Unser prekärer Wohlstand

Ein Deutschland, in dem wir gut und gerne leben – damit wirbt die Aufschwungskanzlerin und Prosperitätsrichtlinienkompetenz auf ihren Plakaten. Weiter so mit dem Jobwunder? Im Mittelstand wird ja so manche Arbeitsstelle angeboten.

Wir trafen uns mal wieder und quatschten. In seiner Firma, ein mittelständisches Hotel in der Provinz, gehe es zu wie eh und je. Als der Mindestlohn kam, hat sein Boss schwer gejapst. Das würde seinem Geschäftsmodell das Genick brechen. Wie soll er noch von der Hotelküche aus kostengünstig umliegende Schulen bekochen und denen die Menus vor die Türe karren, wenn er plötzlich phantastische Stundenlöhne auszahlen muss? So fragte er sich das damals. Er könne halt nicht mehr zahlen, als das Geschäft hergibt. Das sei doch betriebswirtschaftliches Einmaleins: An einem Geschäft kann nur so viel verdient werden, wie es abwirft. Ein Mindestlohn sei deshalb ein betriebswirtschaftlicher Totalschaden.

Der Mindestlohn kam natürlich, erzählte er mir weiter. Und er bezahlte ihn auch, weil er sich Diskussionen sparen wollte. Seine geringfügig beschäftigte Belegschaft nahm das gerne, schuftete aber weiterhin die Hälfte ihrer Anwesenheitszeiten über Gebühr, was heißt: Alles was die 450 Euro überschritt, verlagerte man wie gehabt in die Schattenwirtschaft. Ausbezahlt wird Cash, so dass man nicht in Erklärungsnöte gerät und Steuern blechen muss. Das gilt für Arbeitgeber wie -nehmer. Eine Win-Win-Situation auf Kosten der öffentlichen Kassen halt. Wenn ein Geschäftsmodell unter legalen Rahmenbedingungen nicht klappt, kann man ja immer noch die eigenen Gewinne insofern sozialisieren, dass man sich in die Halblegalität verabschiedet.

Bezahlter Urlaub, Lohnfortzahlung im Krankheitsfall? Nein, das gibt es immer noch nicht, fuhr er beim zweiten Bier fort. Gut, manchmal zahle er einem Kollegen mal eine arbeitsunfähige Woche. Jedenfalls bei den bewährten Kollegen, den treuen Seelen des Hauses. Das ist er ganz Paternalist. Überhaupt sei er als Boss gar nicht so ein Biest, er sei loyal und in gewissen Grenzen großzügig, rundet Lohnsummen auch mal auf und legt einen Fuffi extra drauf. Das macht er allerdings nicht nach Standards. Woher sollen die in einem solchen Unternehmen auch kommen? Sein Laune ist der Gradmesser. Er gibt gerne, aber nur dann, wenn er findet, jetzt sei es mal wieder angebracht.

Vor seinen christdemokratischen Parteikollegen vor Ort gilt er als mustergültiger Arbeitgeber, als einer, der Arbeitsplätze schafft. Man vertraut ihn, er gibt den seriösen und anständigen Macher. Noch immer beim zweiten Bier fuhr er fort damit, dass sein Boss die Missstände genau kenne. Wenn er nach den Regeln spielen würde, sagt er nämlich häufig, dann könne er einpacken, dann ist es eben nicht mehr drin, den Kindern ein Mittagessen für 3,40 Euro sicherzustellen. Dabei gäbe es doch ein öffentliches Interesse, Kinder in Ganztagssschulen zu verpflegen. In gewisser Weise sei er quasi sogar ein Sozialrebell, weil er mit schlechter Bezahlung und mit Schwarzarbeit Strukturen sicherstelle, die unbedingt notwendig sind in einem modernen Deutschland. Wäre er nicht, würden die Kinder in der Betreuung hungern. Wie lange sollte das wohl gutgehen? Und ehe man sich versieht, müssen die Eltern auf Arbeit kürzertreten und der Wohlstand kippt.

