No future!

Zukunft ist für uns Zeitgenossen des jungen 21. Jahrhunderts offenbar nur noch als Katastrophe denkbar. Das war für die Menschen am Beginn des 20. Jahrhunderts noch ganz anders: Zukunft galt damals als Chance.

Dystopischer Schlüssel

Bei »The Walking Dead« steht so gut wie fest, dass wir keine haben. In »The Handmaid’s Tale« hat sie sich zu einer fundamentalistischen Diktatur ausgewachsen. »Black Mirror« zeigt sie uns anthologisch facettenreich, als Hochglanzdystopie voll ausgereifter Kommunikationstechnologien. In der Folge »Nosedive« zeigt man sie uns beispielsweise als gefallsüchtiges Lächeln. In Hollywood ist sie schon seit Jahren dunkel. Ob »I am Legend«, »Elysium« oder ähnliche Streifen: Gut sieht sie nicht aus. Allenfalls die Reihe um den »Terminator« sieht einen Kampf um sie vor. Die Zukunft: Wir malen sie uns offenbar nicht besonders attraktiv für uns Menschen aus. Ja, sie scheint dem Punk ergeben: »No future!«

Das war nicht immer so. Das dystopische Zeitalter ist eine Erfindung der letzten Jahrzehnte. Zwar gab es immer Kunst, Romane und Filme, die die Zukunft als Katastrophe ausleuchteten. Aber generalisiert hat man diese Aussicht ja nun nicht. Im Kosmos von »Star Trek« gab es weiterhin Krieg und Niedertracht, aber das dortige Zukunftszenario machte doch Hoffnung. Dort wird eine Menschheit skizziert, die den ewigen Kampf ums Dasein erfolgreich einstellen konnte, um überdies ein neues Bewusstsein zu entwickeln. Dass die Reihe ausgerechnet in den letzten Jahren strauchelt und mit dem neuesten Ableger bei Netflix (»Star Trek: Discovery«) einen durchaus dystopischeren Ansatz verfolgt, ist kein Zufall: Das sind Zugeständnisse zu diesem Zeitgeist, der sich Fortschritt nur als Rückschritt denken kann.

Zukunft ist möglich

Dieser letzte Satz ist freilich als Metapher zu verstehen. Natürlich schreitet man chronologisch voran. Zurück geht es nicht. Auch ist der Rückschritt der Zukunftszenarien, die herumgeistern, ja keiner, der glaubt, dass die Dreißigerjahre eine Neuauflage erlebten. Fortschritt ist nach wie vor. Technologisch wahrscheinlich mehr als je zuvor. Aber was sie etabliert ist eine Fortschrittsungläubigkeit. Nicht so, dass man glaubt, da käme nichts mehr, sondern eher in dem Sinne, dass das, was als Zukünftiges droht, eben genau das ist: Eine Bedrohung.

Die Historiker betonen gerne, dass das Geschichtsbewusstsein des Menschen erst am Ausgang aus dem Mittelalter gegenständlich wurde. Der barocke Mensch, gemeint ist damit freilich der lesefähige Mensch der Renaissance, entwickelte erstmals ein Bewusstsein, dass die Menschheit als historischen Gattungsbegriff wahrnahm. »Utopia« ist nicht ganz zufällig die Wortwahl eines Mannes, der just in diesen Zeiten lebte und schrieb. Vorher dümpelte man von Generation zu Generation, von Jahrhundert zu Jahrhundert hin. Es war dann wohl die Aufklärung, die die Geschichte des Menschen als historischen Vorgang begriff. Hegel fundamentierte Geschichte als Vernunftevolution. Marx stattete sie materialistisch aus. Darwin biologisierte sie. Von dort war es eine ganz normale Entwicklung, sich Menschheit auch als Zukunftsentität vorzustellen. Wer Gesellschaftsentwicklung wahrnahm, der musste auch Zukunftsszenarien entwickeln können.

Postpunk: Unterm Strich, zählt nüscht!

