Abhängen mit den Abgehängten

Wenn deutsche Qualitätsmedien von den Lebensrealitäten der Abgehängten berichten, dann treten sie eine Reise in ihre eigene jüngste Vergangenheit an. Sie tun es mit derselben Uneinsichtigkeit wie man es gemeinhin der SPD vorwirft.

Ach, die haben doch gelernt, die Medien. So kurz vor der Wahl findet man jetzt neben Qualität auch eine Quantität an Angeboten wieder, die auch mal die kleinen Leute von der Straße zu Wort kommen lassen. Diese Abgehängten halt, die sich so durchs Leben schleppen müssen, die wirtschaftliche darben und meinen, sie kämen zu kurz. Das soll wohl Pluralismus herstellen. Und nebenbei bringt das Quote, denn so ein schräger Vogel, der gehört werden will, wenn er loslegt, dass die Flüchtlinge ihm die dicken Löhne und die dünnen Frauen wegnähmen, das gruselt manchen Abonnenten ja schon ein wenig.

Es ist eine komische journalistische Mischung, die da von der Basis berichtet. Irgendwie gibt man sich ja neutral, bohrt nicht nach einem Eklat gierend nach, versucht es mit Besonnenheit. Gleichzeitig ist es aber genau diese plötzlich sachliche Aneignung des Themas, die einen sonderbaren Eindruck hinterlässt. Man lässt die Eindrücke von der Straße alleine wirken, braucht gar keinen journalistischen Verstärker mehr, der komprimiert. Komprimiert ist es dort draußen schon ganz ohne Beihilfe. Man muss nicht mehr mit dem Finger auf etwas zeigen und so der Lächerlichkeit einen Weg bahnen. Was man so vernimmt, schafft es ganz alleine ins Lächerliche. Man lässt das die Befragten also ganz alleine verrichten. Da ist man ganz liberal, lässt die unsichtbare Hand walten.

Hat man vormals auch gemacht. Nur auf eine andere Weise. Man berichtete viel von den Vorzügen, die solche nicht für das Auge erkenntliche Hände für die Wirtschaft haben würden. Man schrieb viel von Reformen und Modernisierung, von Erfolgsgeschichten und diesen neuen toughen Liberalismus. Weniger schrieb man davon, dass diese Agenda viele Menschen im Lande abhängte, sie zu Verlierern degradierte. Sie kamen faktisch nicht vor. Die ganze Sache war als Win-Win-Situation angelegt. Dass Millionen von Menschen sich von den sozialen Sicherheit und Gerechtigkeit abgehängt fühlten, in eine Lose-Lose-Situation verfrachtet wurden, kam nicht mal in den Fußnoten vor.

Und dann tat man irgendwann so, als seien diese Abgehängten urplötzlich aufgetaucht und ganz überraschend zur Geschichte geworden. Da lachte man noch über sie, zeigte mit dem Finger auf sie, schrieb Gruselgeschichten, degradierte sie zu Nazis – gut, sie klangen ja manchmal wie welche – und hintertrieb so den wahren Kern ihrer Sorgen: Die Ausgrenzung vom gesellschaftlichen Wohlstand. Mittlerweile hat man sich eine neue Taktik einfallen lassen, schließlich will man nicht die fiese Lügenpresse sein. Spiegel Online schickt zum Beispiel Reporter in Brennpunkte und die setzen sich dann auf Treppenstufen zu traurigen, aber auch verbitterten jungen Männern dazu und lauschen deren Geschichte und Wutausbrüchen. Hm, sagen sie dann und nicken, Verstehe!, Ja, mhm, geben sie wie Psychiater von sich. Es wird viel genickt, physisch Verständnis signalisiert.

Der ganz große Betroffenheitsshit halt. Damit geht was, Emotionen werden gekauft; damit kann man so tun, als habe man alles im Blick und gleichzeitig kommt dieser Stoff bei den Rezipienten stets gut an. Wenn die Sache gut gemacht ist, glaubt der Rezipient sogar, dass hier ganz große journalistische Qualität am Werk ist. Wenn Frau Hayali mal wieder das Gespräch mit besorgten Bürgern sucht, ihre abgeschmackten Sentenzen aufgreift und nach dem Warum fragt, dann aber nur Gift und Galle zur Antwort bekommt, glaubt man für einen Augenblick: Boah, die traut sich was, die ist aber am Puls. Bis sie im Morgenmagazin wieder die Studie eines Lobbyverbandes vorstellt, die die deutsche Wirtschaft als Gewinn für alle feiert.

