Arbeitsrecht – eine wahre Revolution!

Ist das eigentlich normal, dass man sich als Aufwiegler fühlen muss, nur weil man das anspricht, was jemanden zusteht? Auf die rechtliche Lage verweisen: Das scheint revolutionär zu sein in dieser Demokratie der vorauseilenden Anbiederung. Linker Geist hat heutzutage viel Konservatives an sich.

Eine Kollegin bleibt gerne mal länger. Das heißt, ob sie denn gerne länger bleibt, weiß ich natürlich nicht genau. Ich interpretiere, ich schreibe das einfach mal lax so hin. Was aber Fakt ist: Sie ist länger anwesend. Und das nachdem sie aus der Zeiterfassung ausgecheckt hat. Sie tut es, weil sie die Mehrarbeit sonst nicht gebacken bekommt. Ein anderer Kollege kommt früher zum Dienst. Arbeitsbeginn ist um Acht, früher wird die Arbeitszeit nicht erfasst. Er tut das, um Personalmangel zu kompensieren und um die anfallende Mehrarbeit unter einen Hut zu bekommen. Wenn sie mir das erzählen, frage ich stets, wie sie denn dazu kommen. Zu solchen Aktionen, zumal außerhalb einer erfassten, sprich entlohnten Arbeitszeit, sind sie doch gar nicht verpflichtet. Antwort meist: Aber irgendwie muss man das Quantum doch schaffen.

Das wiederum, so argumentiere ich, liegt im Ermessen des Arbeitgebers. Er gehört zu seiner unternehmerischen Verantwortung, Arbeitsabläufe so zu gestalten, dass die zu verrichtende Arbeit zeitlich und körperlich erledigt werden kann. Ich selbst sehe es so: Als Arbeitnehmer habe ich nur meine Arbeitskraft zu verkaufen. Ich kann es mir daher nicht leisten, sie kostenneutral anzubieten – oder nach dem Motto »Zahl eins, nimm zwei« feilzubieten. Das kann der Media Markt so anbieten, aber ich als Arbeitnehmer kann da nicht mithalten. Ich habe nichts zu verschenken. Die Kollegin fand den Spruch mit dem Media Markt gut, sie wolle ihn sich merken. Aber aus der Tretmühle, so habe ich den Eindruck, befreit sie sich nicht. Einer müsse ja tun, was zu tun ist – wenn sie es nicht teils privat tut, bleibt die Arbeit liegen und sie kommt in Bedrängnis. Überlastungsanzeigen seien ein Instrument, füge ich dann gerne an.

Grundsätzlich schätzen die genannten Kollegen es nicht so sehr, wenn ich ihre Überbelastung und ihr privates Engagement nicht lobe, wenn ich sie nicht tröste oder Verständnis aufbringe. Am ihrem Blick erkenne ich, dass es sie ärgert – auch verunsichert. Denn ich biete ja (wenngleich nur verbal) eine Alternative an, eine ganz einfache Alternative überdies. Es ist die Alternative des Nein, des Leck-mich-am-Arsch, des Fünfe-gerade-sein-lassen. Ich gebe ihnen zu verstehen, dass es nicht in ihrer Verantwortung liegt, wenn die Ressourcen zur Bewältigung des Arbeitspensums nicht reichen. Sie müssen es nicht richten. Und der Clou ist dazu noch, dass ich nicht mal die außergesetzliche Revolte ausrufe, sondern mich sogar auf das Arbeitsrecht berufe. Dort sind kostenlose Mehrarbeitseinsätze nicht vorgesehen, im Komplex des Arbeitsschutzrechts liest man außerdem von Überlastungsanzeigen und unternehmerischer Fürsorgeverpflichtung.

Man könnte es jetzt auch so formulieren: Das Arbeitsrecht hat im Vergleich mit den realen Zuständen am Arbeitsmarkt fast was Revolutionäres an sich. Es ist in vielen Fällen gar nicht nötig, den wilden Streik auszurufen. Oft reicht ein Wink mit dem Recht, um zu dokumentieren, dass Arbeitnehmer hier falsch in Anspruch genommen werden. Insofern kann man auch etwa salopp sagen, dass die Bundesrepublik womöglich das einzige Industrieland auf Erden ist, in dem es eine Art revolutionären Akt darstellt, wenn man mit dem Gesetzbuch droht. In einer Demokratie, in der es zuweilen oberste Bürgerpflicht geworden ist, sich vorauseilend anzubiedern, scheint die Revolution innerhalb gesetzlicher Strukturen fast schon Normalität zu sein. Und derjenige, der damit argumentiert, kann sich als Revoluzzer bauchpinseln.

So weit haben wir es gebracht in unserer netten kleinen Mangelwirtschaft auf Weltniveau. Die arbeitnehmerische Anbiederung, die Absicht, es als Angestellter so zu halten, dass man seinen Chef nicht enttäuscht, ist offenbar eine nicht mehr wegzudenkende Prämisse geworden, die aus dem Personalmangel entstanden ist und – noch schlimmer! – zur Beibehaltung des Personalmangels beiträgt. Ohne diese Bereitschaft, mit mehr Treue zum Arbeitsrecht, mehr Selbstbewusstsein und der Einsicht, dass die eigene Arbeitskraft keine kostenlose Kennzahl ist, auf die irgendjemand Anspruch erheben könnte, sähe Betriebswirtschaft in Deutschland deutlich anders aus. Schamloser gesagt: Wären Arbeitnehmer in Deutschland keine Hosenscheißer, hätten sie sich nicht über Jahre einsäuseln lassen, dass sie so agieren müssen, um der Welt ihren Wettbewerbsvorteil aufzudrücken, ginge es dieser Mangelwirtschaft an den Kragen.