Dass diese Fähigkeit zur gattungsspezifischen Selbstwahrnehmung grundsätzlich pessimistisch sein muss, kann man nun jedoch nicht behaupten. Ende des 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts waren die Menschen zukunftstrunken wie selten sonst. Die Technik verwandelte die Welt, die Wissenschaften ermöglichten Verbesserungen in der Lebenssituation vieler Menschen. Die Welt war im Aufbruch, die Mobilität wuchs. Auch wenn das Leben in jenen Zeiten schwierig war, wenn man ins ärmere Segment der Gesellschaft hineingeboren wurde: Zukunft war nicht grundsätzlich als Katastrophe programmiert. Womöglich ist auch in dieser Trunkenheit die Begeisterung zu suchen, mit der sich junge Männer in den ersten großen Weltenbrand schmissen. Sie kannten die Zukunft ja nur als einen Topos, mit dem man Chancen, Wachstum, neue Entwicklungen, Verbesserungen und Innovation verband.

Im Laufe des 20. Jahrhunderts hat sich diese Freude auf das, was da kommen mag, schwer gewandelt. Diese Entwicklung geschah sukzessive. Im Zeitalter des Overkill wurde es Usus, an gar kein Morgen, gar keine Perspektiven mehr zu glauben. Bevor die ersten Punks riefen, dass sie keine Zukunft für sich erblicken können, etablierte sich diese Denkweise beim kritischen Teil des Bürgertums. Ohne die Bedenken der Atomkraft-Gegner, wäre der Punk nicht zu seiner traurigen Quintessenz gekommen. Heute aber scheint es so, als habe der Punk voll durchgegriffen. Seine Wahrnehmung von Zukunft als No-Futurismus, ist ungeschönter Mainstream. Dieser Postpunk ist besser angezogen, aber fatalistischer, resignierter und verdrossener als der Vorgänger. Keiner ruft ordinär »No future!«. Man schnauft tief durch und erklärt, dass man es aufgegeben habe.

Zukunftskatastrophe schon heute: Politik als Sachzwang ohne Gestaltungsfreiheit

Die wesentliche Problematik unserer Zeit ist der Notenschlüssel des Postpunk, der uns musikalisch allerorten berieselt. Die Perspektiven fehlen. Man fragt nach der Sinnstiftung des stupiden Laufrades, in das man sich systematisch hineingedrückt glaubt. Wofür der Aufwand, das Streben nach Karrieren, nach Aufstiegen, nach Produktivität, wenn die Botschaften von Wirtschaft und Politik nur lauten: Durchhalten, Talsohle durchschreiten, jetzt an den Wettbewerb denken, spare in der Zeit, dann hast du in der Not. Ob man dann dumpfe Alternativen wählt, die sich in eine Zeit zurückhoffen, in der der Postpunk noch nicht existierte, in der man im Petticoat oder schwarzen Lederschlips wusste, dass es ein Fortkommen geben könnte – oder ob man gar nicht mehr seine Stimme zur Urne trägt: Es ist doch ständig die Zukunft als Katastrophe, die Menschen zu Migranten im Zeitgeist macht, zu Flüchtigen des Augenblicks.

Dieser alternativlose Kurs, den man uns nicht als besten aller möglichen Wege verkauft, sondern als einzig gangbaren Weg aufzwingt: Er macht verdrossen und verbittert uns für die Zukunft. Wer in einem solchen Klima heranwächst, kann sich Zukunft nur negativ denken. Als Katastrophe, Seuche oder technologische Diktatur. Als einen Zustand, in dem die dunklen Kräfte die Macht an sich gerissen haben, weil die Helligkeit über Jahrzehnte versagt hat, alles mit Licht zu erfüllen. All diese ausgemalten Szenarien, die in den Köpfen der Menschen herumschwirren oder gar auf die Leinwand oder zwischen Buchdeckel geraten, zeugen vom Versagen der Politik – und das auf ganzer Linie. Die Verkatastrophierung der Zukunft ist das Produkt einer Politik, die sich unter dauernder Selbsterklärung potenzieller Sachzwänge um ihre eigene Gestaltungsfreiheit bringt.