Seien wir doch ehrlich, sagte ich zu ihm, wenn ein Geschäft sich nur so trägt, ist es doch kein Geschäft. Dann ist es nach den Regeln des Marktes – und diese Parteikumpanen von der Union legen sonst ja so viel Wert auf die unbefleckte Reinheit der Marktregulierung – ganz normal, dass der Laden den Bach runter geht. That’s life. Er zuckte mit den Achseln. Ja, schon irgendwie, antwortete er. Aber schau wieviele Leute davon leben. Nicht gut, nicht reichhaltig. Aber es ist trotzdem deren Standbein, besser als Hartz IV, oder nicht? Da zuckte ich mit den Achseln. Vermutlich schon ja. Oder auch nicht. Man kann eine solche Frage nicht eindeutig beantworten.

Mittelstand hat goldenen Boden. Die Schranzen der Wirtschaftskanzlerin lassen keine Chance aus, um zu betonen, dass es Deutschland so gut gehe wie nie zuvor. Sie selbst wirbt mit euphemistischen Parolen, die in diese Richtung zielen. Uns geht es schließlich wirtschaftlich gut. Die Frage ist nur: Tut es das? Oder kaschieren wir die Nöte hinter einer laxen Kontrollpolitik, die angeblich gesunde Unternehmen des Mittelstandes machen lassen, damit die Leute wenigstens irgendwie in Arbeit sind – und nicht auf den Fluren des Arbeitsamtes?

Wenn Menschen als geringfügige Beschäftigte fast Vollzeit arbeiten, keinen bezahlten Urlaub haben und Krankheiten wegschieben müssen, weil sie in der Zeit ohne finanziellen Ausgleich bleiben, dann könnte man das als die illegale Statistikkosmetik der Behörden bezeichnen. Denn eigentlich sind diese Leute ohne Arbeit, nur ein unter dem Radar laufendes Unternehmen, das sich durch unterlaubte Mittel wettbewerbsfähig hält, lässt diese Leute nicht zum Jobcenter gehen.

Ein Deutschland, in dem wir gut und gerne leben, wie man das jetzt auf Merkel-Plakaten liest? Die Bediensteten solcher Unternehmen sind wohl damit nicht gemeint. Sie sollten aber daran denken am letzten Sonntag des September, sie sollten sich verinnerlichen: Auch Du bist Deutschland! Und dann die richtige Wahl treffen. Nun ja, da mache ich mir nichts vor, selbst diese Prekarisierten werden auf Weiter so! setzen. Denn da wissen sie, was sie haben. Alles andere könnte ja dazu führen, dass es ihnen noch schlechter geht.

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Roberto J. De Lapuente

Roberto J. De Lapuente ist irgendwo Arbeitnehmer und zudem freier Publizist. Er betrieb von 2008 bis 2016 den Blog ad sinistram. Seinen ND-Blog Der Heppenheimer Hiob gab es von Mitte 2013 bis Ende 2020. Sein Buch »Rechts gewinnt, weil links versagt« erschien im Februar 2017 im Westend Verlag. In den Jahren zuvor verwirklichte er zwei kleinere Buchprojekte (»Unzugehörig« und »Auf die faule Haut«) beim Renneritz Verlag.

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Harald
Harald
7 Jahre zuvor

Das groooßartige Jobwunder ist nichts als eine Beschäftigungstherapie.

Ansonsten ist dieses System halbseidener Beschäftigungsformen ein
Staubsauger für Billiglöhner aus Osteuropa. Sobald diese nur irgendeine
legale Beschäftigung nachweisen, haben sie Anspruch auf Sozialleistungen
vom Jobcenter. Denen ist es gleich wenn sich der Mindestlohn durch
Verdoppelung der Arbeitsstunden halbiert, schließlich kommen für 450 €
weitere 1600 € für Frau, Kinder und Wohnung vom Amt. Der Rest dann
schwarz auf Kralle.

Rechtslastigen Populismus sollte mir niemand vorwerfen, bevor er meine
Kurzausführung nicht im Sozialgesetzbuch auf Richtigkeit geprüft hat.