Im Grunde ist es so, dass man die ganze Erkenntnis weiterspinnen kann. Wir erleben in der Bundesrepublik – aber sicher auch in ganz Europa -, dass Linkssein zu großen Stücken Konservatismus bedeutet. Denn was Linke wollen, dass ist einen Zustand zu konservieren, in dem sich Arbeitnehmer ihrer Rechte bewusst waren, in dem sie angelangten nach langen Dekaden voller Arbeitskämpfe. Das Progressive ist nachrangig geworden, denn die Linke reibt sich auf in der Erhaltung des Sozialstaates, wo sie vorher damit beschäftigt war, ihn immer weiter voranzutreiben, zu verbessern. Heute geht es nicht mehr um Verbesserung, sondern in erster Linie um den eigentlichen Erhalt. Insofern ist ein moderner Linker ein Konservativer. Er muss gar nicht groß die Modernisierung des Arbeitsrechtes anstreben, für ihn wäre schon was geleistet, wenn das bestehende Arbeitsrecht auch umgesetzt würde.

Selbst auf diesem Terrain innerhalb der Legalität und Legitimität wird man aber als Querulant angesehen. Und das ist die schlimmste Erkenntnis der ganzen Sache. Man ist gesetzestreu, sagt nur, was sein darf und was nicht und gilt schon als jemand, der nur Unruhe stiftet und eventuell den Menschen den Kopf verwirrt. So weit hat die Angebotsökonomie uns gebracht: Jede querulantische Anwandlung ist schon revolutionärer Ungeist, der peinlich berührt und schlechte Schwingungen erzeugt. Die Revolution des ohnehin Erlaubten oder der Protest gegen das ohnehin Verbotene: Die Demokratie der vorauseilenden Anbiederung ist ein Mechanismus der Energieverschwendung, wenn man so will.

Na klar fühle ich mich häufig wie ein Querulant, auch wenn ich den Leuten ja nicht warme Ratschläge erteile, wie sie es halten sollten, sondern nur mal auf gesetzliche Gepflogenheiten deute. Ich möchte ja nur eine Perspektive aufzeigen. Sie müssen aber selbst wollen und merken, dass sie nicht mehr wollen. Und wenn sie dann merken, dass sie nicht mal als Outlaw aus der Sache rauskommen, werden sie sich vielleicht fragen, warum sie so lange so mitgespielt haben. So oder so, komische Zeiten, in denen das Linke oft konservativ und das Revolutionäre oft gesetzeskonform ist.

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Roberto J. De Lapuente

Roberto J. De Lapuente ist irgendwo Arbeitnehmer und zudem freier Publizist. Er betrieb von 2008 bis 2016 den Blog ad sinistram. Seinen ND-Blog Der Heppenheimer Hiob gab es von Mitte 2013 bis Ende 2020. Sein Buch »Rechts gewinnt, weil links versagt« erschien im Februar 2017 im Westend Verlag. In den Jahren zuvor verwirklichte er zwei kleinere Buchprojekte (»Unzugehörig« und »Auf die faule Haut«) beim Renneritz Verlag.

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Heldentasse
Heldentasse
5 Jahre zuvor

OT und Test: Ich möchte hier nur etwas zum Thema schreiben wenn es auch freigeschaltet wird, was gestern leider nicht der Fall war.

Heldentasse
Heldentasse
5 Jahre zuvor

Ein schöner kleiner Artikel der mir aus der Seele spricht, weil ich ähnliche Vorfälle mit den lieben Kolleg*innen auch beobachte. Woran es liegt das Menschen mehr leisten als sie vertraglich müssen hat mit Sicherheit verschiedenste Ursachen. Im besten Fall ist es Selbstverwirklichung und im schlechtesten brutale Ausbeutung.

Gefühlt und nach meinem jetzigen Verständnis der heutigen Arbeitswelt werden die meisten Menschen mehr leisten als sie müssen, weil sie meinen so ihren Job zu sichern. Sie begreifen nicht, auch wenn man es versucht mit Engelszungen zu erklären, dass dieses Verhalten langfristig und in Summe viele Arbeitsplätze kostet wird und auch schon gekostet hat, denn die Arbeitgeber stellen halt weniger Leute ein als sie es müssten wenn es einigermaßen ausgeglichen zugehen würde.

Hinzu kommt, dass die „Mehrleister“ die „Minderleister“ unter Druck setzen, weil sie ein Klima schaffen wo Ausbeutung als normal erscheint, was sie aber nicht ist, und das auch weil Generationen von Werktätigen vor uns für ihre Rechte gekämpft haben, und teilweise dafür auch einen Blutzoll entrichten mussten.

Ergo: Auch dieses Thema zeigt ein Symptom ein (gelinde gesagt) total schrägen Gesellschaft auf.