Dystopien als Seelenspiegel

Es ist derzeit wirklich attraktiv, Zukunft als Dystopie zu skizzieren. Und das nicht, wie dunnemals, hie und da mal, sondern gewissermaßen als Massenprodukt einer ganzen Dystopia-Industrie. Das meiste von dem, was da oben als äußerst kurzer Querschnitt durch diese Sparte der Unterhaltungsindustrie genannt wurde, lässt sich auch gut ansehen. Die Lust am Niedergang kann Spaß machen auf dem Sofa. Gleichzeitig sollten wir nie vergessen: So drückt die Kunst das aus, was in uns allen gärt. Wir haben Angst um die Zukunft. Sehen keinen erstrebenswerten Entwurf mehr, keinen guten Vorsatz, keine Pläne für eine bessere Welt. Nur weiterwursteln an allen Ecken und Enden. Wird schon klappen – also weiter so.

Die Sachverwaltung des Niedergangs, die sich durch Staatsrückzug und falsche Verteilung gesellschaftlicher Reichtümer auszeichnet, ist keine Perspektive. Sie macht uns Zukunft nicht schmackhaft, sondern verwaltet sie als dauerhafte Ressourcenverknappung und Überlebenskampf. Globale Strategien gibt es gar keine. Nicht mal auf nationaler Ebene gibt es Visionen darüber, wie das Zusammenleben so organisiert werden könnte, dass am Ende jeder profitiert. Dieser Nährboden des Pessimismus ist ein perspektivisches Problem. Politische Angebote setzen stets dort an und verstehen sich als Resteverwahrer und Nachlassverwalter. Wie soll da Optimismus entstehen?

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Roberto J. De Lapuente

Roberto J. De Lapuente ist irgendwo Arbeitnehmer und zudem freier Publizist. Er betrieb von 2008 bis 2016 den Blog ad sinistram. Seinen ND-Blog Der Heppenheimer Hiob gab es von Mitte 2013 bis Ende 2020. Sein Buch »Rechts gewinnt, weil links versagt« erschien im Februar 2017 im Westend Verlag. In den Jahren zuvor verwirklichte er zwei kleinere Buchprojekte (»Unzugehörig« und »Auf die faule Haut«) beim Renneritz Verlag.

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Heldentasse
Heldentasse
6 Jahre zuvor

Dystopien als Seelenspiegel

Danke! Und ich Depp dachte immer, dass wir als Spezies höchst wahrscheinlich keine gute Zukunft mehr erleben dürfen, läge an der Größe unserer Population, dem absolut nicht nachhaltigen Lebenswandel der meisten unserer Art, zumindest in den Industriestaaten und Schwellenländern, sowie den gemeinen Naturgesetzen.

Beste Grüße

https://www.youtube.com/watch?v=L2a2e29_YK0

Schlitti
Schlitti
Reply to  Heldentasse
6 Jahre zuvor

Ein Link zum Lanz …… Wenn das der Herr Mausfeld wüsste !

Heldentasse
Heldentasse
Reply to  Schlitti
6 Jahre zuvor

Genau, nur weil Herr Lanz manchmal grenzwertig „drauf“ ist, müssen das seine Gesprächspartner ja unbedingt auch sein. Manche nennen man in einem erweiterten Kontext „Kontaktschuld“, ich nenne es ganz einfach Propaganda die geeignet ist vom eigentlichen abzulenken, wer die schlechten Nachrichten überbringt ändert nichts an der beginnenden Katastrophe.

Belegt wird das u.a. mit dieser Studie Biological annihilation via the ongoing sixth mass extinction signaled by vertebrate population losses and declines deren Zusammenfassung man hier lesen und hören kann.

