Widerstand, aber wie? Die gezielte neoliberale Zerschlagung sozialer Bewegungen

Die Linke, ob als Bewegung oder Partei, ist zerstritten. So ist es regelmäßig nachzulesen. Und ganz falsch ist das auch nicht. Trotzdem greift diese Kritik zu kurz, genau genommen ist sie nicht einmal das: Kritik. Denn viele, die diese These äußern, gehören zu denen, die exakt das wollen – dass linke Bewegungen sich (zer)streiten, Widerstand im Sande verläuft und so etwas wie ein kollektives Bewusstsein oder Handeln gar nicht erst entsteht.
Doch wer sind „die“?

Was haben Occupy, Montagsdemos, Proteste gegen G20-Gipfel oder die Bilderberger-Konferenz, die Friedensbewegung oder auch Gewerkschaften und sogar die SPD gemeinsam? Sie sind soziale Bewegungen bzw. waren solche, die der Neoliberalismus zerschlagen muss. Das tut er sehr gezielt, und im Spalten hat er es zur Meisterreife gebracht. Widerstand wird so zu einem Unterfangen, das kaum gelingen kann, weil der Neoliberalismus bis ins kleinste Detail durchorganisiert ist, was man von seinen Widersachern nicht behaupten kann. Der neoliberale Plan scheint also aufzugehen.

In einem außergewöhnlichen Vortrag zeigt uns Professor Rainer Mausfeld, wie das System funktioniert. Und die Formulierung „System“ ist nicht etwa pathetisch gewählt, sie drückt aus, dass es sich wahrhaftig um ein Prinzip handelt, das dafür sorgt, dass die, die den Klassenkamp führen, die Gewinner sind. Und die Verlierer die sind, die nicht einmal einen Kampf der Klassen wahrnehmen. Weil ihnen ausgeredet wird, dass es so etwas wie Klassen überhaupt gäbe. Doch es gibt sie, mehr denn je!

Byung-Chul Han hat in der Süddeutschen Zeitung einen interessanten Artikel geschrieben, der den Neoliberalismus gut beschreibt. Allerdings geht Byung-Chul Han davon aus, dass der Neoliberalismus nicht mehr repressiv agiert, so wie es der klassische Kapitalismus tat, als er Gewerkschaften unterdrückte und Arbeiter brutal ausbeutete. Vielmehr – so die These – arbeite der Neoliberalismus seduktiv, also auf Verführung beruhend. Das stimmt meiner Meinung nach jedoch nur bedingt. Zwar deutet vieles auf die Verführung hin, sei es durch Konsum oder die vermeintlich gemeinsamen Werte, die uns innerlich miteinander verbinden (sollen). Doch die Aggressivität ist subtil vorhanden – eben wenn es darum geht, solidarisches Denken zu unterbinden. Das geht zwar tatsächlich nicht etwa blutig vonstatten, aber die Mittel der Verführung kommen ebenfalls nicht zum Einsatz. Vielmehr findet die Spaltung gezielt und im Hintergrund statt, scheinbar – und das ist der Plan – spalten sich die betroffene Akteure sogar selbst.

Recht hat Byung-Chul Han mit seiner Einschätzung, dass Arbeiter oder Angestellte nicht mehr (oder immer weniger) solidarisch miteinander sind, denn im Neoliberalismus ist jeder sein eigener Arbeiter, sein eigener Chef, was ja durch die Formulierung, jeder sei seines Glückes Schmied, um Ausdruck kommt. Heute ist nahezu alles, was der Mensch tut, „Arbeit“. Man „arbeitet“ etwas aus, was ein „Arbeitspapier“ wird, das auf „Kopfarbeit“ beruht. Man „arbeitet“ an seinem Körper, an mentaler Stärke oder an der Beziehung. Immer wird „gearbeitet“, und die Tatsache, dass Depressionen und Burn out stetig zunehmen, hindert uns nicht daran, auch daran zu „arbeiten“, dass es so weit nicht kommt oder wie wir den „Arbeitsauftrag“ hinbekommen, so schnell wie möglich wieder zu funktionieren. Konzerne oder Unternehmen haben mit den Problemen, die wir herumschleppen, nichts mehr zu tun, im Gegenteil, sie werden zu einem Teil unserer „arbeitenden Familie“ und geben vor, uns aufzufangen (dazu weiten unten mehr).

Wollen wir doch einmal „verschwörungstheorisieren“

Ein schöner Einstieg: Verschwörungstheorien. An dieser Stelle soll aber nicht darüber sinniert werden, ob es Verschwörungen gab und gibt, denn das ist unbestritten. Auch nicht darüber, wie dieses Wort spätestens seit 9/11 missbraucht wurde, um kritisches Hinterfragen im Keim zu ersticken. Denn beides ist richtig, führt aber in die falsche Richtung. Denn wer sich auf den Diskurs darüber einlässt, ob und wie und von wem und wann und wieso, weshalb, warum Verschwörungstheorien eingesetzt werden, hat bereits verloren. Für den Zusammenhang, um den es in diesem Text geht, reicht ein Zitat aus:

In der Politik geschieht nichts zufällig. Wenn etwas geschieht, kann man sicher sein, dass es auch auf diese Weise geplant war“ (Franklin D. Roosevelt)

Verabschieden wir uns also von den bösen Verschwörungstheorien und befassen uns mit der Frage, was Roosevelt gemeint haben könnte. Und wenden uns der Überlegung zu, inwieweit das auch heute noch Gültigkeit besitzt. Denn das tut es! Allerdings spielt die Politik dabei nur noch eine untergeordnete Rolle. Und de facto ist das spätestens seit dem Aufleben des Neoliberalismus so. Diejenigen, die uns beherrschen, sind nicht etwa die gewählten Regierungen, sondern die wirtschaftlichen, also anonymen, aber keineswegs abstrakten Kräfte, die ihre eigene Interessen verfolgen. Und die wir kaum zu Gesicht bekommen, geschweige denn abwählen können. Wer nicht gewählt, sondern ernannt, in seine Position gehoben wird, braucht den Willen des Bürgers nicht zu fürchten.

Der von der Leine gelassene Dukatenesel

In einem Interview wird der Soziologe Wolfgang Streeck gefragt, wie ernst die Situation sei und ob es wahr sei, dass wir uns zwischen Demokratie und Kapitalismus entscheiden müssten. Seine nüchterne Antwort:

„Wir“ entscheiden gar nichts. Das wird für uns entschieden: von den „Märkten“ und, in ihrem Gefolge, den Regierungen.

Zuvor hatte Streeck erklärt, dass die Regierungen sich dem Neoliberalismus selbst unterworfen haben, indem sie die Besteuerungen von hohen Einkommen und großen Unternehmen seit Jahren zurückgefahren haben. Das führt zu Einnahmeverlusten und somit zu eingeschränkter Handlungsfähigkeit. Die Welle von Privatisierungen, die wir seit einiger Zeit erleben, verschärft das Problem. Statt sich um die Belange der Bürger zu kümmern, werden öffentliche Aufgaben in private Händen gegeben, Renditeversprechen inklusive.

Die Tatsache, dass Unternehmen Regierungen wegen entgangener Gewinne im Rahmen zahlreicher Freihandelsabkommen auf Schadensersatz verklagen können (oder das im Rahmen bestehender Gesetze bereits tun), rundet das Bild ab. So wird alles, was der breiten Masse dient, die Umwelt schützt oder Arbeitsbedingungen verbessern könnte, zu einem Wagnis, das teuer, verdammt teuer werden kann. Wenn man bedenkt, dass es der Politik bewusst sein muss, dass TTIP & Co. massiv in ihren Handlungsspielraum eingreifen, kann man nur zum Schluss kommen, dass es schon jetzt noch viel schlimmer ist, als man annimmt. Denn wer sich sehenden Auges in die Abhängigkeit des Großkapitals begibt und bereit ist, für jede Veränderung in die „falsche“ Richtung einen hohen Preis zu zahlen, der handelt längst nicht mehr autark, sondern wird gesteuert von „den Märkten“, die es zu beruhigen gilt, auf deren „soziale Wohltaten“ man angewiesen ist, die nicht abwandern sollen. Insofern kann man Streeck nur schwer widersprechen.

