Besserwessi bis in den Rechtsruck

Was haben der ostdeutsche und der muslimische Mann gemeinsam? Richtig – sie sind Opfer von Verallgemeinerung. Der Muslim ist schon seit Jahren Synonym für – »Terrorist«. Der männliche Ostdeutsche muss sich an diese deduktive Methode erst noch gewöhnen. Er ist nur ein anderes Wort für »AfD-Wähler«.

Da suchte kürzlich mal wieder jemand das Gespräch mit dem ostdeutschen Mann. Stern.de präsentierte einen offenen Brief an ihn. Wegen der AfD und so. Es sei ja das ostdeutsche Mannsbild, das dafür verantwortlich ist. 1,9 Millionen Ossis haben die ja auch gewählt. Inklusive Weiblein. Dass es 3,9 Millionen Westdeutsche beiden Geschlechts waren: Hey, bitte nicht von Tatsachen irritieren lassen, wir haben ja schließlich eine Meinung. Selbst in der »Anstalt« sächselte der Uthoff vor sich hin, als er einen AfD-Protestwähler mimte – auch wenn man fairerweise hinzufügen muss, dass Pelzig es richtigstellte und erwähnte, dass nicht nur Ostdeutsche ins Blaue hinein kreuzelten.

Wie auch immer, für uns im Westen ist doch klar, wer die ganze Sache verbockt hat: Der Ossi wars. Das wissen die Wessis ganz genau. Sie wissen es wieder mal besser. Besserwessi bis tief in den Rechtsruck hinein. Praktisch ist das allemal, der Ossi war ja immer irgendwie schuld. Erst bindet man ihn uns auf den Wohlstandsbauch und dann wählt er das Pack, weil er als Bewohner eines »Dörfchens kurz vor Tschechien« vergessen wurde. Undank ist der Ossilohn.

An was es uns im Lande bekanntlich mehr und mehr fehlt, das ist die Allgemeinbildung. Was wir aber in diesem Lande mehr als genug haben: Verallgemeinbildung. Da sind wir richtig gut, wenn es darum geht, aus Gründen der Bequemlichkeit zu vereinfachen. Die Verallgemeinerung ist die deduktive Methode des Deutschen, um mit der Komplexität der Welt in Einklang zu geraten. Immer wenn es unübersichtlich wird, hebt er den Deckel jenes Topfes hoch, in die er alle wirft. Die einzige Gleichmacherei, die in Deutschland noch halbwegs funktioniert, das ist die gruppenspezifische Verallgemeinerung. Alles andere nennen wir Kommunismus und lehnen es deshalb ab. Gleicher Lohn für gleiche Arbeit: Das ist uns gleich. Aber alle Ossis sind doof ist eine Gleichung, die funktioniert so gut wie: Alle Arbeitslose sind faul. Wobei manche behaupten, es sei im Grunde dieselbe Gleichung.

Ja, lieber mitlesender Ostdeutscher, wenn du jetzt ein bisschen verunsichert bist wegen dieser Entwicklung, dann rate ich dir dazu: Frag mal den Muslim um die Ecke, der hat Erfahrung. Du weißt schon wen ich meine, den Kerl, bei dem du vorgestern einen Döner erstanden hast. Eigentlich ist der Mann ja latenter Terrorist und nicht etwa Dönerverkäufer. Vielleicht zwar kein aktiver Gewalttäter, aber mindestens einer, der aufgrund seiner religiösen Vorgeschichte schon so ein bisschen belastet ist mit Gewaltbereitschaft und aggressiven Affekten. Dass der Mann vielleicht bekennender Pazifist ist, gar nicht religiös: Drauf gepfiffen! Solche kleinen Modifikationen im individuellen Werdegang muslimischer Mitbürger behindern doch nur die Einfachheit der Dinge. Lass dir doch mal von diesem Muslim berichten, wie das in Deutschland abläuft, wenn Gruppen erstmal am Pranger stehen, lieber Ossi. Da kannst du noch so ein feiner Kerl aus dem nahen Osten sein: Dass du mit der AfD im Bunde stehst, das weiß man westlich ganz sicher.

Ich denke gerade an meinen Lieblingsostdeutschen. Der hat die AfD aber sowas von nicht gewählt, er hegt ja auch völlig andere Ansichten. Na, lieber J., fühlst du dich mitgefangen, mitgehangen? Wie konntest du nur! Dabei muss mancher Wessi erstmal da hinkommen, wo du intellektuell und politisch stehst. Ich kenne zum Beispiel auch Wessis, die nicht die AfD gewählt haben, aber trotzdem xenophob und teils rassistisch sind. Sie haben die AfD nur nicht gewählt, weil es sich nicht gehört und schon Papa immer für die Sozis war. Es ist halt nicht immer so einfach und eindeutig, finde ich. Die einen wählen AfD und sind vielleicht gar keine Rassisten, sondern einfach nur Angesäuerte. Die anderen wählen sie nicht und stehen ihnen geistig nahe. Nur beim Ossi ist klar, dass er irgendwie eine Verantwortung für den Fortlauf dieser Republik hat.

