28-Stunden-Woche: Da geht mal wieder die Welt unter

Weil die IG Metall eventuell wöchentliche Arbeitszeitverkürzungen durchsetzen will, malen die Unternehmen schon mal Szenarien einer düsteren Zukunft. Zukunft ist für sie doch immer Düsternis. Bis sie Gegenwart wird und man trotzdem satte Gewinne einstreicht.

Kaum fordert jemand Lohnerhöhungen, kommen Unternehmerverbände und sich unabhängig gebende Propagandainitiativen (die von eben jenen Verbänden bezahlt werden) in Wallung. Wenn man das jetzt durchsetze, so unterrichten sie, dann würde der ganze schöne Aufschwung, die gute wirtschaftliche Situation, aufs Spiel gesetzt. Wer jetzt an den Lohnschrauben  nestelt, benehme sich daher verantwortungslos. Als der Mindestlohn in Aussicht gestellt wurde: Dieselben Sprüche. Ausgerechnet jetzt käme ein solcher Lohnstandard nämlich zu einem ziemlich ungünstigen Zeitpunkt. Er würde unzählige Arbeitsplätze gefährden, womit von Seiten der Unternehmen zugegeben wurde, dass unterbezahlte Arbeitsplätze eine gewisse Systemrelevanz hatten (und weiterhin auf Mindestlohnniveau haben).

Als die IG Metall in grauer Urzeit mal für die 35-Stunden-Woche kämpfte, war es nicht viel anders. Das wäre der Kollaps, das Ende aller Wirtschaftlichkeit, hieß es. Arbeitszeitverkürzung sei ideologisch. Wenn überhaupt, so müssten die Deutschen doch noch mehr arbeiten. Dieselben Einwände jetzt, da die IG Metall sich womöglich auch der 35-Stunden-Woche entledigen will, die wöchentliche Arbeitszeit auf 28 Stunden verkürzen möchte. Dieses Vorhaben werde Tarifflucht verursachen und »unseren wirtschaftlichen Erfolg« zerschlagen. Richtig gelesen, der Gesamtmetall-Boss sprach von unserem Erfolg. Er gehört also Ihnen wie mir – wir spüren nur sehr sehr wenig davon, aber er ist unser Baby. Wenn er uns schon nicht reich macht, so doch wenigstens stolz – nicht wahr?

Außerdem würde eine Arbeitszeitverkürzung auch den Fachkräfte-Mangel verschärfen. Dummes Argument zur Entfachung eines Schreckensszenarios: Man legt dar, dass die Facharbeiter erbost seien, weil sie nicht mehr ausreichend arbeiten dürften, weswegen sie gleich das nächste Flugzeug nach Bulgarien oder Namibia nehmen, um sich dort austoben zu dürfen. Oder wie sonst soll man verstehen, dass die Verknappung der Ressource Zeit zum Verschlucken von Menschen führt? Hat das etwa was mit der Raumkrümmung zu tun? Man ahnte ja gar nicht, was für ein genialer Physiker im Gesamtmetall-Chef steckt.

Es steht also kurzum mal wieder nicht weniger als das Abendland auf dem Spiel. Sollten die Vertreter der Arbeitnehmer nicht zurückstehen, Forderungen drosseln, dann geht mal wieder alles den Bach runter. Mit jeder kleinen Forderung, die an die strukturellen Stellschrauben der Arbeitsorganisation gehen, lädt man sich die Zerstörungswut mit an den Tisch. Im Grunde ist es aus Unternehmersicht doch so, dass Gewerkschaften in ihrem Kern destruktive Kräfte bündeln. Warum zum Henker sind sie denn dann immer noch nicht vollumfänglich gebändigt? Die Briten haben das doch auch geschafft!

Wir sind aber aller Schwarzmalerei zum Trotz immer noch da. Ja, wir leben noch! Ob nun Mindestlohn oder Arbeitszeitverkürzung, ob nun moderate Lohnerhöhung oder andere Faktoren, die Unternehmen Kosten auferlegen: Deren Geschäfte brummen weiterhin. Das Abendland steht noch. Jede von den Unternehmerverbänden in schwarze Farben getünchte Zukunft hat sich für sie noch immer zu einer rentablen Gegenwart gemausert.

Der Untergang steckt jedoch sicherlich nicht im Arbeitnehmerdetail. Sollten Lohnerhöhungen und Arbeitszeitmodifikationen wirklich das Potential haben, einen systemischen Einsturz einzuleiten, dann sollte man sich fragen: Ist da etwa das ganze Geschäftsmodell marode? Baut der unternehmerische Erfolg etwa auf kalkulierte Lohnstagnation und auf Unterbindung gesellschaftlicher Dynamiken? Woher nehmen denn Unternehmen eigentlich dieses Recht, ihre Buchhaltung an ein statisches Gesellschafts- und Menschenbild zu knüpfen? Von einem weitsichtigen Unternehmen dürfte man ja durchaus erwarten, dass es sämtliche Szenarien im Blickfeld hat, etwaige Mehrkosten einplant und dann trotzdem noch über die Runden kommt.

Alles andere wäre fahrlässig und Ausdruck dessen, dass da jemand eben nicht ökonomisch selbstständig agiert, sondern auf die Hilfe von Entscheidern pocht, die ihm eine statische Welt sicherstellen. Protektionismus mal anders: Nicht als Strafzoll, sondern als Beeinflussung der Politik und Öffentlichkeit zur Sicherung des Status quo – Veränderungen ausgeschossen. Neue Vorstellungen? Doch bitte nicht jetzt, da das zarte Pflänzchen unserer Wirtschaft gerade erst die ersten Blättchen in die Sonne reckt. Warten wir doch ab. Aber auch dann gibt es sicherlich Einwände. Statisch mögen es die Unternehmen am liebsten – statisch und uns als Statischten.