Beste Grüße

P.S.: Empfehle Deinen Kolleg*innen dieses Bild hier als Hintergrundbild des Arbeitsplatz- PC.

niki
niki
5 Jahre zuvor

Man fühlt sich nicht nur wie ein Aufwiegler, sondern man wird auch nicht selten entsprechend behandelt. Zum Glück habe ich jetzt einen Chef, der mir alles bezahlt und wirklich fair behandelt…. MICH SELBST!. Halt, nein stop! Stimmt nicht! Das stimmt nur zur Hälfte. Bei meinen 2. Job, damit ich ohne erniedrigendes Hartz4 klarkomme, ist auch alles bestens. Die erste Periode in meinem fast 46-jährigen Leben dass ich auf der Arbeit nicht wie das letzte Arschloch behandelt werde! Und das war nur der Fall, weil ich nicht freiwillig und ohne Gegenleistung mehr gemacht habe, wie vertraglich festgehalten.
Und dabei waren dass keinesfalls Unternehmen die am Hungertuch genagt hätten, sondern große Konzerne und Kunden von Zeitarbeitsfirmen. Bei letzteren war es aber wahrscheinlich so, dass meine Kollegen wohl insgeheim auf eine Festanstellung hofften. Was aber selten oder nie soweit für diese kam.
Die jeweiligen Vorgesetzten mussten nicht einmal Druck machen, dafür haben meine ehemaligen Arbeitskollegen selbst für gesorgt und auch entsprechend nachgetreten. Noch fieser als ein Vorgesetzter es jemals konnte. Mobbing gegenüber den „Drückebergern“ war Alltag!

Nicht umsonst gilt die deutsche Arbeitsmentalität im Ausland als komplett irre… Unterwürfigkeit gibt es in Deutschland gratis zum Mickerlohn dazu!

Eberhard Schick
Eberhard Schick
5 Jahre zuvor

Hallo,

schön, dass dieses Thema mal so aufgegriffen wird. Vor einem halben Jahr war in der ZEIT über eine Berlinerin zu lesen, die sich über die Arbeitsbedingungen in Start-Up-Firmen beschwert. Nirgendwo waren die Worte „Betriebsrat“ oder „Gewerkschaft“ zu lesen. Leuten mit Studium fällt es offenbar schwer, die Rolle als Arbeitnehmer anzunehmen. Man hat’s an der Uni auch bewiesen, dass man es selbst schaffen kann und die Chefs haben auch keine bessere Ausbildung als man selbst. Und es bedarf oft einer persönlichen Betroffenheit, um ein Arbeitnehmer-Bewusstsein zu entwickeln. Wenn das persönliche Problem gelöst ist, dann hat’s sich’s auch wieder recht schnell erledigt.
Selbstverständlich wird man in so einem Milieu als Aufwiegler betrachtet, wenn man sei Recht in die Hand nimmt. Das entspricht nicht dem Zeitgeist.
Die Arbeitgeber-Seite ist da viel schlauer: Die macht den Leuten vor, sie seien „empowert“ und Unternehmer Unternehmen und so. In der IG Metall wird das unter dem Stichwort „indirekte Steuerung“ diskutiert: http://www.sapler.igm.de/downloads/artikel/attachments/ARTID_59049_cn194M?name=indirekt.pdf

Viele Grüße
Eberhard Schick

Heldentasse
Heldentasse
Reply to  Eberhard Schick
5 Jahre zuvor

Nicht wenige Arbeitnehmer empfinden es leider als ganz normal Selbstausbeutung zu betreiben. Das sie auf lange Sicht schlecht damit fahren stört sie zunächst nicht, einige Chefs wohl auch nicht, denn wenn die ausgebrannt sind zahlt die Kosten ja ganz überwiegend die Allgemeinheit.

Wobei das ja im Grunde ein Widerspruch in sich ist, denn eine Solidargemeinschaft kommt in letzter Konsequenz für Menschen auf, die sich unsolidarisch verhalten haben.

Beste Grüße

seyinphyin
seyinphyin
Reply to  Heldentasse
5 Jahre zuvor

Einfach so empfinden tun die das nicht. Da stecken Jahrzehnte (genau genommen Jahrhunderte), durchgehende und flächendeckende Indoktrination und Propaganda drin. Diese hält den ‚Pöbel‘ dumm, unmündig, unwissend und gefügig, so wie er sein soll. Und Aufklärung dagegen betreibt so gut wie niemand, im Gegenteil, die lässt immer mehr nach und selbst jene, die es vermeintlich tun, haben sich in weiten Teilen völlig verheddert und schlagen sich dabei schon selbst ins Gesicht…

Nashörnchen
Nashörnchen
5 Jahre zuvor

Es gibt eine ganz einfache – getestete – Lösung, den unbezahlten Überstunden zu entgehen: Wenn Feierabend ist, einfach sagen, daß jetzt Feierabend ist! Das Leben kann so einfach sein!

Gut – was dann kommt, muß nicht näher erklärt werden…

Und dann schickt einen das Jobcenter zum „Praktikum“: (Mit bissl Glück sogar in die alte Firma, muß aber nicht sein.) Man arbeitet wie gewohnt den ganzen Tag, aber man muß KEINE Überstunden mehr machen. Keine einzige! Nix. nada, niente!
Okay – Lohn ist da natürlich nicht vorgesehen und Arbeitsklamotten, Verpflegung, den ganzen Kram, den andere von der Steuer absetzen, mußte halt selber bezahlen. Zahlst ja schließlich keine Steuern, gibts eben nix zurück. Kriegst ja schließlich 416,- € jeden Monat, das wird ja wohl reichen. Und wenn man da dann immer schön die Fresse hält und fleißig ist und dazu noch ein bissl Glück hat, kriegt man sogar glatt den vollen Hartz IV-Satz!!! Ungekürzt!!! Plus ein Busticket zum halben Preis!

Wir sind hier in Deutschland. Mit den Gesetzbüchern kannste Dir den Ar*** wischen… ;-(

Heldentasse
Heldentasse
Reply to  Nashörnchen
5 Jahre zuvor

Es gibt eine ganz einfache – getestete – Lösung, den unbezahlten Überstunden zu entgehen: Wenn Feierabend ist, einfach sagen, daß jetzt Feierabend ist! Das Leben kann so einfach sein!