Eigentum verzichtet …

… heute auf seine Verpflichtung, auch der Allgemeinheit zu dienen. Das Papier des Grundgesetzes ist geduldig, und die Vorstellung, dass Eigentum verpflichtet und dem Wohle aller dienen soll, wirkt schon heute fast wie ein naiver Anachronismus. Man könnte sagen, dass sich das Verhältnis von Besitzenden und Besitzlosen im Laufe der Zeit – und im Laufe des aufkommenden Neoliberalismus – umgekehrt hat. Die Besitzlosen stehen in der Pflicht, den Besitzenden ihren Wohlstand zu sichern, ihn zu mehren und dabei möglichst selbstlos vorzugehen. Und wenn sie das nicht freiwillig machen, braucht es „Unterstützung“. Indem den Besitzlosen klargemacht wird, wie groß ihre Verantwortung gegenüber den Besitzenden ist, wie wichtig es ist, dass es denen „da oben“ gut geht, damit die „da unten“ ihr Auskommen haben, und sei es noch so kläglich. Eine absurde Logik, aber wer das Geld verteilt, selbst wenn es noch so wenig ist, der hat die Macht.

Schwächung des Einzelnen

Es sind die Reichen, die das, was von unserer Demokratie noch übrig ist, beeinflussen. Das wurde einmal mehr im letzten Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung deutlich, zieht sich aber durch das gesamte gesellschaftliche Leben. Die Bundesregierung hatte 2015 den Politikwissenschaftler Armin Schäfer damit beauftragt, den Einfluss von Vermögenden und Eliten auf politische Entscheidungen zu untersuchen. Der machte sich an die Arbeit und kam zum Schluss, dass wir uns in einer „Krise der Repräsentation“ befänden. Schäfer schrieb:

Personen mit geringerem Einkommen verzichten auf politische Partizipation, weil sie Erfahrungen machen, dass sich die Politik in ihren Entscheidungen weniger an ihnen orientiert.

Die Tatsache, dass dieser Satz aus der Endfassung des Armuts- und Reichtumsberichtes herausgestrichen wurde, verleitete die Grüne Brigitte Pothmer, anzumahnen, dass man sich mit „Demokratie-Defiziten“ beschäftigen müsse.

Doch was für eine Demokratie ist das eigentlich, wenn politische Entscheidungen von einer kleinen Gruppe getroffen werden, nicht stellvertretend, nicht repräsentativ, sondern eigenmächtig und egoistisch? Wer repräsentiert den größten Teil der Bevölkerung, wer vertritt sie? Die Bundesregierung ist es nicht, ihre Entscheidungen ziehen – abgesehen von ein paar Bonbons, die hier und da verteilt werden – komplett an den Belangen der Bevölkerung vorbei. Lohnsenkungen, Armut, die Zerlegung der gesetzlichen Rente, Privatisierungen, Waffengeschäfte, Überwachung und zahlreiche andere „Wohltaten“ dienen nicht der Bevölkerung, sondern den Eliten. Es geht um Gewinnmaximierung auf der Seite der Besitzenden und um die Unterdrückung der Besitzlosen.

An dieser Stelle sei erwähnt, dass einige Begriffe dieses Textes wie aus der Zeit gefallen wirken können. Hier ist von „Klassen“ die Rede, von „Besitzenden“, „Besitzlosen“ und „Unterdrückung“. Begriffe, die im allgemeinen Sprachgebrauch heute kaum noch vorkommen, weil man uns glauben machen will, sie seien nicht mehr wichtig. Nicht in einer Demokratie. Doch man muss die Demokratie ebenso kritisch hinterfragen wie verwendete Worthülsen, etwa „Reformen“ oder „Verantwortung“ (in diesem Zusammenhang: Auslandseinsätze der Bundeswehr). Als einen Klassiker kann man wohl den „Entsorgungspark“ bezeichnen, der nur ein nettes Wort für eine stinkende, giftige Mülldeponie ist, aber sehr nach einem fröhlichen Familienausflug klingt.
Mit geschönter Sprache werden Fakten gegen Assoziationen ausgetauscht, und nur wenn man dies unverblümt beschreibt, lichtet sich der Nebel ein wenig.

Schwächung der Gewerkschaften

Ausgerechnet auf der Website der Bundeszentrale für politische Bildung lässt sich Wissenswertes über die Schwächung der Gewerkschaften nachlesen. So heißt es dort:

Auf der Ebene des Wohlfahrtsstaates bedeuten vor allem die Hartz-Reformen für die Gewerkschaften zahlreiche institutionelle Schwächungen. Die Verkürzung der Bezugsdauer des Arbeitslosengeldes I, die Reduzierung des Kündigungsschutzes, die eingeschränkte Beteiligung an der Bundesagentur für Arbeit sowie die Novellierung des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes (AÜG) bedeuten allesamt eine Schwächung institutioneller Machtressourcen. Wohlfahrtsstaatliche Reformen und betriebliche Umstrukturierungen greifen zusammen, prekäre Beschäftigung und Niedriglöhne sind in den vergangenen Jahren massiv expandiert.

Für den Staat bedeutet diese Schwächung der Gewerkschaften einen doppelten („doppelplusgut“?) Effekt. Einerseits wurden die Menschen durch die Agenda 2010 in so starke wirtschaftliche Abhängigkeit gebracht, dass sie Schritt für Schritt an Selbstvertrauen verlieren und in Lethargie versinken und/oder sich entpolitisieren. Andererseits ist den Forderungen der Eliten nachgekommen worden, die Rahmenbedingungen für Unternehmen so zu optimieren, dass die Gewinne ein vorläufiges Maximum erreichen können. Freilich ohne soziale Verantwortung, denn Eigentum verpflichtet faktisch ja nicht mehr.

Sicherlich haben die Gewerkschaften Fehler gemacht, beispielsweise, indem sie die Leiharbeit zunächst völlig zu Recht als „moderne Sklaverei“ bezeichneten, die verboten gehört. Aber nur, um sich dann anzupassen und mit Kampagnen wie „Leiharbeit fair gestalten“ (IG Metall) den zerstörerischen Arbeitsmarkt mit zu „gestalten“. Allerdings darf man nicht vergessen, dass die Schwächung der Gewerkschaften eine lange Geschichte hat und deren abnehmende Einflussnahme Think Tanks fast ständig beschäftigt. Dass so viele mentale und finanzielle Investition irgendwann einmal Früchte tragen werden, war abzusehen.

Für Arbeiter und Angestellte ist die Schwächung der Gewerkschaften bedeutsam. Denn durch sie wird Zusammenhalt ausgehöhlt, Solidarität in den Hintergrund gerückt, das Einstehen für eigene Interessen reduziert. Stattdessen wird die Identifikation von Arbeitern und Angestellten in die gegenteilige Richtung forciert. Mausfeld weist auf Entwicklungen wie beispielsweise von Fußballvereinen hin, die bewusst an das „Herz“ der Fans bzw. der Mitarbeiter appellieren. Er sieht – und das ist nachvollziehbar – Clubs wie Bayer Leverkusen als bewusste Irreführung der Fans an, die sich – wie auch und in erster Line die Mitarbeiter von Bayer – mit dem Unternehmen identifizieren sollen. So fühlt sich der Bayer-Arbeiter nicht mehr als Arbeiter, sondern als Bestandteil einer „Familie“, getreu dem Motto: Wir sind doch alle im selben Boot, gehören zusammen, schauen in die gleiche Richtung. Das ist natürlich absurd, aber es funktioniert.

Auf diesem Gebiet gibt es inzwischen auch zahlreiche Methoden, die sich der firmeninternen Psychologie bedienen. Mitarbeiter auf die „Identifikations-Straße“ zu bringen und sie so mit einem Unternehmen auf emotionaler Ebene zu verbinden, klappt deutlich besser, als sie für die Notwendigkeit von Streiks zu überzeugen. Bei diesem Spiel machen die Medien natürlich gerne mit, wie man sieht, wenn man sich Arbeitskämpfe der Vergangenheit ansieht. Stets sind die Forderungen der Gewerkschaften angeblich überzogen, zeigen sich diese nicht bereit zu verhandeln und tragen ihre egoistischen Wünsche auf dem Rücken der betroffenen Bürger aus (wir erinnern uns an die Hetzjagden auf Claus Weselsky, die an eklatanter Aggressivität kaum zu überbieten waren und mit dem ich unter anderem darüber gesprochen habe).

Ein Großteil der Medien hat es sowieso auf die Gewerkschaften abgesehen, und das ist kein Zufall, weil neben zahlreichen Politikern, die längst Bestandteil der Eliten geworden sind, weil sie von ihnen hofiert, eingeladen, bezahlt und nach ihrer politischen Karriere in feine Ämter gehoben werden, auch Journalisten gebauchpinselt und so manipuliert werden. Die Medien haben an der Schwächung der Gewerkschaften erheblichen Anteil, sie beeinflussen bewusst die Berichterstattung und kreieren oder formen zumindest munter mit an einem Feindbild, das es Arbeitnehmervertretungen immer schwerer macht, für ihre Sache einzutreten, weil sie in erster Linie im Rechtfertigungszwang sind, ihre Forderungen auch nur einigermaßen „verkaufen“ zu können. Mit immer weniger Erfolg.