Auf der Frankfurter Buchmesse plärrten einige Leute rechte Parolen: Waren das echt alles ostdeutsche Männer? Ich dachte dauernd, die haben gar kein Geld, um quer durch die Republik zu reisen, bloß um einem türkischstämmigen Katzenbuchautoren die Aufwartung zu machen. Ein Türkischstämmiger, der keinen Döner schneidet und islamistischen Terror befürwortet? Mensch, was es alles gibt! Ich möchte einen offenen Brief an türkischstämmige Katzenbuchautoren schreiben und sie fragen, warum sie mir die AfD einbrocken. Und wenn ich den fertig habe, bitte ich die Deutsche Bahn, ostdeutsche Männer nicht mehr durch die Republik zu verfrachten. So eine Ladung ist gefährlicher als ein Castor-Transport.

Und wenn mein lieber J, mein Lieblingsossi, jetzt auch noch erklärt, dass er mich über Jahre angeschwindelt hat, weil er eigentlich Wessi sei, sich dafür aber so sehr schämte, dass er identitätsrübergemacht hat, dann bin ich irgendwie auch wieder beruhigt, denn dann gibt es ja doch etwas wie eine natürliche Ordnung der Verallgemeinerung. Ohne sie geht es in diesem Land nun mal nicht.

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Roberto J. De Lapuente

Roberto J. De Lapuente ist irgendwo Arbeitnehmer und zudem freier Publizist. Er betrieb von 2008 bis 2016 den Blog ad sinistram. Seinen ND-Blog Der Heppenheimer Hiob gab es von Mitte 2013 bis Ende 2020. Sein Buch »Rechts gewinnt, weil links versagt« erschien im Februar 2017 im Westend Verlag. In den Jahren zuvor verwirklichte er zwei kleinere Buchprojekte (»Unzugehörig« und »Auf die faule Haut«) beim Renneritz Verlag.

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Niveauabsenkungen ?
Niveauabsenkungen ?
6 Jahre zuvor

_Der_ Unterschied Zwischen einem Ossi und einem Moslem?
Wie sollte ein orthodox lebender Moslem jemals als disponibel gelten können ?

Andreas Säger
Andreas Säger
Reply to  Niveauabsenkungen ?
6 Jahre zuvor

Da ist aber kein Unterschied. Ihr dient alle nur noch als Konsumvieh, egal ob Ossis, Musels, Arbeitslose jeder Herkunft und Farbe.

Art Vanderley
Art Vanderley
6 Jahre zuvor

„Die einzige Gleichmacherei, die in Deutschland noch halbwegs funktioniert, das ist die gruppenspezifische Verallgemeinerung. “
Treffend. Ein Hoch auf die Volksgemeinschaft auf niedrigem Niveau.

Andreas Säger
Andreas Säger
6 Jahre zuvor

Richtig. Die Zonies verallgemeinern alle alles.
So wahr ich ein Kreter bin.

Egon W. Kreutzer
Egon W. Kreutzer
6 Jahre zuvor

Ja, es ist schon eine Kunst, verallgemeinernd über die Verallgemeinerung zu schreiben, ohne dabei ins Trudeln zu geraten.

Meines Erachtens muss zwischen zwei Betrachtungsweisen unterschieden werden, die, obwohl sie sich scheinbar widersprechen, beide nützlich sind.
A) Sieh dir jeden Menschen, dem du begegnest, genau an und bilde dir unvoreingenommen ein Urteil.
B) Achte auf bestimmte gruppenspezifische Merkmale und stelle dein Verhalten (per Vorurteil) darauf ein.

Da es niemandem möglich ist, alle anderen Menschen, denen er tagtäglich begegnet, wirklich kennenzulernen, um dadurch sein Vorurteil zu entkräften oder zu bestätigen, ist es z.B. anzuraten, im Gedränge eines Weihnachtsmarktes besonders auf Handy und Geldbeutel zu achten. Erfahrungsgemäß werden solche Events gerne von Taschendieben besucht.

Der so genannte Generalverdacht bezieht sich ja gerade nicht auf den Einzelnen! Der Generalverdacht sagt lediglich, dass innerhalb einer Gruppe mit bestimmten übereinstimmenden Merkmalen bei einzelnen Angehörigen dieser Gruppe bestimmte Verhaltensmuster zu erwarten sind. Da die Einzelnen zunächst unbekannt sind, ist vorsorgliches Verhalten gegenüber allen angebracht.

Letzte Anmerkung: Es ist relativ einfach, jene Menschen, seien sie nun Ossis oder Muslime, zu treffen und mit ihnen ins Gespräch zu kommen, deren Verhalten und Einstellungen mit den unseren weitgehend übereinstimmen. Doch selbst wenn wir uns nicht erinnern können, je im Leben einen “ typischen Ossi“ oder einen „typischen Muslim“ getroffen zu haben, heißt das nicht, dass es die nicht gibt. Es heißt nur, dass wir uns nicht an den gleichen Orten aufhalten und, falls doch, dass diese nicht den Kontakt und schon gar nicht das Gespräch suchen.

Wer seine Haus- oder Wohnungstür nie abchließt, der werfe den ersten Stein.