Wirtschaftsredakteurin wider Wissen

Es ist ja nun nicht der große Rollback angebrochen. Dennoch steht momentan immer wieder mal auf dem Prüfstand, was in den Hochjahren neoliberaler Reformen als probates Patentrezept an den Wähler gebracht wurde. Und aus der »Frankfurter Allgemeinen« quakt derweil eine verantwortliche Redakteurin für Wirtschaftspolitik, die sichtlich zurück in die neoliberale Radikalität möchte.

Nun ist es ja beileibe nicht so, dass wir den Neoliberalismus überwunden haben. Aber derzeit leben wir wohl in einer Periode, in der manches, was in den Sturm-und-Drang-Jahren der neoliberalen Reformitis etabliert wurde, gelegentlich auf den Prüfstand kommt. Der in Aussicht gestellte Staatsrückzug zum Beispiel, die seinerzeit so tat, als sei staatliche Aufsicht grundsätzlich ein Hemmnis für die Gesellschaft, würde heute nicht mal mehr die FDP so unterschreiben. Besonders die kleinen Liberalisierungen des Alltages werden hie und da überprüft – nicht zuletzt, ob jemand einen Meisterbrief haben sollte, wenn er einen Laden eröffnet, in dem Fachlichkeit und Handwerk angeboten werden will.

Man hat den Eindruck, dass der Vulgärneoliberalismus ausgedient hat. Vor 15 Jahren konnte man noch eine Hymne auf staatsentkernte Strukturen singen, ohne als Verrückter angesehen zu werden – obwohl man es freilich war. Zwar steht man unter Neoliberalen immer noch zu Privatisierung und Steuerenthaltsamkeit, zu knappen Budgets und Sparpolitik, aber viele der liberalistischen Anflüge, die um die Jahrhundert- und Jahrtausendwende, umgesetzt wurden, werden mindestens wieder thematisiert und hinterfragt. Und dennoch hält sich die »Frankfurter Allgemeine« eine Ewiggestrige als verantwortliche Wirtschaftsredakteurin. Heike Göbel heißt die Frau. Und die klingt nach wie vor wie eine dieser radikalen Reformer von dunnemals, die ihre Elitenanarchie als dicke Chance für alle ausmalten, nur um am Ende als Profiteure in das neu entstandene Vakuum einzudringen. Nach wie vor hält sie den Staat für das größte Übel, Steuern für Raub und Verteilung für einen Irrweg des Sozialismus.

Heike Göbel wettert gegen die Billionen, die der Sozialstaat unsere Kinder kosten wird, hält Staatshilfe bei besonderen Härten wie Dürre für falsch oder sieht den freien Markt bedroht, weil die GroKo unter Umständen wieder die Meisterpflicht in Betrieben reetablieren möchte. Außerdem mahnt sie an, dass die Schwarze Null nicht mehr reiche, es müssten gleichzeitig auch die Steuern sinken. Überhaupt seien die Bürger zu staatsgläubig – was sie für besorgniserregend hält. Dass mehr Geld in die Pflege wandert: Frau Göbel kritisiert das scharf. Der Markt könne das viel besser regeln. Wo andere beim Thema Pflege noch fragen, ob mehr Geld alleine reicht, macht sie eine klare Ansage: Gar nicht erst mehr Geld reinpumpen in den Pflegesektor. Dass die Europäische Union eventuell Plastikgeschirr verbieten will: Für sie ein Eingriff in das freie Unternehmertum. Die vermüllten Ozeane, die die EU als Grund angibt, sind für sie kein mögliches Argument, sondern ein frech gespielter Joker aus Gründen politischen Kalküls. Befristete Postangestellte hält sie für unproblematisch – als das Unternehmen dafür in der Kritik stand, lobte sie wieder mal das freie Unternehmertum. Sachgrundlose Befristungen überhaupt verbieten: Nie und nimmer, sagt Frau Göbel, denn dann stellen die Unternehmer ja gar nicht mehr ein. Der Politik rät sie grundsätzlich, den Acht-Stunden-Tag zu lockern – Flexibilität heißt, auch mal zehn oder zwölf Stunden zu arbeiten. Besonders dreist ihre Reinwaschung für den VW-Diesel-Skandal: Zu hohe Personalkosten und unflexibles Stammpersonal würden Unternehmen quasi dazu drängen, Auswege mit Sparpotenzial zu finden. Manipulation sei eine Möglichkeit. Letztlich ist der gierige Facharbeiter für den Betrug verantwortlich.