Zerschlagung sozialer Bewegungen

Eine Friedens- oder sonstige Bewegung, die gegen den Krieg oder andere Missstände auf die Straße geht, scheint es in der breiten Masse nicht mehr zu geben. Und selbst wenn, wie beispielsweise gegen TTIP, mehr als 200.00 Menschen protestieren, dauert es nicht lange, bis vermeintliche „Feinde“ ausgemacht werden. SPON ist hier keine Ausnahmeerscheinung, sondern repräsentiert das allgemeine mediale Verhalten. Die Demonstranten damals hatten angeblich überhaupt keine Probleme damit, sich bei

Pegida-Bachmann, Marine Le Pen und Donald Trump unterzuhaken

so der schreibende SPON-Redakteur. Es ist ein Prinzip, das schon lange greift: Wer auch immer sich entscheidet, gegen Ungerechtigkeiten auf die Straße zu gehen, sieht sich mit dem Vorwurf konfrontiert, dass auch die „falschen Leute“ mitgehen. So wird die ursprüngliche Kritik weggewischt, die Argumentation verliert an Bedeutung, bis nichts mehr übrig bleibt.

Kleine Randnotiz: Der Artikel wurde am 10.10.2015 um 11.32 Uhr publiziert. Da hatte die Demo gerade einmal begonnen, der Redakteur musste also schon vorher gewusst haben (womöglich am Vortag), was er zu schreiben gedenkt. Insofern war die Teilnehmerzusammensetzung im Grunde völlig unerheblich.

Das Problem: Es klappt bestens! Kritische Gedanken sind schneller in der Ecke falscher und politisch nicht korrekter Ideen verortet, als die Denkenden es begreifen. Und im nächsten Schritt zerfleischen sich die Menschen, die einen Mangel oder eine Ungerechtigkeit feststellen, gegenseitig, weil die vermeintlich „Falschen“ ähnliche Gedanken bzw. Forderungen haben. Die Tatsache, dass die Motivation, gegen TTIP (oder andere Widerwärtigkeiten) bei den Demonstranten ganz unterschiedlich ausgeprägt ist, stört nicht, sondern fördert die Bildung von Feindbildern. Mehr noch: Lassen sich auf einer Demonstration potentielle „Störer“ ausmachen, gerät die ganze Idee, sämtliche Kritik, in den Hintergrund. Wenn es diese Störer womöglich nicht gibt (was unwahrscheinlich ist, da komplexe Themen unterschiedliche Zielgruppen ansprechen), werden sie eben hingefahren. Und wer sich das nicht vorstellen kann oder dem gar widerspricht, der ist – und damit sind wir wieder beim oben angesprochenen Thema angekommen – ein Verschwörungstheoretiker. Dabei ist es längst kein Geheimnis mehr, dass staatliche Provokateure in bestimmten Situationen eingesetzt werden.

Ein weiteres Problem: Diejenigen, die soziale Bewegungen spalten, sind meist nicht eindeutig auszumachen. Man kann sich fragen, wie SPON auf die Idee kam, dass die Anti-TTIP-Demo eine gewesen sei, die „neurechts“ oder wie auch immer aufgestellt war. Aber man wird – vom schreibenden Redakteur abgesehen – keine befriedigende Antwort, keinen „Lenker“ mit Namen, Funktion und Adresse finden. Denn das Prinzip der Spaltung und Zerschlagung läuft nach einem Muster ab, das die Hauptakteure im Hintergrund bleiben lässt. Auch das darf man übrigens nicht schreiben, ohne sich den Vorwurf gefallen lassen zu müssen, man fische im Trüben und habe keinerlei Belege vorzuweisen. Das stimmt sogar. Aber es macht das System noch perfider.

Die Tatsache, dass die Politik keinerlei Einfluss hat, sondern nur ausführendes Organ ist, beschreibt Mausfeld in seinem oben verlinkten Vortrag eindrucksvoll. Und sie war in den 1920er Jahren als Feststellung nicht einmal ungewöhnlich, vielmehr galt diese Erkenntnis als völlig selbstverständlich. Dass das Kapital die Politik lenkt und manipuliert, galt damals nicht als revolutionäres Geschwätz von Systemfeinden, sondern als gesunder Menschenverstand. Eben der ist aber heute nicht mehr gern gesehen und wird von den Eliten nur intern klar formuliert. So wie es etwa Hans Tietmeyer tat, als er sagte:

Ich habe den Eindruck, dass sich die meisten Politiker immer noch nicht darüber im Klaren sind, wie sehr sie bereits heute unter den Kontrolle der Finanzmärkte stehen und sogar von diesen beherrscht werden.

Tietmeyer war jedoch keine „linke Socke“, sondern der Chefökonom Helmut Kohls, also vermutlich alles andere als jemand, der heute gegen TTIP demonstrieren würde. Und es war auch nicht sein Plan, mit seiner Aussage die Massen zum kritischen Nachdenken anzuregen. Er äußerte das also nicht öffentlichkeitswirksam, Professor Rainer Mausfeld hat das Zitat aber ausgegraben. Und zeigt damit, dass das System sich durchaus seiner Macht und Einflussnahme bewusst ist, es aber nur in kleinen Kreisen geäußert wird. Die Tatsache, dass die Protagonisten dabei zuweilen etwas „unvorsichtig“ werden, zeigt, wie sicher sie sich fühlen. Und das zu Recht.

Die unerlaubte Systemfrage

Sie ist verboten, die Systemfrage. Es ist doch schließlich nicht alles so schlecht, wie es uns Pessimisten glauben machen wollen. Oder? Außerdem: Welches System soll denn stattdessen das Ruder an sich reißen? Etwa der Sozialismus? Kommunismus? Anarchismus? Hat doch alles nichts gebracht, heißt es dann. Und in der Tat ist zumindest der reale Sozialismus letztlich gescheitert. Die Gründe dafür sprengen hier den Rahmen (der Kapitalismus hatte allerdings mehr als nur eine Hand im Spiel), aber anzunehmen, dass ein krankes und verachtendes System, das Mensch und Natur ausbeutet bis zum Exodus, besser sein soll, als eines, das andere Ansätze verfolgt, ist an sich schon destruktiv und phantasielos. Und äußerst ängstlich. Denn womöglich würde der Gedanke an ein System, das anders ausgerichtet ist, den eigenen Status Quo beeinflussen.

Das ist auch der Grund, warum Merkel wiederholt gewählt wurde und wahrscheinlich erneut gewählt wird. Der Gedanke steht im Vordergrund: Vieles ist schlecht, was unter Merkel passiert ist. Aber wird mehr besser, wenn jemand anderes am Ruder sitzt? Tut mir das dann gut? Womöglich nicht, und außerdem, auch darauf wies Mausfeld hin, denken viele:

Ich hab es ja in dem System so ein bisschen zu etwas gebracht, mir geht es besser als anderen. Also kann das System nicht ganz schlecht sein, denn sonst hätte ich es ja nicht zu irgendetwas gebracht.

Stattdessen empören wir uns. Jeden Tag. Weil uns immer wieder aufs Neue Anlässe dafür gegeben werden. Hier werden illegale Preisabsprachen großer Unternehmen aufgedeckt, dort Tricksereien beim Mindestlohn aufgetan, hier werden Lebensmittelskandale ans Tageslicht geholt, dort unangemessene Aktivitäten ehemaliger Politiker in der Wirtschaft entdeckt. All das regt uns auf, zu Recht! Aber es füttert uns eben auch mit Brocken, die zuweilen groß sind und bitter wirken, die Frage nach dem System aber nicht zulassen. Und so kommen wir zum Schluss, dass hier und da etwas geändert, verbessert werden muss, dass Schuldige aus ihren Ämtern müssen und womöglich sogar die Regierung einen schlechten Job macht. Aber eine andere, bessere haben wir ja nicht, oder?

Die Wahl der Vertreter

Sieht man sich den oben verlinkten Vortrag von Professor Rainer Mausfeld an, wird man feststellen, dass unsere gewählten Vertreter nicht mehr als gelenkte Figuren sind (man könnte auch „Marionetten“ sagen, aber das gibt aus den geschilderten Gründen garantiert wieder Ärger, auch wenn es der Sache mehr als nahe kommt).
Wenn dem so ist, bleibt die Frage übrig, wozu man überhaupt noch wählen soll. Wenn die eigentlichen Entscheidungsträger die sind, die wir nicht sehen, nicht (oder kaum) hören, denen wir aber hoffnungslos ausgeliefert sind, weil sie die Fäden in der Hand haben, warum dann noch wählen? Es scheint ja keine Wahl derer zu geben, die die Geschicke lenken, sondern nur eine derer, die ebendiese repräsentieren. Wenn Merkel – oder wer auch immer – uns zwar offiziell regiert, faktisch aber keine Einfluss hat, macht das alles doch keinen Sinn.

