denn jemand „würdevoll“ hin?

Sukram71
Sukram71
Reply to  wschira
6 Jahre zuvor

Wie richtet man denn jemand „würdevoll“ hin?

Gute Frage. 😉 Grundsätzlich ist die Todesstrafe natürlich nie menschenwürdig.

Aber ich denke es macht trotzdem einen Unterschied,
ob man in nem fensterlosen Keller, bei Neonlicht, an ne Prischte festgeschnallt, viele Minuten lang an einer Giftspritze verreckt.

Oder ob man zB unter freiem Himmel mit Trommelwirbel und Zuschauern von einem Erschießungs-Kommando erschossen wird.
Oder in diesem Rahmen öffentlich geköpft oder gehängt wird. 😉

Das wäre alles kurz und schmerzlos, der Verurteilte könnte nochmal den Himmel sehen und der Aufwand würde einen gewissen Respekt ausdrücken. Der Staat würde sich öffentlich dafür verantwortlich zeigen.

Das machen die USA nur deshalb nicht, weil das unschöne blutige Bilder gäbe und sich die Verantwortlichen dann dafür rechtfertigen müssten. Das gäbe eine Diskussion um die Todesstrafe.

In den USA soll die Hinrichtung offenbar so unblutig und harmlos wie möglich aussehen. Ob der Verurteilte in Wirklichkeit stundenlang verreckt, spielt keine Rolle. Keiner will verantwortlich sein. Es soll keine unschönen Bilder geben. Das ist an Heuchelei überhaupt nicht zu überbieten.

Und das alles in der größten Militärmacht der Erde, wo selbst einfache Leute militärische Waffen kaufen und offen tragen dürfen. Unfassbar. 😐

Udo Fröhlich
Udo Fröhlich
6 Jahre zuvor

„Ganz gekippt ist das Nachsorgeprinzip zum Glück noch nicht.“ Da ist wohl ein Lapsus unterlaufen. Gemeint ist sicher: „Ganz gekippt ist das Vorsorgeprinzip zum Glück noch nicht.“

Hartmut
Hartmut
6 Jahre zuvor

Hm, ich weiß nicht, was schwieriger ist, wenn clevere Anwälte 12 Menschen „mit gesundem Menschenverstand“ überzeugen müssen, oder nur EINEN Richter. Und falls es stimmt, dass alle 12 zu einem einheitlichen Spruch kommen müssen, müssen sie sich ja gegenseitig überzeugen, OHNE dass die trickreichen Anwälte dann noch dabei sind. Und dass alle 12 das gleiche Brett vorm Kopf haben, und nicht Einige konträre Positionen einbringen, ist zumindest unwahrscheinlicher als das bei EINEM Richter der Fall sein könnte.
Sicher wird sich auch der Autor schon bei so manchem Urteil eines „Experten“ in der Richterrobe an die Stirn getippt haben. Und was ehrenamtliche Schöffen in den Medien schon berichtet haben, lässt einen an der Urteilsfindung auch zumindest zweifeln. Also ICH würde mich dann lieber einem Geschworenen-Gericht anvertrauen.

Nashörnchen
Nashörnchen
Reply to  Roberto J. De Lapuente
6 Jahre zuvor

„Der Urteilsspruch eines deutschen Richters ist, (…) noch immer leichter revidierbar…“
Ich fürchte, ein Gustl Mollath und Gott weiß wie viele tausende andere haben da eine leicht abweichende Ansicht. So irreversibel wie eine vollstreckte Todesstrafe ist es immerhin nicht – das hat aber wiederum nix mit dem Jury-Gericht zu tun…

Rainer N.
Rainer N.
Reply to  Roberto J. De Lapuente
6 Jahre zuvor

Hahahaha … da muss ich aber lachen … also Butter bei die Fische … wie man so sagt.

Ein Urteil der ersten Instanz welches gegen die gängige Rechtsprechung verstößt, kann nicht angefochten werden … eigene Erfahrung.

