Neues vom Jobwunder
Eigentlich schade, dass der Italiener um die Ecke nicht liefert, oder? Tut er aber nun doch. Nicht er selbst, er hat den Service outgesourct. Ein Fahrradkurier macht das jetzt für ihn. Auch diese Radler sind Teil des Jobwunders und des vermeintlichen Stellenüberflusses in Deutschland.
An fast jedem Abend trifft sich ein Pulk von Radfahrern in der Frankfurter Taunusanlage. Alle habe sie einen großen Kasten, eine Kühl- bzw. Wärmebox mit einem modernen Start-Up-Namen auf dem Gepäckständer. Und da warten sie dann. Auf einen Anruf, eine aufpoppende App, auf eine Buchung. Denn in der benachbarten Kaiser-, Münchner oder Taunusstraße gibt es eine Unmenge von Lokalen, die sich keinen Fahrdienst leisten, ihre Speisen aber dennoch gerne zur Lieferung an die Haustüre anbieten möchten. Moderne Unternehmen haben einen solchen Fahrdienst entwickelt, der als outgesourcte Dienstleistung den Restaurants gegen Gebühr zur Verfügung stehen soll. Eben jenes Peloton an Radfahrern. Das bietet seine Dienste entweder selbstständig oder geringfügig beschäftigt an.
Der Lohn setzt sich aus einem Grund- und einem Zusatzlohn bei erfolgter Auslieferung zusammen. Ersterer liegt hierbei unter dem gesetzlichen Mindestlohn, jedenfalls dann, wenn das Arbeitsverhältnis auf selbstständiger Basis erfolgt. Arbeitsmaterial muss man selber mitbringen. Ob Handy oder Fahrrad: Gestellt wird nichts. Auch eine Unfallversicherung wird nicht abgeschlossen. Manches dieser Unternehmen bietet auch firmeneigene Fahrräder an. Die Benutzung wird dann jedoch in Rechnung gestellt.
Der Job selbst gestaltet sich, wie jede Anstellung als Lieferant, als regelrechte Knochenarbeit. Treppensteigen, Speisen schleppen, die Uhr nicht aus den Augen verlieren. Erschwerend kommt hinzu, dass sich die Lieferanten mit dem Fahrrad durch Großstadtstraßen schlängeln müssen, die für ihre Fahrradfahrerfreundlichkeit eher nicht bekannt sind. Eine Fahrt quer durch die Stadt ist so nicht nur ein ewiger Kampf gegen die Uhr, sondern auch eine kalkulierte Gefahr für Leib und Leben.
Neues vom Jobwunder also. Szenen aus jener Geschichte, die erzählt: Deutschland gehe es gut. So gut wie nie. Was die schöne neue App-basierte Welt hier für Arbeitsuchende bereithält, das sind moderne Arbeitsgelegenheiten, die eine maximale Flexibilität und Arbeitsbereitschaft zuzüglich Einsatz privater Betriebsmittelressourcen vorschreibt, um minimales Einkommen zu generieren. So sieht es in vielen Bereichen des modernen Arbeitsmarktes aus. Beim Peloton der Fahrradlieferanten kulminieren all die Eigenschaften, die den Zumutbarkeitslimbo auf dem Arbeitsmarkt ausmachen. Hier wird Eigenverantwortung und Flexibilisierung so augenscheinlich zum Einstellungskriterium, dass diese Stellen buchstäblich als Paradebeispiel der prekären neuen Arbeitswelt herhalten können.
Eine Regulierung solcher Arbeitsplatzmodelle, die Angestellte nicht als solche sehen, sondern als Reservoire auf das man unverbindlich zurückgreifen kann, wenn man schnell einen Dienstleistungs- oder Arbeitsauftrag zu verteilen hat, wird von der herrschenden Politik aber leider kaum zu erwarten sein. Seit Jahrzehnten wird prekäre Beschäftigung in diesem Land als Rettung vor dem wirtschaftlichen Niedergang gefördert und jeder Eingriff zur Besserstellung prekär Beschäftigter auf die lange Bank geschoben.
Was sich da per App als Bereitschaftsdienst jeden Abend in Parks oder Straßenecken versammelt, um auf Aufträge zu warten, muss man als die nächste Stufe der Prekarisierung ansiedeln. Festangestellte Leiharbeitnehmer: Das ist so Neunziger. Das Mobiltelefon als Klingel für den Bediensteten zu benutzen, das ist die nächste Form der Modernisierung des Arbeitsmarktes. Man kann so tun, als sei das eine Entwicklung, die zwangsläufig ist. Oder aber man bildet sich ein, dass Politik sehr wohl Entwicklungen bestimmen könnte, wenn sie denn die Courage dazu hätte. Menschliche Arbeitskraft jedoch in einen App-basierten Bereitschaftsmodus zu versetzen: Herzlich willkommen im digitalisierten Viktorianismus.
Joa, das Jobwunder! Das ist der Unterschied in deiner Sichtweise und bspw. der der Argen, Politik und Banken.