So könnte man denken, und es wäre nachvollziehbar. Aber wenn man begreift, dass es darum geht, das System nachhaltig zu verändern, kann man auch zu einem anderen Schluss kommen – abgesehen von der Revolution, die im Zeitalter von Pay-TV, iPhones, Online-Shops, Markenturnschuhen, T-Shirts für drei Euro und Anne will als krönender Abschluss der Woche eher unwahrscheinlich ist. Man kann wirkliche mögliche Alternativen wählen. Dafür müsste man allerdings von der Vorstellung Abschied nehmen, dass damit alles gut wird.

Mausfeld geht sogar noch weiter und sagt, dass einzelne Bausteine nicht verändert werden können bzw. keine wirkliche Veränderung erzielen. Das System muss entweder komplett aufgelöst werden oder die positiven Wirkungen bleiben aus. Das ist schlüssig. Und die Tatsache, dass auch linke Politik innerhalb des bestehenden Systems nur begrenzten Wert haben kann, ist auch schwer zu bestreiten. Aber es wäre ein Anfang. Es wäre ein Anfang.

Es bleibt festzuhalten, dass wir uns in einem ausgefeilten System befinden (deutlich ausgereifter als der Widerstand dagegen), das auf der einen Seite die Politisierung der Menschen nach und nach unterdrückt, weil sie das (berechtigte) Gefühl in sich tragen, nichts zu bewegen, keinen Einfluss und keine Bedeutung zu haben, während sie gleichzeitig jeden Tag als Kampf empfinden, die einen mehr, die anderen weniger, aber kaum jemand fühlt diesen Kampf überhaupt nicht.
Auf der anderen Seite kann und muss es als politisches Ziel betrachtet werden, den Neoliberalismus zu enttarnen, ihn zu entlarven als das, was er ist: als ein menschenverachtendes, brutales, auf den eigenen Nutzen reduziertes System, das sich für die Protagonisten, die es ausbeutet, nicht interessiert.

Und: Wo Widerstand wachsen kann, wie beispielsweise bei den großen Kundgebungen gegen die Freihandelsabkommen, da sollte oberstes Gebot sein, die gemeinsame Forderung zu erkennen und zu formulieren, egal, wie sehr man der Gefahr ausgesetzt ist, mit „den Falschen“ zu laufen. Man stelle sich vor, die Freihandelsabkommen würden durch den Druck der Öffentlichkeit in ihrer gefährlichen Form verhindert werden (zugegeben, eine verklärte Vorstellung). Der Erfolg wäre erheblich und würde die Mächtigen noch nervöser machen, als sie sowieso schon sind (denn das sind sie, was einen eigenen Artikel wert wäre).

Über die unterschiedliche Motivation, gegen Freihandelsabkommen des Neoliberalismus zu sein, könnten dann alle am Widerstand Beteiligten im nächsten Schritt diskutieren und streiten, sicher oft auch, ohne zu Kompromissen zu kommen. Aber immer eines nach dem anderen.

Und zum Schluss sei auf die eingangs gestellte Frage eingegangen, wer „die“ sind. Es sind die Schreibtischtäter, die in den größten Unternehmens- und Finanzzentralen sitzen. Ihre Namen sind austauschbar, ihre Funktion ist es nicht. Sie beeinflussen die Politik, die Wirtschaft, die sozialen Gefüge der Gesellschaft. Sie werden nicht gewählt, sondern ernannt, nicht demokratisch legitimiert und sie sind nicht abwählbar durch das Volk. Sie agieren im Hintergrund und gehen dabei äußerst effizient vor. Sie sind nicht interessiert am Wohlergehen der Menschen, sondern auf die eigene Gewinnmaximierung fokussiert.
Und sie sind höchst uneinsichtig. Über Maßnahmen wie freiwillige Selbstkontrollen oder Appelle an ihre Menschlichkeit und Anteilnahme können sie nur müde lächeln. Das machen sie wahlweise in ihren Schreibtischstühlen. Oder am Strand von Steuerparadiesen. Für uns ist das letztlich egal. [InfoBox]

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Tom J. Wellbrock

Tom J. Wellbrock ist Journalist, Autor, Sprecher, Radiomoderator und Podcaster. Er führte unter anderem für den »wohlstandsneurotiker«, dem Podcast der neulandrebellen, Interviews mit Daniele Ganser, Lisa Fitz, Ulrike Guérot, Gunnar Kaiser, Dirk Pohlmann, Jens Berger, Christoph Sieber, Norbert Häring, Norbert Blüm, Paul Schreyer, Alexander Unzicker und vielen anderen. Zusätzlich veröffentlicht er Texte auf verschiedenen Plattformen und ist für unsere Podcasts der »Technik-Nerd«.

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R_Winter
R_Winter
6 Jahre zuvor

Ein guter Artikel, doch zeigt er die Hoffnungslosigkeit als „Lösung“ der Missstände“ auf.

„…….die [neoliberale] Aggressivität ist subtil vorhanden – eben wenn es darum geht, solidarisches Denken zu unterbinden. Das geht zwar tatsächlich nicht etwa blutig vonstatten, aber die Mittel der Verführung kommen ebenfalls nicht zum Einsatz. Vielmehr die Spaltung gezielt und im Hintergrund statt, scheinbar – und das ist der Plan – spalten sich die betroffene Akteure sogar selbst….“

Es verstehen auch viele links denkenden Menschen nicht:
Die neoliberale Aggressivität ist noch brutaler als die körperliche Aggressivität bei Folterungen.

Zuvor hatte Streeck erklärt, dass die Regierungen sich dem Neoliberalismus selbst unterworfen haben, indem sie die Besteuerungen von hohen Einkommen und großen Unternehmen seit Jahren zurückgefahren haben.

So wie es etwa Hans Tietmeyer tat, als er sagte:

Ich habe den Eindruck, dass sich die meisten Politiker immer noch nicht darüber im Klaren sind, wie sehr sie bereits heute unter den Kontrolle der Finanzmärkte stehen und sogar von diesen beherrscht werden.

Wenn drittrangige Neoliberale pupsen, bekommen die Minister unter Merkel Durchfall.
Merkel „leidet“ unter Dauerdurchfall……..

„Man kann wirkliche mögliche Alternativen wählen. Dafür müsste man allerdings von der Vorstellung Abschied nehmen, dass damit alles gut wird.
Mausfeld geht sogar noch weiter und sagt, dass einzelne Bausteine nicht verändert werden können bzw. keine wirkliche Veränderung erzielen. Das System muss entweder komplett aufgelöst werden oder die positiven Wirkungen bleiben aus. Das ist schlüssig.

Wer will und kann es? Das Sofa ist doch so schön weich……

Links schlägt mein Herz!
Links schlägt mein Herz!
6 Jahre zuvor

Ich bin wieder beeindruckt.Ein hochinteressanter Artikel,der den heutigen Zustand sehr genau beschreibt.Man kann nur hoffen,das die Menschen bald begreifen,das sie auf übelste Weise manipuliert und ausgenutzt werden!
Weiter so!

Roberto J. De Lapuente
Reply to  Links schlägt mein Herz!
6 Jahre zuvor

Weiter so!

Diesen Satz sollte man aus bekannten Gründen bitte nicht mehr so formulieren. Es ist das Motto dieses Zeitgeistes …

Links schlägt mein Herz!
Links schlägt mein Herz!
Reply to  Roberto J. De Lapuente
6 Jahre zuvor

Das galt dem Autor dieses Beitrags,nicht Merkels „Dauerspruch“.
Kam falsch rüber…. 🙂
Sorry!

OLEH
OLEH
Reply to  Tom J. Wellbrock
6 Jahre zuvor

Genau so! 🙂
Toller Text!
Wertvoll.
Danke, und weiter so…;-)

Publicviewer
Publicviewer
Reply to  Links schlägt mein Herz!
6 Jahre zuvor

Das denke ich nicht, vor allem bei der jüngeren Generation ist eher das Gegenteil ist der Fall.

Robbespiere
Robbespiere
6 Jahre zuvor

Bravo!
Der Artikel bringt es auf den Punkt.
War es nicht Seehofers Ausssage, dass die, die gewählt werden, nicht regieren und die, die regieren nicht gewählt weden?
All das könnte man ändern, wären die Bürger nicht so risikoscheu in Bezug auf einen Neuanfang.
Sie wollen noch viel mehr und immer schneller gepiesackt werden, bis ihnen der Kragen platzt, weil sie mit dem Rücken hart an der Wand stehen und es nur noch einen Ausweg nach Vorne gibt.
Deutschland gehts halt noch zu gut.

