Talkin´ ´bout my G-G-Generation

Generationengerechtigkeit: Darüber sollte man wieder mal reden. Sie scheint dieser Tage kein demographisches, wohl aber ein nachrichtendienstliches Problem zu sein.

Über Jahre lag man uns Rezipienten mit der Ungerechtigkeit in den Ohren, die wir nachfolgenden Generationen aufbürdeten. Auf Kosten unserer Nachfolger richteten wir uns nämlich rücksichtslos in unserer Gegenwart ein. So wurde die Generationengerechtigkeit als Begriff geboren. Mit ihr wickelte man zum Beispiel die sozialstaatliche Errungenschaft einer umlagenfinanzierten Altersversorgung ab oder unterdrückt man notwendige Strukturinvestitionen: Und so winken wir den Nachgeborenen von einsturzgefährdeten Brücken mit einer schwarzen Null entgegen. Denn Schulden, das wissen wir aus manchem Diskurs, haben dann unsere Kinder und Kindeskinder zu begleichen. Damit auch morgen noch in dieser Gesellschaft gelebt werden kann, muss man folglich generationsgerecht handeln, was oft heißt: Nix ausgeben! Alles mit dem Ziel, dass auch die kommenden Jahrgänge noch etwas von dieser freiheitlich-demokratischen Ordnung haben.

Talkin´ ´bout my G-G-Generation? Aber gerne doch! Meine Generation, ja selbst mein Kind, mein eventuelles Enkelkind und bei verlässlicher Fruchtbarkeit auch noch mein Urenkelchen, werden trotz der Versprechungen der politischen Akteure, sie wollten die NSU-Geschichte rückhaltlos aufklären, in Unkenntnis über die Geschehnisse gelassen. Betreffs der Hinrichtung in Kassel, bei der Einzelhändler Halit Yozgat sein Leben verlor, hat sich das hessische Landesamt für Verfassungsschutz kürzlich dazu entschlossen, den internen Bericht für satte 120 Jahre der Öffentlichkeit vorzuenthalten. Alle Ungereimtheiten in diesem Fall bleiben demgemäß für uns alle unbekannt. In den 2130ern erfahren wir dann mehr.

Was heißt da eigentlich wir? Keiner, der diesen Text heute oder kurz nach seinem Erscheinen liest, wird da noch am Leben sein. Ich wünsche jedem Leser wirklich alles Gute – aber beim besten Willen: Das packt keiner von uns. In den 2130ern sind wir alle längst Staub, wenn es sich unsere Nachkommen leisten können, gibt es von uns bestenfalls noch einen Grabstein. Aber nicht mal das dürfte sicher sein, denn es sind die Lebenden, die Geld benötigen – und das wird in unseren sozialen Gefilden bekanntlich immer knapper.

Nein, wir erfahren gar nichts. Wir durften nur das Scheitern der polizeilichen Ermittlung erleben, die ziemlich offensichtliche Vertuschung von Beweisen, das Wegsterben von eventuell aussagekräftigen Zeugen und wie Bundeskanzlerin und Bundespräsident mit emsiger Betroffenheitsmiene den Hinterbliebenen der Opfer Aufrichtigkeit und Transparenz zusicherten. Wirkliche Fakten bleiben für unsere Generation aber im Dunkeln. Bei dieser Konstellation kann man doch schon mal das Thema »Generationengerechtigkeit mal anders« aufs Tapet bringen. Denn wie soll man an eine freiheitlich-demokratische Ordnung glauben, wenn man Vorfälle, die den Glauben an etwaige Restbestände eines solchen Ordnungsrahmens erschüttern, tief im Aktenschrank versteckt?

Man zitiert jetzt natürlich auf Seiten des Verfassungsschutzes den Schutz von Beteiligten. Aber wie vermessen ist es anzunehmen, dass die in 120 Jahren noch so präsent im kollektiven Gedächtnis sind, als dass man erst da herausrücken könnte mit der Wahrheit? Und welche Botschaft ist das eigentlich in Zeiten wie diesen, da die Menschen nachhaltig ihr Vertrauen in das bundesrepublikanische System verlieren, einfach mal einen solch eklatanten Eingriff in die öffentliche Ordnung geheimzuhalten? Die Ordnung gerät eher nicht Gefahr, wenn herauskommt, dass die Ordnung hier kläglich versagt hat: Sie gerät mit solchen Verschleppungsaktionen in Gefahr, mit denen man die Zeitgenossen für dumm verkauft und ihnen die Teilhabe an etwas verweigert, woran sie im Sinne einer gesunden res publica Anspruch hätten.

People try to put us d-down / Talkin´ ´bout my G-G-Generation … wenn das mal kein Thema ist, um die Generationengerechtigkeit neu aufzurollen. Als Vertreter meiner Generation fühle ich mich da jedenfalls ziemlich ungerecht behandelt. Wieso sollten Menschen in der Zukunft etwas exklusiv erfahren dürfen, was sie gar nicht mehr betrifft? Diese zukünftigen Leute zucken doch da nur mit den Achseln und das alles auf unsere Kosten.