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Roberto J. De Lapuente

Roberto J. De Lapuente ist irgendwo Arbeitnehmer und zudem freier Publizist. Er betrieb von 2008 bis 2016 den Blog ad sinistram. Seinen ND-Blog Der Heppenheimer Hiob gab es von Mitte 2013 bis Ende 2020. Sein Buch »Rechts gewinnt, weil links versagt« erschien im Februar 2017 im Westend Verlag. In den Jahren zuvor verwirklichte er zwei kleinere Buchprojekte (»Unzugehörig« und »Auf die faule Haut«) beim Renneritz Verlag.

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Heldentasse
Heldentasse
6 Jahre zuvor

Baut der unternehmerische Erfolg etwa auf kalkulierte Lohnstagnation und auf Unterbindung gesellschaftlicher Dynamiken?

Zwei Gegenfragen:
1. Ist der Papst katholisch?
2. Scheißt der Bär in den Wald?

Ansonsten bleibe nur zu sagen, dass aus mannigfaltigen Gründen zumindest mittelfristig eine Reduzierung der Wochenarbeitszeit mindestens auf 28, m.E. besser aber auf 20 Stunden angezeigt ist, u.a. auch deshalb weil in naher Zukunft viel weniger menschliche Arbeitskraft benötigt wird, denn die Maschinen machen viele Jobs ganz einfach überflüssig.

In diesem Kontext scheint mir sehr interessant, dass die Sozen (als die üblichen Verdächtigen) diese immense soziale und gesellschaftliche Herausforderung auf ihre ihnen eigene Art angehen, sie setzen nämliche der Industrie 4.0 die Arbeitszeit 4.0 entgegen, was m.E. de facto die Aushöhlung bestehender Arbeitszeitgesetze bedeutet. (Siehe Weißbuch Arbeiten 4.0: Nahles will flexiblere Arbeitszeiten)

Beste Grüße

P.S.: Die alte und neue teutsche Nationalhymne

https://www.youtube.com/watch?v=RUdyqJuJOAs

Ryth Mick
Ryth Mick
6 Jahre zuvor

Arbeitszeitverkürzung ? – Das wird ja was geben, denn war nicht eben erst im Koalitionsvertrag von CDU und FDP für NRW zu lesen, daß die Ruhezeit zwischen den Arbeitstagen (derzeit 12 Stunden) abgeschafft werden….

Heldentasse
Heldentasse
Reply to  Ryth Mick
6 Jahre zuvor

Das gehört auch so dem Konzept „Arbeitszeit 4.0“. Letztendlich sollen die abhängig Beschäftigten damit im Bedarfsfall jederzeit einsatzbereit sein, selbstverständlich fallen damit auch Überstunden/ Sonn/ Feiertagszulagen weg. Im Neusprech/ Doppeldenk könnte man dies auch mit einer Endfesslung des Potentials der MitarbeiterInnen verbrämen.

Beste Grüße

Ryth Mick
Ryth Mick
Reply to  Heldentasse
6 Jahre zuvor

Oder mit der „erodierung von Erinnerung“ und „schnellerem Altern“:

Spoiler
Denn es wird sich doch wohl weiter gemessen
und der Wettebewerb hochgehalten werden

trackback
28-Stunden-Woche: Da geht mal wieder die Welt unter – Tagesticker.net
6 Jahre zuvor

[…] für sie doch immer Düsternis. Bis sie Gegenwart wird und man trotzdem satte Gewinne einstreicht. Weiterlesen bei den neulandrebellen Lesen Sie auch: Echt klasse! Auf die klassenlose Gesellschaft zielte die […]

Carlo
Carlo
6 Jahre zuvor

Auch 28 Stunden menschliche Lebenszeit sind unbezahlbar. Dieses Geschäftsmodell gehört auf den Müllhaufen der Geschichte.

Andreas Säger
Andreas Säger
Reply to  Carlo
6 Jahre zuvor

Ach was. Und dann?

Carlo
Carlo
Reply to  Andreas Säger
6 Jahre zuvor

… fragten der zufriedene Teilzeitsklave und sein Herr.

Mordred
Mordred
6 Jahre zuvor

Wenn die vom Tarifvertrag betroffenen Firmen schwarze Zahlen schreiben und gleichzeitig über Personalaabbau wegen Automatisierung nachdenken, wäre die Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohnausgleich doch die logische Konsequenz.

Valentin Mutrasiel
Valentin Mutrasiel
6 Jahre zuvor

Für mich setzt der Wahnsinn der Gleichmacherei gleich beim Schulsystem an – den Arbeitgeberpräsident Bayern habe ich bereits sogar ein Gedicht auf weniger Arbeitszeit geschrieben – dass Gleitzeit und Netz das arbeiten erleichtert und wie gesagt meine Blog-Leser kennen bereits meinen Schulefrei-Beitrag http://schule.wahrheitssuche.org worin ich darlege, dass wir mit Gleichmacherei einen Irrsinn aufliegen.

EuroTanic
EuroTanic
6 Jahre zuvor

5 Std pro Woche reichen vollkommen, um jedem Menschen heute ein Leben auf dem Stand eines MIttelständlers zu garantieren. Weltweit. Die Produktivitäten sind überall über die Jahrhunderte gestiegen, teils über das 10.000 fache. Auf der Welt ist genügend für alle da. Nur nicht in diesem System des Nullsummenspiels und des unendlichen Wachstumsdogmas.

Gast2
Gast2
Reply to  EuroTanic
6 Jahre zuvor

featured comic…:

😉