Also ich wurde entgegen der gängigen Rechtsprechung verurteilt. Mein Anspruch nach BGB § 556 wurde missachtet, unwirtschaftliche Nebenkosten nicht bezahlen zu müssen. Da habe ich mehrere Urteile anderer Gerichte vorgetragen und Berufung nach ZPO § 511 Abs. 4 Satz 1 gefordert. Dort steht:

(4) Das Gericht des ersten Rechtszuges lässt die Berufung zu, wenn

1. die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat oder die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts erfordert und

2. die Partei durch das Urteil mit nicht mehr als 600 Euro beschwert ist

Das Gericht hat die Berufung verweigert. Also Anhörungsrüge um nach Artikel 103 GG eine Beschwerde beim BVerfG einlegen zu können. Das BVerfG weigert sich aber meinen Rechtanspruch anzuerkennen und verweigert die Annahme der Beschwerde. Obwohl ich in der Beschwerde auch vorgetragen habe:

Menschenrechtskonvention (EMRK):

Artikel 6 – Recht auf ein faires Verfahren

(3) Jede angeklagte Person hat mindestens folgende Rechte:

c) sich selbst zu verteidigen, sich durch einen Verteidiger ihrer Wahl verteidigen zu lassen oder, falls ihr die Mittel zur Bezahlung fehlen, unentgeltlich den Beistand eines Verteidigers zu erhalten, wenn dies im Interesse der Rechtspflege erforderlich ist;

Artikel 13 – Recht auf wirksame Beschwerde

Jede Person, die in ihren in dieser Konvention anerkannten Rechten oder Freiheiten verletzt worden ist, hat das Recht, bei einer innerstaatlichen Instanz eine wirksame Beschwerde zu erheben, auch wenn die Verletzung von Personen begangen worden ist, die in amtlicher Eigenschaft gehandelt haben.

In Deutschland steht die EMRK im Rang unter dem Grundgesetz auf Ebene des einfachen Bundesgesetzes. Da jedoch die Grundrechtsgewährleistung der EMRK weitgehend der des Grundgesetzes entspricht, hat das Bundesverfassungsgericht 1987 ausgeführt, dass andere gesetzliche Bestimmungen der Bundesrepublik im Lichte der EMRK auszulegen seien. Dieser Auffassung folgen auch die oberen Bundesgerichte. Damit kommt de facto der EMRK im deutschen Recht zwar kein verfassungsrechtlicher, aber doch ein übergesetzlicher Rang zu. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts vom 14. Oktober 2004 sind alle staatlichen Organe der Bundesrepublik Deutschland an die Konvention und die für Deutschland in Kraft getretenen Zusatzprotokolle im Rahmen ihrer Zuständigkeit kraft Gesetzes gebunden. Sie haben die Gewährleistungen der Konvention und die Rechtsprechung des Gerichtshofs bei der Auslegung von Grundrechten und rechtsstaatlichen Gewährleistungen zu berücksichtigen.

Nachdem also das BVerfG die EMRK ignoriert, legte ich eine Beschwerde beim EGMR ein. Die nun ebenfalls nicht angenommen wurde.

Das, obwohl mein Rechtsanspruch und das Urteil gegen mich nicht im Einklang mit der gängigen Rechtsprechung steht. Und nun werde ich erneut verklagt … die verweigerten unwirtschaftlichen Kosten der Folgejahre zu zahlen … und werde wohl wieder so abgewiesen werden … obwohl ich das Recht habe …

also Rechtsprechung in Deutschland ist, wie ein Anwalt den ich versuchte einzuschalten, der nur sagte, das sei „pillepalle“, zahlen sie und ärgern sich … das lohnt nicht dagegen anzugehen … Streitwert war 89,01 € … wobei ich Grundsicherung erhalte … dann noch die Aussage, es sei doch nicht mein Geld, das Amt würde das doch übernehmen … ja, das Amt übernimmt das … dürfte es aber nicht … wenn das SGB ernst genommen würde … denn es dürfen nur angemessene Kosten der Unterkunft übernommen werden, und unwirtschaftliche Kosten können nun einmal nicht angemessen sein … wenn viele Gerichte in Deutschland klagenden Mietern das Recht zusprechen, unwirtschaftliche Kosten nicht zahlen zu müssen … und nur weil der Vermieter eine „Stadtinstitution“ ist, hier das Gericht nicht die Stadt „verurteilen“ will …

also Das Rechtsystem in Deutschland ist eben nicht gerecht … auch dazu eine „Anmerkung“ des Anwalts … vor Gericht und auf hoher See sei man eben in Gottes Hand … dann ist das eben kein Beleg für eine Rechtsprechung nach geltenden Gesetzen und gängigen Urteilen.

Und wenn dann das „Honorar“ des Anwalts bei einem Streitwert von knapp 90 € zu gering ist … also der Anwalt des „Vermieters“ hat jedenfalls dann eine Rechnung … per pfändbaren Beschluss erwirkt … in Höhe von knapp 300 € …

noch eine Anmerkung … zu den Pflichten des Vermieters aus gängigen Urteilen:

Auch muss der Vermieter sicherstellen, dass nur die Bewohner seines Hauses Zugang zu den Mülltonnen haben, nicht Nachbarn und Passanten sich bedienen können. Kommt es wegen überdurchschnittlich hoher Betriebskosten zum Rechtsstreit, muss der Vermieter darlegen und beweisen, dass er wirtschaftlich und sparsam gehandelt hat.