Das nur als kleiner Auszug aus dem jahrelangen Wirken Heike Göbels. Als Mitglied der Friedrich A. von Hayek-Gesellschaft hat sie die Stellung gehalten, dem Neoliberalismus nicht mal eine Maske aufgesetzt. Das hat ja Colin Crouch dieser Ideologie nachgesagt, er nannte das »das befremdliche Überleben des Neoliberalismus«. Der habe sich modifiziert, sei nicht mehr die brutale und rücksichtslose Ideologie der verabsolutierten Staatsverdrossenheit, sondern heuchle ein bisschen Demut und Belehrsamkeit. Die Politikwissenschaftlerin Nancy Fraser sprach in den Zusammenhang vom »progressiven Neoliberalismus«. Die exekutierenden Politiker, die vormals noch im Flow dieser libertären Sammelbewegung bei der Deinstallation von Sozialem und Ordnung mitwirkten, agieren seit Jahren eine Wenigkeit vorsichtiger. Sie sind zwar nicht kuriert von dem Wahn, Heilung steht weiterhin aus – aber sie hegen auch nicht mehr jene ungestüme Begeisterung, die noch in den Aufbruchjahren der Neoliberalisierung vorherrschte. Die Ideologie hat Kreide gefressen und klingt nun wie die Mutter der sieben Geißlein. Nur Frau Göbel nicht, sie gestaltet ihr Wirtschaftsressort weiterhin als Hardlinerin. An ihr gingen die beschwichtigenden Tendenzen in jeder Hinsicht vorbei.

Man könnte jetzt freilich sagen, dass es schade sei, weil eine konservative Tageszeitung es nicht schafft, jemanden im Wirtschaftsressort einzusetzen, der weniger ideologisch beseelt ist. Denn so verliert die FAZ den Anschluss – ihre wirtschaftlichen Analysen klingen wie aus 1999 oder 2002, gut zwei Jahrzehnte hintendran. Eine gesunde Vielfalt im Medienbetrieb benötigt freilich auch eine konservative Sicht auf die Tagesgeschehnisse. Man muss die FAZ nicht mögen, aber sie hat eine Berechtigung. Da sie aber ihren Wirtschaftsbereich auch weiterhin in libertäre Hand legt, fällt sie hinten runter und pflegt das Metier mit gestrigen Tönen. Das befremdliche Überleben der Heike Göbel in der Redaktion der FAZ macht dieses Blatt als Stimme des Konservatismus lächerlich. Oder wenigstens lächerlicher, als der aktuelle deutsche Konservatismus ohnehin schon unterwegs ist. Wie gesagt, so könnte man das jetzt sagen. Man könnte aber auch Heike Göbel danken, dass sie uns jeden Tag daran erinnert, dass der ideologische Irrwitz noch immer unter uns weilt.

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Roberto J. De Lapuente

Roberto J. De Lapuente ist irgendwo Arbeitnehmer und zudem freier Publizist. Er betrieb von 2008 bis 2016 den Blog ad sinistram. Seinen ND-Blog Der Heppenheimer Hiob gab es von Mitte 2013 bis Ende 2020. Sein Buch »Rechts gewinnt, weil links versagt« erschien im Februar 2017 im Westend Verlag. In den Jahren zuvor verwirklichte er zwei kleinere Buchprojekte (»Unzugehörig« und »Auf die faule Haut«) beim Renneritz Verlag.

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niki
niki
5 Jahre zuvor

Diese Frau ist verrückt…. Punkt!
Und durch ihre Reichweite in diesem Medium ist diese noch m.E. gemeingefährlich. Also wegsperren und den Schlüssel wegwerfen!

Man kann nur noch so dieser neoliberalen Seuche begegnen. Etwas anderes nützt rein gar nichts…
Schließlich verfahren die mit uns Linken oder anderen Feinden kaum anders!

Btw: Hier in der Gegend bedeutet „göbeln“ nicht anderes als besoffen den Mageninhalt wieder oral freizugeben…

Scheunenfund
Scheunenfund
5 Jahre zuvor

Man könnte aber auch Heike Göbel danken, dass sie uns jeden Tag daran erinnert, dass der ideologische Irrwitz noch immer unter uns weilt.

Der Neoliberalismus existierte im Werteweseten nie als vollumfänglich gelebte Theorie. Er besteht aus Bruch-, und Versatzstücken
die ausschließlich einem überschaubaren Kreis von, global betrachtet, wenigen hundert Leuten zugute kommen. Wäre es anders, gäbe
es längst keine Kartellbehörden mehr.

Dennoch steht momentan immer wieder mal auf dem Prüfstand, was in den Hochjahren neoliberaler Reformen als probates Patentrezept an den Wähler gebracht wurde.

Gar nichts steht auf dem Prüfstand und zur Entwarnung gibt es keine hinreichenden Anhaltspunkte. Die Finanzeltite darf weiterhin
ihr Spielgeld unkontrolliert und steuerverlustfrei um den Globus schießen. Für deren Gewinne malochen die ärmsten Schlucker dieser
Erde, soziale Verwerfungen und Kriegsgefahr inbegriffen.

Wir sind nicht raus aus der Nummer !