Ein einziges Sommerloch

Achtung, Achtung, wir funken heute aus dem Sommerloch. Der Begriff ist aber doch eigentlich veraltet. Sommerloch ist eigentlich immer. Möglicherweise hat das auch was mit der Klimaerwärmung zu tun. Als weiterer Beleg für den Klimawandel könnte man aufführen, dass das Sommerloch nicht mehr auf den Sommer festgelegt ist.

Ein bisschen Özil und Grindel, ein wenig Countdown zur Bundesliga und hier noch ein Quäntchen Vorwürfe an Katar, welches nicht nur eine PR-Kampagne für die eigene WM-Bewerbung auflegte, sondern auch eine, die die damalige Konkurrenz belastete und womöglich aus dem Rennen warf – wenn das der Kaiser wüsste! Kurz und gut, herzliche Grüße aus dem Sommerloch. Jedes Jahr wieder, wenn es warm, Neudeutsch sprich heiß, draußen wird, bleiben nicht so viele Themen, die behandelnswert wären. Man fokussiert daher das Hauptaugenmerk auf Meldungen, die der Sommer so liegen lässt. Bekannte Sommerlöcher bislang: Nessie guckt aus dem Loch, die Geisterstimme aus dem Abfluss einer Zahnarztpraxis, Mallorca soll 17. Bundesland werden, der Maschendroohtzaun day and night, das Moorhuhnfieber als Counter Strike des kleinen Angestellten oder – nochmals Anlegen der Büchse – Bruno Braunbär. Nichts Weltbewegendes also. Das Aufmerksamkeitsdefizitsyndrom irgendwelcher Hinterbänkler oder die Skandalisierung von Belanglosigkeiten, die für den Verlauf von einigen Tagen oder gar Wochen dafür sorgen sollen, dass man einen Aufmacher in der Tasche hat.

Es ist tatsächlich gar nicht so einfach dieser Tage, ein geeignetes Thema zu finden. Dieser Text soll beredt Beleg darüber abgeben, dass freilich auch momentan ein kleiner Mangel an Themen herrscht, die jetzt die Leserschaft in großer Zahl anspricht. Kein Wunder, die Leser sitzen alle im Park, auf dem Balkon oder vorm Ventilator. Oder sie sind im Urlaub, irgendwo wo es nicht ganz so heiß ist, auf Gran Canaria oder Sizilien zum Beispiel, ganz genau wie jene Leute übrigens, die gemeinhin für Sommerlochmeldungen sorgen.

Unser persönliches Sommerloch hier an dieser Stelle soll das Sommerloch sein. Ein philosophischer Blick auf das Phänomen sozusagen. Über Jahrzehnte war es der aus Mangel an Sujets bedingte Aufstieg eines boulevardesken Themas zur temporären, ja jahreszeitlichen Hauptnachricht. Gewissermaßen der Einbruch des Trivialen in die Hauptaufmerksamkeitsspanne der Rezipienten. Für eine kurze Weile im Jahr gewann das Belanglose Überhand und stieg auf, transformierte von einer Unterhaltungsmeldung zu einem Spitzenthema. Das Sommerloch gebar stets Marginalien, die auf freigewordene Aufmerksamkeitsreserven gestossen waren. Es war der Augenblick im Jahr, in dem das Närrische und Randständige zu einer Ehre kam, das dafür gar nicht vorgesehen war. Wie in der fünften Jahreszeit, wenn Narren soviel Gewicht bekommen, wie im Rest des Jahres sonst nur bei der CSU oder der FDP. Das Sommerloch war gewissermaßen die sechste Jahreszeit, die urlaubsbedingte Übernahme des seriösen Journalismus durch den Boulevard.

Das ist heute ein bisschen anders. Eigentlich gibt es gar kein Sommerloch mehr im Sommer. Der Boulevard existiert seit Jahren auf Augenhöhe mit den News, die man als wichtig einstufen könnte. In den Nachrichtenformaten des Privatfernsehens rangieren beide Spektren gleichberechtigt nebeneinander, neben Pitt und Jolie geht es synchron um Politik und Wirtschaft. Magazine wie der Stern haben insbesondere ihr Onlineangebot stark am Boulevard ausgerichtet. Dort liest man jeden Tag, von Januar bis Dezember, von Sommerlochthemen.

Ob das war mit der allgemeinen Klimaerwärmung zu tun hat? Bestenfalls ließe es sich damit erklären, dass zu viel Hitze nicht gut für den Verstand ist. Was aber weniger polemisch feststellbar ist: Auch das Sommerloch leidet unter dem Klimawandel. Es ist heute nicht mehr unbedingt ein Sommerthema – es kann jederzeit auftreten. Und im Regelfall tut es das auch. Der Boulevard darf nicht mehr nur in den heißen Monaten die wichtigen Plätze der Berichterstattung belegen – er hat das Sommerloch überwunden und sich aus ihm gequetscht wie weiche Leberwurst aus der Pelle. Das Sommerloch ist das allgemeine Prinzip des journalistischen Betriebes geworden. Das Klima hat sich auch da deutlich verändert.

Schreiberlingen wie uns hier kommt das natürlich entgegen. Wir müssen jetzt nicht mehr bindend bis zum Juli oder August warten, um uns im Sommerloch auszutoben. Wir können wann immer wir wollen aus dem Sommerloch heraus quatschen. Schade eigentlich, so eine Ordnung hat doch was Gutes. Liberalisierungen sind immer irgendwie Chaos und ehe man sich versieht begreift man, dass sie kein guter Deal sind. So auch hier. Denn so ein kurzes Sommerloch war unterhaltsam, man wusste aber, es wird zugeschüttet und dann wird es wieder ernster. Auf mehr Ernsthaftigkeit und journalistische Sorgfalt warten wir heute jedoch vergebens.

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Roberto J. De Lapuente

Roberto J. De Lapuente ist irgendwo Arbeitnehmer und zudem freier Publizist. Er betrieb von 2008 bis 2016 den Blog ad sinistram. Seinen ND-Blog Der Heppenheimer Hiob gab es von Mitte 2013 bis Ende 2020. Sein Buch »Rechts gewinnt, weil links versagt« erschien im Februar 2017 im Westend Verlag. In den Jahren zuvor verwirklichte er zwei kleinere Buchprojekte (»Unzugehörig« und »Auf die faule Haut«) beim Renneritz Verlag.

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Mattes
Mattes
5 Jahre zuvor

OT

Welchen Schwachsinn macht Deutschland noch mit ?

Sanktionen gegen Russland im Sommerloch verschärft.

„Wegen des Giftanschlags auf den Doppelagenten Skripal verhängen die USA Sanktionen gegen Russland.“ ( „Fakt, die waren es!“ – Danke für die Propaganda, Zeit Online ! )

https://www.zeit.de/politik/ausland/2018-08/sergej-skripal-us-sanktionen-russland-inakzeptabel