Es wird auch deutlich, dass unter diesen Gegebenheiten das
KanzlerInnen-Geschwafel von der Aussicht auf Vollbeschäftigung
nur grober Unfug sein kann.

Deutschland kippt vollends nach rechts wenn wir nicht die Reißleine
ziehen.

anton
anton
7 Jahre zuvor
Reply to  Harald

Gibt es derzeit ein Modell, welches realistischer als eine Große Koalition wäre, wohl kaum, muss man anerkennen!? Ich sehe nicht, dass wir nach rechts kippen, was dies auch heißen soll! Europa zuerst hilft uns als Formel! Die Roma aus Bulgarien usw., darum geht es wohl meist, sollten keine Kohle erhalten, geschenkt, erst nach 5-jahren in der BRd Zugang zu ALG-2, Nahles arbeite noch mehr daran!!Natürlich wäre die linke Gutmausiüberzeugung, Europa fluten zu dürfen, keine Einladung an die Rechten, süss!

Harald
Harald
7 Jahre zuvor
Reply to  anton

Ich sehe nicht, dass wir nach rechts kippen, was dies auch heißen soll!

Das heißt was es heißt. „Vollends“ bedeutet komplett. Deutschland ist bereits nach rechts
gerutscht dank CDU, SPD, Grünen etc…..Die AfD ist nur ein Beweis dafür.

anton
anton
7 Jahre zuvor
Reply to  Harald

die AFD ist wichtig, damit auch begrenzt wird, viel mehr wird sie wohl nicht bringen!

http://www.spiegel.de/politik/deutschland/manfred-weber-csu-vize-fordert-afrika-plan-zur-eindaemmung-der-migration-a-1164838.html

Dieser Text zeigt, um was es geht! Wer völlig offene Grenzen fordert, wird nie zufrieden sein!

Harald
Harald
7 Jahre zuvor
Reply to  anton

die AFD ist wichtig, damit auch begrenzt wird, viel mehr wird sie wohl nicht bringen!

Du musst eine Nutzen-Schaden-Aufrechnung aufmachen !

Das EU-Recht setzt enge Grenzen an denen eine AfD in der Opposition nichts ändern kann. Deren Gelaber ist so realistisch umsetzbar wie Trumps Mexiko-Mauer. Dafür nimmst du immense, soziale Begleitschäden in Kauf weil du einer weiteren neoliberalen Partei den Steigbügel hältst !

Das rechnet sich nicht ! Dann wähle gleich die CDU und du bekommst die
Schäden in einer altbekannten Mogelverpackung als „Weiter so!“ verkauft.

tja
tja
7 Jahre zuvor
Reply to  Harald

Und mir kommt es so vor als wäre die afd eigentlich gerade wegen den neoliberalen „Nebenforderungen“ bei Rechtsradikalen beliebt. Das Drehbuch sagt ohnehin es wird schwarzgelb. Und der Kernforderung der afd hat schwarzrot schon nachgegeben. Wie wirds dann erst künftig? Kann ja nur Sozialabbau im Ergebnis sein.

Mordred
Mordred
7 Jahre zuvor
Reply to  anton

Europa zuerst hilft uns als Formel! Die Roma aus Bulgarien…

Ich dachte immer, dass Bulgarien auch zu Europa gehört…

GrooveX
GrooveX
7 Jahre zuvor
Reply to  Mordred

‚europa zuerst‘ ist die verschleierte formel für ‚deutschland den deutschen, ausländer raus!‘ das ist ein klassischer npd-slogan!

wir werden seit ca. 2 bis 3 jahren massiv mit diesen verschleierten slogans bombardiert. ich halte nichts davon, über diese slogans auseinandersetzungen zu führen.

nennen wir es einfach ausländerfeindlich!

anton
anton
7 Jahre zuvor
Reply to  GrooveX

Groove: Linksradikale sind die größten Feinde von integrierten Ausländern!!

Mordred
Mordred
7 Jahre zuvor
Reply to  anton

Die übliche Frage: Wie kommst Du darauf?
Und was hat das für einen Kontext zu GrooveX und meiner Aussage?