Mordred
Mordred
Reply to  Robbespiere
6 Jahre zuvor

Deutschland gehts halt noch zu gut.

Nö. Aber die meisten denken das. zu erheblichem Teils sogar ohne „noch zu“.

Robbespiere
Robbespiere
Reply to  Mordred
6 Jahre zuvor

Nö. Aber die meisten denken das. zu erheblichem Teils sogar ohne „noch zu“.

Stimmt, so war es auch gemeint.
Bei Vielen ist der Grad der persönlichen Betroffenheit noch nicht ausreichend um zu reflektieren, wie tief die Spaltung der Gesellschaft schon ist.
Sich totstellen und hoffen, beim gesellschaftlichen Abstieg übersehen zu werden gehört leider genau wie Flucht oder Angriff zu unserem tierischen Erbe.
Da hinkt die Evolution noch schwer hinterher, bzw. die Erkenntnis, dass die räuberischen Exemplare der eigenen Gattung diese Taktik sehr wohl in ihre Taktik mit einplanen.

Carlo
Carlo
6 Jahre zuvor

»Das System muss entweder komplett aufgelöst werden oder die positiven Wirkungen bleiben aus. Das ist schlüssig.«

Es klingt schlüssig. Ist es aber nicht. Alles kann sich gravierend ändern, wenn die Bürger ihren Parlamenten und Regierungen untersagen, die Gesellschaft über geliehenes Geld zu finanzieren und Gemeingut zu verramschen. Damit wären noch längst nicht alle Probleme gelöst, aber man hätte eine Basis für Umdenken und Veränderungen. Wenn mir jetzt einer kommt und sagt, das sei ökonomisch nicht machbar, dann hat er recht. Das ist aber nicht relevant, weil man langsam anfangen muss, menschlich zu denken und nicht ökonomisch. Lass uns nachdenken. Dann kommen wir nämlich auch auf Lösungen. Auf humanistische Lösungen. Ökonomie hat mit Humanismus nichts zu tun. Das ist nur Sand in die Augen. Menschlichen Kapitalismus gibt es nicht. Das widerspräche nämlich den ökonomischen »Gesetzen«, die nur ein Regelwerk darstellen, um Knappheit zu verwalten und Profite (für wenige) zu realisieren. Ohne Knappheit, kein Profit. So einfach ist die Sache. Bedarfsdeckung und das gute Leben aller Menschen stehen gar nicht auf dem Plan der Ökonomen (Berater der Parlamente und Regierungen). Sie sind diejenigen, die den Krieg gegen die Armen propagieren, anstatt gegen die Armut. Deswegen: Humanismus statt Ökonomie. Dann ist auch ein Geschäftsmodell, das darauf beruht, dass menschliche Lebenszeit gehandelt und verkauft werden kann, am Ende. Es ist einfach Zeit, dass sich die Menschen ihre Würde zurückholen.

Arbo
Arbo
6 Jahre zuvor

Der „Einstieg“ zur „Verschwörungstheorie“ ist völlig misslungen und verzichtbar (wozu der Einstieg, wenn es dann gleich heißt: „Verabschieden wir uns also von den bösen Verschwörungstheorien“?).

An sich aber ein Text, der zunächst zum Nachdenken anregt. Zu Streeck hätte ergänzt werden können, dass der gute Herr heute zwar gerne als Kritiker auftritt, das Lied des Neoliberalismus aber zu Agenda-Zeiten noch gut zu singen wusste.

Was die Gewerkschaften betrifft: Die haben sich ja angesichts Hartz IV auch nicht gerade mit Ruhm bekleckert. Irgendwo habe ich gelesen, dass die Funktionäre eher gegen ihre Mitglieder gehandelt haben (dass das zumindest so empfunden wurde). Auf die Schnelle kann ich das nicht nachprüfen. Aber die schwindenden Mitgliedszahlen scheinen dem Recht zu geben. Und schließlich: Wer sich jahrelang in Zurückhaltung übt, darf sich nicht beschweren, wenn der nächst kräftige Zug aus der Flasche als „unbotmäßig“ bezeichnet wird.

Gleichwohl möchte ich doch ein/zwei Bedenken anmelden, wenn es heißt: „Ein Großteil der Medien hat es sowieso auf die Gewerkschaften abgesehen“. Das ist zwar richtig, aber richtig ist auch, dass das Gewerkschaftsnahe Institut IMK mit Gustav Horn (Hans Böckler Stiftung), bisweilen ebenso das WSI, auch in den Medien zitiert werden. Das war vor gut zehn Jahren noch ganz anders.

Die Kritik, dass alles in einen Topf und Friedensbewegte etc. so als irrlichternde Spinner abgetan werden, teile ich. Hamburg (G20) hat auch gezeigt, wie schnell die konservative Schrebergarten-Mentalität dabei ist, alles Alternative in einen Sack zu stecken und diesen dann verbal an die Wand zu stellen. Aber richtig ist auch, dass sich in diesen Bewegungen diverse Esos, Verschwörungstheoretiker usw. verbergern. Dazu verliert der Autor kein Wort. So zu tun, also ob das kein Problem wäre, ist angesichts des Themas sträflich. Und nein, dabei geht’s nicht darum, „Systemgegner“ auszusieben, sondern sich nicht vor jeden Verschwörungstheorie-Karren spannen zu lassen.

Apropos Verschwörung, damit komme ich zu meinem „zunächst“ von oben zurück. Anfänglich hatte ich noch die Hoffnung, dass der Text besser wird. Aber der versandet zusehends in mysteriöser Spökenkiekerei. Da heißt es:

„Diejenigen, die soziale Bewegungen spalten, sind meist nicht eindeutig auszumachen. […] Aber man wird […[ keine befriedigende Antwort, keinen „Lenker“ mit Namen, Funktion und Adresse finden. Denn das Prinzip der Spaltung und Zerschlagung läuft nach einem Muster ab, das die Hauptakteure im Hintergrund bleiben lässt.“

Es gibt keine auszumachenden Hauptakteure, aber der Autor weiß ganz genau, dass die im Hintergrund agieren. Nichts genaues weiß man nicht. Und der Autor spielt hier in der trüben Suppe mit. Kein Wort darüber, dass es auch habituell bedingt sein kann, wie – soweit ich das sehe – Uwe Krüger in seiner Medienanalyse nahelegt, d. h. Eliten bleiben unter sich (bewusst und unbewusst), ähnliches Denken wird gepflegt, es geht nach „Ähnlichkeit“, ähnliche Handlungsmuster und Einstellungen werden abgespult usw. Dabei kann es natürlich sein, dass sich „mächtige“ Akteure bilden (etwa gemäß Biourdieus Theorie: ausgestattet mit finanziellem, sozialen usw. Kapital). Aber müssen die einem Masterplan folgen? Kann es nicht auch gut sein, dass die einzeln ihr eigenes Süppchen kochen, und dann in der Summe die gemeinwohl-schädigenden Aspekte zum Tragen kommen? Klar, sowas wie aktuell das Auto-Kartell lebt natürlich vom Lenken und Lobbyismus. Aber dahinter sollen dann im Hintergrund die großen neoliberalen Akteure sitzen? Das sind die, die „die Fäden“ unserer Marionetten in den Händen halten?

Sorry, Herr Wellbrock, aber damit haben sie voll Anlauf genommen, um nun bis über beide Ohren im Sumpf zu sitzen. Verschwörungen gibt es, ja. Das was wir hier oft erleben, das ist aber Korruption. Und das können Sie auch so benennen, statt den Eindruck zu erwecken, es gäbe da ganz tief im Hintergrund die dunklen Hintermänner und -frauen.

Warum ich Ihr Geraune eher suboptimal finde, hat weniger mit dem „Verschwörungston“ zu tun, als mit der Implikation, die Sie hier mitgeben. Es gibt „Systemzwänge“, klar. Aber kein Polizist wird gezwungen, auf Demonstrierende und Presse einzuschlagen, noch dazu, wenn diese am Boden liegen und verletzt sind. Da hätten wir nach dem WK II eigentlich weiter sein solle. Niemand wird gezwungen, als Manager oder im höheren Management die Schweinereien wie Steuerhinterziehung, Qualitäts- und Wettbewerbsmanipulation etc. mitzumachen. Indem Sie vom „System“ und von den „Akteuren im Hintergrund“ sprechen, entlasten Sie die, die eigentlich Verantwortung tragen sollten. Wenn’s mal wieder hart auf hart kommt und Menschen dann wieder in auf sie gerichtete Gewehrläufe schauen müssen, möchte ich nicht warten, bis mir ein „die Akteure im Hintergrund“ benennt, die dafür verantwortlich sind…

Arbo

Robbespiere
Robbespiere
Reply to  Arbo
6 Jahre zuvor

@Arbo

Verschwörungen gibt es, ja. Das was wir hier oft erleben, das ist aber Korruption. Und das können Sie auch so benennen, statt den Eindruck zu erwecken, es gäbe da ganz tief im Hintergrund die dunklen Hintermänner und -frauen.