Die zentrale Frage aber, die fehlt weiterhin bei diesen neuen Angeboten, bei denen die Prekarisierten zu Wort kommen sollen: Die Rolle des deutschen Journalismus in der Zeit, als die Prekarität zur Staatsräson erklärt wurde. Müsste man heute Journalisten in darbende Stadtteile schicken, damit die dort Sozialpsychiater spielen, hätte man damals nicht so naiv den Reformen der Agenda 2010 zugejubelt? Sind die Prekarisierten und Abgehängten einfach so auf diese Welt gekommen oder hat da jemand das geistige Klima beeinflusst? Diese Umsichtigkeitskampagne der Quantitätsmedien könnte man mit etwas Optimismus ja schon als eine Art stilles Eingeständnis interpretieren.

Man hat sich damals mit der neuen Sozialdemokratie verbrüdert, Schröder zu einen mutigen Mann umgeschrieben, Sozialabbau und Arbeitsmarktreformen als großen Wurf bejubelt und keinen Moment an die Gedacht, die davon betroffen sein würden. Bis heute ist man mit den Sozialdemokraten verbrüdert. Wie sie, will man die eigene Rolle im Abhängen ganzer Stadtteile und Gesellschaftsschichten nicht zur Kenntnis nehmen, windet sich aus der Verantwortung und tut von einem Moment auf den anderen so, als gäbe man jedem in dieser Gesellschaft die Gelegenheit sich auszukotzen.

Das ist kein Pluralismus – das ist der Versuch einer Glaubwürdigkeit, die nicht mehr abgenommen wird. Schon gar nicht, wenn einen Bericht weiter geschrieben steht, dass es uns gut gehe, es sich lohne in diesem Land zu leben. Den Grund, warum junge Männer sauer auf Treppen hocken, kann man halt noch immer in diesen Presseerzeugnissen lesen.

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Roberto J. De Lapuente

Roberto J. De Lapuente ist irgendwo Arbeitnehmer und zudem freier Publizist. Er betrieb von 2008 bis 2016 den Blog ad sinistram. Seinen ND-Blog Der Heppenheimer Hiob gab es von Mitte 2013 bis Ende 2020. Sein Buch »Rechts gewinnt, weil links versagt« erschien im Februar 2017 im Westend Verlag. In den Jahren zuvor verwirklichte er zwei kleinere Buchprojekte (»Unzugehörig« und »Auf die faule Haut«) beim Renneritz Verlag.

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Heldentasse
Heldentasse
6 Jahre zuvor

Ich denke ein wichtiger Grund warum sich die Qualitätsmedien ab und an auch den „Abgehängten“ widmen ist der, dass sie als Exempel herhalten sollen für die Menschen die (noch) bezahlte Arbeit haben, und was ihnen blüht wenn sie nicht schön spuren. So hält man den exorbitanten Druck auf dem gesellschaftlichen Kessel.

Gespannt darf man sein was passiert, wenn eines Tages die Zahl der „Abgehängten“ die der noch mit einem relativ gutem Einkommen übersteigt? Vielleicht ändert sich ja was wenn die meisten nichts mehr zu verlieren haben?

Beste Grüße

Mordred
Mordred
Reply to  Heldentasse
6 Jahre zuvor

Ganz wichtige andere Gründe dürften sein, dass man die Abgehängten nicht auf dem Schirm hat, selber einer ist ohne es zu wissen oder die Existenz von Abgehängten in dieser Anzahl völlig normal geworden ist.

Ansgar
Ansgar
6 Jahre zuvor

Ich bin ein ganz dummer Mensch und kommentiere hier deshalb nicht mehr!

Heldentasse
Heldentasse
Reply to  Ansgar
6 Jahre zuvor

Nun, nach dieser 180° Kehrtwende müsste es jede Menge „Daumen hoch“ geben. Die „Daumen runter“ standen nämlich für eine schäbige Beleidigung Deinerseits.

Schweigsam
Schweigsam
Reply to  Ansgar
6 Jahre zuvor

Tja, dann bist du ein Deutscher! Wer sich hier mittlerweile so über die sogenannte „Qualitätspresse“ echauffiert, ist auch nicht besser als ein Leser des Spiegels o.ä.
Z.t. findet hier Rabulistik pur statt – erhellende Sachverhalte gleich Null.
Auch wenn es nervt: hier fehlt jemand!

der-5-minuten-blog.de
der-5-minuten-blog.de
6 Jahre zuvor

Hallo,
in dem die Artikel wird die folgende Frage aufgeworfen:

Müsste man heute Journalisten in darbende Stadtteile schicken, damit die dort Sozialpsychiater spielen, hätte man damals nicht so naiv den Reformen der Agenda 2010 zugejubelt?

Also, in meiner Erinnerung an die damalige Zeit, hatte man damals nicht naiv den Reformen zugejubelt.

Da in dem Beitrag auch auf den SPIEGEL eingegangen wurde, und ich eine Schwäche für den SPIEGEL habe, hier die Nummern einiger Ausgaben, die sich als Schwerpunkt schon da kritisch mit Schröders Reformwerk auseinandergesetzt hatten.