Eine sympathische und vor allem rechtskonforme Einstellung! Nur wenn Du es so machst giltst Du schnell als einer der Dienst nach Vorschrift macht (dem Neusprech nach „Lowperformer“), und dann greifen ggf. fragwürdige Strategien um Dich aus dem Unternehmen raus zu drängen.

Wehren kann man sich als Einzelner kaum dagegen, hier wäre Solidarität unter Kolleginnen und Kollegen gefragt, und die haben sie in den letzten 40 Jahren systematisch kaputt gemacht, und wir haben es geschehen lassen.

Z.B. wo ich vor über 40 Jahren ins Berufsleben als Hilfsarbeiter in einem Stahlwerk einstiegt, waren 98% der Kollegen in der Gewerkschaft. Wenn der Hammer viel war Feierabend, wenn mehr gearbeitet werden musste gab es satt Zulagen und Zuschläge auf den Lohn. Da hätte sich keiner von den Weißkitteln getraut was für lau zu fordern, du wussten genau was ihnen dann von der Belegschaft geblüht hätte.

Beste Grüße

Rainer N.
Rainer N.
5 Jahre zuvor

Es begab sich zu der Zeit ,,, 1972 … bei meinem Arbeitgeber war Gleitzeit angesagt … aber mit Zeitkonto … das mehr wie 10 Überstunden ersatzlos gestrichen wurden … wer aber seine Überstunden „abfeiern“ wollte … dem wurde vorgehalten, man habe doch noch so viel Arbeit … und wer seine Arbeit nicht schafft ist für die Kasse untragbar … und dann gab es den Donnerstag … mit der extra langen Mittagspause … weil die Öffnungszeit bis 18 Uhr angesetzt war … da wurde dann auch von vielen Kollegen durchgearbeitet … nun, letztendlich führte das zu meinem Weggang … damals konnte man ja noch kündigen … das waren noch Zeiten. Als ich dann nach Kopenhagen … ich hatte von Christiania erfahren … aber das war dann auch nichts für mich.

Lupus
Lupus
5 Jahre zuvor

Dieser Text spricht mir aus der Seele. Ich habe im letzten Herbst meine Ausbildung zur Altenpflegefachkraft abgeschlossen. Die letzten beiden Jahre meiner Ausbildungszeit war ich Betriebsratsvoristzender in unserem Pflegeheim. Es stellten sich so wenige KollegInnen zur Wahl, dass wir nur ein 3er-Gremium auf die Beine stellen konnte, obwohl wir aufgrund der Betriebsgröße (160 MA) ein 7er-Gremium hätten bilden müssen. Das war schon ernüchternd. Die wahre Ernüchterung kam dann aber auf, als wir feststellen mussten, dass es einem grundsätzlich nicht gedankt wird, wenn man sich ernsthaft für bessere Bedingungen engagiert. Der Gipfel der Absurdität wurde erreicht, als wir in unserer letzten Betriebsversammlung ankündigten, keine Unterschreitungen der Mindestruhezeit zwischen zwei Schichten mehr zu dulden. Wir kündigten also nichts anderes an, als dem Wortlaut des Arbeitszeitgesetzes Geltung verschaffen zu wollen. Im gleichen Maße banal wie selbstverständlich könnte man meinen, doch das Geschrei, und zwar von der Basis („Qualitätsverlust! Organisatorisch nicht umsetztbar!…“) war ohrenbetäubend und schlichtweg surreal. Auch dass wir Betriebsratsrechte tatsächlich vor dem Arbeitsgericht einklagten, als erster Betriebsrat überhaupt, wurde im gleichen Maße verwundert, wie auch ablehnend kommentiert.

Nach der Ausbildung wollte man mich dann nicht übernehmen, obwohl ich die Übernahme verlangte. Aufgrund der Arroganz der Chefetage, die sich primär darin äußerte, Paragraphen, auf die sich der Azubi und BR beruft, gar nicht erst durchzulesen, kam das Arbeitsverhältnis formal trotzdem zustande, gegen den Willen des AG. Ich habe mich dann für teuer Geld „rauskaufen“ lassen, also eine hübsche Abfindung kassiert. Auch das wurde mir von einigen KollegInnen zum Vorwurf gemacht. Dass da jemand Ahnung von den Paragraphen hat, seine Rechte kennt und diese dann auch kaltschnäuzig über den Rechtsweg einfordert, wurde als absoluter Affront betrachtet („Sowas gehört sich doch nicht…!)

Quintessenz meiner Erfahrungen: Es fehlen die elementaren Kenntnisse über die eigenen Rechte in der Arbeitswelt. Es herrscht das Denken vor, dass man selbst verantwortlich für das wirtschaftliche Wohlergehen des Unternehmens ist. Selbstausbeutung wird umgedeutet zur Selbstoptimierung. Das Selbstbild speist sich nur noch aus der bangen Frage, wie wohl das Fremdbild aussehen möge. Diese mangelnde Eigenempathie ist auch der Grund für die fehlende Solidarität untereinander. Ich habe die Hoffnung schon fast aufgegeben, dass sich das ändern könnte. Als FAU bieten wir in unserer „gewerkschaftlichen Beratung“ für Hilfesuchende Beratung und Unterstützung an. Aber wir helfen nur noch, wenn bei den Betroffenen auch wirklich der Wille vorhanden ist, sich zu wehren, zu kämpfen und für seine eigenen Rechte einzustehen. Und diese Bereitschaft haben erschreckend wenig Menschen.

