Schön ist es auf der Welt zu sein

Den US-Präsidenten und falsche Nachrichten, Hackerangriffe und die AfD: Russland finanziert offenbar jeden miesen Vorgang in der Welt. Selbst für unkritische Musik scheint der Kreml laut Spiegel noch ein Budget zu haben. Dieser letzte Vorwurf ist ziemlich gewagt für ein Land, in dem Helene Fischers entpolitisierte Gute-Laune-Songs die Charts anführen. Ist die gebürtige Russin vielleicht auch vom Kreml bestellt?

In der russischen Sängerin Vox hat Christina Hebel, Spiegel-Korrespondentin in Moskau, einen Xavier Naidoo gefunden. Wirft man dem deutschen Pendant aus Mannheim – teils zu Recht – noch vor, er würde mit dem Jargon von Pegida zur Politisierung aufrufen, so macht man Vox das Gegenteil zum Vorwurf: Sie will die Entpolitisierung. Vor allem die Textzeile »Kleiner, misch dich nicht in Politik ein« soll die jugendliche Protestgeneration zur Vernunft bringen. Dieser Musikclip, so urteilt die Korrespondentin, soll die Jugend von Demonstrationen abhalten. Daher die Frage: »Hat der Kreml den Clip in Auftrag gegeben?« Steckt also wieder mal Putin dahinter?

Die Frage kann an dieser Stelle nicht beantwortet werden. Weblogs unterhalten üblicherweise keine Auslandskorrespondenten. Und eigentlich finanzierten Leitmedien solche Auslandsmitarbeiter in anderen Tagen vor allem deswegen, weil man Informationen aus erster Hand, Eindrücke aus dem Ausland vermitteln wollte. Dass von dieser Stelle aus Tendenzartikel verbreitet werden, die Meinung schüren sollen, war so nicht vorgesehen. Meinungsmache auch aus den Auslandsressort bestimmt aber mittlerweile die Tonlage. Ja, die Stilblüte »Steckt Putin/Russland dahinter?« ist geradezu zu einem eigenständigen Ressort mutiert.

Wie dem auch sei, dass Frau Vox als bezahlte Kreml-Sängerin vorstellbar ist, zeigt mal wieder, wie dreist die Vorwurfsmaschinerie nach Osten arbeitet. Dass auch deutschsprachige Musik ein Ausbund entpolitisierter Industriemusik ist, konnte man sich unlängst in einem satirischen Debattenbeitrag Jan Böhmermanns vergegenwärtigen. Er analysierte die neue deutsche Singer- und Songwritergeneration, die so stolz auf ihre textlichen Ergüsse ist. Böhmermann kam zu dem Schluss, dass nur vier Themen die deutschsprachige Musik antreiben: Menschen, Leben, Tanzen, Welt. Und so nannte er dann auch einen Song, dessen Melodie schnell auf dem Reißbrett entstanden ist und der sich textlich aus Kalender-, Werbe- und anderen Binsensprüchen zusammensetzt, die Schimpansen aus dem Gelsenkirchener Zoo willkürlich in eine Reihenfolge brachten.

Der Satiriker des Neo Royal Magazins lieferte damit eine Steilvorlage zu einer wesentlich nüchternen Analyse der musikalischen Lage. Ohne Flachs und Schimpansen könnte man nur urteilen, dass die Introspektion das Agens deutscher Musik ist. Die Reduzierung des Individuums auf seinen mikrokosmischen Befindlichkeitshaushalt, auf alltägliche Lebenserfahrungen und Herzschmerz. In der erfolgreichen deutschsprachigen Musik wird sich geliebt oder getrennt, kommt man zusammen oder geht auseinander, sehnt man sich nach Ruhe nach dem Großstadtsturm. Böhmermann bringt ein gutes Beispiel: In einem Hit von Max Giesinger geht es um eine alleinerziehende, wohl ausgebrannte Mutter. Er beschreibt in dem Song, dass das Tanzen ihre Ausflucht ist. Sie tanzt sich gedanklich weg und erholt sich so. Im Videoclip sieht man eine Frau über Wiesen tänzeln. Böhmermann sagt ganz richtig, dass Giesinger das Phänomen des Regretting Motherhood banalisiert, denn er rückt gewissermaßen die Ursache ihrer postpartalen Stimmungskrise als Ausweg in Szene.

