Das deutsche Wesen: Durch die Gegend pesen?

Im Zuge des Abgasbetruges hörte man oft, dass sich Deutschland wieder als innovatives Autoland begreifen muss. Ganz wie damals, als von hier aus die Welt verändert wurde. Ganz falsch ist die geschichtliche Einordnung zwar nicht, aber sie birgt auch Narrative.

Das hat direkt in die deutsche Seele, was nichts anderes heißt als ins deutsche Narrativ, geschossen. Als öffentlich wurde, dass deutsche Autoingenieure beschissen haben, Abgaszahlen durch Software so aufgebitcht haben, dass die am Ende ordentlich aussahen, da ging es der eigenen Selbstwahrnehmung an die Nieren. Die Deutschen und das Auto: Es ist ein Wunder, dass diese beiden Entitäten zwei Begrifflichkeiten darstellen, dass man sie nicht gleich terminologisch zusammenlegte. Man hätte das Automobil doch einfach nur »den Deutschen« nennen können, so eng ist beides miteinander doch verbandelt, von der Geschichte zusammengeschweißt gewissermaßen. Diese spirituelle Enge zwischen deutschen Wesen und Kolbenhub wurde ja dann auch in fast jeder politischen Stellungnahme zum Thema und in unzähligen weiteren journalistischen Einschätzungen zum Sachverhalt beschworen.

Stets schwang in solchen Statements Mystifikation mit, ein gezielt angewandter Obskurantismus, der gewisse Aspekte der Geschichte der Automobilwerdung ausblendete, um sie in die seit vielen Jahrzehnten gepflegte Mär einpassen zu können: Nämlich das deutsch zu sein auch immer bedeutete, von einer Hebammennation abzustammen, die das Auto auf die Welt brachte. Nur Teile dieser Mär sind wahr.

Natürlich waren da deutsche Ingenieure nicht nur involviert, sie haben auch entscheidende Verbesserungen bei der Individualmobilität bewirkt. Die Namen sind bekannt, wir reden hier von Daimler und Maybach, von Otto und Benz, von anderen, nicht ganz so großen Namen. Aber keiner von diesen Personen hat aus dem Nichts agiert, keiner musste bei Null anfangen. Den Herren war dieser Umstand seinerzeit freilich auch bewusst. Sie wuchsen in einer Epoche auf, in der sich Betriebsspionage im Ausland zu einer deutschen Tugend mauserte, wollte man den Anschluss an die sich modernisierenden Gesellschaften halten. Was die Chinesen in den letzten Jahrzehnten ungeniert taten, nämlich sich das Know-How aus dem Westen zu kopieren, Ideen und Pläne zu klauen, das haben zwischen 1840 und 1880 die Deutschen mit freundlicher Unterstützung ihrer Obrigkeit getan.

Dass es da draußen Pläne gab, die Mobilität von der Schiene auf die Straße zu bringen, hätten die Deutschen womöglich gar nicht wahrgenommen. Oder sie hätten einfach nicht die Tragweite begriffen. Letzteres haben sie tatsächlich lange nicht getan, sie taten diese revolutionären Absichten der Ingenieure und ihrer Motorenbastelei selbst dann noch als Spinnerei ab, als es erste erfolgreiche Automobilmodelle gab. Dazu aber gleich noch mehr.

Schon 1770 stellte der Franzose Nicolas Joseph Cugnot seinen Dampfwagen vor. Eine Viertelstunde konnte der chice Flitzer bei drei bis fünf Stundenkilometer am Laufen gehalten werden, bevor man Wasser nachfüllen musste. Amerikaner und Briten bauten daraufhin ähnliche Dampfwagen nach. Der Dampfantrieb eignete sich aber nicht für den Straßenverkehr, wurde aber auf den Schienen brauchbar eingesetzt. Dass man sich aber frei von reglementierenden Schienen bewegen könnte: Diesen Traum haben Ingenieure nie ganz aufgegeben. Besonders die Franzosen tüffelten daran.

