Unerträglich undemokratisch

Die AfD: Unerträglich! Die Brexiteers: Unerträglich! Und die Kritiker des freitäglichen Klimastreiks natürlich auch. Die Unerträglichkeit bestimmt die Wahrnehmung. Es ist Modewort und – gar nicht mal so demokratisch.

Ralf Stegner von der SPD teilte neulich via Twitter mit, dass er die britischen Brexit-Befürworter als unerträglich empfinde. Er findet dort übrigens in regelmäßigen Abständen etwas unerträglich. Die AfD natürlich am häufigsten. Der Bauernpräsident Joachim Rukwied sprach kürzlich nach eigener Wahrnehmung für alle Bauern im Lande, als er einen Edeka-Werbespot als unerträglich kategorisierte. Til Schweiger ließ indes Markus Lanz wissen, dass er den US-Präsidenten unerträglich finde. Und der Seelsorger im Bundestag hält es für unerträglich, wie gering das Ansehen seiner Schäfchen aus der Politik in der Bevölkerung ist.

Kurz und gut: Eine ziemlich unerträgliche Situation, in der wir uns befinden. Jeder auf seine Weise. Denn was für unerträglich gehalten wird, ist je nach Filterblase verschieden. Klar ist demgegenüber bloß, dass die Unerträglichkeit einen Aufstieg als vermeintliches Analyseelement hingelegt hat. Dabei handelt es sich um nicht mehr als eine subjektive Wertung – ja letztlich um eine plumpe persönliche Befindlichkeit. In gefühlsbetonten Zeiten wie unseren, in der »Harmonie« als biedermeierscher Rückzug in »Safe Spaces« propagiert wird, stellt »unerträglich« als Beurteilung wohl die höchste Ausdrucksform dar.

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Roberto J. De Lapuente

Roberto J. De Lapuente ist irgendwo Arbeitnehmer und zudem freier Publizist. Er betrieb von 2008 bis 2016 den Blog ad sinistram. Seinen ND-Blog Der Heppenheimer Hiob gab es von Mitte 2013 bis Ende 2020. Sein Buch »Rechts gewinnt, weil links versagt« erschien im Februar 2017 im Westend Verlag. In den Jahren zuvor verwirklichte er zwei kleinere Buchprojekte (»Unzugehörig« und »Auf die faule Haut«) beim Renneritz Verlag.

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niki
niki
4 Jahre zuvor

Demokratie? Ach komm…! Die Funktion dieser ist seit je her allenfalls marginal ausgestaltet.
Es wird ständig von Demokratie gefaselt und meinen doch ganz was anderes.
Ich bin jetzt mal so frech und behaupte dass wir allenfalls in einer sehr rudimentären Demokratie leben und diese immer weiter marginalisiert wird mit der steigenden Macht der Konzerne bzw. Oligarchen.
Vielleicht auf lokaler Ebene spürt man manchmal den Funken einer Demokratie. Aber selbst da sehr eingeschränkt.

Vielleicht ist die Problematik auch ganz anders geartet. Für die allermeisten ist Demokratie ein nicht fassbarer Begriff. Denn wirklich leben kann man diese allenfalls nur sehr rudimentär. Mitbestimmung ist in den Betrieben auf Arbeit in den allermeisten Fällen kaum vorhanden. Und in den Familien wird das häufig ganze fortgesetzt.
Die Menschen spüren dass das sie fremdgesteuert werden. Jedoch ist eher eine Ohnmacht zu spüren und der Wunsch nach dem „starken Mann“ der alles in ihrem Sinne regelt, welcher in der Geschichte oft genug sich als Hirngespinst raus stellte, ist meines Erachtens allzu gegenwärtig.

ChrissieR
ChrissieR
Reply to  niki
4 Jahre zuvor

Niki,

das ist leider so! Man hat eh nur die Wahl zwischen verschieden farbigen Kackhaufen, in die man treten kann…das Endergebnis ist eh das Gleiche!

Vive l’Anarchie!!!!

Sukram71
Sukram71
Reply to  niki
4 Jahre zuvor

Vielleicht auf lokaler Ebene spürt man manchmal den Funken einer Demokratie. 

Jepp. Bei der Verhinderung von Mobilfunkmasten, Windrädern oder Giga-Factorys…
Das sollte man auf die gesamte Politik ausweiten. Herzlichen Glückwunsch! 😀

niki
niki
Reply to  Sukram71
4 Jahre zuvor

Das war wieder ein typischer Sukram… Das hat mal wieder einem den Feierabend versüßt…

Ronaldo
Ronaldo
4 Jahre zuvor

Ich finde es unerträglich, dass die Union versucht, das höchstrichterliche Urteil zu den ALG-Sanktionen umgehen zu können, -Altersarmut, fehlende Bürgerbeteiligung, gezielte Menschenfeindlichkeit, grundlosen Hass auf Andere finde ich unerträglich
Ja, Wahlergebnisse sind zu akzeptieren, der einzelne Politiker hat aber verantwortungsvoll zu handeln, auch verbal!!

Roberto De Lapuente
Roberto De Lapuente
Reply to  Ronaldo
4 Jahre zuvor

Etwas als unerträglich zu empfinden, ändert gar nichts. Es ist halt schlicht eine Empfindung und nicht mehr als Befindlichkeit.