Robbespiere
Robbespiere
Reply to  Lupus
5 Jahre zuvor

@Lupus

Quintessenz meiner Erfahrungen: Es fehlen die elementaren Kenntnisse über die eigenen Rechte in der Arbeitswelt.

Dies und die Angst vor Verlust des Arbeitsplatzes sind die Ursachen für die Unterwerfung der Arbeitnehmer.
Allerdings ist diess das Ergebnis der Kungelei von Gewerkschaftsfunktionären mit der Wirtschaft und Politik.
Als Kohl die Energiewirtschaft „liberalisierte“ und Staatsbetriebe „privatisierte“, war die Reaktion der Gewerkschaften schon recht flach.
Bei Schröders „Arbeitsmarktreformen“ haben deren Vertreter jede Sauerei mitgetragen und natürlich bekommen die abhängig Beschäftigten auch mit, was ihre „Vertreter “ in den Aufsichtsräten großer Konzerne auf ihrem Rücken veranstalten.
Die Arbeitnehmer haben vorgeführt bekommen, wie ihre Interessenvertreter in Politik und Gewerkschaften für Mammon die Seite wechselten und versuchen nun, im Strom mitzuschwimmen, um nicht ins Bodenlose zu fallen.

Das ist natürlich ein fataler Trugschluss, weil es die Gegenseite nur zu noch dreisteren Maßnahmen motiviert, aber im Kampf um die einzige Einnahmequelle und in Anbetracht der millionenfachen „Reservearmee“ Arbeitsloser verständlich.

Man kann nur hoffen, dass Trump seine Sanktionen durchzieht, weil es dann auch die abgehobenen, unsolidarischen Gewerkschaften der Exportbranchen zum Handeln in Puncto Binnenmarkt zwingt.
Allerdings beschleicht mich das Gefühl, dass dies ein abgekartetes Spiel der sog. Eliten sein könnte, um auch die letzten Arbeitnehmer-Rechte zu schleifen.

Am Ende hilt m.M.n. nur das zeitweilige „Lahmlegen“ der Wirtschaft und die Erzwingung direkter Demokratie.
Anders kommen wir aus dieser Schlinge nicht mehr heraus.

Aus meiner Sicht sind die vielfältigen Provokationen des „Wertewestens“ in Richtung Krieg der Versuch, dem durch einen bewußt herbeigeführten Notstand mit Abschaffung der Demokratie einen Riegel vorzuschieben.

Heldentasse
Heldentasse
Reply to  Robbespiere
5 Jahre zuvor

Das ist natürlich ein fataler Trugschluss, weil es die Gegenseite nur zu noch dreisteren Maßnahmen motiviert, aber im Kampf um die einzige Einnahmequelle und in Anbetracht der millionenfachen “Reservearmee” Arbeitsloser verständlich.

Vollkommen richtig! Die legen im kleinen wie im großen so viele „Kohlen in den Herd“ nach bis die Zustände ganz untragbar geworden sind. Und wir sind die Frösche in einem Topf mit Wasser auf dem Herd die gar nicht mehr merken das sie langsam abgekocht werden, weil sie jegliches „normale“ Empfinden verloren haben.

Beste Grüße

Bernhard
Bernhard
Reply to  Robbespiere
5 Jahre zuvor

Hallo Roberto,

das Nicht-Informieren über die eigene Siuation ist ja gerade auch bedingt durch die Angst vor dem Arbeitsplatzverlust. Jene lähmt (bis hin zur Depression).

Schlimm ist der Selbstbetrug Vieler.

Greetz aus Frankfurt nach Frankfurt.

Heldentasse
Heldentasse
Reply to  Lupus
5 Jahre zuvor

Die letzten beiden Jahre meiner Ausbildungszeit war ich Betriebsratsvoristzender in unserem Pflegeheim.

Eine Azubi im BR ist schon enorm, ein Azubi als BR- Vorsitzender dürfte m.E. die absolute Ausnahme darstellen. Darf man fragen wie Du in dieses Amt gelangt bist? Das einzige was ich mit vorstellen kann ist eine jahrelange Betriebszugehörigkeit und danach ein fachliche Qualifikation beim selben Arbeitgeber.

Aber wir helfen nur noch, wenn bei den Betroffenen auch wirklich der Wille vorhanden ist, sich zu wehren, zu kämpfen und für seine eigenen Rechte einzustehen. Und diese Bereitschaft haben erschreckend wenig Menschen.

Das war einer der Gründe warum ich nach 16 Jahren unseren Personalrat verlassen habe, nicht selten wurde von Kolleg*innen Missstände aufgezeigt und gejammert, aber sie waren nicht bereit sich mit der Personalvertretung wirksam dagegen zu wehren. Es war nicht selten ein „Wasch mir den Pelz, aber mach mich nicht nass!“ Verhalten.

Beste Grüße

Lupus
Lupus
Reply to  Heldentasse
5 Jahre zuvor

Darf man fragen wie Du in dieses Amt gelangt bist?

Ich wurde von einigen KollegInnen dazu gedrängt, mich aufstellen zu lassen. Auf mich entfielen dann überraschend die meisten Stimmen. Dazu sei angemerkt, dass sich aus dem Pflegebereich ausschließlich Azubis aufstellen ließen, der Rest kam aus der Hauswirtschaft und dem Haustechnik-Team. In unserem kleinen 3er-Gremium, darunter eine weitere Auszubildende, wurde ich dann darum gebeten, den Vorsitz zu übernehmen. Damit sind ja keine besonderen Rechte verbunden, sondern einfach nur mehr Arbeit organisatorischer Art. Mein Stellvertreter war der Vorsitzende des letzten Gremiums, hatte also schon Erfahrungswerte, war jedoch der Meinung, dass jemand aus dem Pflegebereich als 1. Vorsitzender fungieren sollte.