Nun stehen bei mir in der Straße jedoch 6 Großraumtonnen mit 1.100 l und 770 l frei für alle und es bedienen sich auch unberechtigte Müllentsorger … alle meine Argumente gegen die angebliche Wirtschaftlichkeit der Kosten wurden ignoriert. Und es gibt keinen Weg dieses Unrecht durch ein Gericht der ersten Instanz anzufechten … den bin ich ja bis zum EGMR gegangen.

Sukram71
Sukram71
Reply to  Rainer N.
6 Jahre zuvor

Du willst wegen den Müllgebühren einer Mietenebenkostenabrechnung im Streitwert von 90 Euro durch alle Instanzen bis zum BGH, zum BVerfG und EMRK? Jo, so Leute gibt es.

Gottseidank gibt es da Grenzen. Von den gesparten Gerichtskosten kannste 20 Jahre lang umsonst wohnen. 😀

Rainer N.
Rainer N.
Reply to  Sukram71
6 Jahre zuvor

Ach, also recht ist ihnen egal. Also mir geht es da um Gerechtigkeit.

Übrigens, diese Angelegenheit läuft seit 2005. 5 Jahre hat der Vermieter nachgegeben, um kein Urteil gegen sich zu erhalten. Denn dieser Vermieter rechnet bei mehreren tausend Wohneinheiten so ab. Da es keine Sammelklagen gibt, muss einer voran gehen.

Noch eines zu den Kosten. Am Anfang war der Unterschied deutlich höher. Da wurde vom Vermieter ein „Müllkreis“ eingerichtet, mit 284 Wohneinheiten auf 44 Grundstücken im Stadtteil verteilt.

14.676,10 € = Grundgebühr
29.108,20 € = Entsorgungskosten
—————————————————————————————————————-
43.784,30 € = Normale Entsorgungskosten für das bereitgestellte Volumen
14.487,74 € = Leasing für die Müllschleusen mit der Erfassungsanlage
5.183,- € = Abrechnungserstellung
—————————————————————————————————————-
63.455,04 € = Restmüllentsorgungskosten

Durch Zusatzkosten für Leasing und Abrechnung verteuert sich die Müllbeseitigung um 19.670,74 €. Auch wenn diese Kosten nach der Betriebskostenverordnung umgelegt werden dürfen, überschreitet das Verhältnis die Wirtschaftlichkeit: 100 % = 43.784,30 € (die normalen Beseitigungskosten) + 45 % Zusatzkosten. Kosten der Restmüllbeseitigung der Stadt X entstehen pro Liter Müllvolumen Kosten in Höhe von -,05 € bis maximal -,15 €. Es entstanden durch die Müllschleusen bei der X pro Liter Müllvolumen Kosten in Höhe von -,60 €.

AG Hamburg (WuM 94, 695), das Gebot der Wirtschaftlichkeit gelten.

1. Sind die Betriebskosten von ihrer Art her unwirtschaftlich so sind sie insgesamt zu streichen.
2. Betriebskosten, deren betragsmäßige Höhe den genannten Grundsätzen nicht entsprechen, die also insoweit unwirtschaftlich sind, sind auf das zulässige Maß aus zu reduzieren.

Dabei wurde das bereitgestellte Volumen von 13 Tonnen je 770 l und 4 Tonnen mit 1.100 l pro Jahr 783.640 l bereitgestellt, wobei aber nur (es waren die Müllschleusen aufgestellt) nur 102.153 und im Folgejahr nur 89.199 l genutzt wurde. Denn die Mieter hatten erkannt, das sie pro Liter Müll -,60 € zahlen müssen. Es traute sich nur keiner der älteren Mieter sich dagegen zu wehren. Ich war damals ehrenamtlich aktiv und dachte mir, einer muss sich ja wehren. Und 5 Jahre lang hat der Vermieter ein Urteil vermieden, indem er nachgegeben hat, als eine Klage eingereicht wurde. Erst dann wurde vom Vermieter dem Richter erklärt, man habe bisher aus Kulanz verzichtet mich zu verklagen, aber nicht bewiesen, dass die Kosten wirtschaftlich sind. So wurde ich verurteilt.

Und das lass ich mir eben nicht gefallen, Recht zu haben und von einem „kleinen Richter“ am Amtsgericht so besch….en zu werden.