Böhmermann flankiert nur kurz die Frage, ob diese neue Generation deutscher Singer und Songwriter Schlager produzieren oder nicht. Denn Schlager seien ja immer heile Welt oder eben Liebeskummer gewesen, persönliche Geschichten ohne gesellschaftliche Erdung oder gar politischer Botschaft. Nur die Liebe lässt uns leben und es fährt ein Zug nach Nirgendwo. Da war es noch schön auf der Welt zu sein. So abgeschmackt nennen sich heute Songs natürlich nicht mehr. Aber inhaltlich bieten sie nicht selten ähnliche Einsichten. Man zieht atemlos durch die Nacht, und zwar bis der neue Tag erwacht. Liedzeilen, die jeder kennt, auch wenn man das gar nicht möchte. Gesungen hat sie Helene Fischer, das gekrönte Haupt deutscher Industriemusik. Sie verbindet junges und altes Publikum. Hat sie sich je politisch geäußert?

Sie ist Frau Vox aus Deutschland. Mit ihren Liedern und Texten holt sie die Leute zurück in ihr persönliches Schicksal, weg von den Sorgen und Ärgernissen innerhalb der Gesellschaft. Natürlich rät sie niemanden, zu keiner Demo zu gehen. Sie reduziert das menschliche Dasein in ihren Liedern zu einer biedermeierschen Wohnzimmerexistenz, die sich um eigene Gefühle schert, nicht aber um Übergeordnetes. Sie überredet ihr Publikum zum positiven Denken, zur Überbrückung ihrer Sorgen durch Vergessen. Es soll summen, wo sich Nöte einstellen. Pfeifen in dunkler Nacht. Sich vom Regelsatz ein Album von Helene Fischer kaufen, nicht aber darüber nachdenken, dass mit den Regelsätzen und mit der allgemeinen Sanktionspraxis etwas nicht stimmt. Dafür ist Frau Fischer nicht zuständig. Aber wer sagt ihr eigentlich, dass sie dafür nicht auch zuständig sein könnte?

Ja, woher kommt diese Dienstanweisung denn? Die fromme Helene wurde in Krasnojarsk geboren. Steckt also auch hier Putin dahinter? Möchte er das deutsche Publikum gezielt entpolitisieren und nach und nach verdummen? Ist also die Bildungsmisere in Deutschland aus dem Kreml gesteuert? Sind Frau Vox und Frau Fischer Kolleginnen, beide finanziert aus üppigen Staatsetats, die die staatspolitische Bildung als Staatsentpolitisierung begreifen? Oder ist das nur Zufall, dass Musiker und Musikerinnen zuweilen keinen sinnigen Bezug zur politischen Lage haben? Wahrscheinlich gelingt das nur den ganz Großen dieser Zunft.

Es könnte natürlich auch ganz anders sein: Vielleicht wird Frau Fischer von der Bundesregierung bezahlt. Wobei sie in diesem Satz nur symbolisch steht. Ja, vielleicht wird eine ganze Generation von Singer und Songwriter vom Bundesministerium für Bildung und Forschung entlohnt. Na klar, diese Idee ist jetzt eine Verschwörungstheorie. Nur weil sie nicht im Spiegel steht. Und weil das Wort »Putin« nicht vorkommt.

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Roberto J. De Lapuente

Roberto J. De Lapuente ist irgendwo Arbeitnehmer und zudem freier Publizist. Er betrieb von 2008 bis 2016 den Blog ad sinistram. Seinen ND-Blog Der Heppenheimer Hiob gab es von Mitte 2013 bis Ende 2020. Sein Buch »Rechts gewinnt, weil links versagt« erschien im Februar 2017 im Westend Verlag. In den Jahren zuvor verwirklichte er zwei kleinere Buchprojekte (»Unzugehörig« und »Auf die faule Haut«) beim Renneritz Verlag.