Das war einer der Gründe warum ich nach 16 Jahren unseren Personalrat verlassen habe, nicht selten wurde von Kolleg*innen Missstände aufgezeigt und gejammert, aber sie waren nicht bereit sich mit der Personalvertretung wirksam dagegen zu wehren. Es war nicht selten ein “Wasch mir den Pelz, aber mach mich nicht nass!” Verhalten.

Ganz genau so haben wir das erlebt. Es kam zu den absurdesten Situationen. So wurden mir gewisse Dinge in der Umkleide hinter der geöffneten Spindtüre buchstäblich ins Ohr geflüstert. Viele KollegInnen baten mich, Dinge zu ihren Gunsten zu unternehmen, dabei aber ja nicht ihre Namen zu nennen. Überhaupt hatte man Angst, auch nur dabei beobachtet zu werden, wie man mit mir vertraulich sprach. Das verunmöglichte jede vernünftige Betriebsratsarbeit. Hätten die KollegInnen mitgezogen, wären fundamentale Verbesserungen möglich gewesen. Am Ende war ich froh, den Laden verlassen zu haben. Das neue Gremium hat wieder 7 Mitglieder, die allesamt aber stramm auf AG-Linie sind. Ich habe noch meine Zuträger, die mich auf dem Laufenden halten, und was sie berichten, macht mich gar nicht mehr fassungslos, weil ich genau damit gerechnet hatte. Und genau das gibt mir so zu denken.

aquadraht
aquadraht
Reply to  Lupus
5 Jahre zuvor

Ich erinnere mich noch an einen Prozess, den meine erste Frau – sie war Krankenschwester – geführt hat. Es ging um die Arbeitszeitregelung in der Nachtwache in einer Universitätsklinik. Die Nachtwache dauerte von 18h abends bis 6h morgens, angeblich mit 1h Pause dazwischen. Meine Frau stellte sich auf den Standpunkt (vom Arbeitsrecht gestützt), dass eine Pause eine Arbeitsunterbrechung sei, sie könne dann auch nach Hause fahren, nach den Kindern schauen oder sich mit mir und Freunden zu einer Runde Skat treffen. Nein, das ginge nicht (klar ging das nicht, schon von der Personallage her). Ok meinte sie, dann müsse das auch als Arbeitszeit bezahlt werden. Nein das ginge auch nicht, denn laut AZO darf man zwingend nicht über 11h arbeiten (mal Notfälle beiseite), und daher sei das illegal und das könne man nicht bezahlen. Das war natürlich besonders unverschämt. Der örtliche ÖTV-Vorsitzende wollte kneifen, wir haben aber geklagt und die Rechtsstelle hat knurrend die Rechtshilfe geleistet. Das Land hat es dann bis zum Gerichtstermin kommen lassen, dann aber gekniffen und tatsächlich über ein Jahr die Stunden mit allen Zuschlägen nachgezahlt (es gibt da Fristen, ich meine, es war die erste Geltendmachung), zwischenzeitlich meine Frau auf eine attraktive Stelle im Tagdienst weggelobt. Naja wir waren nicht traurig, dass sie aus der Nachtwache raus war.

Das deprimierende war, dass etwa 200 Schwestern und Pfleger im Nachtdienst, viele gewerkschaftlich organisiert, genauso davon betroffen waren. Nicht eine einzige hat sich auf diesen Fall berufen, und die Uniklinik machte weiter wie zuvor. Viele fanden es auch „unanständig“, so auf seinem Recht zu beharren.

a^2

Robbespiere
Robbespiere
Reply to  aquadraht
5 Jahre zuvor

@aquadraht

Das deprimierende war, dass etwa 200 Schwestern und Pfleger im Nachtdienst, viele gewerkschaftlich organisiert, genauso davon betroffen waren. Nicht eine einzige hat sich auf diesen Fall berufen, und die Uniklinik machte weiter wie zuvor. Viele fanden es auch “unanständig”, so auf seinem Recht zu beharren.

Die Frage dahinter, die sich mir stellt ist, warum so Viele von uns über so wenig Selbstbewußtsein und Selbstachtung verfügen, dass sich sich nicht wehren und ihre Rechte in Anspruch nehmen, statt sich opportunistisch die Ziele der „Mächtigen“ zu eigen zu machen und zu kuschen, statt sich zu solidarisieren?

Warum werden Diejenigen, welche ihre Rechte einfordern, als Störenfriede angefeindet statt Derer, die aus purem Eigennutz und Selbstsucht Millionen Menschen erst in Not bringen?

Liegt es daran, dass die Not noch nicht groß genug für die Mehrheit der Bevölkerung ist und nicht mit den tatsächlichen Verursachern in Verbindung gebracht wird, sondern leicht auf angeblich „faule“ Hartz4-Abhängige oder Südländer, Flüchtlinge und Migranten sowie vermeindlich bösartige äußere Feinde umlenkbar ist?

Ich wundere mich immer wieder, dass selbst studierte Leute in meinem Bekanntenkreis den destruktiven Narrativ der „Eliten“ von der Alternativlosigkeit der Politik und Wirtschaftsform nachbeten, obwohl auch sie nicht zu den Pofiteuren des Systems gehören.