Es war dann der Gasmotor des Franzosen Étienne Lenoir, der 1860 besonderen EIndruck auf die deutschen Plagiatsingenieure machte. Daimler, Maybach und Otto fuhren nach Paris, um sich diese neueste Innovation anzusehen. Überzeugt waren sie davon nicht, aber sie sahen darin Potenzial und machten sich auf, das Ding zu verbessern. Was ihnen ja auch gelang, ohne jetzt aufzulisten, wie steinig der Weg war, wieviele Rückschläge es gab und wie Daimler nicht mit Otto konnte und Maybach sich als Daimlers ewiger Sidekick trietzen ließ.

Man konnte ja durchaus was, der Diebstahl fremder Ideen gepaart mit einer guten technischen Ausbildung (schulisch wie autodidaktisch), haben einen Fortschritt auf diesem Gebiet bewirkt. Man sollte an dieser Stelle nochmals dringend erwähnen, dass der Fortschritt stets so arbeitet. Man erweitert auf Grundlage bereits existenter Ideen. Man plagatiert und reichert an. Rückständige Volkswirtschaften müssen so agieren. Und das weiß man heute auch, denn dass man solche Ökonomien heute in Handelsverträge mit strikter Anwendung des Patentschutzes bannen will, soll bewirken, dass diese nicht aufschließen können. Solche Handelsverträge sind auch als Fortschrittsbremser gedacht, sie sollen den Status Quo erhalten. Insofern ist allerdings davon auszugehen, dass die nächsten Innovationen auch im Bereich des Automobils, aus China kommen werden. Dort hat man abgekupfert und nun gesellen sich eigene Ideen und Verbesserungen dazu. Technisch rückständige Länder kopieren, schließen auf und setzen Trends.

Selbst als die Motoren dann so ausgereift waren, dass man mit ihnen tatsächlich Droschken antreiben, frei auf den Straßen fahren konnte (es gab noch eine Weile Probleme mit der Zündung), waren die Deutschen noch kein Volk stolzer Autobauer. Man verspottete die Ingenieure, tat die Idee als völligen Unfug ab, glaubte ohnehin, dass nun alle großen Erfindungen erfunden waren. Es reiche nun auch mal. Und was wollte man denn mit Kutschen ohne Pferd? Pferde gab es doch wohl ausreichend und aufgrund der Fortschritte in der Chemie hatte man Dünger ersonnen, der die Ernten stark verbesserte. Es war doch kaum ein Menschenleben her, dass Justus von Liebig die wachstumsfördernde Wirkung von Phosphaten nachgewiesen hatte. So gab es doch immer seltener Sorgen, wie man Nutztiere versorgt, Futter war doch auch wegen dieses chemischen Fortschritts ausreichend vorhanden. Warum sollte man jetzt, da die Versorgungsfrage geklärt war, das Pferd als Mobilitätsgaranten ausschalten? Das gab doch alles keinen Sinn.

Die ersten Käufer deutscher Anfertigungen waren reiche Franzosen. Sie hatten die Vision der Autobauer begriffen. Gottlieb Daimler war in Frankreich ein bekannter, ja ein anerkannter Mann, ein Gott der Ingenieure (dass Maybach der technische Riese war, wusste man offenbar nicht), von dem man gerne ein Automobil erwarb. In Deutschland ging das Geschäft nicht besonders gut – oder richtiger: Es ging gar nicht. Ein Automobil verkaufte Daimler an einen jungen Deutschen aus gutem Hause, aber kurz darauf machte dessen Vater das Geschäft rückgängig. Der Erwerb eines solchen Gefährtes, meinte der Vater, hätte ihm gezeigt, wie es um den geistigen Zustand seines Filius steht. Wer das Automobil zukunftsträchtig glaubte, musste spinnen. Eine Einschätzung übrigens, die wir heute, 130 Jahre später ganz gut nachvollziehen können.

Die Deutschen als Land des automobilen Genius, als Nation der Autobauer? Jein. Es ist eine geistige Co-Produktion, ein Hauen und Stechen und Stehlen um die Ideen gewesen. Und die Deutschen waren ja noch nicht mal vom Fortschritt überzeugt. Die europäischen Nachbarn hielten mehr von der ganzen Sache und nach und nach fragte sich der dösige Deutsche, ob nicht vielleicht doch Zukunft im Motorengestotter zu vernehmen ist. Die beseelte Autobauernation, die auf ihre Ursprünge schauen soll in der Krise? Lieber nicht, muss man aus der Sicht der Freunde des deutschen Automobils sagen. Oder ist das ein Ratschlag, der zum Plagiat aufruft? Die Chinesen bringen sicherlich bald Autos auf den Markt, die verbessert sind. Soll man wie damals neue Ideen klauen?