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Roberto J. De Lapuente

Roberto J. De Lapuente ist irgendwo Arbeitnehmer und zudem freier Publizist. Er betrieb von 2008 bis 2016 den Blog ad sinistram. Seinen ND-Blog Der Heppenheimer Hiob gab es von Mitte 2013 bis Ende 2020. Sein Buch »Rechts gewinnt, weil links versagt« erschien im Februar 2017 im Westend Verlag. In den Jahren zuvor verwirklichte er zwei kleinere Buchprojekte (»Unzugehörig« und »Auf die faule Haut«) beim Renneritz Verlag.

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Mordred
Mordred
6 Jahre zuvor

Solche Berichte kommen und bleiben doch unter Verschluss, weil die Infos irgendwie das Staatswohl gefährden könnten?
Und diese Gefährdung gilt für 120 Jahre? Was soll denn da passiert sein? Hat der NSU Atombomben geklaut oder Hitler geklont?

Schnörch
Schnörch
Reply to  Mordred
6 Jahre zuvor

Gab oder gibts den NSU überhaupt. Gab es die RAF überhaupt? Oder wird uns allen nur eine F… auf die Backe gemalt?

Heldentasse
Heldentasse
Reply to  Schnörch
6 Jahre zuvor

In ein paar Jahrzehnten wissen wir mehr, irgendwann (früher oder später) finden gewissenhafte Historiker, wie z.B. Herr Ganser, die politischen Leichen im Keller.

Ein Beispiel:

https://www.youtube.com/watch?v=zygPxUFOjKs

Beste Grüße

lotton
lotton
6 Jahre zuvor

Und wenn es dann soweit ist und Historiker die Aufgabe übernehmen denen man mit Verschluss aus dem Wege ging, wird es heißen: Verschwörungstheoretiker.

trackback
Talkin´ ´bout my G-G-Generation – Tagesticker.net
6 Jahre zuvor

[…] scheint dieser Tage kein demographisches, wohl aber ein nachrichtendienstliches Problem zu sein. Weiterlesen bei den neulandrebellen Lesen Sie auch: Lohn und Brot von der bayerischen Wirtschaft Na also, Problem behoben. Von wegen […]

GrooveX
GrooveX
6 Jahre zuvor
Heldentasse
Heldentasse
Reply to  GrooveX
6 Jahre zuvor

Eine kleine Gegenfrage: Darf man eigentlich noch „Hindu kusch!“ sagen, oder ist das schon rassistisch?

Beste Grüße

GrooveX
GrooveX
Reply to  Heldentasse
6 Jahre zuvor

kommt drauf an… kusch in ‚hindukush‘ heißt töten, tod, mord.

Heldentasse
Heldentasse
Reply to  GrooveX
6 Jahre zuvor

In der Tat!

wschira
wschira
Reply to  Heldentasse
6 Jahre zuvor

Kommt drauf an. Wenn Ihr Hund „Hindu“ heisst…

ninjaturkey
ninjaturkey
6 Jahre zuvor

120 Jahre. Üblich sind 30, oder bei kollektivem Sex mit Tieren + Drogen + Hitlergruß vielleicht auch mal 50 Jahre. Mein Gott, was muss denn 120 Jahre unter Verschluss. Satanismus mit Babies essen? Mir ist klar, dass der Herr Bouffierso demokratischen Denkens weitgehend unverdächtig ist, aber SO SCHLIMM?

Heldentasse
Heldentasse
6 Jahre zuvor

Oh Gott oh Gott! Nach der Gerechtigkeit® wird jetzt auch noch die Generationen-Gerechtigkeit® durchs globale Dorf gejagt, was für eine offensichtlicher Propaganda!

Ich persönlich halte ist diesbezüglich mit dem großen von mir sehr verehrten Mr. Richard P. Feynman, der mal gesagt haben soll:

You have no responsibility to live up to what other people think you ought to accomplish. I have no responsibility to be like they expect me to be. It’s their mistake, not my failing.

Damit wäre eigentlich alles gesagt.

Beste Grüße

der-5-minuten-blog.de
der-5-minuten-blog.de
6 Jahre zuvor

Wirklich merkwürdig.
Das hat mit Reden ist selber, Schweigen ist Gold schon nichts mehr zu tun. Selbst die zweite Hälfte der Akten zur Ermordung Kennedys sollen 2029 frei gegeben werden. Da kommen wir also auf gut 60 Jahre Geheimhaltung. Warum es bei Yozgat doppelt so lange dauern soll, erschließt sich mir auch nicht.

jowi
jowi
6 Jahre zuvor

Solange unsere westlichen Regierungen mit Gesetzen und Verordnungen Verschwörungspraktiker schützen, solange werde ich mich mit Verschwörungstheorien beschäftigen müssen. Ohne das Einbeziehen des heimlichen Wirkens staatlich finanzierter Dunkelmänner ist keine Betrachtung politisch-gesellschaftlicher Entwicklungen vollständig. Und die Patin macht die Raute.