Jarek
Jarek
7 Jahre zuvor
Reply to  Harald

Im Mai 2017 lebten fast 6,5 Mio. Menschen von den Leistungen nach dem SGB II (Hartz IV genannt). Davon waren ca. 500 000 aus den anderen EU-Staaten und davon wiederum ca. 250 000 aus den osteuropäischen EU-Ländern.
Anhand dieser Zahlen kann man sehen, dass der brave deutsche Arbeitnehmer auch ohne lohndumpende Osteuropäer in den A… gef… werden kann.

Mordred
Mordred
7 Jahre zuvor

Wenn er nach den Regeln spielen würde, sagt er nämlich häufig, dann könne er einpacken, dann ist es eben nicht mehr drin, den Kindern ein Mittagessen für 3,40 Euro sicherzustellen.

Es könnte so einfach sein:
1. Der Staat bzw. Kommune zahlt das Mittagessen
2. Der Staat/die Kommune prüft die Unternehmung auf saubere Arbeitszeiten/Löhne.

Harald
Harald
7 Jahre zuvor
Reply to  Mordred

1. ) Wenn die Kommune 3,40 € pro Mittagessen bezahlt, kann/muss der Chefkoch nicht anders
kalkulieren als vorher

2.) Wenn Stundenzettel nach Absprache oder unter Druck auf Arbeitgeber-, sowie Arbeitnehmerseite
„synchronisiert“ werden, ist da nicht zu prüfen und zu beweisen.
Das Finanzamt prüft sowieso ob Einnahmen und Ausgaben ( u.a. Lohn ) schlüssig sind.

Aus diesen Mini-, und Mikrojobs müssen wieder Vollzeitjobs werden, oder aber man findet
eine angemessene Lösung für die „Überflüssigen“, und blockiert das EU-Recht wo es geht
für weitere Einwanderung in den Arbeitsmarkt. Wir brauchen ein Einwanderungsgesetz das
bislang von CDU/CSU/SPD blockiert wird.

Das sind amerikanisierte Verhältnisse hier. Wir leben aber in Europa und nicht in den USA.

Mordred
Mordred
7 Jahre zuvor
Reply to  Harald

Meine beiden Punkte müssen natürlich noch weiter ausgeführt werden, aber sie sind ein Anfang. Wenn dann nämlich ein einzelner Großkunde anstatt viele kleine Kunden (Eltern) über die Preise verhandeln und dieser Kunde wie in der Privatwirtschaft via Audits alle für ihn relevanten Punkte (ja, auch Löhne und Stunden) prüft…
Je nach Schulgröße könnte die auch eigenes Personal anstellen…

GrooveX
GrooveX
7 Jahre zuvor
Reply to  Mordred

Es könnte so einfach sein: …

na ja, die geschichte ist etwas unausgegoren und unglaubwürdig. insofern erübrigt sich ein darauf eingehen. die einfachste antwort wäre wohl, dass schulessen nicht einzeln gekocht werden und somit bei egal welchem lohn bei 3,40 € einzelpreis gewinn abwerfen.

Mordred
Mordred
7 Jahre zuvor
Reply to  GrooveX

Also in meiner 100.000 Einwohner Kommune läuft es so. Noch. Denn natürlich stehen solche Sozialleistungen aus Einspargründen vor jeder Wahl auf der roten Liste.

GrooveX
GrooveX
7 Jahre zuvor
Reply to  Mordred

das setzt aber einen völlig anderen schwerpunkt auf das thema. da geht es dann nicht um rechtfertigung asozialer hungerlöhne, wie sie im hotel- und gaststättengewerbe seit jeher gang und gäbe sind!

Mordred
Mordred
7 Jahre zuvor
Reply to  GrooveX

ich bezog mich explizit auf das von mir zitierte.
aber im hotel- und gaststättengewerbe ist die luftnummer doch noch viel größer. jenseits von mcdoof oder burgerking kann mir doch keiner arzählen, dass preiserhöhungen von zb 1€ je gericht oder zimmer/nacht zum untergang durch wettbewerber führen würden. das wäre ja noch abstruser als sukrams friseurbeispiel.

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