Rein – Licht an – Tabletten geben – Gesicht waschen – raus

Der Pflegemafia aus Osteuropa wird der Prozess gemacht. Kennt doch schließlich jeder, so günstige Pflegepolinnen oder Fürsorgerumäninnen. Dabei ist der Abrechnungsbetrug im deutschen Pflegesystem kein per se ausländischer Angriff auf die Sozialkassen. Jeder kann, jeder macht – das ist systemisch.

Pflege: Ein Arbeitsmarkt für kostengünstige Osteuropäerinnen

Neulich ging es um die Pflegemafia. Sie stand vor Gericht, weil sie unberechtigterweise Leistungen bei der Pflege von Alten und Kranken abgerechnet hat, die sie nie erbrachte. Sie sei besonders dreist vorgegangen, habe sich bei ihrer Kundschaft nur dann blicken lassen, wenn es um die Bestätigung erbrachter Leistungen ging. Dann mussten die Gepflegten dokumentieren, was alles zu deren Wohl geschehe sei. Was natürlich nicht stimmte. Aus der Ukraine stammte dieses seltsame ambulante Pflegeteam, dass die deutsche Pflegekasse schamlos ausbeutete. Wie so oft im Pflegebereich hatten es nun auch die Richter mit Osteuropäern zu tun. Die knappe Budgetierung der Pflegeversicherung erlaubt ja nur günstige Arbeitskraft von Menschen, die nebenher auch noch bereit sind, ihr Privatleben gänzlich einzustellen. Hier ist die Szenerie für eine kräftige Polin oder mannshohe Rumänin bereitet – die deutschen Kollegen und Kolleginnen machen da dann eher nicht mit.

Natürlich ist eine solche Praxis wie jene der Pflegemafia mehr als dreist. Sie basiert aber auf der Schwäche des ambulanten Pflegesystems: Auf der Taktung und der Abrechnung jeden Handgriffes, der beim Besuch eines Pflegebedürftigen entsteht. Das ambulante Pflegesystem wird ganz einfach nur deshalb betrogen, weil es so einfach ist. Und was die Pflegemafia im großen Stil abzog, gehört zum systematischen Abrechnungsprinzip so gut wie aller Pflegedienste. Dann nur natürlich nur im kleineren Stil – kontrollierbar ist das jedoch nicht.

Systematischer oder systemischer Betrug?

Was man der Pflegemafia unterstellte war zwar systematischer Betrug. Richtiger wäre aber gewesen, wenn man von systemischen Betrug gesprochen hätte. Abgerechnet wird üblicherweise nach Leistungskomplexen, in denen alle pflegerischen Leistungen nach Kategorien zusammengefasst sind. Diese staffeln sich nach Punktwerten in Euro. Der ambulante Pflegedienst rechnet monatlich die erbrachten Leistungen mit der Pflegekasse ab. Bis Ende letzten Jahres spielte im Rahmen der Pflegestufen die minütlich erbrachte Leistung bei der Abrechnung noch eine Rolle, seit Beginn dieses Jahres ist die Minutentaktung aus dem neuen System der Pflegegrade verschwunden.

In diesem Kontext sind Mauscheleien grundsätzlich ohne große Schwierigkeiten möglich. Das Pflegepersonal, das im Regelfall mehrere Patienten mobil betreut, eilt in die Wohnung und verrichtet emsig die zu erledigenden Aufgaben, vergisst darüber hinaus allerdings nicht die Hauptaufgabe: Die Dokumentation. Dokumentationen sind überhaupt ein großes Übel in der Pflege – auch im stationären Bereich. Sie fressen die meiste Zeit, die dann am Patienten fehlt. Bei mobilen Diensten geht das salopp gesagt nach dem Schema: Rein – Licht an – Tabletten geben – Gesicht waschen – raus. Effizienz und die Ausgestaltung der »dokumentarischen Wirklichkeit« nach Abrechungskriterien sind da gefragt. Um Kombinationsleistungen abrechnen zu können, spielt auch eine gewisse Flexibilität bezüglich erbrachter Leistung eine Rolle. Da jeder Handgriff einem bestimmten Leistungskomplex zugeordnet werden kann, ist der Handgriff an sich Deutungssache. Immerhin gibt es pro Pflegebedürftigen eine monetäre Obergrenze beim Pflegegrad, die voll abgeschöpft werden kann und soll.