Korruption ist selbstverständlich ein wesentlicher Bestandteil des Werkzeugkastens unserer Kapital-Eliten, aber wie erklärst du dir die unzähligen, intransparenten Think-Tanks, transatlantischen Gruppierungen, NATO, Weltwirtschaftsforum, Münchner Sicherheitskonferenz, Bilderberger etc., wo sich diese Machteliten regelmäßig treffen und austauschen?

Um luxuriöse Kaffekränzchen handelt es sich bei diesen, sich personell oft überschneidenden Netzwerken, mit Sicherheit nicht.

Das spricht doch eher für eine geplante Koordination als ein zufälliges, sich verstärkendes Zusammentreffen von Einzelinteressen, oder etwa nicht?
Auch die Synchronisation der westlichen Politik ( Austerität, Freihandelsverträge, Aussenpolitik, Feindbilder ) sowie der medialen Darstellung weisen in diese Richtung.

Arbo
Arbo
Reply to  Robbespiere
6 Jahre zuvor

Nochmal zur Klarstellung: Wollen Sie hier uns ernsthaft weiß machen, dass irgendwo Mr. Evil sitzt, an dessen Fäden alle hängen? Klar, es gibt Koordinierung, aber kann das nicht auch Ausfluss eines selbst organisierten Selbstläufers sein? Warum immer die Mystik-Keule, dass da hinten irgendwo der schwarze Mann steht? Ok, das kann ich mir selbst beantworten: Weil’s so einfach ist und weil’s sonst noch ohnmächtiger werden lässt, wenn realisiert wird, dass eben doch nicht alles auf’s Konto von Mr. Evil geht, sondern zum Teil selbstverschuldete Unmündigkeit ist.

Robbespiere
Robbespiere
Reply to  Arbo
6 Jahre zuvor

@Arbo

Wollen Sie hier uns ernsthaft weiß machen, dass irgendwo Mr. Evil sitzt, an dessen Fäden alle hängen?

Nein, aber wollen Sie uns weismachen, dass die reichsten Bewohner der Erde zu ihrem stetig wachsenden Vermögen gekommen sind, ohne knallhart gg. jede Konvention zu verstoßen und ihr Gewissen links liegen zu lassen und ist es denn wirklich so abwegig, dass diese ihre Interessen gezielt bündeln, um ihre Schlagkraft zu erhöhen?

Ich widerspreche ihnen ja nicht, was die Mitverantwortung derer betrifft, die sich aus ideologischen oder finanziellen Gründen korrumpieren lassen, aber jedes Dind hat zwei Seiten, mindestens.
Einseitig auf die Eigenverantwortung der Mitläufer zu verweisen, ist jedoch auch monokausal und wird der Wechselbeziehung nicht gerecht.

Der von Tom Welbrock erwähnte Rainer Mausfeld hat das m.M.n. in seinen Vorträgen auf Youtube gut beschrieben.

Mordred
Mordred
Reply to  Arbo
6 Jahre zuvor

Klar, es gibt Koordinierung, aber kann das nicht auch Ausfluss eines selbst organisierten Selbstläufers sein?

Sehr unwahrscheinlich. Wenn auf makroökonomischer Ebene Dinge beschlossen werden, haben diese auch für gewöhnlich makroökonomische Auswirkungen. Anders formuliert wird on top entschieden und topdown hat das dann Effekte.
Dr. Evil ist dabei natürlich keine einzelne greifbare Person.

Robbespiere
Robbespiere
Reply to  Arbo
6 Jahre zuvor

@Arbo

Niemand wird gezwungen, als Manager oder im höheren Management die Schweinereien wie Steuerhinterziehung, Qualitäts- und Wettbewerbsmanipulation etc. mitzumachen.

Das sehe ich genau so!
Der Grund, warum so viele mitmachen liegt an fehlendem Rückgrat, weil diese Leute die Konsequenzen des Ausscherens ( Wohlstands- und Machtverlust ) nicht tragen wollen.

Indem Sie vom „System“ und von den „Akteuren im Hintergrund“ sprechen, entlasten Sie die, die eigentlich Verantwortung tragen sollten.

Das sehe ich anders, denn der Machtmißbrauch geht eindeutig von diesen Akteuren aus.
Lobbyismus ist alles, nur nicht altruistisch.

Arbo
Arbo
Reply to  Robbespiere
6 Jahre zuvor

Sorry, das ist mir zu kryptisch zusammengewürfelt.

Mir ist natürlich klar, dass es Systemzwänge gibt. Habe ich ja weiter oben bereits geschrieben.

Nun jedoch das ABER:
Nicht alle und erst recht nicht alle „Mächtigen“ sind in gleicher Weise vom Wohlstands- und Machtverlust betroffen. Und die Einsicht, in kapitalistischen Gesellschaften zumindest ein Teil Mitverantwortung an Ausbeutung usw. zu tragen, sollte etwas Zurückhaltung vor den eigenen Wohlstandsansprüchen anmahnen. Sonst ist’s nichts weiter als das, was dieser berühmte Spruch zum Ausdruck bringt, gemäß dem mensch gerne gewaschen werden will, aber nicht nass werden möchte.

Wer Korruption, Machtmissbrauch und Ausbeutung als ethisch fehlerhaft erkennt, kann nicht das eigene Nichtstun hinter der Angst vor Wohlstands- und Machtverlusten verstecken, ohne einen Mangel an Glaubwürdigkeit und ethischer Integrität zu erleiden!

Damit das aber nicht in den falschen Hals bekommen wird. Nein, ich bin nicht so blöd, zu fordern, dass die allein erziehende Mutter die Welt durch den Kauf von Biogemüße die Welt grüner macht. Ich mache auch keinem Pendler zum Vorwurf, dass er ein Auto besitzt – dazu noch eines, das nicht ohne Strom fährt.

Es geht mir hauptsächlich um die Momente, in denene sich Menschen auch anders entscheiden können. Nicht ohne Grund wurde dem Herausreden auf Befehle von oben nach dem WK II eine Absage erteilt. Erschreckend ist, wie normal dies auf einmal wieder im Zuge von G20 erscheint. Dabei gibt’s ja auch Studien, die zeigen, dass Repressalien, die eine Verweigerung nach sich ziehen konnte, weniger schlimm oder gar nicht eintraten.

Sich einfach auf Systemzwänge herausreden, auf die „Akteure im Hintergrund“, das ist gleichbedeutend damit, die eigene Verantwortung abzugeben (wohlgemerkt in den Fällen, in denen jemand auch Verantwortung tragen kann).

Robbespiere
Robbespiere
Reply to  Arbo
6 Jahre zuvor

@Arbo

Nicht alle und erst recht nicht alle „Mächtigen“ sind in gleicher Weise vom Wohlstands- und Machtverlust betroffen.

Das stimmt zwar, aber gg. den Strom zu schwimmen wird in den seltendsten Fällen honoriert von denen, die die Macht bzw. das Vermögen haben, Wohlstand und Macht zu verteilen.
Die Erfolgschancen von Querulanten sind eher gering.

Und die Einsicht, in kapitalistischen Gesellschaften zumindest ein Teil Mitverantwortung an Ausbeutung usw. zu tragen, sollte etwas Zurückhaltung vor den eigenen Wohlstandsansprüchen anmahnen.

Korrekt, sofern man zu dieser Einsicht gelangt ist. Da haperts leider gewaltig.

Wer Korruption, Machtmissbrauch und Ausbeutung als ethisch fehlerhaft erkennt, kann nicht das eigene Nichtstun hinter der Angst vor Wohlstands- und Machtverlusten verstecken, ohne einen Mangel an Glaubwürdigkeit und ethischer Integrität zu erleiden!

Wie wir seit Jahrzehnten beobachten können, ist die Angst vor Wohlstandsverlust ( und sozialer Absicherung ) durchaus real.
Sich totzustellen, nützt aber nichts, weil man so aus der Schlinge nicht heraus kommt, sondern zerfrisst die eigene Würde.