ChrissieR
ChrissieR
Reply to  Heldentasse
6 Jahre zuvor

Heldentasse, ich hab Dir dafür wieder nen erhobenen Daumen gegeben, jetzt ist der Zähler wieder auf null…

Heldentasse
Heldentasse
Reply to  ChrissieR
6 Jahre zuvor

Seid bedankt! 🙂

Pentimento
Pentimento
Reply to  Heldentasse
6 Jahre zuvor


Daumen hoch auch von mir. Das Thema kann gar nicht wichtig genug genommen werden. Wer das nicht versteht oder verstehen will, hat doch einen psychischen Defekt!

badbentham
badbentham
Reply to  Heldentasse
6 Jahre zuvor

Natürlich gehen die Auslöschung der Lebenswelt, durch Unterwerfung unter die Produktion, und die postulierte „Alternativlosigkeit“ Hand in Hand; – so „rationalistisch“ war die Aufklärung schon immer, nur dass sie über mehrere Jahrhunderte den technologischen Fortschritt, der neue Horizonte und Möglichkeiten erschließt, als massenwirksame Utopie auszumalen verstand. Demgegenüber stehen aber schon Anfang des 19. Jh. der Faust und Frankenstein, die beide mit ihren Hand in Hand gehenden Weltbeherrschungsphantasien (ob politisch- ökonomisch oder auf dem Weg der Wissenschaft) einigermaßen Unheil anrichten. Die gesamte „No Future Industrie“ , zu der auch z.B. Adorno (der alte Punk! :O) zählte, der diese Erzählung als vermutlich Erster tatsächlich generalisierte, bedient sich eigentlich ganz hervorragend bei diesen beiden Texten. Als Kurzform bietet sich noch https://de.wikipedia.org/wiki/Der_Zauberlehrling an, wo der Mensch sich anmaßt, „Gottes Werk“ zu verrichten. ( Hat der alte Hexenmeister sich doch einmal wegbegeben!
Und nun sollen seine Geister auch nach meinem Willen leben…) Die Struktur ist auch nett:
1. Überheblichkeit und Wichtigtuerei
2. Umsetzung des Vorhabens
3. Machtrausch
4. Angst und Verzweiflung
5. Hilfloses Schimpfen
6. Verzweiflungstat
7. Hilferuf
8. Rettung durch den Zaubermeister
– Vermutlich befindet man sich bei 5. , 6. will man sich inzwischen möglicherweise lieber nicht mehr ausmalen, und ob man auf 8. vertrauen kann und soll!?

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No future! – Tagesticker.net
6 Jahre zuvor

[…] für die Menschen am Beginn des 20. Jahrhunderts noch ganz anders: Zukunft galt damals als Chance.Weiterlesen bei den neulandrebellen Lesen Sie auch: Wir Sexismusopfer Sexismus ist eines der ganz großen Probleme unserer Zeit? Na, […]

RodolpheSalis
RodolpheSalis
6 Jahre zuvor

Nah, wer Visionen hat, soll zum Arzt gehen!
Hat mir gut gefallen der Artikel.

parsleyRL
parsleyRL
6 Jahre zuvor

Schöner Artikel! Nur tue ich mich schwer damit, daß Anfang (für mich: 1. Hälfte des 20.Jhd.) die Zukunft als Chance begriffen wurde. Wenn ich mir als Beispiele Huxley (Schöne neue Welt), H.G.Wells (Die zeitmaschine) und Bradbury (Fahrenheit 451, gut, das erschien 1951), dann scheint mir „Zukunft als Chance“ zumindest in dieser Verallgemeinerung doch etwas übertrieben.

Zonk!
Zonk!
6 Jahre zuvor

„Zukunft ist möglich“, „als Metapher“ – So! Was jedoch, wenn es doch nur Gegenwart ist und bleibt -Fangen wir doch nochmal ganz von vorn an, ein Impuls der eine solche Anziehungskraft hat, daß…. [zum selbst ergänzen :-)]