Dschungelcamp: Die andere Seite der Bundesliga

Ansgar Brinkmann ist … fast hätte ich geschrieben: Tot. Ein bisschen stimmts ja auch. Er wird ausgeschafft nach Australien. Ins Dschungelcamp. Nach Hartwig, Immel, Ailton, Legat und Häßler ist er der nächste Fußballer mit Straußenhodenappetit. Wie kommt das, wo doch die Bundesliga so eine traumhafte Welt ist?

Auch wenn man dieses Dschungelcamp nicht guckt, man kommt ja an den traurigen Fakten nicht vorbei. Mittlerweile berichtet ja fast jede Tageszeitung von dem Ereignis. Man macht sich auf dem Weg zur Arbeit und läuft an einem Aufsteller vorbei, der über dieses Naturereignis informiert. Auf diese Weise erfuhr ich also, dass Ansgar Brinkmann nach Australien fliegen wird. So wie vor ihm andere Ex-Fußballer, die ihre Brötchen in der Bundesliga verdienten. Wie kann man nur so absteigen? Das fragt man sich in diesen Momenten. Dabei ist der Abstieg vom Olymp deutschen Fußballs in den Hades des Privatfernsehens nun wirklich keine so arg seltsame Wendung, sondern gewissermaßen ein programmierter Kollateralschaden. Man kann sich diese Frage um den Abstieg nur stellen, wenn man dem idealisierten Bild der Bundesliga folgt. Dass man das zuweilen tut, hat ganz massiv mit der Lektüre zu tun, die es zum Thema gibt – und die es andererseits wieder (fast) nicht gibt.

Es ist ja gerade mal fünf Jahre her, da summierte sich die andachtsvolle Bundesliga-Literatur: Kein Wunder, es gab da ja auch ein Jubiläum – 50 Jahre Bundesliga nämlich. Das musste gefeiert werden, dazu musste man was publizieren. Größtenteils stand dann Jubellektüre in den Verkaufsregalen, die sich für den Rezensenten ziemlich gleich las: Bundesliga als Platz an der Sonne. Als exemplarisch dafür hielt ich seinerzeit Gerhard Dellings Schinken »50 Jahre Bundesliga – Wie ich sie erlebte«. Damals schrieb ich auch eine Rezension zu dem monotonen Werk für das ND, eine kleine Abrechnung mit Dellings heiler Welt, in der die Bundesliga immer nur als »Höher! Schneller! Weiter!« vorkam. Schattenseiten? Na gut, der Bundesliga-Skandal Anfang der Siebziger halt. Aber der hat sich doch schnell verwachsen und ab da war die höchste deutsche Klasse einfach nur eine Erfolgsgeschichte von Erfolgsmenschen für Erfolgsmenschen. Nach dieser Lesart dürfte freilich kein Ex-Profi je zum Käferverköstigen ans andere Ende der Welt ausgeflogen werden.

Erst kürzlich bekam ich allerdings ein anderes Buch zur Bundesliga in die Hände. Es stammt auch aus jener Jubiläumszeit 2012/2013, als jedem sportiven Autoren ganz feierlich ums Textverarbeitungsprogramm wurde. Geschrieben hat diesen Ausreißer der Sportjournalist Ronald Reng und er trägt den recht zurückhaltenden Titel »Spieltage. Die andere Geschichte der Bundesliga«. Ich halte es hier nun für meine verdammte Chronistenpflicht, auf diesen Schmöker hinzuweisen, denn das Buch bietet einen völlig anderen Blick auf den Profi-Fußball und sein in Deutschland liebstes Kind, die Bundesliga. Das Vorwort erzählt, dass Reng eines Tages einen Anruf von Heinz Höher erhielt: Der war ehemaliger Fußballer und ebenso ehemaliger Trainer beim VfL Bochum und dem Club aus Nürnberg. Er wolle reden, ihm etwas erzählen, als bedrücke es ihn. Das Sujet stellte sich als Marginalie heraus (Höher gab zu, dass er in den Siebzigern den Platz unbespielbar manipulierte), aber Reng witterte eine große Geschichte: Die Bundesliga erzählt anhand der Biographie Heinz Höhers, der ja durchaus ein Kind der Bundesliga war.

Der Ex-Trainer hatte richtige Erfolge vorzuweisen. Keine Titel zwar, aber Klassenerhalte mit Bochum einzufahren und in den Achtzigerjahren maßgeblich die goldene Generation beim Nürnberger Club geprägt und entworfen zu haben: Das waren ja auch Erfolge, wenn sie auch auf keiner Titelliste verzeichnet sind. Zwischendrin immer der Mensch Höher, der Ehemann und Vater, der Trinker, der Zweifler und Schweiger, der seinen Sport immer häufiger kaum noch verstand. Fachlich war er nach wie vor eine Größe, aber was geschah da mit der Liga, warum wollten die Spieler plötzlich als Persönlichkeiten behandelt werden, wieso Gespräche mit dem Trainer führen? »Wannst reden wuist, muasst Staubsaugervertreter werdn«, hat Ernst Happel mal zu einem Spieler gesagt. Hatte er nicht recht damit?

Höher litt unter dem Druck seinen Job zu verlieren. Keiner blieb ewig bei einem Verein. Je älter er wurde, desto mehr Furcht schlich sich in seinen Traineralltag. Als er Ende der Achtziger bei Nürnberg seinen Cheftrainerposten verlor, bekam der Alkohol Oberhand. Sonst waren es nur immer zwei Bier und ein Klarer nach dem Training, nach dem Spiel, am Feierabend oder einfach mal so mit Freunden. Zwei Bier und ein Klarer: Fast täglich. Und auch fast täglich mehrmals. Wie gesagt, dann verlor er den Job, dazu ein familiärer Schicksalsschlag und ab da waren es die Schnapsflaschen, die sein Leben diktierten.