Also wenn Sie angenommen pro Woche 10 l Müll produzieren, im Jahr 520 l und dann dafür 312 € zahlen wollen … wobei von der Stadt für 520 l nur maximal 76 € zu zahlen sind … wobei bei einer Nutzung einer 120 l Tonne für 6 Personen dann pro Person nur 31,84 zu zahlen sind … weil diese 120 l Tonne nur 191 € kostete … und in dem von mir bewohnten Haus nur 6 Personen wohnten … das Volumen ausreichend wäre …

dann halte ich Sie, mit Verlaub, für einen Lügner.

Nashörnchen
Nashörnchen
Reply to  Roberto J. De Lapuente
6 Jahre zuvor

Gut, dann halt Harry Wörz. Oder Monika de Montgazon. Oder – eine Sternstunde deutscher Gerichtsbarkeit – Ilona Haslbauer: Die saß siebeneinhalb Jahre in der forensischen Psychiatrie, weil sie eine Nachbarin mit einem Einkaufswagen gerammt haben soll. Völlig unpolitisch.
Und nur die allerwenigsten von uns könnten es sich leisten, sechs- oder siebenstellige Summen aufzubringen, um Top-Anwälte und -Gutachter für ein Wiederaufnahmeverfahren zu bezahlen und in den Medien überhaupt stattzufinden. Und selbst dann gehen die Chancen gegen Null, daß sich jemals irgendein Richter damit befaßt. Die allermeisten „normalen Fälle“ verrotten ganz einfach in irgendeiner Zelle und kein Mensch erfährt jemals davon. Und als Sahnehäubchen haben sie, solange sie renitent ihre Unschuld beteuern, noch nicht mal eine Chance, wenigstens irgendwann nach 2/3 entlassen zu werden, wie fast jeder gewöhnliche Kriminelle. Soooo einfach isses dann doch nicht…

Sukram71
Sukram71
Reply to  Roberto J. De Lapuente
6 Jahre zuvor

Der Urteilsspruch eines deutschen Richters ist, auch wenn es da zuweilen ungerechtige Urteile gibt, noch immer leichter revidierbar, als ein Urteilsspruch einer amerikanischen Jury.

Das liegt aber doch an den Gesetzen drum herum und nicht an der Jury grundsätzlich. 😉

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Postfucking Zeitalter – Tagesticker.net
6 Jahre zuvor

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Apostata
Apostata
6 Jahre zuvor

Erstens stammt das Prinzip einer jury of peers keineswegs aus Zeiten der frontier, sondern aus der Magna Carta, gut 550 Jahre vorher in England.
Zweitens verwischst du beim Vor-/Nachsorgeprinzip Straf- und Zivilrecht. Wie sollte denn ein Vorsorgeprinzip im Strafrecht aussehen? Erstmal alle „Gefährder“ vorsorglich wegsperren?

der-5-minuten-blog.de
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6 Jahre zuvor

Ja, leider haben Rattenfänger die letzten Jahre Hochkonjunktur.

Neu ist das allerdings nicht. Ich erinnere mich an den Deutschunterricht irgendwann in der Mittelstufe. Wir lasen einen Auszug aus Julius Cäsar von Shakepeare. Marc Anton hielt eine Rede zur Ermordung Cäsars. Ständig benutzte er den Ausdruck Brutus ist ein ehrenwerter Mann So brachte er die Römer auf 180. Und so hämmerte Shakespeare mir das rhetorische Mittel der Wiederholung in den Schädel.

Hier ist übrigens noch mal die kurze Episode aus Southpark, die De Lapuente erwähnt hat. Und ja, irgendwie macht sie in ihrer Sinnlosigkeit Sinn:

Alles im Niedergang, man
Markus (
https://der-5-minuten-blog.de)

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Reply to  der-5-minuten-blog.de
6 Jahre zuvor

Versuch Nr. 2

Äh. Das hat so nicht funktioniert. Na gut. Also auf die altmodische Art: Cochran, Chewiebacca und Southpark:
https://www.youtube.com/watch?v=YGYroufxtfQ

Oliver Wunderlich
Oliver Wunderlich
6 Jahre zuvor

Mir fällt beim Lesen der Film „Runaway Jury“ ein, auf deutsch „Das Urteil – Jeder ist käuflich“. Gene Hackman spielt da einen „Geschworenenberater“ – der die Juroren für die Verteidigung durchleuchtet, um sie erpressbar zu machen.
Letzten Endes kauft er sich die Jury mit viel Geld.
Das nennt man „jury tampering“ und wir wissen nicht erst seit Jimmy Hoffa, dass es das auch wirklich gibt.

Oliver Wunderlich
Oliver Wunderlich
Reply to  Roberto J. De Lapuente
6 Jahre zuvor

Ja, ist genau der Film! Und auch ja: Ist nicht so dolle…