Diesen Beitrag ausdrucken

Roberto J. De Lapuente

Roberto J. De Lapuente ist irgendwo Arbeitnehmer und zudem freier Publizist. Er betrieb von 2008 bis 2016 den Blog ad sinistram. Seinen ND-Blog Der Heppenheimer Hiob gab es von Mitte 2013 bis Ende 2020. Sein Buch »Rechts gewinnt, weil links versagt« erschien im Februar 2017 im Westend Verlag. In den Jahren zuvor verwirklichte er zwei kleinere Buchprojekte (»Unzugehörig« und »Auf die faule Haut«) beim Renneritz Verlag.

Unterstütze uns und hilf dabei, die neulandrebellen besser und wirkungsmächtiger zu machen
Abonnieren
Benachrichtige mich bei
guest

6 Comments
Oldest
Newest
Inline Feedbacks
View all comments
Hoax
Hoax
6 Jahre zuvor

Der Deutsche kann nur Vorhandenes verbessern. Der Deutsche kann
nicht wirklich Neues erfinden. Dafür gibt es keine Belege.

pentimento
pentimento
Reply to  Hoax
6 Jahre zuvor

Der Deutsche kann nur Vorhandenes verbessern.

Zustimmung. Selbst die Konzentrationslager, die es unter den Engländern schon in Südafrika gegeben hat, haben sie „verbessert“.

pentimento
pentimento
Reply to  Hoax
6 Jahre zuvor

Doch. Die Gaskammern haben sie erfunden.

FS
FS
Reply to  pentimento
6 Jahre zuvor

So gesehen sind „die Deutschen“ wohl bessere Psychopathen als Ingenieure?

dors Venabili
dors Venabili
6 Jahre zuvor

„Der Deutsche“ hat „die Autoindustrie“ als Grundlage für sein „deutsches Wesen“ „abgekupfert“ und dabei noch „dösig“ fast die Entwicklung „verschlafen“ um sie dann als „Mär“ der“Hebammennation“ mit „Obskurantismus“ und „Mystizismus“ zu „plagatieren“ : Jetzt hat die SPD gigantisch über 4% dazugewonnen , schon werden die Gedanken wolkig, eher olympisch, gar elysisch wenn nicht sogar narrativ obskurant!

Folkher Braun
Folkher Braun
6 Jahre zuvor

Die Entwicklung der Automobilindustrie erfolgte in der Hauptsache durch Unterstützung des Militärs. Durch Auslobung des „Subventionslastwagens“ in Preussen 1908 entstand ein umfangreicher Fahrzeugbau. Marktführer war Büssing in Braunschweig. Auch in den USA war der Kriegseintritt der Sache förderlich. Eine gewisse Firma Mack baute den „AC“, ein nahezu unkaputtbares Auto, dass die Soldaten der Alliierten „bulldog“ tauften. Schlimm für die Deutschen war: Mack war der Familienname fünf aus Deutschland ausgewanderter Brüder.
Nach WK1 wurden die Wehrmachts-Lkw an Private verkauft und es entstand die Konkurrenz Schiene-Straße im Güterverkehr. Die Bahn konterte mit dem Aufkauf der größten Spedition, Schenker (1930). Die Nazis hatten ihr eigenes Subventionskonzept: sie privilegierten einzelne Fuhrunternehmer mit der Erteilung von Genehmigungen für Transporte über 50 km Radius (Gesetz über den Güterverkehr … 1935), Tarifpflicht, Kartellbildung (Reichs-Kraftwagen-Betriebsverband).
Die Motorisierung hat also hauptsächlich militärische Ursachen. Lange Zeit hielten die Militärs nichts vom Dieselmotor. Sie mussten erst vom 12-Zylinder-Diesel im T34 überzeugt werden.