Pflegemanagement ist pflegebedürftig

Die Dezentralisierung der allgemeinen Pflegebedürftigkeit führt zur Unkontrollierbarkeit. Wobei man natürlich einwenden muss, dass eine Pflegezentrale ein Koloss wäre, der kaum flexibel und effizient arbeiten könnte. Prüfungen sind kaum möglich, weil die verrichtete Pflegearbeit meist in privaten Haushalten geschieht und die Gepflegten nicht auskunftsfreudig oder aber »nicht vernehmbar« sind. Eine adäquate Lösung dieses systemischen Problems, die Pflegekasse mit nicht oder nur teilweise erbrachter Leistungen zu belasten, wird es wohl kaum geben. Verändern könnte man aber durchaus die Dokumentationspflicht, die die Pflegekasse benötigt, um abrechnen zu können. Die Umstellung auf ein Pauschalensystem würde die Doku überflüssig machen, mehr Zeit zur Pflege gewähren, damit die Pflegekräfte zeitlich entlasten und nebenher müsste nicht mehr gemauschelt werden. Mehr als die Pauschale wäre nicht zu verdienen.

Freilich wäre das auch kein Schutz gegen Pflegedienste, die dann nur einen Teil davon oder gleich gar nichts verrichten. So wie es die Pflegemafia handhabte. Deren Vorgehen war (und ist?) kriminell. Aber so zu tun, als hätte nur und ausschließlich sie infamerweise die schwächsten Glieder der Gesellschaft ausgebeutet, ist schon einer gewissen Verlogenheit geschuldet. Sie hat ein an sich löchriges System ausgenutzt, von dem man gemeinhin weiß, dass es Probleme bereitet. Und man hat ganz gemeinhin vergessen, dass die Mauschelei, die Mehrabrechnung und die Abrechnungsoptimierung zum täglichen Geschäft der Pflegepraxis gehört. Diese Pflegemafia hat die Sache nur auf die Spitze getrieben. Das Pflegemanagement ist selbst pflegebedürftig.

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Roberto J. De Lapuente

Roberto J. De Lapuente ist irgendwo Arbeitnehmer und zudem freier Publizist. Er betrieb von 2008 bis 2016 den Blog ad sinistram. Seinen ND-Blog Der Heppenheimer Hiob gab es von Mitte 2013 bis Ende 2020. Sein Buch »Rechts gewinnt, weil links versagt« erschien im Februar 2017 im Westend Verlag. In den Jahren zuvor verwirklichte er zwei kleinere Buchprojekte (»Unzugehörig« und »Auf die faule Haut«) beim Renneritz Verlag.

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Heldentasse
Heldentasse
6 Jahre zuvor

Mich düngt, dass in diesem Artikel zwei Sachverhalte miteinander verquickt werden, die man womöglich besser gesondert betrachtet.

Zum einem läuft das was unter dem Begriff „Pflegemafia“ abgehandelt wird als reines Betrugssystem zu Lasten der Pflegekasse, wobei die vermeintlich Pflegebedürftigen sogar mit abkassieren.

Zum anderen gibt es die hierzulande „schwarz“ Beschäftigen Pflegekräfte aus aller Welt, dass ist zwar grundsätzlich auch Betrug, aber eben einer der anderen Art.

Beste Grüße

Heldentasse
Heldentasse
Reply to  Roberto J. De Lapuente
6 Jahre zuvor

Auch wenn man die Schwarzarbeit außen verlässt, gibt es den Betrug zu Lasten der Pflegebedürftigen wo dringend notwendige Leistungen auf die diese Anspruch haben zwar berechnet aber nicht erbracht werden, und es gibt den Betrug das alte Menschen die objektiv keiner Pflege bedürfen künstlich und systematisch zu Pseudo- Pflegefällen gemacht werden.

Beste Grüße

Hanna
Hanna
Reply to  Heldentasse
6 Jahre zuvor

wobei die vermeintlich Pflegebedürftigen sogar mit abkassieren.

Zeig mal wie man in Deutschland „vermeintlich“ pflegebedürftig sein könnte ?!
Für Pflegestufe 1 muss man schon mit dem Kopf unterm Arm zum Arzt gehen.

Das Problem ist das Armutsgefälle in der EU, daraus resultierende Billigstlöhner
als Freizügigkeits-Zuwanderer und Schröders verschissener Niedriglohnsektor.

In England hat das zum Brexit geführt. Dort war es Blairs verschissener Niedriglohnsektor.

Der Rest ist organisierte Kriminalität.