34/2004 Angst vor der Armut
43/2005 Das Spiel mit den Armen
14/2007 Arm durch Arbeit (2007. Geht auf Merkels Kappe)

Alles im Niedergang, man
Markus(https://der-5-minuten-blog.de)
P.S. wenn man bei Google Trends Prekarität eingibt, und die lange Zeitschiene einstellt, sieht man, dass das Thema vor 12 Jahren den Leuten stärker auf den Nägeln brannte. (Es sagt allerdings zugegebenermaßen nichts darüber aus in welcher Art über Prekarität berichtet wurde)

ChrissieR
ChrissieR
6 Jahre zuvor

Moin, Loide,

Also mir geht es seit Jahren finanziell besser!
Warum?
Weil ich nicht mehr jeden Montag die „Bild für Abiturienten“ kaufe , kein Tageszeitungsabo mehr habe und mir auch nicht mehr den „Stern“ oder die „Zeit“ kaufe! Das gesparte Geld investiere ich lieber in vernünftige Druckerzeugnisse wie z.B. die „Oldtimer Praxis“ und „Oldtimer Markt“. In diesen journalistischen Prachtwerken wird man wenigstens zu 98% kompetent und ideologiefrei informiert, höchstens in der April-AUSGABE auch mal verarscht ….
Ich wundere mich nur noch über viele Kollegen, die jeden Tag noch Geld für die staatliche Propaganda in Form der Zeitung mit den grossen Buchstaben ausgeben…dabei ist in der Firma das Toilettenpapier noch kostenlos!
Das ist brigens auch der grosse Vorteil der „Bild“ versus „Spiegel“ oder „Focus“….Falls mal das Sanitärpapier zur Neige geht, kann man sich den Arsch mit Hochglanzpapier eben weniger gut abreiben. Die Bild hingegen bekommt dann erst Recht ihre typisch braune Färbung!

Bis denne

Christine

Heldentasse
Heldentasse
Reply to  ChrissieR
6 Jahre zuvor

In der Tat, leider stellen m.E. ganz überwiegend nur reine Fachzeitschriften objektive Informationen ohne Propagandaabsichten bereit, nur was bringt das politisch, solange sich die mit gerigem Einkommen keine Oldtimer leisten können?

Beste Grüße

ChrissieR
ChrissieR
Reply to  Heldentasse
6 Jahre zuvor

ja, Heldentasse, das ist nur eine Frage des Oldtimers.. Meinereine fährt halt keinen 300SL flügeltürer, sondern eine 1973er KASTENENTE….die Teile kosten net viel, wenn mal was kaputt geht, ausserdem mache ich fast alles selbst. Billiger bin ich noch nie Auto gefahren…

Heldentasse
Heldentasse
Reply to  ChrissieR
6 Jahre zuvor

Ehrlich gesagt finde ich die alte Ente sehr viel besser als den SL, und kommt meiner Sozialisierung um Längen näher als dieser m.E. überschätze Oberschicht- Sportwagen.

Gerne darf es auch ein R4 oder eine Dyane sein.

Beste Grüße

ChrissieR
ChrissieR
Reply to  ChrissieR
6 Jahre zuvor

und… ich habe auf den kasten den Schriftzug “ NACHDENKSEITEN.de“ geklebt!!! Das zumThema Politik….

Heldentasse
Heldentasse
Reply to  ChrissieR
6 Jahre zuvor

Viele authentischer bei solchen Klassikern, allerdings ohne politische Aussage, sidn m.E. diese „Prilblumen“.

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ChrissieR
ChrissieR
Reply to  Heldentasse
6 Jahre zuvor

…lach… ich glaub‘ , jetzt sind wir völlig O.T. ..Also nicht oberer Totpunkt, sondern off topic oder so….

ChrissieR
ChrissieR
Reply to  Heldentasse
6 Jahre zuvor

http://www.citroenchen.de/2003/3/acabelle.htm

,,,das ist meine Gute…vor paar Jahren schon, sieht aber noch genauso aus…

Mordred
Mordred
6 Jahre zuvor

Müsste man heute Journalisten in darbende Stadtteile schicken, damit die dort Sozialpsychiater spielen, hätte man damals nicht so naiv den Reformen der Agenda 2010 zugejubelt?

Natürlich nicht. Denn bei größeren Themen läufts immer nur mit medialem Support bzw. Meinungsmache. Nimm doch aktuell die BTW oder die gesamte Kanzlerschaft Merkels. Die MSM hätten sie ohne Lügen zu erzählen auch schon längst kaputtschreiben können. Es gibt ja Angriffsfläche ohne Ende.

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Abhängen mit den Abgehängten – Tagesticker.net
6 Jahre zuvor

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