Im Laufe der Jahre kamen finanzielle Sorgen hinzu. Höher war zu einer Figur von gestern geworden, jemand an den man nicht mehr dachte, nicht mehr erinnerte, wenn man sich einen Bundesligatrainer vorstellte. Andere blieben, hatten Erfolge, wurden zu Koryphäen wie sein Ex-Kollege Otto Rehhagel, der in seinen Anfangsjahren als Trainer nicht mal ansatzweise die Klasse und die Zukunftsaussichten eines Heinz Höher hatte und dennoch zu einer großen Gestalt der Liga emporstieg. Heinz Höher kämpfte gegen den Alkohol, gegen Geldsorgen, versuchte ein Comeback. Kurz sah es so aus, als könne er nochmal einen Profiverein trainieren. Der VfB Lübeck meldete Vollzug, mit Heinz Höher habe ein renommierter Sportlehrer unterschrieben. 1996 war das und sein letztes Engagement im Profifußball lag acht Jahre zurück. Zum ersten Training erschien er vollgepumpt mit Tabletten und leicht bis mäßig angeduselt, kippte kurz vor Ende der Trainingseinheit um und wurde nie mehr im hohen Norden gesehen: Vertragsauflösung im Eilverfahren. Einen Alkoholiker wollte man nicht in Lübeck, da stieg man lieber ab. Was man dann zunächst nicht tat, man nahm sich noch eine Saison Zeit dafür.

Heinz Höher war kein Einzelfall, nicht die tragische Gestalt in einer ansonsten paradiesischen Profiliga. Der Mann teilte sich das Schicksal mit vielen ehemaligen Spielern und Trainern, mit Leuten, die ihren Traum ausgeträumt und vormals nie gelernt hatten, wie man sein Geld zusammenhält. Denen es nur um den Sport ging und die meinten, es ginge immer irgendwie weiter und aufwärts. Ein Kind der Bundesliga würde immer zur Familie gehören. Es sind auch diese Figuren, die den Zuschauern jeden Spieltag neue Geschichten, Wendungen, Attraktionen liefern. Manche von ihnen bleiben länger, andere nisten sich ein und bleiben der Liga für immer erhalten. Letztere sind die Erfolgsmenschen, die dann in Studios sitzen und die Entwicklung loben, die sagen, es könne immer noch leistungsstärker werden, aber an sich habe man als Liga doch einen ganz guten Verlauf vorzuweisen.

Die Höhers sind an dieser Stelle schon abgemeldet. Sie scheiden aus, werden langsam vergessen, glauben sich aber noch als Persönlichkeiten dieser Liga, die Wochenende für Wochenende Millionen begeistert, merken aber eines Tages: Man kennt mich ja gar nicht mehr. Banken sind großzügig zu Helden der Liga, beschreibt Reng gewohnt spitz und zynisch, wie ja das ganze Buch spitz und zynisch geschrieben ist. Als Höher kein Held mehr war, als er nicht mehr Trainer, sondern Ex-Trainer war, war es jedoch mit der Großzügigkeit vorbei. Er fiel aus dem Olymp, landete auf dem Boden der traurigen Tatsachen und trainierte dann Jugendteams. Fachlich kompetent, mit einem Auge für Talente – wie er es immer tat. Aber zurück in den großen Mahlstrombetrieb: Das schaffte er nie mehr. Er war raus. Das Dschungelcamp gab es noch nicht. Zum Glück, sonst wäre er vielleicht auf dumme Gedanken gekommen.

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Roberto J. De Lapuente

Roberto J. De Lapuente ist irgendwo Arbeitnehmer und zudem freier Publizist. Er betrieb von 2008 bis 2016 den Blog ad sinistram. Seinen ND-Blog Der Heppenheimer Hiob gab es von Mitte 2013 bis Ende 2020. Sein Buch »Rechts gewinnt, weil links versagt« erschien im Februar 2017 im Westend Verlag. In den Jahren zuvor verwirklichte er zwei kleinere Buchprojekte (»Unzugehörig« und »Auf die faule Haut«) beim Renneritz Verlag.

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Dschungelcamp: Die andere Seite der Bundesliga – Tagesticker.net
6 Jahre zuvor

[…] mit Straußenhodenappetit. Wie kommt das, wo doch die Bundesliga so eine traumhafte Welt ist?Weiterlesen bei den neulandrebellen Lesen Sie auch: Guacamole und wie sie die Welt verstümmelt Klimawandel oder Atomschlag? […]

Rudi
Rudi
6 Jahre zuvor

Heute ist das ein wenig anders. Das Durchschnittsgehalt eines Spielers der 1. Liga beträgt zwei Millionen per anno. Wer nicht geistig ganz daneben ist, kann sich durchaus eine Existenz außerhalb des Fußballfeldes aufbauen, die über die aktive Zeit hinausgeht. Das Höher-Prinzip beobachtet man heute hauptsächlich in der 3. Liga, einer Profiliga, in der nicht wenige von der Hand in den Mund leben, Abgehalfterte, die es weiter oben nicht geschafft haben, oder selbsternannte Talente, die auf ihre Entdeckung warten.

ChrissieR
ChrissieR
6 Jahre zuvor

ansgar! Who the fuck is Ansgar? ?