Heldentasse
Heldentasse
Reply to  Hanna
6 Jahre zuvor

Ich glaube wir reden hier von verschieden Betrugsmaschen, die wo die rüstigen Rentner als „Pflegefälle“ was dazu verdienen können geht so:

Um das perfide System des Betrugs nachzuweisen, wird der Ausdauersportler Wallraff zum Rentner Waldemar B. Er gibt vor, russischer Herkunft zu sein, da dieser Betrug vorwiegend innerhalb größerer geschlossener muttersprachlicher Communities stattfindet. Die Koordination übernimmt seine angebliche Tochter, da der Vater nicht gewillt ist, mit „Fremden“ zu sprechen. Der Berliner Pflegedienst „An der Urania“, der hier stellvertretend für diverse weitere betrügerische Angebote steht, übernimmt die gesamte Abwicklung. Es folgen Termine bei „Vertrauensärzten“, die helfen sollen, aus dem gesunden Journalisten einen teuren Pflegefall zu machen. In diesem Fall sind es bis zu 1600 Euro monatlich, von denen ca. 25 Prozent als Beteiligung dem kooperierenden Kunden zukommen sollen.

Quelle

Beste Grüße

Hanna
Hanna
Reply to  Heldentasse
6 Jahre zuvor

Den Wallraff gibt es gar nicht. Der ist eine Erfindung von RTL.

Heldentasse
Heldentasse
Reply to  Hanna
6 Jahre zuvor

Genau! Herr Wallraf ist genau so eine dubiose Erfindung wie die ganzen Preise die ihm verliehen worden sein sollen. Alles von RTL erfunden! Danke für den Hinweis!

Pentimento
Pentimento
Reply to  Hanna
6 Jahre zuvor

O doch, den gibt es und seine Bücher auch. Solltes Du vielleicht mal lesen.

Hanna
Hanna
Reply to  Roberto J. De Lapuente
6 Jahre zuvor

Die Abzocke wird einfacher je hilfloser der Mensch wird.

https://www.youtube.com/watch?v=vaA-hrLDvEg

R_Winter
R_Winter
6 Jahre zuvor

Was man der Pflegemafia unterstellte war zwar systematischer Betrug. Richtiger wäre aber gewesen, wenn man von systemischen Betrug gesprochen hätte.

Dieser kalkulierte Betrug wird seitens der Regierung praktiziert – aber ohne jede strafrechtliche Folgen.
– Merkels :Hubschrauberflüge zu Wahlkampfzwecken.
– Merkels bezahlte Wahlkampfwerbung in den öffentlich Medienanstalten.
– Dobrints vorsätzlich Abrechnungsbetrug im Mautbereich.
– Dobrints milliardenschwerer Abrechnungsbetrug bei Infrastrukturmaßnahmen.
uns so weiter……..

Prüfungen sind kaum möglich, weil die verrichtete Pflegearbeit meist in privaten Haushalten geschieht und die Gepflegten nicht auskunftsfreudig oder aber »nicht vernehmbar sind.
Eine adäquate Lösung dieses systemischen Problems, die Pflegekasse mit nicht oder nur teilweise erbrachter Leistungen zu belasten, wird es wohl kaum geben.

Stimmt nicht.
Warum können sich nur ex-Beamte im mittleren und oberen Dienst und die 15% der Reichen für
5.000€ p.M. ++ einen private Pflege leisten?
Selbst bei „guter“ Altersversorgung sind osteuropäische Pflegediensten mit 2.500€ bis 4.000€ p.M. unbezahlbar.

Die Altersversorgungssysteme in Deutschland sind falsch konzipiert – diese ist gewollt und nur mit einer radikalen Änderung hier, lässt sich das Problem der Pflege besser (nicht ganz) lösen – aber nicht durch mehr Kontrolle und sinnlose „Dokumentation“, die ähnlich der Menschen unwürdige Kontrolle bei „Hartz4“ angelegt ist.

Lasst Merkel, Nahles + Co stundenlang in ihren Extremitäten jeden Monaten stundenlang liegen, sonst verstehen sie das Problem nicht.

Heldentasse
Heldentasse
Reply to  R_Winter
6 Jahre zuvor

@R_Winter

Du hast recht! Für mich ist auch ganz klar, dass die größte Abzocke, nämlich die Umverteilung von unten nach oben, vollkommen legal abläuft. Das was worüber wir uns im allgemeinen Ereifern ist dagegen mit großer Wahrscheinlichkeit dagegen „klein Vieh“, und wenn man Herrn Mausfeld folgt auch oft geeignet von den wirklich wichtigen Zusammenhängen abzulenken.

Beste Grüße

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Rein – Licht an – Tabletten geben – Gesicht waschen – raus – Tagesticker.net
6 Jahre zuvor

[…] 13. September 2017 Der Pflegemafia aus Osteuropa wird der Prozess gemacht. Kennt doch schließlich jeder, so günstige Pflegepolinnen oder Fürsorgerumäninnen. Dabei ist der Abrechnungsbetrug im deutschen Pflegesystem kein per se ausländischer Angriff auf die Sozialkassen. Jeder kann, jeder macht – das ist systemisch.Weiterlesen bei den neulandrebellen […]