Vom Fahrradkurier zum Millionär. Das medial gesteuerte Hohelied auf die geringfügige Beschäftigung und all die zufriedenen „fliegenden“ Hair-, Nail- und Typstylisten, wie auch die Fensterputzer und anderen Facility-Manager in den Reichenvierteln und Kleinvillenanlagen der großstädtischen Speckgürtel verpufft zum bloßen Selbstzweck der Geldeliten.
Minijobs als Rettungsanker der Beschäftigungspolitik? Lächerlich. Genau, wie du beschreibst (und vermutlich selbst aus der Tätigkeit als „freier“ Journalist kennst), klafft hier eine enorme Lücke zwischen der öffentlich kolportierten Meinung und der tatsächlichen Befindlichkeit der jeweiligen Betroffenen.
Oder kurz gefasst, wie es erst kürzlich Klaus Ernst sagte:
-> https://www.tagesschau.de/inland/teilzeit-103.html
M.E. ist es so, dass viel weniger das digitale Medium (App) zu kritisieren ist, sondern die Tatsache das es seit Schröder I/II möglich ist die Arbeitsleistung von im Grunde abhängig Beschäftigten u.a. in Werkverträgen oder Pseudo-Selbständigkeiten zu verpacken. Und das nicht motiviert um primär die Löhne zu senken, sondern um Arbeitgeber die Möglichkeit zu geben die Sozialabgaben (GKV, GRV, GAV) zu optimieren im Sinne ihres Profits.
Das dabei das Sozialsystem und die Unternehmen die nicht so asozial sind langfristig vor die Wand gefahren werden, wird offensichtlich billigend in Kauf genommen.
Beste Grüße
https://www.youtube.com/watch?v=7yrFHWBuWzg
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OFF
Ein richtig guter Artikel !
„Warum musste Gaddafi sterben?“
https://www.rubikon.news/artikel/warum-musste-gaddafi-sterben
Das ist alles nicht neu. Das Verfahren nennt sich „liquid workforce“ und wurde vor etwa zehn Jahren von IBM erfunden. Damit kann man diesen ganzen Sozialklimbim wie Renten-, Kranken- und Unfallkassen abschaffen. Denn wir werden alle zu Ich-AG. Wer sich nicht selbst versichern kann, hat eben Pech gehabt.
[…] Anmerkung Sozialticker – weiter Infos zum Jobwunder – KLICK […]
[…] Neues vom Jobwunder Eigentlich schade, dass der Italiener um die Ecke nicht liefert, oder? Tut er aber nun doch. Nicht er selbst, er hat den Service outgesourct. Ein Fahrradkurier macht das jetzt für ihn. Auch diese Radler sind Teil des Jobwunders und des vermeintlichen Stellenüberflusses in Deutschland. An fast jedem Abend trifft sich ein Pulk von Radfahrern in der Frankfurter Taunusanlage. Alle habe sie einen großen Kasten, eine Kühl- bzw. Wärmebox mit einem modernen Start-Up-Namen auf dem Gepäckständer. Und da warten sie dann. Auf einen Anruf, eine aufpoppende App, auf eine Buchung. Denn in der benachbarten Kaiser-, Münchner oder Taunusstraße gibt es eine Unmenge von Lokalen, die sich keinen Fahrdienst leisten, ihre Speisen aber dennoch gerne zur Lieferung an die Haustüre anbieten möchten. Moderne Unternehmen haben einen solchen Fahrdienst entwickelt, der als outgesourcte Dienstleistung den Restaurants gegen Gebühr zur Verfügung stehen soll. Eben jenes Peloton an Radfahrern. Das bietet seine Dienste entweder selbstständig oder geringfügig beschäftigt an. Der Lohn setzt sich aus einem Grund- und einem Zusatzlohn bei erfolgter Auslieferung zusammen. Ersterer liegt hierbei unter dem gesetzlichen Mindestlohn, jedenfalls dann, wenn das Arbeitsverhältnis auf selbstständiger Basis erfolgt. Arbeitsmaterial muss man selber mitbringen. Ob Handy oder Fahrrad: Gestellt wird nichts. Auch eine Unfallversicherung wird nicht abgeschlossen. Manches dieser Unternehmen bietet auch firmeneigene Fahrräder an. Die Benutzung wird dann jedoch in Rechnung gestellt. Quelle: neulandrebellen […]
OFF
Verschlußsache Schulprivatisierung
Am 1. Juni 2017 sollen im Bundestag die Voraussetzungen für eine der größten und wahrscheinlich folgenreichsten Privatisierungen der deutschen Geschichte geschaffen werden. Weitgehend unbemerkt von der breiten Öffentlichkeit könnten nicht weniger als 13 Grundgesetzänderungen beschlossen werden.
https://www.hintergrund.de/politik/inland/grundgesetzaenderungen-koennten-schulen-systematisch-fuer-private-investoren-oeffnen/
Ein Problem dieser Zuliefer-Jobs ist auch, dass viele, die z.B. als Studierende diese Jobs annehmen, inzwischen solche Ent-Solidarisierung für ganz normal halten. Ich habe hier in Hamburg auf der Straße 4 der Fahrer (um 90% Männer hier) gefragt, ob sie denn wirklich über 13 Euro die Stunde bekommen, wie Fedora an den Unis auf auf cool gemachten Werbeplakaten behauptet. 3 verneinten. Einer sagte, mit Trinkgeldern manchmal. Ich fürchte, die Wartezeiten hat er nicht berechnet, nur die wirklichen Lieferungen. Aber der cool lächelnde Typ auf dem Werbefoto suggeriert – easy, 13 Euro die Stunde.