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Anton Chigurh
Anton Chigurh
Reply to  Roberto J. De Lapuente
6 Jahre zuvor

…wow…the Great Master of Disaster is reigning……

Schniepel
Schniepel
Reply to  Roberto J. De Lapuente
6 Jahre zuvor

Achte mal auf den Besuch der dir demnächst Zwangspause verordnet.

Dein ganzes, belangloses Geschmiere ist Unsinn !!!

Lappenclown
Lappenclown
Reply to  Roberto J. De Lapuente
6 Jahre zuvor

Du kannst gar nicht anders, du armer Tropf . Du möchtest gar keine Leute informieren und eine Gegenöffentlichkeit aufbauen, und kannst es auch nicht. Schlechter Stil, sehr schlecht tagesaktuell informiert, gruseliges Allgemeinwissen, niedriges Bildungsniveau. Warum du dich überhaupt noch in die Öffentlichkeit wagst, muss an einem verzerrten Selbstbild liegen. Vermutlich hältst du dich für eine subkulturelle Lichtgestalt.
Nun hast du schon die vielen Leser vom Spigelfechter nachgeschmissen bekommen, musstest nicht bei Null beginnen. Dazu gab es umsonst ( nicht gratis ) ein gutes Kommentariat und damit allerlei Anregungen für neue Themen.
All das hast du kaputt gemacht und merkst noch immer nicht, dass du ein beliebiger Langweiler bist. Schade um die vergebene Möglichkeit.

trackback
Schön ist es auf der Welt zu sein – Tagesticker.net
6 Jahre zuvor

[…] Gute-Laune-Songs die Charts anführen. Ist die gebürtige Russin vielleicht auch vom Kreml bestellt?Weiterlesen bei den neulandrebellen Lesen Sie auch: Die Internationale der Globalisierungsverlierer Die Globalisierungsverlierer des […]

Nikolai
Nikolai
6 Jahre zuvor

Das Ganze ist insofern lächerlich, da Alissa Wox früher mal Sängerin bei der berühmt-berüchtigten Band Leningrad (https://www.wikiwand.com/de/Leningrad_(Band)) war, bei der man alles mögliche nur nicht den Kreml-Einfluss vermuten kann. Kann aber natürlich auch eine Masche sein 🙂

ThomasX
ThomasX
6 Jahre zuvor

Öööhhhhhhmmm… Wie war noch mal die Frage?
Helene, Marlene, Makrele singedingedongdülelü. Spiegelbildlich bildsprachlich gesehen. Oah.
….. Ui! Neue Pilder. Kamma jetzt etwao och editieren?

ThomasX
ThomasX
Reply to  ThomasX
6 Jahre zuvor

Nö… Mist. Neue Bildchen sind arschlos. Ne vernünftige Editierfunktionmuss her!

hart backbord
hart backbord
6 Jahre zuvor

Zum skandalösen Pfeifkonzert gegen Helene Fischer in der Pokalendspiel-Pause sendet das Erste heute einen einstündigen Brennpunkt, gefolgt von Hart aber fair (spezial) zum gleichen Thema. Das heute vorgesehene Bundesliga-Relegationsrückspiel wird auf unbestimmten Zeitpunkt verschoben. Im Gegenzug dürfen die Pokalsiegerinnen des VfL Wolfsburg ihren Sieg nun doch feiern. Bedingung: Helene Fischer bestreitet das komplette, dreistündige Rahmenprogramm.

GrooveX
GrooveX
6 Jahre zuvor

krasnojarsk? wie soll ich das verstehen? ist die helene russlands antwort auf den kronstädter peter?

muss ich mir sorgen machen? vorräte einkaufen? keller polstern?

hauptsache nicht mannheim und nicht karat

Robbespiere
Robbespiere
Reply to  GrooveX
6 Jahre zuvor

@GrooveX

ist die helene russlands antwort auf den kronstädter peter?

Nö, das ist Putins musikalische Antwort auf westliche Propaganda. Und so funktionierts.

https://www.youtube.com/watch?v=aTe0MjAZvMU

War nicht besonders clever von den Yankies, Jelzin eine Videothek im Kreml einzurichten.:-)

GrooveX
GrooveX
Reply to  Robbespiere
6 Jahre zuvor

naaa-in, auch nicht tom.