Ronaldo
Ronaldo
Reply to  Roberto De Lapuente
4 Jahre zuvor

Ja, hast recht
Finde ich die Union unmöglich, wähle ich die nicht, da ziehe ich aus einem Gefühl wenigstens eine politische Gewissheit

Ronaldo
Ronaldo
Reply to  Ronaldo
4 Jahre zuvor

Gefühle in der Politik sollten zu Reaktionen führen

Ronaldo
Ronaldo
Reply to  Ronaldo
4 Jahre zuvor

Roberto
Ich kann der AFD nichts abgewinnen, unsozial und frauenfeindlich
Der antisoziale Immobilienbuchhalter und die einmalig versorgte Bundesbeamtin sind auch gegen diese Partei
Da suche ich mir lieber andere Schwerpunkte und hoffe auf eine erneuerte Sozialdemokratie

Drunter & Drüber
Drunter & Drüber
Reply to  Roberto De Lapuente
4 Jahre zuvor

Nase, eigene? Ne? Oder muss jetzt ein Schweiger weniger Empfingungsdingens haben als ein De Lapuente? Nichts und Niemand hat irgendwas hingelegt, na ja, gut, je nach Filterblase – oder so… Ist ja Ihre. Leider kann ich ja mangels Abo an der nicht teilhaben. Und ich hätte so gerne abonnierten Zugang zu mehr Filterblasen.

Sukram71
Sukram71
Reply to  Roberto De Lapuente
4 Jahre zuvor

Etwas als unerträglich zu benennen (!) hilft dabei, ähnlich denkende Menschen zu finden, sich zu organisieren und die Dinge irgendwann zu ändern.

Roberto De Lapuente
Roberto De Lapuente
Reply to  Sukram71
4 Jahre zuvor

Ich finde Sukram unerträglich. Ist hier ein Gleichgesinnter, der mir hilft, etwas gegen ihn zu unternehmen? Nein? Hm.
Merkste selbst, oder?

Sukram71
Sukram71
Reply to  Roberto De Lapuente
4 Jahre zuvor

Ich merke, dass es dir hilft, deinen interlektuellen Frust los zu werden und dann ist es gut so. 😀

Ansonsten ist es natürlich ein Unterschied, ob man eine schwache Minderheit, die es eh schon schwer genug hat, als „unerträglich“ bezeichnet, um andere gegen die aufzuhetzen, oder ob sich das „unerträglich“ gegen Mächtige richtet.

niki
niki
Reply to  Roberto De Lapuente
4 Jahre zuvor

Ich kann Gran Canaria nicht nuken… Die armen Tiere… (Obwohl, so oder so sind se nun arm dran). Und außerdem wollte ich da noch irgendwann mal hin…

Jane Doe
Jane Doe
Reply to  Sukram71
4 Jahre zuvor

die Dinge irgendwann zu ändern.

Das ist das grundlegende Problem der Deutschen, es wird alles auf irgendwann verschoben. Selbst zu leben. Nur nicht jetzt, nur nicht heute. Es ist jedenfalls kein Wunder, dass Deutschland ein digitales Dritte Welt Land ist – löst es doch heute erst die Probleme von vor 20 Jahren 😀

aquadraht
aquadraht
Reply to  Jane Doe
4 Jahre zuvor

Jaja, Deppen Leer Zeichen im Dritte Welt Land.

niki
niki
Reply to  Roberto De Lapuente
4 Jahre zuvor

Wenn ich etwas als unerträglich empfinde, versuche ich das Abzustellen und bleibe nicht aktionslos… Und wenn es nur in meinen kleinen Rahmen ist…

Sukram71
Sukram71
4 Jahre zuvor

Ich bin gerade in Playa del Inglés in Urlaub und finde das hier sehr erträglich. 26 Grad, Sonne, Pool, Meer. 🙂
Dennoch gibt es halt Dinge, die sehr viele Leute unerträglich finden. Unerträglich falsch, unerträglich menschenverachtend, unerträglich ignorant und borniert, unerträglich volksverhetzend.

Gottseidank muss man sich nicht ständig mit sowas beschäftigen.
Sich darüber auszutauschen, hilft aber dabei etwas Trost zu finden und es hilft hoffentlich zusammen mit anderen die Lage zu verbessern. Das ist Grundvoraussetzung.
Politiker unterstreichen damit ihren Standpunkt und geben Orientierung. Das ist u. a. deren Job.

Ronaldo
Ronaldo
Reply to  Sukram71
4 Jahre zuvor

Schönen Urlaub 😁😀😌😊😘👃😴😐

Sukram71
Sukram71
Reply to  Ronaldo
4 Jahre zuvor

Danke 🙂

Gaby
Gaby
4 Jahre zuvor

Vor einigen Jahren hieß es noch ‚Politik wird nicht nach Befindlichkeiten betrieben‘. Da ging es im wesentlichen darum, dass weite Teile der Bevölkerung das „Gefühl“ haben ‚abgehängt‘ worden zu sein. Lange hat man Hinweise auf ungerechte und/oder unmenschlich und unwürdige Sanktionspraktiken unter Hartz IV als ‚unrechtmäßige Gefühlsduselei‘ abgetan.
Innerpolisches Handeln – seit geraumer Zeit – betreibt meiner Ansicht nach tatsächlich aber nichts anderes als genau das. Da gönnt der Eine dem Anderen die Butter auf dem Brot nicht und es wird gemobbt was das Zeug hält – weil jeder Einzelne für sich in Anspruch nimmt ‚gefühlt‘ (subjektiv) es besser zu können als der Andere. Für mich hat das Alles nur noch wenig mit „Unerträglichkeit“ und „Un-demokratisch“ zu tun – derartige Verhältnisse kenne ich aus Kindergärten und Schulen.

LG Gaby

Juergen
Juergen
4 Jahre zuvor

Dieser Text ist unerträglich gut, ich finde nichts was ich kritisieren könnte.