Norbert Wiersbin
Norbert Wiersbin
6 Jahre zuvor

Ich erlaube mir noch eine Ergänzung, Tom: Wenn Du zum Schluss die Schreibtischtäter in den Unternehmens- und Finanzzentralen als die vielzitierten aber immer anonymisierten „die“ ausmachst, sollten wir dabei die sog. Funktionseliten in den Ämtern und Ministerien nicht vergessen, ohne die der Staat nie funktionieren könnte. Auch diese „Damen“ und „Herren“ sind bekanntlich nicht demokratisch legitimiert (bis auf geringste Ausnahmen) und entziehen sich – je höher ihre Stellung – zunehmend jeder (öffentlichen) Kontrolle. Ganz zu schweigen von der Verantwortung, die sie angeblich tragen (und worüber sie ihre sicheren Erwerbseinkommen und Pensionen legitimieren), zu der sie aber (bis auf geringste Ausnahmen) nie herangezogen werden. Wie sagte mir einst ein Ministerialdirektor unter vier Augen: „Sehen Sie, die Minister kommen und gehen, wir aber bleiben.“ Als Hauptberufliche im politisch-administrativen Geschäft haben solche Leute häufig viel mehr Macht in ihren Händen, als die gewählten Abgeordneten. Sie stellen quasi die grauen Eminenzen, die in der Öffentlichkeit nur selten in Erscheinung treten. Wenngleich auch sie selbstredend Namen und Gesichter haben …

Svenson
Svenson
6 Jahre zuvor

Ich habe das Gefühl, dass Ihre Artikel, Herr Wellbrock, immer besser werden. Ich möchte Ihnen dafür danken, dass sie mit viel Beharrlichkeit und Mut dabei mitwirken, dem Widerstand gegen das System auf die Sprünge zu helfen, auch wenn dieser dem ausgefeilten System unterlegen ist.

Zum Punkt der gezielten Zerschlagung sozialer Bewegungen, möchte ich gerne auf einen Artikel verweisen, der mich seit dem ich ihn gelesen habe schon oft umgetrieben hat.
https://www.hintergrund.de/globales/terrorismus/die-zukunftstraeume-des-pentagon/
In dem Artikel werden die öffentlichen Ausschreibungen des Pentagons zur Einreichung wissenschaftlicher Projekte analysiert und er zeigt auf, wie Daten aus sozialen Netzwerken (und nicht nur diese) dazu genutzt werden sollen, um voraussagend das Potential eines jeden Einzelnen abzuschätzen, in wie fern und in welcher Form dieser aktiv gegen den Status Quo vorgehen könnte.

Basierend auf diesem Artikel, werden wohl alle Kommentatoren hier bereits unter Beobachtung stehen und entsprechend kategorisiert sein und sich als Widerstandskämpfer betrachten. 😉

Traumschau
Traumschau
6 Jahre zuvor

Ein sehr guter Beitrag! Danke!! Die Politik wird bestimmt durch private Organisationen, wie zum Beispiel den ECFR (European Council on Foreign Relations) mit Sitz in Berlin:
„Der ECFR ist eine private, gemeinnützig arbeitende Organisation, die sich aus Spendengeldern finanziert[16]. Die Hauptunterstützer des ECFR sind die Open Society Foundations, Communitas Foundation, Fundación Para las Relaciones Internacionales y el Diálogo Exterior (FRIDE), Stiftung Mercator[17], Unicredit und der US-amerikanische Investor George Soros.“
https://de.wikipedia.org/wiki/European_Council_on_Foreign_Relations

Auch sehr interessant wer da alles Mitglied ist, u.a. auch Cem Özdemir und Joschka Fischer.
Das ist nur ein Beispiel von vielen dieser demokratisch nicht legitimierten, privaten Klüngelclubs! Wahlen sind m.E. vollkommen unsinnig geworden, weil diese informellen Systeme jeden Regierungswechsel überdauern. Auch ein gutes Beispiel ist die „Group of 30“, in welcher die Chefs der Zentralbanken mit den CEO´s der Großbanken klüngeln. U.a. Norbert Häring hat das schon mehrfach aufgegriffen:
http://norberthaering.de/de/27-german/news/457-draghi-g30-skandal

Oder um es auf den Punkt zu bringen:
1. Dieses informelle, undemokratische Macht-Netzwerk verfügt über unbegrenzte finanzielle Mittel
2. Sie verfügen via dem Politik-Marionetten-Theater über das Gewaltmonopol (Polizei, Bundeswehr inklusive Spezialkräfte), die Gesetzgebung, die Justiz (wer setzt noch mal die Bundesrichter ein?), die Geheimdienste
3. Über eine quasi unbegrenzte publizistische Macht (wem gehören die Medien?)

Ich sehe wenig Chancen auf eine Änderung dieses Wahnsinns – leider! Zumal sich die breite Masse der Bevölkerung über die tatsächliche Situation nicht im klaren ist, diese Zusammenhänge nicht kennt bzw. nicht versteht. Beste Grüße

Schweigsam
Schweigsam
6 Jahre zuvor

Für mich eher ein mäßiger Artikel. Viel Breite, wenig analytische Tiefe. Dazu kommt, dass die Begriffe wie System oder Neoliberalismus sehr unterschiedlich verstanden werden. Da wäre in diesem Zusammenhang oder Kontext eine genauere Beschreibung (bzw. Definition) vonnöten.

PS: Aber für eine Stimmungsmache völlig ausreichend dieser Artikel…

R_Winter
R_Winter
Reply to  Schweigsam
6 Jahre zuvor

@Schweigsam
Der Artikel ist gut, auch wenn es nicht möglich ist, in einem lesbaren Artikel alle systembedingten Untaten aufzuführen und für jede dieser Untaten im Sinne der „90%“ eine Lösung vorzuschlagen.
Es ist UNBEDINGT erforderlich, die neoliberalen Machenschaften wieder und wieder aufzuzeichnen und die erkannten „Schweinereien“ verständlich machen.

Ein „Tiefgang“ kann sehr schnell in Richtung „Zergliederung und Verniedlichung“ führen – was die Neoliberalen auch wollen (es werden immer wieder unterschiedliche Meinungen der Linken hochgespielt, dabei sind sie erforderlich und es gibt sie in allen Gruppierungen).

OLEH
OLEH
6 Jahre zuvor

„Wenn diese dunklen Zeiten mal vorbei sind, werden wir gefragt: „Ihr habt davon gewußt und nichts getan?“
Kommt einem irgendwie bekannt vor, oder?“

comment image

Jörg Hensel
Jörg Hensel
6 Jahre zuvor

„Widerstand, aber wie? Ganz einfach: Die Machenschaften der Schaltzentralen aufdecken. ….
Bundesverfassungsgericht – BRD als Rechtsstaat seit 1956 ohne Bestand – Viele Gesetze nichtig !
https://menschenrechtsverfahren.wordpress.com/2012/07/29/bundesverfassungsgericht-brd-als-rechtsstaat-schon-seit-1956-ohne-bestand-alle-gesetze-nichtig/

Bastiaan Zapf
Bastiaan Zapf
6 Jahre zuvor

1. Die Gewerkschaften wurden spätestens Mitte der 50er entmachtet und befinden sich seitdem im inhaltlichen Leerlauf (weitere Erläuterung des Hergangs, auch zum Versagen der Linken, bei uns im Forum). Wer das erst jetzt bemerken will, den trifft wohl auch der Spruch: „Wer in einer Demokratie schläft, wacht in einer Diktatur wieder auf“.

2. Es gibt derzeit in Deutschland keine „sozialen Bewegungen“. Das liegt nicht nur an äusseren Einflüssen („Zerschlagung“), sondern auch daran, dass Menschen dazu neigen, Heuchlern, Betrügern und Inkompetenten zu vertrauen und potjemkinsche Dörfer und Disneyland lieber betrachten als echte Bauten.

3. Der Grund für das Versagen der Strukturen ist nicht das Wahlsystem oder die Idee einer Wahl von Repräsentanten. Das ist nur ein antidemokratisches Ressentiment. Jeder kann sich – indem er Wahlhelfer wird – selbst davon überzeugen, dass das Wahlsystem funktioniert. Jeder kann sich – indem er sich am politischen Prozess beteiligt – selbst davon überzeugen, dass die „Marionetten“ sich regelmäßig unter großem Beifall aus der Bevölkerung ihres idologischen Rückhalts versichern. Das funktioniert auch bei so genannten „Protest“- oder „Alternativ-„Parteien nicht anders.

4. Es ist selbstverständlich erlaubt, die Systemfrage zu stellen. Meiner Meinung nach sollte man das sogar tun. Sich dann allerdings auch auf Diskussionen einlassen. Mir genügt es nicht, wenn die heutigen Schlagworte („soziale Marktwirtschaft“, „Rechtsstaat“) durch andere („Gemeinwohlökonomie“, „dezentrale Strukturen“) ersetzt werden sollen. Da muss schon ein bißchen unterfüttert werden.