Muss die bürgerliche Mittelschicht erst zusammenbrechen, dass sie den Wert der Solidarität schätzen lernt?

Folkher Braun
Folkher Braun
5 Jahre zuvor

Das Themenfeld Gewerkschaften, Betriebsräte, Tarifverträge kommt bei den Neulandrebellen leider nur unterdurchschnittlich zur Sprache. Das war bei Jens Berger auch schon so. Ich vermute, dass hier oft die eigene Anschauung der Verhältnisse fehlt.
Ich komme aus dem Bereich TV (Transport und Verkehr) der ÖTV, bin da seit 42 Jahren Mitglied und habe deswegen den Niedergang der Gewerkschaft (u.a. als Streikposten 1983) miterlebt.
Es trifft zu, dass zu viele Arbeitnehmer grundlegende Säulen des Arbeitnehmer-Daseins nicht begriffen haben. Wir sollten uns aber nicht beschweren: An den Universitäten laufen Zehntausende HiWis herum, die auch zu blöd sind, sich zu organisieren. Obwohl die in der Lage sein müssten, ein Betriebsverfassungsgesetz zu verstehen.

Es bleibt die Gewissheit, dass, wenn die „ursprüngliche Organisation der Arbeiterklasse“ aus welchen Gründen auch immer nicht funktioniert, auch der politische Ausdruck nicht funktioniert, siehe gerade die Linke und Arbeitsmigration. Empfehle dem Parteitag die Lektüre von Karl Marx: Das Kapital, Bd.1 Kapitel 23. Denn so weit sindse bisher wohl nicht gekommen.

Heldentasse
Heldentasse
Reply to  Folkher Braun
5 Jahre zuvor

An den Universitäten laufen Zehntausende HiWis herum, die auch zu blöd sind, sich zu organisieren. Obwohl die in der Lage sein müssten, ein Betriebsverfassungsgesetz zu verstehen.

Da geht das Elend ja schon im Prinzip los, den auf öffentlichen Unis gilt das jeweilige Landespersonal- Vertretungsgesetz und nicht das Betriebsverfassungsgesetz. Demnach haben die Unis auch keine Betriebsräte sondern nur Personalräte mir m.E. entscheidend weniger Möglichkeiten was die Mitbestimmung anbelangt.

Dazu kommen noch so „Schmakerln“ wie das WissZeitVG was noch mehr als das TzBfG, prekäre Arbeitsplätze fördert, wobei der öffentliche Arbeitgeber aussuchen darf nach welchem Gesetz er nun befristet (ohne Begründung) einstellen will. Daran macht kein noch so guter Personalrat etwas, und damit auch nicht an der Situation, dass die aller meisten Arbeitsverhältnisse an Unis befristet sind, mit allen Folgen, z.B. einem sehr geringen Organisationsgrad der Kolleg*innen.

Beste Grüße

Sich.-Ing. Jörg Hensel (Gewerbeaufsicht i.R.)
Sich.-Ing. Jörg Hensel (Gewerbeaufsicht i.R.)
5 Jahre zuvor

Zwei Dinge hätte ich hierzu zu sagen.
I.)

Das wiederum, so argumentiere ich, liegt im Ermessen des Arbeitgebers. Er gehört zu seiner unternehmerischen Verantwortung, Arbeitsabläufe so zu gestalten, dass die zu verrichtende Arbeit zeitlich und körperlich erledigt werden kann.

Gut argumentiert; reicht aber nicht, da das Arbeitsschutzgesetz – als arbeitsvertragliche Nebenpflicht – explizit die „menschengerechte Gestaltung der Arbeit“ einschließt, was bspw. auch psychische Belasungen mit einbezieht. – Vgl. § 2 (1) ArbSchG.

II.)

.. im Komplex des Arbeitsschutzrechts liest man außerdem von Überlastungsanzeigen und unternehmerischer Fürsorgeverpflichtung.

Wenn man davon liest, ist anzunehmen, dass der Arbeitgeber seine Pflicht zum Wirksamkeitsgebot (§ 3 (1) S. 2 ArbSchG) missachtet hat bzw den Arbeitsvertrag /seine Fürsorgepflicht verletzt hat.
Hilft der Arbeitgeber hierauf gerichteten Beschwerden nicht ab, haben die Beschäftigten das Recht zur Beschwerde an die Arbeitsschutzbehörde (vgl. § 17 (2) ArbSchG) – Es gilt das gesetzliche Benachteiligungsverbot gem. § 612 a BGB.

Die Arbeitsschutzbehörden haben gem. amtl. Begründung zum Arbeitsschutzgesetz nachf. Pflichten.

Bezug des Arbeitsschutzes zum Grundgesetz – Vgl. Amtliche Begründung zum Arbeitsschutzgesetz Drucksache Bundestag 13/3540 – Seite 11 – Ziff. 2 – 3. Spiegelstrich.

Zitat: „In der Bundesrepublik Deutschland folgt aus Artikel 2 Abs. 2 des Grundgesetzes die Pflicht des Staates, Leben und Gesundheit der Beschäftigten bei der Arbeit durch öffentlich- rechtliche Vorschriften zu schützen.“
Quelle: http://dip21.bundestag.de/dip21/btd/13/035/1303540.pdf

Die Realität sieht aber bekanntermaßen anders aus, so dass sich die Exekutive selbst strafbar macht (§ 336 StB), wie das Beispiel „Lebensmittelüberwachung“ zeigt.