Es scheint wirklich gelungen, an den Unis jedenfalls solche ent-solidarisierten Arbeiten als „cool“ wirken zu lassen. Vier ist nicht eben eine statistisch relevante Gruppe^^, aber mein Eindruck bisher ist, ich frage alle, die ich grad bei der Pause sehe – viele verstehen gar nicht, was man an Fedora und anderen kritisieren könnte. Das hat viele Gründe. Einer wäre auch, daß Leute wie der heutige Spiegel-Redakteur Sascha Lobo z.B.vor über 10 Jahren schon Bücher mit Titeln wie „Wir nennen es Arbeit – die digitale Bohème“ schrieben. Es war denen vermutlich nicht mal bewußt, welchem Trend sie da aufsaßen. Es geht gar nicht um einzelne Bücher, aber in diesen Jahren wurde schön geredet, was in Wirklichkeit Grundlagen jeden Widerstands zerstört hat. Das ist nur ein Aspekt, aber einer, der gerne übersehen wird. Ältere sagen, „gleich welche Arbeit – jeder Lohn ist gut“ . Jüngere sagen oft „ist doch geil, und mein Rennrad und jedes Jahr ein neues smartphone hab ich doch eh“. Statt „digitaler Bohème“ brauchen wir eine Übersicht über die gesamte Lage – aber genau das wird schwierig mit den vielen tausend Einzelhäppchen übers smartphone. Es ist den KapitalistInnen gelungen, z.B. jede Kritik an smartphones wie einen persönlichen Angriff auf die Leute wirken zu lassen…sehr geschickt, das.
[…] Neues vom JobwunderEigentlich schade, dass der Italiener um die Ecke nicht liefert, oder? Tut er aber nun doch. Nicht er selbst, er hat den Service outgesourct. Ein Fahrradkurier macht das jetzt für ihn. Auch diese Radler sind Teil des Jobwunders und des vermeintlichen Stellenüberflusses in Deutschland.An fast jedem Abend trifft sich ein Pulk von Radfahrern in der Frankfurter Taunusanlage. Alle habe sie einen großen Kasten, eine Kühl- bzw. Wärmebox mit einem modernen Start-Up-Namen auf dem Gepäckständer. Und da warten sie dann. Auf einen Anruf, eine aufpoppende App, auf eine Buchung. Denn in der benachbarten Kaiser-, Münchner oder Taunusstraße gibt es eine Unmenge von Lokalen, die sich keinen Fahrdienst leisten, ihre Speisen aber dennoch gerne zur Lieferung an die Haustüre anbieten möchten. Moderne Unternehmen haben einen solchen Fahrdienst entwickelt, der als outgesourcte Dienstleistung den Restaurants gegen Gebühr zur Verfügung stehen soll. Eben jenes Peloton an Radfahrern. Das bietet seine Dienste entweder selbstständig oder geringfügig beschäftigt an.Der Lohn setzt sich aus einem Grund- und einem Zusatzlohn bei erfolgter Auslieferung zusammen. Ersterer liegt hierbei unter dem gesetzlichen Mindestlohn, jedenfalls dann, wenn das Arbeitsverhältnis auf selbstständiger Basis erfolgt. Arbeitsmaterial muss man selber mitbringen. Ob Handy oder Fahrrad: Gestellt wird nichts. Auch eine Unfallversicherung wird nicht abgeschlossen. Manches dieser Unternehmen bietet auch firmeneigene Fahrräder an. Die Benutzung wird dann jedoch in Rechnung gestellt.Quelle: neulandrebellen […]
[…] Neues vom Jobwunder Über Fahrradkuriere auf Abruf – jederzeit buchbar für Firmen, die keinen eigenen Lieferservice haben wollen. „So bezahle ich die Leute nur bei Auslieferung von Waren“, freut sich ein Gastronom über das Abwälzen seines unternehmerischen Risikos auf die Fahrradkuriere. […]
[…] Neues vom Jobwunder Über Fahrradkuriere auf Abruf – jederzeit buchbar für Firmen, die keinen eigenen Lieferservice haben wollen. „So bezahle ich die Leute nur bei Auslieferung von Waren“, freut sich ein Gastronom über das Abwälzen seines unternehmerischen Risikos auf die Fahrradkuriere. […]