Lea
Lea
6 Jahre zuvor

Wir Alle in Österreich haben jetzt die einmalige Chance, das jetzt – wenigstens in Teilen – aufzubrechen und ein Stück weit echte und ehrliche Demokratie einzubringen.
Schaut mal zu https://dieWeißen.at – die kandidieren für Alle Menschen!
… ist ein genial-einfaches Konzept der Bürgerbeteiligung im Nationalrat.

Und wer in Österreich ist, bitte jetzt (nur bis 18.8.!) eine Unterstützungserklärung einreichen! 🙂

Die Melone
Die Melone
6 Jahre zuvor

Man kann wirkliche mögliche Alternativen wählen.

Na ja, eigentlich sagt mir der Artikel eher, dass ich genau das eben nicht kann. Um wählen zu können, bedarf es einer Auswahl und diese gibt es ja laut des Artikels nicht, weil alle Gewählten nur Marionetten sind. Nun, eine Auwahl gibt es natürlich schon, sie bringt mir nur nichts, da es egal ist, wer da oben rumrührt. Die Möglichkeit, „das System“ abzuwählen, ist nirgendwo vorgesehen. Von daher ist die Enttäuschung nur umso größer, nachdem ich hoffte, dass dieser Artikel mir die eine große Frage beantworten würde: Was ist die Alternative?

Derlei „Ansprachen“ bringen mir genauso wenig, wie die Sonntagspredigten irgendwelcher politischer Kabarettisten, über die ich zwar herzhaft lachen kann, bis mir das Lachen irgendwann im Halse stecken bleibt, die mir allerdings auch nicht die viel spannendere Frage beantworten: Was ist die Alternative?

Es bleibt dabei: TINA. Alles andere ist nur heiße Luft. Und genau das lähmt die Leute (insofern sie sich in diesem gewaltigen medialen Ablenkungs- und Vergnügungsbetrieb überhaupt für so etwas interessieren).

Nach Lesen des Artikels stehe ich da mit gezogenem Schwert und weiß nicht, in welcher Richtung ich den Gegner suchen soll …

Die Melone
Die Melone
Reply to  Tom J. Wellbrock
6 Jahre zuvor

Es wurde behauptet:

Man kann wirkliche mögliche Alternativen wählen.

Und genau das kann man eben nicht, weil eine wirkliche mögliche Alternative scheinbar weder bekannt ist und deshalb nicht angeboten wird und deswegen nicht gewählt werden kann. Das ist es, was ich bemängle.

Ansonsten fand ich den Artikel hervorragend. Vor allem wegen der Verlinkungen.

Jens
Jens
Reply to  Tom J. Wellbrock
6 Jahre zuvor

Wie bei der mittlerweile üblichen Beweislastumkehr. Man muss dann gleich alles bis hin zum Namen der Urgroßeltern aller Beteiligten aufklären, sonst gilt es nicht. So die Propaganda. Und selbst das würde/wird dann einfach ignoriert.

Bettina Berens
Bettina Berens
6 Jahre zuvor

Wieder mal eine gute Analyse, die wieder mal dazu führt, die Hilflosigkeit der Masse in Anbetracht der Übermacht des Geldes kopfschüttelnd zu betrachten.
Ein „weiter so“ darf es nicht geben, und doch wird es genau so kommen.
Wenn „die“ an Schreibtischen sitzen, und „denen“ sagen, was sie zu tun und zu lassen haben, sind „denen“ nicht auch ein bisschen selbst für ihre Situation verantwortlich? Warum sind Konsumartikel so entscheidend, dass „die“ mit „denen“ das machen können?
Ich denke mir, dass Selbstermächtigung immer noch möglich ist, auch wenn „die“ das Niveau schon bedenklich weit sinken lassen konnten.
Hinterfrage die Situation, in der du steckst, da liegt das größte Potential. Darauf zu warten, dass das jemand anderer tut, könnte eine Sackgasse sein.

Reinard Schmitz
Reinard Schmitz
6 Jahre zuvor

Eine vollkommen klare Beschreibung der Zustände. Was mich immer wieder zornig werden lässt: Die aussagen des Artikels hatten nicht nur schon in den 1970ern ihre Berechtigung. Sie wurden auch I Need der studentischen und in der Gewerkschaftsbewegung in jenen Tagen Sonderbarkeiten: in Schulungen, in Kursen, auf Vertrauensleute-Abenden und -wochenenden. Es ist nichts davon übrig geblieben, es hat nicht gefruchtet. Von daher ist es schwer, aus einer deutlich schwächeren Position wieder hoch zu kommen. Ich wünschte sehr, es ginge…

Reinard Schmitz
Reinard Schmitz
Reply to  Reinard Schmitz
6 Jahre zuvor

KORRIGIERTE FASSUNG von Reinard Schmitz
Eine vollkommen klare Beschreibung der Zustände. Was mich immer wieder zornig werden lässt: Die Aussagen des Artikels hatten nicht nur schon in den 1970ern ihre Berechtigung. Sie wurden auch in der studentischen und in der Gewerkschaftsbewegung in jenen Tagen so formuliert: in Schulungen, in Kursen, auf Vertrauensleute-Abenden und -Wochenenden. Es ist nichts davon übrig geblieben, es hat nicht gefruchtet. Von daher ist es schwer, heute aus einer deutlich schwächeren Position wieder hoch zu kommen. Ich wünschte sehr, es ginge…

Folkher Braun
Folkher Braun
6 Jahre zuvor

Kann das sein, das hier Kommentare herausge-X-t werden, obwohl sie nach Code-Eintrag geschaltet wurden?

Folkher Braun
Folkher Braun
6 Jahre zuvor

Kann es sein, dass hier Kommentare blockiert werden? Trotz code-Eingabe?

Ben
Ben
6 Jahre zuvor

Noch nicht ganz fertig mit dem Lesen, aber nur ein Einwurf zu politischen Teilhabe: für mich klingt das nach einer Kausalität von Armut und politischer Teilhabe.
Mir scheint eher, dass die Lebensumstände, die oftmals zu Armut führen dafür eher bestimmend sind – geringer Sozialstatus, Krankheit, Schicksalsschläge etc.
Nicht wenige Bekannte und Freunde überleben von H4, sind aber politisch sehr engagiert, weil es Bildung und Selbstbild zulassen.

Gast2
Gast2
6 Jahre zuvor

featured comic…:

Pia
Pia
6 Jahre zuvor

Sehr interessanter Artikel! Und aus der Idee „Die Nervosität der Mächtigen“ solltet ihr unbedingt was machen! Go viral!

Kerstin
Kerstin
6 Jahre zuvor

Widerstand, aber wie? Die gezielte neoliberale Zerschlagung sozialer Bewegungen

Internationale Finanzmittel die nicht umverteilt werden können, das Geld in den Händen von Wenigen,
muss zerstört werden. Das Spielgeld muss vernichtet werden. Wie machen wir das ?

Alle Tage Sabotage !

Pentimento
Pentimento
6 Jahre zuvor

Sehr guter Artikel, Danke. Natürlich darf man das Schlechte benennen, ohne eine bessere Lösung parat zu haben. Ganz abgesehen davon, dass es hier einige Lösungsansätze gibt. Man muss nicht malen können, um ein schlechtes Bild zu erkennen.

Mein Widerstand ist – ausser Selbsterkenntnis, mir den Glauben an die Utopie zu erhalten, mich allen Verführungen des Konsums konsequent zu entziehen, auf alles, was ich nicht unbedingt zum Leben brauche, zu verzichten, und mir durch den Leistungs-, Konsum- und Zeitterror nicht Hilfbereitschaft, Mitgefühl und Verständnis für meine Mitmenschen nehmen zu lassen. Ausserdem gebe ich Sara Wagenknecht eine Chance, auch wenn ich dafür Katja Kipping in Kauf nehmen muß.

Pentimento
Pentimento
6 Jahre zuvor

Wenn man bedenkt, dass es der Politik bewusst sein muss, dass TTIP & Co. massiv in ihren Handlungsspielraum eingreifen, kann man nur zum Schluss kommen, dass es schon jetzt noch viel schlimmer ist, als man annimmt.

Gruselig.

trackback
Die blutigen Tage von Genua – Blauer Bote Magazin – Wissenschaft statt Propaganda
6 Jahre zuvor

[…] via „Widerstand, aber wie? Die gezielte neoliberale Zerschlagung sozialer Bewegungen„. „Mehr noch: Lassen sich auf einer Demonstration potentielle „Störer“ ausmachen, […]