Nicht selten wird die Gewerbeaufsicht politisch angewiesen in bestimmten Bereichen das GG in der Arbeitswelt durch Unterlassung ausser Kraft zu setzen; Beispiel b.b..

Das Arbeitsschutzgesetz ist m.E. einer der ärgsten Feinde des Neoliberalismus, weil es die „menschengerechte Gestaltung der Arbeit“ gesetzlich einfordert. – Doch keinen interessiert es.

Finde den Fehler …

Carlo
Carlo
5 Jahre zuvor

Lieber Roberto, ich habe den Text eben erst entdeckt. Nach dem Lesen kann ich mir einen Kommentar nicht verkneifen.
Zunächst einmal sehe ich das Arbeitsrecht nicht als Recht, sondern als Gesetz. Meiner Meinung nach gibt es nur ein Recht. Das ist das Menschenrecht auf Freiheit, das Recht auf ein selbstbestimmtes Leben. Alles andere sind Gesetze und Sand in die Augen. Die Wurzeln der bürgerlichen Arbeitsgesetzgebung (und nicht nur dieser Gesetzgebung) liegen in Gesetzen der Sklavenhalterordnung des alten Rom. In diesem Fall ist es das Locatio conductio operarum, abgeleitet vom Locatio conductio rei. Dabei geht es nicht um den Verkauf, sondern um die Vermietung. Kein Mensch verkauft seine »Arbeitskraft«. Menschen sind gezwungen, sich selbst für x Stunden am Tag zu vermieten. In dieser Zeit sind sie ihrem »Herren« unterstellt und müssen auf ihre Freiheit gegen ein Einkommen verzichten.
Arbeitszeit ist Lebenszeit. Lebenszeit, Gesundheit, Talente, Fähigkeiten, Wissen sind mit dem Menschen verbunden und stellen unschätzbare Werte dar. Damit sich Menschen darüber keine Gedanken machen und in Anpassung an ein materiell-mechanistisches Weltbild erfand irgendwer den Begriff der »Arbeitskraft«. Angelehnt an die Physik, ist dieser Begriff trotzdem nicht definierbar. Die meisten Menschen könnten nicht einmal das Wort »Kraft« erklären. Wahrscheinlich wüssten sie nicht, wie sie gemessen wird. Was soll also diese geheimnisvolle »Arbeitskraft« sein und wie wird sie gemessen? Was ist der wissenschaftliche Wertmaßstab dafür? Den sollte es doch geben, wenn sich Ökonomik als Wissenschaft beschreibt.

Auf die problematischen Begriffe »Arbeitnehmer«, »Arbeitgeber« will ich gar nicht erst eingehen. Der Text würde ins Endlose führen.

So sehr ich Deinen Einsatz für die Kollegen schätze, so sehr fällt mir auch das Denken in Begriffen und Grenzen der bürgerlichen Ökonomie und dem dazugehörigen Gesetzessystem auf. Dies erinnert mich nicht an einen Rebellen, sondern an einen zufriedenen (Teilzeit)Sklaven, welcher darum bettelt, nur ein bisschen weniger ausgebeutet zu werden. Von Grund auf neu Denken, und dazu sollte man bereit sein, wenn man Veränderung möchte, bedeutet unter anderem, sich des bürgerlich-ökonomischen Sprachwortschatzes zu entledigen. Das ist ebenfalls eine Grundbedingung dafür, dass man von der Masse der Menschen als Alternative und nicht als gedanklicher Abklatsch des Bestehenden wahrgenommen werden kann. Vielleicht wäre dies um so wichtiger, wenn man sich »links« bezeichnet.

Carlo
Carlo
Reply to  Roberto J. De Lapuente
5 Jahre zuvor

Nun, ich fühle mich nicht dazu berufen, zu urteilen, was falsch und richtig ist. Ich denke, damit man verstanden wird, sollte Klarheit über das Vokabular der Sprache bestehen. Diese Klarheit ist nicht vorhanden. Aus diesem Grund ist eine Sprache, »die alle sprechen und die als verbindlicher Sprachgebrauch gültig ist« nicht zwangsläufig für alle gleich verständlich. Dies bezieht sich auf viele, viele Worte und nicht nur auf »Arbeitnehmer« und »Arbeitgeber«. Die beiden wären für mich noch mit das Geringste. Ich stimme Dir zu, dass es nicht dienlich ist, darüber zu lamentieren, wer Arbeit gibt oder nimmt. Vor allem, wenn man sich vorher nicht darüber geeinigt hat, was Arbeit überhaupt ist. Arbeit und damit zusammengesetzte Worte sind völlig unklar.

Weil »man immer bei einem Abhängigenverhältnis ankommt«, sind »die bürgerliche Ökonomie anders zu denken« und »von Grund auf neu denken« zwei Paar Schuhe. Man wird ein Dilemma nicht auf der gleichen Ebene und mit den gleichen Mitteln auflösen, auf der es und durch welche es entstanden ist. Das hat auch rein gar nichts mit »Arbeitsteilung« zu tun. »Arbeitsteilung« ist uralt und gab es schon lange vor der bürgerlichen Ökonomie. Sie stellt kein Problem dar. Sich Tätigkeiten zu teilen und sich zu spezialisieren ist doch sehr vernünftig.

»… es kömmt darauf an, dieses [Abhängigenverhältnis] verträglich zu gestalten
Genau das schrieb ich in anderen Worten: »Dies erinnert mich nicht an einen Rebellen, sondern an einen zufriedenen (Teilzeit)Sklaven, welcher darum bettelt, nur ein bisschen weniger ausgebeutet zu werden.«